Champions League | Bayerns Pressing-Reifeprüfung gegen Manchester City

11. April 2023 | Vorschau | BY Victor Catalina

Spotlight | Am Dienstagabend eröffnet der FC Bayern das Champions-League-Viertelfinale bei Manchester City. Obwohl die Mannschaft von Ex-Bayern-Trainer Pep Guardiola in Topform ist, liegt für die Münchener eine große Chance in der Begegnung.

Manchester City: Guardiolas Wiedersehen und Citys 100 Prozent

Als im Halbfinale der vergangenen Saison im Santiago Bernabéu die 90. Minute anbrach, blendete Canal+ die Qualifikationswahrscheinlichkeit beider Teams ein. Real Madrid: 1 Prozent, Manchester City: 99 Prozent. Einen Abstauber und einen Kopfball von Rodrygo später waren die Königlichen wieder im Rennen. Karim Benzema stellte vom Punkt auf 3:1 – und Real Madrid war im Endspiel.

 

 

Es ist eine Storyline, die das Wirken Manchester Citys in der Champions League eigentlich perfekt wiedergibt. Nah dran, aber trotzdem weit weg. 2021 standen die Cityzens erstmals selbst im Finale, das gegen Thomas Tuchels Chelsea 0:1 verloren ging. Unter den Fans kennt man dieses Phänomen als Cityitis. National konnte man sich dieser seit Sergio Agüeros Last-Minute-Treffer gegen die Queens Park Rangers im Mai 2012 stückweise entledigen, international lässt der große Erfolg noch auf sich warten.

Nächster Anlauf: Saison 2022/23. In einer Gruppe mit Borussia Dortmund (2:1, 0:0), dem Sevilla FC (4:0, 3:1) sowie dem FC Kopenhagen (5:0, 0:0) qualifizierte sich City problemlos und machte – vor allem im Achtelfinal-Rückspiel (7:0) kurzen Prozess mit RB Leipzig. Das 1:1 aus dem Hinspiel fiel nicht weiter ins Gewicht.

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Photo by Mike Hewitt/Getty Images

National sieht sich Manchester City mehr Widerstand entgegen – hausgemachtem Widerstand. Mikel Artetas Arsenal steht noch immer mit sechs Punkten Vorsprung an der Tabellenspitze. Allerdings hat City zwei Joker in Form eines Nachholspiels in Brighton sowie dem direkten Duell im Etihad Ende des Monats. Auch im FA Cup ist man noch dabei. Am 22. April steht das Halbfinale in Wembley gegen einen, aller Voraussicht nach, Ligakonkurrenten der kommenden Saison an: Sheffield United.

Auf die Frage, ob er die Jagd auf ein mögliches Triple genieße, antwortete Pep Guardiola auf der Pressekonferenz in seiner eigenen Art: „Nein, nein. Ich bin so traurig. Ich bin so, so traurig.“ Ansonsten war ihm anzusehen, wie sehr er sich auf das Duell mit seinem Ex-Klub freut und wieviel dieser ihm noch bedeutet. „Dieses Spiel ist sehr besonders für Pep. Bayern ist der Klub, bei dem sich Pep als Trainer weiterentwickelt und neue Herangehensweisen an den Sport gelernt hat. Die Rückkehr in die Allianz Arena wird für ihn sehr emotional. Die Fans zu sehen, Freunde, Spieler, wie (Joshua) Kimmich, (Thomas) Müller, (Kingsley) Coman – und natürlich (Manuel) Neuer. Auch das wird sehr besonders für Pep“, so Guardiolas Biograf Martí Perarnau in der TZ.

Aber nicht nur der FC Bayern, auch ihr neuer Trainer genießt bei Guardiola laut Perarnau höchstes Ansehen: „Ja, Tuchel ist etwas Besonderes für Pep. Ich erinnere mich gut, ich habe ihn 2016 gefragt, wer der beste Trainer für die Zukunft sei und er hat sofort gesagt: Tuchel.“

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Mit Bayerns Trainerwechsel wollte sich Guardiola allerdings nicht lange befassen: „Ich war überrascht, als sie (Chelsea) ihn (Thomas Tuchel) entlassen haben, genauso wie ich bei (Julian) Nagelsmann überrascht war. Ich kann dazu keine Meinung geben. Wenn ein Trainer entlassen wird und der nächste Trainer seine Aufgabe gut macht, werden die Leute sagen, dass es eine richtige Entscheidung war. Wenn das Gegenteil eintritt, vermissen sie den alten Trainer. Beide sind kreative Trainer in der Art, wie sie spielen. Es war schwierig gegen Nagelsmann und es wird schwierig gegen Tuchel.“

City wird sich auf sein eigenes Spiel konzentrieren. Gerade zuhause liegt viel für sie drin. Seit einem 1:2 gegen Olympique Lyon im September 2018 ist man in der Champions League im eigenen Stadion ungeschlagen und gewann auch diese Saison alle vier Heimspiele. Man darf davon ausgehen, dass City ein Ergebnis produzieren wollen wird, dass ihnen in München keine allzu großen Probleme bereitet. Knackpunkt wird sein, inwiefern der FC Bayern mit dem Mittelfeldpressing und der Intensität, die City an den Tag legen wird, mithalten kann. Im Halbfinal-Hinspiel gegen Real Madrid zeigte sich City deutlich überlegen. Da die Königlichen jedoch konsequent ihre Treffer erzielten, blieben sie mit einem 3:4 im Spiel, das sie vor eigenem Publikum drehen konnten.

