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Nürnberg-Talent Krauß exklusiv: „Wäre falsch zu sagen, Leipzig ist mir egal“

17. Dezember 2021 | Trending | BY Yannick Lassmann

Interview | Tom Krauß nahm während seiner Leihe von RB Leipzig zum 1. FC Nürnberg eine starke Entwicklung. Im Gespräch mit 90PLUS äußerte er sich zu seinem Werdegang, den ersten Schritten im Profifußball und seinen Zukunftsplänen.

Tom Krauß (20) wechselte im Sommer 2020 auf Leihbasis zum 1. FC Nürnberg. Dort reifte er zum U21-Nationalspieler. In einem halben Jahr kehrt er laut Vertrag zu RB Leipzig zurück. Mit 90PLUS-Redakteur Yannick Lassmann sprach der Mittelfeldakteur über seine Anfänge, das Verlassen der Heimat – verbunden mit seiner persönlichen und sportlichen Entwicklung, den Sprung in die U21-Nationalmannschaft und seine Qualitäten an der Playstation.



Krauß: „Ohne meinen Vater wäre ich nicht da, wo ich bin“

90PLUS: Herr Krauß, Sie blicken auf einen unglücklichen Freitagabend zurück. Bei der 1:4-Niederlage auf Schalke mussten Sie aufgrund einer Beckenverletzung noch vor der Halbzeitpause ausgewechselt wurden. Wie gehts Ihnen mit Blick auf das anstehende Spiel in Aue?

Krauß: Wir schauen von Tag zu Tag. Letzte Woche nach dem Spiel hätte ich gesagt: „Okay, das wars für dieses Jahr.“ Jetzt wird’s von Tag zu Tag besser, aber ob es auch Sinn macht, am Samstag zu spielen, das wird halt kurzfristig entschieden.

90PLUS: Mit Verletzungen umzugehen, haben Sie sicherlich schon früh gelernt, denn Sie stammen aus einer wahren Fußballerfamilie. Ihr Opa Roland brachte es als Spieler bis in die DDR-Oberliga (Anm. d. Red: damals die höchste Spielklasse), Ihr Vater Holger wurde in der A-Jugend von Bayer Leverkusen deutscher Vizemeister. Wurde Ihnen das Fußballspielen in die Wiege gelernt?

Krauß: Ja, kann sein. Ich glaube, meine Familie ist eine Fußballerfamilie und deswegen war es auch relativ leicht, zum Fußball zu kommen. Da habe ich auch viel von meinem Vater gelernt, mein Opa ist früh gestorben. Ich glaube – das sage ich auch in jedem Interview – ohne meinen Vater wäre ich nicht da, wo ich bin.

90PLUS: Sie brachten frühzeitig viel Talent mit, landeten schon 2011 bei RB Leipzig und durchliefen sämtliche Nachwuchsmannschaften. Wie sehr hat es Ihnen geholfen, die gesamte Jugend bei einem Klub in der Heimat zu verbringen?

Krauß: Ich glaube, das wünscht sich jeder, bei der Familie zu wohnen und auch bei dem Verein zu spielen, der auch in der Stadt beheimatet ist. Ich habe damals auch einen Jahrgang höher gespielt, wo ich viel lernen konnte. Die Familie hat mich immer zum Training gebracht, das war schon sehr hilfreich, denn es hätte wohl nicht geklappt, wenn ich nicht die Chance gehabt hätte, immer da zu sein.

Krauß: „Habe hier in der Zeit vier, fünf Kilo zugelegt“

90PLUS: Dann kam im Sommer 2020 die Leihe zum 1. FC Nürnberg – der große Schritt raus aus der Heimat. Wie schwer fiel es Ihnen, erstmals die Heimat zu verlassen?

Krauß: Die war schon sehr schwierig. Das war ja auch während der Corona-Zeit. Mein Tagesablauf bestand immer nur aus Training und dann war ich schon wieder zuhause und konnte nichts machen, weil alles geschlossen hatte. Dann musste ich mich auch ums Kochen und ums Einkaufen kümmern, das kannte ich vorher nicht. Das hat alles meine Familie vorher erledigt. Deswegen war es eine riesige Umstellung, aber sie hat mich menschlich auch weitergebracht. Deshalb sage immer wieder, dass es der richtige Schritt hierher war und bin auch sehr froh über meine Entscheidung.

