Arsenal in der Champions League: Vom Kanonenfutter zum Angreifer?

20. September 2023 | Spotlight | BY Chris McCarthy

Nach sechs Jahren Abwesenheit kehrt der FC Arsenal in die Champions League zurück. Mit neuem Gesicht und neuem Tatendrang. Denn im Norden Londons hat sich seit 2017 einiges getan. 

Champions League: Lange Abwesenheit des FC Arsenal

Eigentlich wird die UEFA-Champions-League-Hymne mit dem Anfang von etwas assoziiert. Unmittelbar vor jeder Partie der Königsklasse ertönt das Stück des englischen Komponisten Tony Britten. Am Abend des 7. März 2017 im Emirates Stadium des FC Arsenal lag allerdings schon vor dem ersten Geigenton das Ende in der Luft.



90 trostlose Minuten gegen den FC Bayern später herrschte Gewissheit: Zu „den Besten, den grandes équipes und den Champions“ gehörten die Gunners nun wahrlich nicht mehr. Das hatte das zweite 1:5 binnen sechs Tagen gegen den deutschen Rekordmeister im Achtelfinalrückspiel schonungslos offenbart. In Europa waren sie zum Kanonenfutter geworden: Zum siebten Mal in Folge war nach der ersten K.O.-Runde Schluss.

„Arsenals Demütigung lässt Arsene Wenger in den Abgrund starren. Die Bayern leiten das Ende einer Ära ein“, titulierte damals die Times. Und obwohl sich der französische Fußballromantiker eine weitere Saison an seinen FC Arsenal klammerte, würde sie letztendlich recht behalten. Wenger verließ die Gunners nach 22 Jahren und der einstige Dauergast der Champions League bis zum heutigen Tag das Königsklassen-Parkett.

Genau 2338 Tage später kehrt der Klubs aus Nordlondon wieder zurück. „Wir sind stolz und aufgeregt“, sagte Trainer Mikel Arteta am Dienstag mit einem Funkeln in den Augen. Auch er weiß: Der Unterschied zur letzten Teilnahme könnte kaum größer sein. Wieso?

Alexis Sanchez (l.) und Arsene Wenger beim letzten Auftritt des FC Arsenal in der Champions League 2017.

(Photo credit should read IAN KINGTON/AFP via Getty Images)

Arsenal 2023: Alles ist neu

Als der FC Arsenal vergangene Woche seinen Kader für die Champions League bekannt gab, tauchte nur ein Name auf, der auch 2017 dabei war: Mohamed Elneny. Zugegeben, sechs Jahre sind im Fußball eine lange Zeit. Nichtsdestotrotz verdeutlicht dies hervorragend, was sich alles im Norden Londons seitdem getan hat.

Damals, als der Ägypter in seine zweite Saison beim FC Arsenal ging, war der freie Fall des Klubs bereits in vollem Gang. In Folge des teuren Stadionumzugs 2006 hatte Arsene Wenger die undankbare Aufgabe geerbt, die Mannschaft trotz jährlicher Qualitätsverluste irgendwie über Wasser zu halten.

Für die Gunners bedeutete das nicht mehr Titelkampf sondern Top-Four, die Wenger 2012 sogar als Trophäe bezeichnete. Hauptsache in die Champions League, selbst wenn das Abenteuer nur ein kurzes werden würde. Zu wichtig waren die Einnahmen und das Prestige, um verzweifelt den Schein eines Spitzenklubs aufrecht zu erhalten, ehe man 2017 endgültig im Mittelmaß ertrank.

Sechs Jahre später ist alles neu: Die sportliche Leitung, der Trainer, die Mannschaft – naja, bis auf Elneny natürlich – und vor allem die Perspektive. Mit Mikel Arteta blicken die Gunners nicht mehr wehleidig auf die Vergangenheit zurück sondern euphorisch in die Zukunft. „Als ich den Job bekam, fühlte ich mich sehr verantwortlich, den Verein auf die größten Bühnen zu bringen“, sagte Arteta vor der Rückkehr: „Wir haben danach gejagt, dafür gekämpft. Jetzt sind wir da.“

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Aus dem Mittelmaß zum Titelkandidaten

In einem mühsamen, dreijährigen Prozesses, hat Pep Guardiolas Meisterschüler den gesamten Verein auf Werkseinstellung zurücksetzt und sämtliche Festplatten mit seiner Vision des FC Arsenal bespielt: Fans, Kader, Rekrutierung, Jugendarbeit, Vereinsführung, sogar die einst verhassten Besitzer, sie alle wurden überzeugt und ziehen an einem Strang.

