Champions League Vorschau | Außenseiter oder auf Augenhöhe? Der FC Bayern zu Gast beim FC Liverpool

18. Februar 2019 | Vorschau | BY Nico Scheck

Der FC Bayern München ist in der Champions League zu Gast beim FC Liverpool. Was sich zunächst nach einem Halbfinal-Knaller anhört, ist „nur“ ein Achtelfinale und trotzdem so brisant. Doch die Münchner zeigen in dieser Saison ungewohnte Schwächen, während die „Reds“ noch einmal eine Schippe drauf gelegt haben. Ist der deutsche Rekordmeister also tatsächlich so etwas wie der Außenseiter in diesem Duell?

Zitterpartie für Liverpool und unbesiegte Bayern

Die Gruppenphase war für Jürgen Klopp und seine „Reds“ eine Achterbahnfahrt der Gefühle. Auf den furiosen Last-Minute-Sieg (3:2) über PSG am ersten Spieltag an der Anfield Road folgte eine ernüchternde 0:1-Pleite beim SSC Neapel. Vom magischen Offensiv-Dreieck Sadio Mané, Roberto Firmino und Mohamed Salah war über 90 Minuten kaum etwas zu sehen. Der Turbo-Fußball aus der Premier League? Von Neapel lahm gelegt. Doch der deutliche 4:0-Sieg gegen Roter Stern Belgrad sorgte wieder für Euphorie im Lager der Liverpooler.

Eine Euphorie, die der Außenseiter aus Belgrad im Rückspiel im heimischen Rajko Mitić Stadium mit einem überraschenden 2:0 über die „Reds“ wieder zu beenden wusste. Auch das Rückspiel bei PSG ging mit 1:2 ordentlich in die Hose, am letzten Spieltag stand ein Showdown gegen Neapel bevor. Am Ende jubelte Klopp dank eines knappen 1:0-Erfolgs über den Achtelfinaleinzug, von Glanz und Gloria war allerdings keine Spur.

Doch auch beim FC Bayern kann keiner von einer beeindruckenden Gruppenphase sprechen. Und das, obwohl die Münchner ohne Niederlage ihre zugegebenermaßen durchschnittliche Gruppe gewannen. Dennoch: Wie auch in der Bundesliga spiegelte sich die kurze Hochphase zu Beginn der Saison und die darauf folgende Krise in der Königsklasse wieder. Nach einem abgezockten 2:0-Auswärtssieg bei Benfica war der FCB mit dem 1:1 in der Allianz Arena gegen Ajax Amsterdam noch gut bedient.

Obwohl AEK Athen in der Folge zweimal mit 2:0 bezwungen wurde, konnte von Souveränität und Dominanz beim deutschen Rekordmeister keine Rede sein. Lediglich am vorletzten Spieltag gegen Benfica drehten die Münchner ordentlich auf und zeigten beim 5:1 eine ihrer bis dato besten Saisonleistungen. Das wilde 3:3 am letzten Spieltag bei Ajax zeigte dann allerdings wieder die großen Defensivprobleme der Bayern auf, die trotzdem die Gruppe E als Tabellenführer beendeten.

(Photo by Dean Mouhtaropoulos/Getty Images)

Die aktuelle Form von Liverpool und dem FC Bayern

Der FC Liverpool befindet sich wohlmöglich am Scheidepunkt für den Verlauf der restlichen Saison. Die starke Form aus dem letzten Herbst hat zuletzt deutlich gelitten, die ersten Punktverluste folgten prompt. Dennoch sind die „Reds“ immer noch mitten im Titelkampf in der Premier League und auch im Achtelfinale gegen den FCB ist Jürgen Klopp mit seiner Mannschaft mehr Favorit als Außenseiter.

Zuletzt gab es einen 3:0-Heimerfolg gegen den AFC Bournemouth. Liverpool wirkte wieder etwas gefestigter als in den Partien zuvor. Hinzu kommt, dass sich der Vorjahresfinalist durch das überraschende Drittrunden-Aus im FA Cup satte zehn Tage auf den Königsklassenkracher vorbereiten konnte.

Klopp setzte zu einem abgeschotteten Trainingslager in Marbella an, um seine Männer auf die Münchner entsprechend vorzubereiten. Damit dürften die Profis der „Reds“ fit und ausgeruht am Dienstag an der Anfield Road erscheinen.

Während Liverpool die erste kleine Schwächephase erlebt in dieser Saison, zeigt die Formkurve des FC Bayern zumindest ergebnistechnisch nach oben. Neun der letzten zehn Bundesliga-Partien konnte man gewinnen, hinzu kommt das Weiterkommen im DFB-Pokal. Dennoch: Die Münchner spielen, wie eigentlich schon die ganze Saison, keine Sterne vom Himmel. Vielmehr prägen Inkonstanz und einige Aussetzer die letzten Monate an der Säbener Straße.

Zwar machte der deutsche Rekordmeister zuletzt ein wenig Boden gut auf den BVB im Meisterschaftskampf in der Bundesliga, von Souveränität oder gar der Dominanz der letzten Jahre war allerdings herzlich wenig zu sehen. Und auch wenn die Formkurve des FC Bayern in den letzten Wochen nach oben zeigt: Ob es für einen Gegner der Kategorie Liverpool reicht, bleibt abzuwarten.

FC Liverpool: Nervenflattern in der Prime Time?

