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90 Minuten mit Toni Kroos: Ein königlicher Abtritt nach Maß

2. Juni 2024 | Spotlight | BY Michael Bojkov

Toni Kroos hat seinen Abschied mit einem 2:0-Sieg gegen Dortmund und dem Henkelpott gekrönt. Wir haben ihn in seinen letzten 90 Minuten im königlichen Dress unter die Lupe genommen. 

Aus London berichtet Michael Bojkov.

Was eine unvergleichliche Fußballerkarriere: Ganze 33 Titel konnte Toni Kroos mitsamt des Triumphes von Wembley auf Klubebene gewinnen, einen Großteil davon selbstredend mit Real Madrid. Sein Wert für die Blancos war auf den ersten Blick nie ganz so offensichtlich wie der eines Cristiano Ronaldo oder in den vergangenen Jahren auch Karim Benzema.



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Dabei sind vielleicht gerade sie die höchstmögliche Kunst, die ein Profifußballer beherrschen kann: Die Dinge, die nur die wenigsten sehen. Und von diesen Dingen konnte die Nummer acht der Blancos, die es auf insgesamt 466 Spiele im weißen Trikot bringt, eine ganze Menge: Die enorme Ruhe am Ball, der Blick für Raum und Mitspieler sowie die technischen Fähigkeiten, um die eigenen Vorderleute punktgenau in Szene zu setzen, sind nur einige seiner Attribute, die Real in den vergangenen Jahren zu Tafelsilber verholfen haben. Und gestern erneut. 

Toni Kroos: Der finale Tanz mit den Galaktischen

Das Finale gegen Dortmund im Zeitstrahl:

5. Minute: Wie man es von ihm kennt, kippt Kroos bei eigenem Ballbesitz gerne links in die letzte Kette ab, um von dort aus das Spiel aufzubauen.

6. Minute: Ein erster Fehler von Kroos, der sich bei einem gegnerischen Angriff überspielen lässt.

7. Minute: Kroos ist erstmals defensiv richtig gefordert, klärt bei einer Ecke im eigenen Strafraum.

10. Minute: Bei längeren Ballbesitzphasen lässt sich Kroos gerne auch zentral zwischen die Innenverteidiger Nacho und Rüdiger fallen, um mit ihnen zusammen aus einer Dreierkette heraus aufzubauen.

10. Minute: Sein ärgster Widersacher ist heute Marcel Sabitzer, der ihn immer wieder anläuft. Andersherum hält sich Kroos bei gegnerischem Ballbesitz immer im Dunstkreis des Österreichers auf.

15. Minute: Das liebt er: Aufdrehen und mit einem perfekt temperierten Pass die Linien des Gegners brechen. In diesem Fall per Zuspiel auf Camavinga.

17. Minute: Ein Fehlpass! Das ist bei einer durchschnittlichen Passquote von über 95 Prozent auch durchaus von berichtenswerter Natur. Kroos ist abgekippt und will aufbauen, wird dann aber unter Druck gesetzt und schlägt die Kugel unkontrolliert nach vorne .

19. Minute: Er ist nicht der Lautsprecher in der Mannschaft, das war er auch nie. Auffällig ist dennoch seine Gestik. Immer wieder versucht er, seinen Mitspielern mit Handbewegungen Anweisungen zu geben.

21. Minute: Gegen den Ball agiert Kroos gewohnt abwartend und sichert lieber ab statt ins Pressing zu gehen.

23. Minute: Dann sucht Kroos doch einmal forsch den Zweikampf, verliert diesen aber und muss dabei zusehen, wie Can an ihm vorbeimarschiert und Dortmund wenige Momente darauf den Pfosten trifft.

Tonin Kroos

(Photo by Dan Mullan/Getty Images)

25. Minute: Aufgrund einer kurzen Unterbrechung gibt es für die Spieler eine Trinkpause. Die nutzt Kroos, um ein paar Worte mit Coach Ancelotti und dessen Sohn Davide (Co-Trainer) zu sprechen.

27. Minute: Kroos spielt eine seiner berüchtigten Seitenverlagerungen und setzt damit Vinícius in Szene, der durchbricht, daraus aber kein Kapital schlagen kann.

30. Minute: Ein Eckball von Kroos gerät in den Rücken von Freund und Feind, sodass Dortmund den Ball aufnehmen und einen Konter fahren kann. Dieser bringt letztlich nichts ein.