90PLUS: Beim FCN trafen Sie wieder auf Robert Klauß – zuvor in Leipzig Assistent von Julian Nagelsmann. War er ein ausschlaggebender Grund für den Wechsel?

Krauß: Das würde ich jetzt nicht verneinen. Ich hatte schon auch andere Angebote und dann kam natürlich die Meldung, dass Robert Klauß nach Nürnberg geht und dann habe mich sofort damit befasst. Ein Grund war es schon, aber nicht der einzige, da ich auch weiß, was der Verein hier für eine Strahlkraft besitzt und ich Nürnberg als Traditionsverein immer mitverfolgt habe. Es war auch eine Entscheidung für den Verein und nicht nur aufgrund des Trainers.

90PLUS: Die vergangene Saison war für Sie das erste vollständige Jahr im Profifußball. Hat Klauß Ihnen den Anfang erleichtert, da Sie schon gewisse Abläufe kannten?

Krauß: Auf jeden Fall. Ich wusste sofort, was er spielen will. Dadurch war die Situation für mich etwas leichter, aber die Mannschaft hat mich auch direkt sehr gut aufgenommen.

90PLUS: Sie sind in der Mannschaft gut angekommen, haben zuvor in Leipzig mit dem Profikader auf Champions-League-Niveau trainiert, in der U19 gespielt, doch in der 2. Bundesliga geht es nochmal körperbetonter, physischer zur Sache. Wie groß war die Umstellung?

Krauß: Man muss ehrlich sein. Bei einem Champions-League-Verein wird sehr, sehr viel Fußball gespielt. Es ist komplett anders als in der 2. Liga. Das war mir aber auch bewusst, dass es dort körperlicher zugehen wird und ich habe hier in der Zeit vier, fünf Kilo zugelegt. Ich habe von Spiel zu Spiel gemerkt, was mir noch fehlt, aber habe mich stetig weiterentwickelt.

Tom Krauß im Zweikampf beim 1. FC Nürnberg.

(Photo by Sebastian Widmann/Getty Images)

Krauß über Position: „Würde mich nicht auf die Acht fixieren“

90PLUS: Bei welchen Punkten hatten Sie besonders Schwierigkeiten?

Krauß: Körperlich hat mir noch einiges gefehlt. Ich war noch nicht so robust in den Zweikämpfen. Im Profibereich läuft im Vergleich zur U19 alles viel schneller ab. Dazu hat man noch mehr Druck, auch wenn keine Zuschauer da waren. Nach dem Spiel habe ich gelesen, was bei uns alles nicht gut war. Das kannte ich nicht. Bei RB lief ja alles gut. Das sind schon Faktoren, mit denen man umgehen muss.

90PLUS: Sie sprachen die Geisterspiele schon eben kurz an. Haben Sie einen Unterschied gespürt, als sie erstmals vor größeren Zuschauermengen aufliefen?

Krauß: Im ersten Saisonspiel gegen Aue (0:0) vielleicht. Aber ich habe damals mit Fußball angefangen, um vor Zuschauern zu spielen. Deswegen habe ich mich umso mehr auf jedes Spiel vor Publikum gefreut. Vielleicht war ich noch heißer als vorher. Es ist natürlich etwas leichter, sich zu motivieren, wenn Zuschauer dabei sind. Da muss ich ganz ehrlich sein. Deshalb ist es für mich eher eine Freude, wenn die Stadien voll sind.

90PLUS: Die ersten Spiele vor Publikum haben schon etwas in Ihnen ausgelöst. Hat sich auch etwas an Ihrem Auftreten verändert?

Krauß: Ich mache ja vor den Fans gerne mal Handbewegungen, das konnte ich vorher natürlich nicht machen. Ihre Anwesenheit hat schon nochmal zusätzliche Kräfte freigesetzt, sodass es für mich eher positiv ist, wenn Zuschauer zugelassen sind.

90PLUS: Von den Fans werden Sie aufgrund Ihrer Einsatz- und Lauffreude geschätzt. Aktuell kommen Sie in der Mittelfeldraute auf der halbrechten Position zum Einsatz. Fühlen Sie sich dort ideal aufgehoben?