Manchester City: Pragmatismus als zusätzliche Stärke?

Bereits eine Runde zuvor, im Viertelfinale, bewies City allerdings, dass sie auch das Geduldsspiel beherrschen, als Kevin De Bruyne 20 Minuten vor Schluss das Siegtor gegen Atlético Madrid erzielte. Versuchte City noch, in der ersten Hälfte des Rückspiels, einen weiteren Treffer nachzulegen, war es Atlético, dass die zweite mit 53 Prozent Ballbesitz und 13:2 Torschüssen dominierte. Gerade dieser Pragmatismus, den sich Guardiola über die vergangenen Jahre angeeignet hat, macht die Mannschaft noch gefährlicher.

Anders, als in den Vorjahren haben sie nun auch einen der größten Gamechanger im Team, für den der vergangene Champions-League-Spieltag kaum besser hätte verlaufen können. Selbst erzielte Erling Haaland fünf Tore gegen RB Leipzig und katapultierte sich an die Spitze der Torjägerliste (10). Dahinter folgen schon mit Abstand Vinícius Júnior (6), João Mário (6), Rafa Silva (5), Victor Osimhen und Leroy Sané (je 4). Die Wahrscheinlichkeit, dass Haaland zum zweiten Mal, nach 2020/21, Toptorjäger der Champions League wird, ist groß. Damals stand City im Finale und scheiterte noch knapp. Diesmal gilt es zu beweisen, dass sie sich nicht nur zu 99 Prozent qualifizieren können.

FC Bayern: Mittelfelddilemma und die Stürmerfrage

Es ist eine groteske Saison für den FC Bayern. In der Bundesliga blieb man zweimal drei Spiele am Stück sieglos, was dem Rekordmeister zuletzt 2018/19 unter Niko Kovač passierte. Was sie in der Champions League zeigen, erinnert viel mehr an die Folgesaison 2019/20. Acht Spiele, acht Siege, bei 21:2 Gegentoren. In 15 der 16 Halbzeiten gab es kein Gegentor. Das, obwohl die Münchener den schwierigsten Pfad ins Finale bekommen haben. Barcelona (2:0, 3:0), Inter Milan (2:0, 2:0) und Viktoria Plzeň (5:0, 4:2) in der Gruppe, Paris Saint-Germain im Achtelfinale (1:0, 2:0). Im Halbfinale würden entweder Real Madrid oder Chelsea warten.

Davor geht es allerdings gegen Manchester City. Ob und inwieweit die Cityzens zu einem guten Zeitpunkt kommen, ist schwer zu sagen. Einerseits fing die Ära Thomas Tuchel auf dem Papier mit Siegen über Borussia Dortmund (4:2) und in Freiburg (1:0) ordentlich an. Andererseits überschattet das Pokalaus gegen den Sport-Club (1:2) vieles, wodurch auch die beiden Begegnungen mit Manchester City noch mehr in den Vordergrund rücken.

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Viel davon anmerken, ließen sich weder Matthijs de Ligt noch der Coach selbst auf der Pressekonferenz. Beide waren sich der Schwere der Aufgabe bewusst, strahlten allerdings auch Selbstbewusstsein aus. Ein Hauptthema, gut 24 Stunden vor Spielbeginn: Wie stoppt man denjenigen, der kaum zu stoppen scheint? Erling Haaland ist nicht nur physisch eine Naturgewalt. Sein Timing innerhalb des Strafraums, seine Antizipation, immer genau zu erahnen, wo der Ball hinkommt, wohin er abprallt und dann am schnellsten zu reagieren, gehört zum Besten in Europa.

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Wie stoppt der FC Bayern Haaland?

Für die Lösung holte Thomas Tuchel etwas aus: „Ich habe mal das Vergnügen gehabt, mit Johan Cruyff zu sprechen, der mir von einem Stürmer berichtet hat, den sie nie in den Griff bekamen, mit Barcelona. Bis sie irgendwann gesagt haben, wir decken den jetzt nicht mehr. Und dann hat er aufgehört, Tore gegen sie zu schießen. Das werden wir morgen nicht ausprobieren.“ Haaland sei „nur im Verbund“ zu stoppen. Das wird über Fleiß gehen, das wird über Bereitschaft gehen, das ist nicht nur taktisch und technisch zu lösen. Und dann werden wir uns in den direkten Duellen behaupten müssen, anders geht’s nicht.“

Allein, ist Haaland nicht der einzige, den es zu verhindern gilt. Einige Bayern-Akteure machten bereits in der Länderspielpause die Erfahrung, wie gut Kevin De Bruyne sein kann. Beim 3:2 seiner Belgier legte der Ex-Wolfsburger eine Galavorstellung auf den Rasen. Gerade das Mittelfeldduell wird entscheidend, noch entscheidender als sonst. Tuchel sprach zwar an, dass man verhindern wollte, City zu dominant werden zu lassen. Dieser Punkt ist angesichts der drohenden Gelbsperre Joshua Kimmichs ein Seiltanz. In den beiden Duellen mit Paris Saint-Germain agierte der Nationalspieler äußerst diszipliniert. Manchester City wird sich der Ausgangssituation jedoch bewusst sein und versuchen, durch Steilpässe oder taktische Fouls, jene Gelbsperre zu forcieren.