33. Minute: Häufig unterstützt der DFB-Rückkehrer Mendy auf links. Zusammen doppeln sie Ryerson, der sich dann aber zu leicht gegen Mendy durchsetzen kann.

41. Minute: Erst spielt Kroos einen Fehlpass auf Adeyemi und verliert anschließend den Zweikampf.

45. Minute +3: Diesmal hat das Doppeln mit Mendy Erfolg, Kroos erobert die Kugel

Zweite Halbzeit

49. Minute: Kroos bringt einen Freistoß auf den ersten Pfosten und zwingt damit Kobel zu einer Parade. Anschließen bedient der gebürtige Greifswalder mit einer scharfen Hereingabe Carvajal – knapp drüber. 

60. Minute: Kurzer Datencheck: Nach der Einstundenmarke hat der DFB-Rückkehrer 72 von 75 Pässen an den Mann gebracht sowie sechs von sieben langen Zuspielen. Alles wie immer! 

65. Minute: Eine scharf getretene Ecke setzt am ersten Pfosten Rüdiger in Szene.

68. Minute: Mal wieder eine längere Ballbesitzphase der Königlichen, in der sich Kroos zwischen die Innenverteidiger fallen lässt und von dort aus versucht, das Spiel anzukurbeln.

75. Minute: VORLAGE ZUR FÜHRUNG! Kroos serviert punktgenau auf den Kopf von Carvajal, der Real Madrid in Front bringt. 

80. Minute: Bei einem direkt getretenen Freistoß stellt Kroos Kobel erneut vor eine Aufgabe.

82. Minute: Wieder findet eine Ecke den Mitspieler, diesmal verfehlt Nacho.

85. Minute: Ein ganz großer Moment: Unter Standing Ovations der Real-Anhängerschaft wird Kroos ausgewechselt und durch Modric ersetzt. „TONI“ hallt es von den Rängen, gefolgt von weiteren ihm gewidmeten Fangesängen. Teamkollegen, die sich gerade in der Nähe befinden, schnappen sich den Mittelfeldstar, um ihn in den Arm zu nehmen, ehe auch Ancelotti seinen Schützling für einige Sekunden lang drückt.

Toni Kroos und Carlo Ancelotti

(Photo by Ryan Pierse/Getty Images)

Fazit

Das war es also von einer überaus glorreichen Karriere, die wenige Minuten später mit dem sechsten Champions-League-Titel endete. „Wir haben Toni sehr gut im Griff gehabt, ihn immer direkt angepresst, damit er nicht seine Diagonalbälle spielen kann“, sagte Gegner Niclas Füllkrug später nach dem Spiel in der Mixed Zone. Und in der Tat hatte der BVB eine starke Vorstellung geliefert, mit der auch Kroos nicht immer zurecht gekommen war.

Den öffnenden Pass zwischen die Verteidigungsketten des Gegners fand der 34-Jährige in seinem letzten Spiel nicht so häufig wie gegen andere Gegner, und das war der Verdienst einer abermals reifen Vorstellung der Dortmunder. Und dennoch war es am Ende gewissermaßen das „Business as usual“ für den 108-fachen Nationalspieler. Drei Fehlpässe, keinen davon nach der 60. Minute, fünf sogenannte Key Passes sowie fünf von sechs erfolgreichen Zuspielen über die lange Distanz – eine für Kroos obligatorische Statistik. Was in Wembley hinzukam, was ihm sonst zuweilen noch etwas fehlte: Gefährliche Standards. Mit zwei direkten Freistößen stellte er Gregor Kobel vor Aufgaben, vor allem aber waren es seine Eckbälle, die nach dem Seitenwechsel immer wieder für Gefahr sorgten und mit Anbruch der Schlussphase auch im erlösenden Führungstreffer durch Dani Carvajal mündeten. Und so blickt Toni Kroos auf einen Abend zurück, den er sich kaum besser hätte erträumen können.

(Photo by David Ramos/Getty Images)

Michael Bojkov

Lahm & Schweinsteiger haben ihn einst zum Fußball überredet – mit schwerwiegenden Folgen: Von Newcastle über Frankfurt bis Cádiz saugt Micha mittlerweile alles auf, was der europäische Vereinsfußball hergibt. Seit 2021 bei 90PLUS und vorwiegend in Spanien unterwegs.


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