Krauß: In der Raute auf jeden Fall. Ich habe in der U21-Nationalmannschaft im 4-3-3 auch rechte Acht gespielt. Ich passe mich immer sehr schnell an die Vorgaben des Trainers an und versuche meine Leistung zu bringen, egal wo ich eingesetzt werde. Deswegen würde ich mich nicht auf die Acht fixieren. Ich kann mehrere Positionen spielen. Die Hauptsache ist, dass ich spiele.

90PLUS: Sie können auch auf der Sechs spielen. Welche Unterschiede sehen Sie zwischen beiden Positionen?

Krauß: Auf der Acht habe ich mehr Freiheiten. Auf der Sechs müsste ich auf der Position bleiben, weshalb meine Stärken nicht so stark zur Geltung kommen. Aber ich kann sowohl auf der Sechs als auch auf der Acht spielen.

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Krauß: „War immer ein Traum, irgendwann mal U21-Nationalmannschaft zu spielen“

90PLUS: Sie haben die U21-Nationalmannschaft eben schon erwähnt. Stefan Kuntz – mittlerweile Nationaltrainer der Türkei – nominierte Sie im September. Nachfolger Antonio Di Salvo setzte ebenfalls auf Sie. Wie liefen die ersten Zusammentreffen ab?

Krauß: Mein Ziel am Anfang der Saison war schon, in die U21 zu kommen. Als die Nachricht kam, habe ich mich sehr gefreut. Es war schon eine Art Traum mit 12, 13 Jahren, dass ich irgendwann mal U21-Nationalmannschaft spiele. Deshalb war es umso schöner, ein Tor zu schießen. Es hätten sogar noch mehr sein können. Gegen Lettland (3:1) hätte ich noch das ein oder andere Tor erzielen können. Insgesamt fühle ich mich dort sehr wohl. Ich kenne schon sehr viele Spieler, weil ich jede Nationalmannschaft mitgenommen habe. Die Eingewöhnung fiel mir also relativ leicht.

90PLUS: Die Partien im November verpassten Sie coronabedingt. Dort gab es unter anderem eine bittere 0:4-Niederlage gegen Polen. Hat dies Einfluss auf die Zielsetzung hinsichtlich der EM-Endrunde 2023 in Rumänien und Georgien genommen?

Krauß: Wenn die EM nicht unser Ziel wäre, dann bräuchten wir auch kein Fußball zu spielen. Jetzt wollen wir die nächsten Länderspiele gewinnen. Wir hoffen, dass es dann zur Teilnahme reicht. Die Niederlage gegen Polen war ein Aussetzer, der so nicht wieder vorkommen wird.

Tom Kraus im Dress der U21

(Photo by Alexander Hassenstein/Getty Images)

90PLUS: Ähnlich eng wie in der U21-EM-Qualifikation geht es in der 2. Bundesliga zu. Der 1. FC Nürnberg liegt aktuell auf Rang sieben, wobei der Rückstand auf den Relegationsplatz nur zwei Punkte beträgt. Wie beurteilen Sie Ihre Mannschaft im Vergleich zur Konkurrenz?

Krauß: Unsere Mannschaft ist noch sehr jung. Wir haben noch Entwicklungspotenzial – bei jedem einzelnen Spieler. Aber man muss ehrlicherweise sagen, dass wir gegen die stärksten Gegner noch nicht gewonnen haben. Daran wollen wir in der Rückrunde etwas ändern.

90PLUS: Jetzt haben Sie gegen jeden Gegner einmal gespielt. Welche Mannschaft hat aus Ihrer Sicht den stärksten Eindruck hinterlassen?

Krauß: In der 2. Liga ist alles sehr eng. Aber man sieht natürlich auch an der Tabelle, dass St. Pauli schon ein Ausreißer ist, obwohl sie gegen uns jetzt nicht besser waren. Stand jetzt würde ich trotzdem sagen, dass St. Pauli sehr großer Favorit auf den Aufstieg ist.

90PLUS: Doch auch der FCN liegt noch in Reichweite. Wie lautet die interne Zielsetzung? Ist der Aufstieg ein Thema?

