Champions League | Ratlos, harmlos und zu umständlich: Wie der FC Bayern an sich selbst scheiterte

20. April 2023 | Spotlight | BY Victor Catalina

Spotlight | 1:1 trennte sich der FC Bayern am Mittwochabend von Manchester City – und mal wieder vorzeitig von der Champions League. Es fehlt in den entscheidenden Momenten an Überzeugung  – und der nötigen Verantwortung. Die Analyse.

Die entscheidenden 22 Sekunden: Haaland zeigt, was Bayern fehlt

Wer die gesamte Geschichte dieser Begegnung zwischen dem FC Bayern und Manchester City erfahren will, muss sich lediglich die 57. Minute des Rückspiels anschauen: Kingsley Coman setzte sich rechts im Strafraum hervorragend gegen vier Mann in neongelb und schwarz durch. Seine scharfe Hereingabe von der Grundlinie zischte an allen vorbei. City konnte in Person von John Stones klären und kam sofort mit Kevin De Bruyne und Erling Haaland hinter das gegnerische Pressing. Der Ex-Dortmunder spielte noch den wegrutschenden Dayot Upamecano aus und traf satt hoch ins rechte Eck. Anschließend beruhigte er die Münchener Fans, die ihn zuvor aufgrund seines vergebenen Elfmeters in der ersten Hälfte verspottet hatten, mit dem Schweigejubel. In einer Aktion, binnen 22 Sekunden, bekam der Rekordmeister gnadenlos aufgezeigt, was ihn momentan von der europäischen Spitze trennt: Gier, Geradlinigkeit, Präzision im Passspiel – und ein Stürmer, der die absolute Entschlossenheit verkörpert.

 

 

Es ist nicht so, als wäre eine Aufholjagd komplett abwegig gewesen. Der FC Bayern bot Manchester City einen großen Fight. Sie nahmen das Spiel an und erarbeiteten sich bereits in der ersten Hälfte zahlreiche Torgelegenheiten. Allein, im Abschluss konnte man klar erkennen, dass die Angst, die entscheidende Chance zu vergeben, größer war, als die Gier, zu treffen. Wie bereits in den vergangenen Jahren, an gleicher Stelle, im Champions-League-Viertelfinale, schob man die Verantwortung von einer Station an die nächste, suchte nochmal den Querpass, um absolut sicher zu gehen, dass aus der Aktion ein Tor wird, wodurch man die Situation eher verschlimmbesserte. Erstens, da City sich bereits formiert hatte und zweitens fehlte es auch den Mitspielern ebenfalls an der entscheidenden Überzeugung.

Bezeichnend dafür die 24. Minute. Jamal Musiala legte stark rechts in den Strafraum zu Leroy Sané. Einer seiner Vorgänger beim FC Bayern mit der Nummer 10 hätte aus selbiger Position und auf dem starken Linken wahrscheinlich direkt abgezogen. Sané entschied sich für die Ablage auf Leon Goretzka, der die Kugel gute vier Meter übers Tor ins Fangnetz jagte.

Champions League FC Bayern München Manchester City

Photo by Lars Baron/Getty Images

Nicht minder symbolisch die Tatsache, dass Bayerns erster Treffer, wenn auch aus Abseitsposition, durch den 17-jährigen Mathys Tel fiel, der jene Überzeugung und Unbekümmertheit hatte, im richtigen Moment richtig zu stehen und einzuschieben oder dass es eines fragwürdigen Elfmeters bedurfte, um die Münchener tatsächlich noch auf die Anzeigetafel zu bringen.

Manchester City tat an diesem Abend nicht mehr als absolut nötig. Phasenweise hatte man das Gefühl, sie legen es gar nicht mal zwingend darauf an, auch das Rückspiel zu gewinnen und wurden vielmehr durch die Nachlässigkeiten ihres Gegners in die Führung gezwungen. Ein bisschen nach dem Motto: Wenn ihr nicht wollt…

Kaum auf dem Platz – und dem Vorstand? Die Frage nach der Verantwortung beim FC Bayern

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Mit diesem 1:1 lieferte der FC Bayern, halbwegs, ein Ergebnis und Wiedergutmachung für das 0:3 im Hinspiel, scheitert allerdings einmal mehr im Viertelfinale der Champions League. Seit dem historischen Jahr 2020 kam man in keinem der beiden Pokalwettbewerbe über die letzten Acht hinaus. Dazu kommt in der Nationalmannschaft das Achtelfinalaus bei der EM 2021, zwei verspielte Nations Leagues sowie die enttäuschende WM vergangenen Winter. Diese Saison gewann der Rekordmeister wettbewerbsübergreifend genau ein (!) Spiel, in dem sie den Ausgleich kassierten, das 6:1 gegen Werder Bremen.

Es wird brutal offensichtlich, dass die Generation 1995/1996, die diesen Kader eigentlich tragen und führen sollte, zwar über viel Talent verfügt, allerdings große Probleme hat und unter Druck gerät, sobald sie sich selbst Widerstand auf höchstem Niveau entgegensehen. Nachdem Dayot Upamecano im Hinspiel der Fehler vor dem 2:0 unterlief, fiel die Mannschaft komplett in sich zusammen und entkam einzig dank Citys durchwachsener Chancenverwertung einem Debakel. Ein Aufbäumen, um das 1:2 zu erzielen und das Etihad mit einem brauchbaren Ergebnis zu verlassen, war kaum erkennbar. Auch im Rückspiel, nachdem es misslang, zur Pause in Führung zu gehen, ging man nur selten wirklich ins Risiko oder ergriff die Initiative aus dem defensiven Mittelfeld um, Positionen aufzulösen, die Formation offensiver zu gestalten und irgendwie den Treffer zu erzwingen.

