Sancho kehrt zum BVB zurück! Genialer Schachzug oder Fehlinvestition?
11. Januar 2024 | Spotlight | BY Damian Ozako
Der BVB hat Jadon Sancho für die restliche Saison von Manchester United ausgeliehen. Ein Deal, der manche in Euphorie versetzt und wiederum andere ärgert. Kann der Engländer Borussia Dortmund wirklich weiterhelfen?
BVB leiht Sancho aus
In den sozialen Netzwerken gibt es für Fans von Borussia Dortmund seit Tagen kaum ein anderes Thema mehr: Jadon Sancho, einstiger Leistungsträger des BVB, spielt bis zum Saisonende erneut für die Schwarzgelben. Neben Euphorie über die Rückkehr des 23-Jährigen gibt es auch sehr viel Skepsis, die durchaus begründet ist.
Sancho, der den BVB im Sommer 2021 als DFB-Pokalsieger für rund 85 Millionen Euro in Richtung Manchester verließ, hat nun einige schwierige Jahre hinter sich. „This is my club. This is where I belong“, verkündete er stolz bei der Bekanntgabe seines Transfers. Mittlerweile kann man getrost behaupten, dass er damit daneben lag. 82 Pflichtspiele, zwölf Tore und sechs Vorlagen: Angesichts der Vorschusslorbeeren und riesigen Erwartungen gehört Sancho zu den größten Missverständnissen in der Geschichte der Red Devils.
Sancho in Manchester außen vor
Das hochgepriesene Offensivtalent fehlte in seiner zweiten Spielzeit für mehrere Monate aufgrund von „mentalen Problemen“ – die sein Trainer Erik ten Hag recht plump und unglücklich nach außen preisgab. Das Fass zum Überlaufen brachte dann ein öffentlicher Streit mit dem Niederländer, der seinem Spieler unzureichende Trainingsleistungen attestierte. „Bitte glaubt nicht alles, was ihr lest. Ich werde nicht erlauben, dass Leute Dinge sagen, die komplett unwahr sind“, schrieb Sancho auf X (ehemals Twitter) und wollte nicht auf die seiner Ansicht nach wahren Gründe für die fehlende Kadernominierung gegen Arsenal eingehen: „Ich bin schon lange der Sündenbock, was nicht fair ist!“
Seit diesem Vorfall, also Anfang September, hat der 23-Jährige nicht nur kein Spiel mehr für United absolviert, sondern durfte nicht einmal mehr mit der Mannschaft trainieren. Eine Entschuldigung seitens Sancho folgte nicht, also blieb er weiter außen vor.
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Auf einen Spieler zu setzen, der sich quasi die gesamte Hinrunde über nicht einmal im Mannschaftstraining befand, ist natürlich riskant. Bei einem ohnehin schon sehr knappen Budget 3-4 Millionen Euro in dessen Leihgebühr zu investieren, ohne sich eine Kaufoption zu sichern, hinterlässt bei vielen Fans Fragezeichen.
BVB benötigt Qualität: Königsklasse in Gefahr
Also warum setzen die BVB-Verantwortlichen trotzdem auf Sancho? Dafür reicht ein simpler Blick auf den Kader. Ist die Defensive des Gegners dicht gestaffelt, fehlen der Terzic-Elf oftmals die Ideen, wie man ein Tor erzielen könnte. Eine Mischung aus einem bieder zusammengestellten Kader, der im Sommer viel spielerische Qualität verlor, und einem Trainer, der keine klare Handschrift besitzt, sorgt für konstant durchwachsene Leistungen der Schwarzgelben.
Neben notwendigen Veränderungen im taktischen Bereich, für die wohl der neue Co-Trainer Nuri Sahin sorgen soll, braucht es auch im Kader Veränderungen. Die Qualifikation für die Champions League ist in höchster Gefahr und Dortmund braucht eine immense Leistungssteigerung, um nicht nach der Winterpause den Anschluss innerhalb weniger Spiele zu verlieren. Geld ist – auch aufgrund der Ausgaben im Sommer – kaum da. Profis, die man mit dem vorhandenen Budget kaufen könnte, hätten in der Regel kaum die Qualität, um das Spiel der Borussia auf ein neues Level zu heben. Weiterer Durchschnitt im Kader, der alle paar Wochen einen Glanzmoment hat, wird dem BVB in der aktuellen Lage nicht weiterhelfen.
Taktik und Kader: dem BVB fehlt spielerische Klasse
Selbstverschuldet steht Borussia Dortmund mit dem Rücken an der Wand und da erscheint eine Leihe von Sancho, auch ohne Kaufoption, einen Versuch wert zu sein. Da der BVB schon länger nicht mehr für kreative Lösungen auf dem Transfermarkt steht, richtet sich der Blick auf Spieler, die man kennt und schätzt. Doch der 23-jährige Engländer ist nicht nur ein reiner Nostalgietransfer, sondern auch potenziell eine gute Reaktion auf die fehlende spielerische Klasse der Dortmunder.
Kreativität, die in gefährlichen Situationen vor dem gegnerischen Tor mündete, wurde in der Hinrunde eigentlich nur von einem Spieler regelmäßig zur Schau gestellt: Julian Brandt. Der Nationalspieler kommt laut Opta in der Bundesliga auf einen xAG-Wert (expected Assisted Goals) von 0,49 pro 90 Minuten. Also bringt er seine Mitspieler durch seine Pässe so in Position, dass in jedem zweiten Spiel eine Vorlage erwartet werden kann. Dies deckt sich auch halbwegs mit den echten Werten (sieben Vorlagen in 16 Spielen). Nur Thomas Müller (0,8 xAG) und Leroy Sané (0,56 xAG) sind in der Liga besser, wobei der Wert beim Bayern-Routinier durch seine geringe Spielzeit deutlich verzerrt ist.