Das Resultat ist eine der jüngsten, hungrigsten und spielstärksten Mannschaften Europas, die sorgfältig anhand der charakterlichen, technischen und taktischen Anforderungen des Trainers von Grund auf errichtet und kontinuierlich weiterentwickelt wurde. Nach Platz acht im ersten und Platz fünf im zweiten Jahr, ließ die zweitjüngste Mannschaft der Premier League letzte Saison 248 Tage lang mit zuweilen berauschenden Fußball den späteren Triple-Sieger hinter sich, ehe ihr letztendlich die Puste ausging.

National soll diese Vizemeisterschaft nur der Anfang gewesen sein. Genauso wie international das erstmalige Erreichen der Champions League. Es sollen Titel her. „In allen Wettbewerben, bei allen Trophäen spielen wir auf Sieg“, betonte Gabriel Jesus. „Das gilt auch für die Champions League. Wenn wir etwas anderes denken würden, lägen wir falsch, weil wir für Arsenal spielen.“

Die Spieler des FC Arsenal feiern den 3:1-Sieg gegen Manchester United in der Premier League.

(Photo by GLYN KIRK/AFP via Getty Images)

Die Ambitionen wurde in der Sommerpause unterstrichen. Alle Leistungsträger wurden gehalten, viele sogar verlängert. Und mit Ausgaben im Bereich von über 200 Millionen Euro wurde der Kader nicht nur in der Spitze sondern auch in Sachen Tiefe und Flexibilität verstärkt. Also jene Bereiche, die neben der mangelnden Erfahrung letzte Saison den Titel kosteten.

Die Abwehr um einen der besten Innenverteidiger der Welt in William Saliba, ist athletisch und spielstark. Die Schaltzentrale verfügt mit 100-Millionen-Mann und Alleskönner Declan Rice sowie Kapitän und Edelspielgestalter Martin Ödegaard über eines der besten Duos Europa. Die Offensive um Gabriel Martinelli, Gabriel Jesus und das Gesicht des Vereins, Bukayo Saka, verkörpert die Hauptcharakteristika dieser Mannschaft – hohe Intensität und flüssigen Angriffsfußball.

Wie gut ist dieses Ensemble? Sagen wir es so: Von der letzten Elf, die Arsenal 2017 in der Königsklasse vertrat (David Ospina – Hector Bellerin, Shkodran Mustafi, Laurent Koscielny, Nacho Monreal – Granit Xhaka, Theo Walcott, Aaron Ramsey, Alex Oxlade-Chamberlain, Alexis Sanchez – Olivier Giroud), dürften sich wohl lediglich Sanchez und vielleicht Xhaka ernsthafte Hoffnungen auf einen Startplatz in der 2023er Auswahl machen. Die meisten anderen hätten Probleme, es überhaupt in den Kader zu schaffen.

Wie weit kommt Arsenal in der Champions League?

Doch was kann das neue FC Arsenal im ersten Jahr Königsklasse unter Mikel Arteta realistisch betrachtet erreichen?

In der Premier League waren die ersten fünf Spiele trotz 13 von 15 Punkten durchwachsen. Die taktische Weiterentwicklung, das favorisierte 4-3-3-System unabhängig vom Personal nicht nur intakt sondern somit auch variabler zu halten, läuft noch nicht ganz rund. Das dürften allerdings nur Wachstumsprobleme und kein Grund zur Sorge sein.

Mit der PSV Eindhoven, dem FC Sevilla und dem RC Lens haben die Gunners jedenfalls eine vergleichsweise dankbare Gruppe erwischt. Alles andere als das Erreichen des Achtelfinales wäre eine herbe Enttäuschung. Danach ist nichts auszuschließen.

Wie weit es anschließend tatsächlich geht, hängt von vielen Faktoren ab: Der Kader ist zwar breiter, aber genügt das für die zusätzlichen mentalen und körperlichen Ansprüche der Königsklasse? Zumal die Champions League für viele Spieler und auch den Trainer Neuland ist. Bleiben die Leistungsträger gesund? Wann und vor allem wie konstant wird das Team Bestleistung abrufen können?

Doch unter all diesen Fragen gibt es auch eine Gewissheit: Wenn am Mittwochabend im Emirates Stadium die Champions-League-Hymne ertönt, wird ein neues Arsenal auf dem Platz stehen. Voller Tatendrang und großen Ambitionen.

Chris McCarthy

(Photo by Shaun Botterill/Getty Images)

Chris McCarthy

Gründer und der Mann für die Insel. Bei Chris dreht sich alles um die Premier League. Wengerball im Herzen, Kick and Rush in den Genen.


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