Schaut man sich die besten Torschützen des FC Bayern an, wird diese Liste angeführt vom 20-jährigen Jamal Musiala, gefolgt vom 34-jährigen Eric Maxim Choupo-Moting. Erling Haaland erzielte in seinen letzten vier Pflichtspielen mehr Treffer (sechs), als Serge Gnabry und Leroy Sané zusammengenommen seit Jahresbeginn (fünf).

„Führungspolitik hinterfragen!“ – FC Bayern vor nächstem entscheidenden Sommer

Ein Vergleich, der ein wenig hinkt, aber dennoch klar zeigt, dass das Offensivproblem mit einem neuen Stürmer allein nicht behoben ist. Es braucht mehr Torgefahr, konstante Torgefahr, von den Flügeln sowie das über Jahre vernachlässigte Thema des defensiven Mittelfeldspielers. Die AC Milan holte nicht zuletzt dank Rafael Leão zwei Siege und ein Remis gegen Napoli. Im Rückspiel legte der Portugiese mit einem sensationellen, geradlinigen sowie entschlossenen Solo Olivier Giroud den entscheidenden Treffer auf, holte den Elfmeter heraus, den Giroud zunächst vergab und traf beim 4:0 in der Liga doppelt. Den Erfolg über den FC Bayern leitete Rodri mit seinem ersten Champions-League-Treffer entscheidend ein.

Champions League FC Bayern München Manchester City

Photo by Matthias Hangst/Getty Images

Es wird nun auch auf den Vorstand ankommen, jene Lücken im Kader schonungslos zu adressieren und zu beheben. Gegen Ende des Spiels hielt die Südkurve ein Banner hoch mit der Aufschrift „Ziele dürfen verfehlt werden – Werte des Vereins nicht! Führungspolitik hinterfragen!“ Dazu gehört auch der Trainerwechsel zum fragwürdigsten aller Zeitpunkte und das, obwohl die Saison bis dahin eigentlich gut lief. Ja, Julian Nagelsmann hat zehn Punkte Vorsprung auf Borussia Dortmund verspielt, aber er war auch derjenige, der sie sich erarbeitet hat und mit seinem vertikalen Spielstil dem Kader des FC Bayern die beste Offensive Europas verpasste. Dazu stand er in der Champions League bei acht Siegen aus acht Spielen mit lediglich zwei Gegentoren. Auch die Tatsache, dass immer wieder Interna nach außen drangen und sich vom hochgepriesenen Transfersommer lediglich Matthijs de Ligt fraglos etablieren konnte, spricht nicht für die Stärke des Bayern-Vorstands.

Am gestrigen Abend redeten die Bosse zudem am Problem vorbei, als Oliver Kahn beispielsweise von einer „starken Leistung“ sprach, wenn es an der nötigen Überzeugung fehlte. Herbert Hainer betonte, man würde den Trainerwechsel heute erneut so vollziehen, da unter Julian Nagelsmann das Potential nicht ausgenutzt wurde oder Hasan Salihamidžić festhielt, man könne das Spiel „erhobenen Hauptes“ verlassen, obwohl man gerade im Aggregat 1:4 unterlag. Nicht 1:2 oder 2:3, 1:4.

Champions League FC Bayern München Manchester City

Photo by Matthias Hangst/Getty Images

Manchester City hingegen steht hochverdient im Halbfinale der Champions League, zum dritten Mal in Folge. Auch das Argument, sie würden sich ihren Erfolg erkaufen, zieht nur bedingt. Ja, sie mögen zwar über etwas mehr Einnahmen als ihre Konkurrenz verfügen. Viel wichtiger ist allerdings der fußballerische Ansatz, der dahintersteckt. Die Mannschaft hat eine starke Hierarchie, in der jeder seine Rolle kennt sowie einen starken Trainer, der, trotz zwischenzeitlicher Schwächephasen und dem mehrmaligen Verpassen des großen Ziels, der Champions League, nie zur Diskussion stand. Nachdem man vergangene Saison knapp an Real Madrid scheiterte (3:4, 1:3 n.V.), wurde das Stürmerproblem mit Erling Haaland und Julián Álvarez, aus dem Pep Guardiola auch einen herausragenden Achter/Zehner formte, nahezu übererfüllt. Es liegt nun an ihnen, sich dafür zu belohnen. Der FC Bayern hingegen steht vor vielen Fragen – und dem nächsten entscheidenden Sommer.

Photo by Lars Baron/Getty Images

Victor Catalina

Victor Catalina

Mit Hitzfelds Bayern aufgewachsen, in Dortmund studiert und Sheffield das eigene Handwerk perfektioniert. Für 90PLUS immer bestens über die Vergangenheit und Gegenwart des europäischen Fußballs sowie seine Statistiken informiert.


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