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Photo by THOMAS KIENZLE/AFP via Getty Images

Man darf davon ausgehen, dass sich Tuchel für diesen Fall Alternativen bereitgelegt hat. Beispielsweise eine Zentrale aus Leon Goretzka und Jamal Musiala. Goretzka hat durch seine Physis bereits das Heimspiel gegen den FC Barcelona (2:0) nach der Pause positiv beeinflusst und die Dominanz der Katalanen gebrochen. Jamal Musialas Ballfertigkeit und enge Ballführung helfen, Manchester Citys Mittelfeldpressing zu entkommen. Offensiv stellt sich zuallererst die Frage, wer den mit Knieproblemen ausfallenden Eric Maxim Choupo-Moting ersetzt. Tuchel ließ bereits dezent durchklingen, dass Serge Gnabry gute Chancen habe, ihm im Vergleich zu Choupo-Moting lediglich das Bällefestmachen fehle. Auf Sadio Mané oder Thomas Müller treffe das jedoch ebenfalls zu.

Man darf davon ausgehen, dass City sein Heimspiel dominant angehen wird, was dem FC Bayern die Chance bietet, selbst über das Tempo von Alphonso Davies, Kingsley Coman, Leroy Sané oder Jamal Musiala umzuschalten. Dazu müssen die Konter wesentlich sauberer ausgespielt und abgeschlossen werden, als es noch in den vergangenen Bundesligaspielen der Fall war. Sollte auch das gelingen und der FC Bayern Citys Heimserie brechen, stehen die Chancen auf ein Weiterkommen gut. Ein (überzeugender) Sieg im Etihad würde eigentlich perfekt hineinpassen, in diese groteske Saison des FC Bayern.

Prognose

Manchester City wird versuchen, aus dem Hinspiel ein Manchester-City-Spiel zu machen, mit viel Dominanz, vielen Ballbesitzphasen und viel Mittelfeldpressing, in der Hoffnung, den FC Bayern dadurch ein Spiel aufzwingen zu können, das ihm nicht liegt. Gerade die Frage, wie sich die Münchener aus dem Pressing befreien, wird maßgeblich für den Ausgang des Spiels sein. Es muss dem Rekordmeister gelingen, mit schnellen Kombinationen hinter das gegnerische Mittelfeld zu kommen, um mit dem eigenen Tempo auf die letzte Linie zulaufen zu können. Gegen den Ball kann man sich ein Beispiel an Borussia Dortmunds Auftritt im Etihad nehmen, die die Räume für die Offensiven im Zentrum extrem eng gestaltet und Citys Spiel dadurch ins Leere haben laufen lassen. Sollte der FC Bayern die Anfangsminuten unbeschadet überstehen, ist auch ein Sieg denkbar. Da City auswärts generell mehr Schwierigkeiten hat, könnte ein Auftritt wie gegen PSG fürs Halbfinale reichen.

Manchester City: Ederson – Akanji, Rúben Dias, Aké – Stones, Rodri – B. Silva (Mahrez), De Bruyne, Gündoğan, Grealish – Haaland
Trainer: Pep Guardiola
Ausfälle: Phil Foden (Blinddarm-OP)
Drohende Gelbsperre: Manuel Akanji

FC Bayern München: Sommer – João Cancelo, de Ligt, Upamecano, Davies – Kimmich, Goretzka – Sané, Musiala, Coman – Müller (Gnabry)
Trainer: Thomas Tuchel
Ausfälle: Manuel Neuer (Unterschenkelbruch), Lucas Hernández (Aufbautraining nach Kreuzbandriss), Eric Maxim Choupo-Moting (Knieprobleme)
Drohende Gelbsperre: Joshua Kimmich, Noussair Mazraoui

Schiedsrichter: Jesús Gil Manzano, Diego Barbero, Ángel Nevado (Assistenten), José Luis Munuera (vierter Offizieller), Juan Martínez Munuera (VAR), Alejandro José Hernández Hernández (VAR-Assistent)

Photo by PAUL ELLIS/AFP via Getty Images

Victor Catalina

Victor Catalina

Mit Hitzfelds Bayern aufgewachsen, in Dortmund studiert und Sheffield das eigene Handwerk perfektioniert. Für 90PLUS immer bestens über die Vergangenheit und Gegenwart des europäischen Fußballs sowie seine Statistiken informiert.


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