Krauß: Wir wollen jedes Spiel gewinnen. Wir reden jetzt aber noch nicht über den Aufstieg oder sonstige Dinge. Erstmal wollen wir am Samstag gegen Aue drei Punkte holen und dann eine schöne Weihnachtszeit haben, ehe es am 3. Januar wieder los geht.

Krauß zur Zukunft: „Schaue von Tag zu Tag“

90PLUS: Sie könnten dann in Ihr letztes Halbjahr beim 1. FC Nürnberg starten. Sportvorstand Dieter Hecking hat zwar schon angekündigt, Sie über den Sommer hinaus halten zu wollen, doch wo sehen Sie sich in der nächsten Saison?

Krauß: Das ist schwer zu sagen. Ich denke auch noch gar nicht daran, was nächstes Jahr sein wird. Stand jetzt endet meine Leihe. Aber man sagt niemals nie. Ich schaue von Tag zu Tag und freue mich jedes Mal, auf dem Platz stehen zu können für den Verein. Bis zum Sommer ist es noch lange hin.

90PLUS: Ihr Vertrag läuft in Leipzig noch bis 2025. Dort löste gerade Domenico Tedesco Jesse Marsch als Cheftrainer ab. Wie bewerten Sie die Situation in Leipzig?

Krauß: Ich beobachtet Leipzig natürlich, habe noch mit ein, zwei Spielern Kontakt. Das ist mein Heimatverein, ich schaue fast jedes Spiel. Es wäre völlig falsch zu sagen, dass mir der Verein egal wäre.

90PLUS: Besteht denn auch Kontakt zur sportlichen Leitung?

Krauß: Wir hatten jetzt ein Gespräch. Eine finale Aussage wurde aber noch nicht getroffen. Wir werden uns in den nächsten Monaten nochmal zusammensetzen und dann weiterschauen.

90PLUS: Gab es noch gar keine Andeutung bezüglich der Pläne mit Ihnen?

Krauß: Nein, kann man auch noch gar nicht. Man weiß ja nicht, was mit mir im nächsten halben Jahr passiert. Sie schauen sich auf jeden Fall jedes Spiel an, aber jetzt schon eine Entscheidung zu treffen, wäre falsch.

Tom Krauß im Zweikampf für den 1. FC Nürnberg gegen RB Leipzig.

(Photo by Alexander Hassenstein/Getty Images)

Krauß zum E-Sport: „ Ist mein Hobby

90PLUS: In Nürnberg haben Sie sich nicht nur auf dem Platz einen Namen gemacht, sondern auch an der Playstation. Durch Ihre starken Leistungen beim Spiel „FIFA“ haben Sie sogar einen Vertrag beim E-Sport-Bundesliga-Team erhalten. Woher stammt das große Talent?

Krauß: Das ist schwierig, zu sagen. Es liegt in den Genen. Meine Hände sind sehr schnell (lacht). Ich spiele schon sehr oft – auch mit Tim Handwerker (Teamkollege in Nürnberg, Anm. d. Red.). Der kann das auch sehr gut. Ich versuche möglichst viel zu spielen. Nach der Anfrage der E-Sport-Abteilung habe ich natürlich nicht Nein gesagt.

90PLUS: In der vergangenen Woche gaben Sie dort sogar ihr Bundesliga-Debüt. Welche Priorität hat der E-Sport für Sie? Wollen sie dem langfristig auf hohem Niveau nachgehen?

Krauß: Ich habe vor allem aus Spaß gespielt, den ein oder anderen Witz gerissen. Die anderen haben es schon sehr ernst genommen. Für mich ist es ein Hobby. Es macht mir Spaß. Ob ich jetzt in fünf Jahren immer noch dabei bin, weiß ich noch nicht.

90PLUS: Wo sehen wir Sie denn eher regelmäßig in der Bundesliga wieder? Auf dem Rasen oder vor der Konsole?

Krauß: Ich hoffe bei beidem (lacht).

 

Yannick Lassmann

(Photo by Sebastian Widmann/Getty Images)

Yannick Lassmann

Rafael van der Vaart begeisterte ihn für den HSV. Durchlebte wenig Höhen sowie zahlreiche Tiefen mit seinem Verein und lernte den internationalen Fußball lieben. Dem VAR steht er mit tiefer Abneigung gegenüber. Seit 2021 bei 90Plus.


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