Beim BVB folgt beim Kreieren von Chancen nach Brandt erstmal Leere. Reyna, bei dem das gleiche gilt, wie bei Müller, befindet sich mit 0,26 xAG auf Rang zwei und Reus mit 0,24 xAG auf Rang drei. Was die Lage noch einmal verheerender macht: Alle fühlen sich hinter der Spitze im offensiven Mittelfeld am wohlsten. Brandt muss deswegen schon regelmäßig auf den Flügel ausweichen. Und die restlichen Spieler sind entweder noch nicht weit genug (Jamie Bynoe-Gittens und Julien Duranville), um viel Verantwortung in diesem Aspekt zu übernehmen oder sind schlichtweg nicht die passenden Spielertypen (Karim Adeyemi, Donyell Malen, Marcel Sabitzer etc.).
Mit Sancho würde der BVB einen Spieler ausleihen, der eben jene kreative Lücke hinter Brandt füllen könnte. Seine Werte bewegten sich während seiner Zeit in Dortmund zwischen 0,28 und 0,42 xAG und er überperformte sogar noch konstant. 51 Vorlagen in 104 Ligaspielen sprechen eine deutliche Sprache und geben nicht einmal im Ansatz wieder, wie wichtig der Engländer für das Spiel des BVB war. Er initiierte Angriffe, war immer anspielbereit, ließ den Ball gut laufen, machte seine Mitspieler besser und war für den Gegner oftmals unberechenbar. Qualitäten, die der Terzic-Elf mittlerweile in sehr weiten Teilen abgehen.
Terzic baute Sancho schon einmal auf
Dass er in Dortmund ebenfalls mit Disziplinlosigkeiten auffiel und sportliche Krisen erlebte, wird gerne vergessen. Terzic hat einem Athletic-Bericht zufolge viel dafür getan, ihn zu unterstützen und soll schon als Co-Trainer unter Lucien Favre eine enge Bindung zum Dribbelkünstler aufgebaut haben. Wie gut Sancho unter Terzic funktionierte, hat man in der Spielzeit 2020/21 gesehen. Nach einem schwachen Saisonstart (wettbewerbsübergreifend drei Tore und vier Vorlagen in 15 Spielen) drehte er mächtig auf, als der heutige Dortmunder Cheftrainer als Interimslösung einsprang. 13 Tore und 16 Vorlagen folgten bis zum Saisonende, obwohl der junge Engländer noch knapp zwei Monate mit einem Muskelbündelriss fehlte. Er verabschiedete sich mit dem DFB-Pokal aus Dortmund und brillierte mit zwei Treffern und einer Vorlage im Finale gegen Leipzig (4:1).
Beim aktuellen Tabellenfünften wird man darauf setzen, dass der 41-Jährige Sancho schnell in Form bekommt, um damit viele Probleme im Offensivspiel zu lösen. Die Spiele vor der Winterpause haben gezeigt, dass der BVB mit passiven Matchplänen sein Mindestziel verpassen wird. Offensiver zu spielen, ist ein Muss und mit Sancho – wenn er denn schnell spielfit werden würde – hätte der BVB dann für 3-4 Millionen Euro einen Spieler bekommen, der viele Probleme der Borussia lösen könnte. Für das Geld wird es trotz der fehlenden Spielpraxis und den ganzen Fragezeichen rund um ihn schwierig, eine bessere Alternative zu finden.
Man United blickt entspannt auf den Sommer
Für Manchester United ist die Situation sehr entspannt. Beim BVB könnte er mit guten Leistungen seinen Marktwert für den Sommer steigern, sodass United auf ansprechende Angebote hoffen darf, die es jetzt nicht geben dürfte. Sollte Dortmund daran interessiert sein, ihn zu halten, müsste Sancho selbst sehr deutlich klarstellen, dass er nur zum BVB will. Nur so hätten die Schwarzgelben eine Chance, sich gegen mögliche Mitbieter durchzusetzen, die finanziell besser aufgestellt sind. Darüber hinaus müsste der 23-Jährige auch dazu bereit sein, erhebliche Gehaltseinbußen hinzunehmen. Für United gab es gar keinen Anlass, einer Kaufoption zuzustimmen, da Dortmund nicht einmal ansatzweise so viel zahlen könnte, dass es sich für die Engländer lohnen würde. Oder vielleicht kommt es auch ganz anders und Sancho startet im Sommer mit viel Verspätung – und eventuell unter einem neuen Trainer – dann doch noch in Manchester durch.
Die Personalie Sancho sorgt bei Anhängern des BVB natürlich für viele Emotionen, aber am Ende des Tages bleibt festzuhalten, dass die Leihe weder ein katastrophaler Deal noch ein genialer Schachzug ist. Im Kontext der sportlichen und finanziellen Situation der Borussia, geht das alles schon so in Ordnung. Dass sich Dortmund überhaupt auf eine Leihe ohne Kaufoption für einen Spieler einlassen muss, der seit 2021 kaum Leistung zeigte und seit vier Monaten nicht einmal mit seiner Mannschaft trainieren darf, ist das eigentliche Problem. Es ist ein Panikleihe, deren Kosten durch die Champions-League-Qualifikation bezahlt, die wiederum durch jene Leihe erreicht werden soll. Das ist Borussia Dortmund im Jahr 2024.
(Photo by INA FASSBENDER/AFP via Getty Images)
Damian Ozako
Als Kind von Tomas Rosicky verzaubert und von Nelson Haedo Valdez auf den Boden der Tatsachen zurückgebracht worden. Geblieben ist die Leidenschaft für den (offensiven) Fußball. Seit 2018 bei 90PLUS.