Es ist die nun vierte Saison von Jürgen Klopp als Trainer beim FC Liverpool. 189 Spiele hat der ehemalige BVB-Coach an der Seitenlinie der „Reds“ bisher verbracht. Das alles bei einem Punkteschnitt von 1,91 pro Spiel. Seit „Kloppo“ die Geschicke des englischen Traditionsvereins lenkt, zeigt die Entwicklungskurve wieder nach oben. Nach einem holprigen Start in der ersten Saison (Rang acht) wurde immer die Qualifikation für die Champions League erreicht.

Der bisherige Höhepunkt: Das Erreichen des Königsklassenfinals in der abgelaufenen Spielzeit. Das bittere 1:3 gegen Real Madrid mit einem frühen verletzungsbedingten Aus für Superstar Mohamed Salah samt zweier dicker Patzer des damaligen Liverpooler Keepers Loris Karius hat seine Spuren bei Klopp und seiner Mannschaft hinterlassen. Auch die sportliche Führung erkannte: Hier ist noch was möglich. Prompt kamen Alisson für stolze 62,5 Millionen Euro, Fabinho für 45 Millionen Euro und Xherdan Shaqiri für 14,7 Millionen Euro. Der 60-Millionen-Deal mit Naby Keita war schon zuvor auf den Weg gebracht worden.

(Photo by Shaun Botterill/Getty Images)

Die Folge: Liverpool spielt unter Klopp die wohl bisher beste und vor allem stabilste Saison. Insbesondere in der Premier League, wo die „Reds“ in den vergangenen Jahren immer wieder unnötig Punkte liegen ließen, beeindruckt der CL-Vorjahresfinalist mit Konstanz und Siegeswillen. Bis zum 1:2 gegen Manchester City am 21. Spieltag war der FC Liverpool im englischen Oberhaus ungeschlagen, zwischendurch kamen schon die ersten Vergleiche mit den „Invincibles“ des FC Arsenal auf, die in der Saison 2003/04 ungeschlagen den Meistertitel holten.

Doch ausgerechnet seit der Niederlage gegen die „Citizens“ ist ein wenig der Wurm drin. Auf die knappen und wenig überzeugenden Siege bei Brighton & Hove Albion (1:0) und gegen Crystal Palace (4:3) folgten zwei Remis gegen Leicester City und West Ham United. Die ehemals klare Tabellenführung? Verloren gegangen. Bei einem Spiel weniger liegen die „Reds“ nun punktgleich mit Tabellenführer Manchester City nur noch auf Rang zwei. Und auch wenn Liverpool „nur“ zweimal die Punkte liegen gelassen hat und bei einem Sieg im Nachholspiel wieder die Tabellenführung zurückerobern kann: Die „Reds“ befinden sich derzeit in ihrer bisher schwächsten Phase in dieser Saison. Bleibt abzuwarten, ob sie rechtzeitig zur beginnenden Prime Time der Saison wieder an die Form vor der Niederlage gegen City anknüpfen können.

Schlüsselspieler: Mohamed Salah, wer sonst?

52 Spiele, 44 Tore, 16 Vorlagen: Allein schon die Zahlen belegen die beeindruckende letzte Saison von Mohamed Salah. Ausgerechnet Liverpools MVP der letzten Spielzeit hatte zu Beginn dieser Saison gewisse Startschwierigkeiten. Doch mittlerweile trifft der Ägypter wieder, wie er will. Wie wichtig Salah für die „Reds“ ist, zeigt der bisherige Saisonverlauf. Trifft Salah, gewinnt Liverpool. Trifft er nicht, bekommt sein Team Probleme. Denn jedes Remis und jede Niederlage der Liverpooler hat eines gemein: Mo Salah blieb in diesen Partien ohne eigenen Treffer.

Dennoch: Salah liegt nach 34 Pflichtspieleinsätzen in dieser Saison schon wieder bei 20 Treffern und acht Assists. Lediglich in der Königsklasse kam der quirlige Offensiv-Star noch nicht so zur Geltung, wie es Jürgen Klopp gerne hätte. Drei Treffer, davon zwei beim 4:0-Sieg gegen Belgrad, sind für die hohen Ansprüche an Salah zu wenig. Im letzten, für Liverpool so wichtigen Gruppenspiel gegen die Napoli war der 26-Jährige allerdings wieder zur Stelle und sorgte mit seinem Tor für das Überwintern in der Champions League.

Auch gegen die Münchner werden die Augen wieder vor allem auf Salah gerichtet sein. Denn trifft Salah, gewinnt der FC Liverpool.

(Photo by Michael Regan/Getty Images)

Niko Kovacs Schlüsselspiel beim FC Bayern? Die Suche nach der Balance

Für Niko Kovac stehen nun die entscheidenden Wochen an. Auch wenn der bisherige Saisonverlauf des FC Bayern holprig und von wenig Konstanz geprägt war. Schafft es Kovac, die Münchner die Prime der Saison erfolgreich zu bestreiten, dürfte im Nachhinein niemand mehr von den bitteren Niederlagen zu Hause gegen Gladbach (0:3), gegen den BVB (2:3) oder auch gegen Bayer Leverkusen (1:3) sprechen. Die Frage ist nur: Schafft es Kovac, seine Mannschaft im richtigen Moment auf Hochtouren zu bringen und wozu ist der FCB dann in der Lage?

Denn die bisherige Saison lässt sich recht simpel zusammenfassen. Der FC Bayern München ist auf der Suche nach der Balance. Oftmals stimmt die Balance zwischen Offensive und Defensive nicht, hinzu kommen zahlreiche individuelle Aussetzer und damit verbunden unnötige Gegentore. Auch wenn es immer mal wieder Ausreißer nach oben gab, lassen die Münchner in dieser Saison für ihre Verhältnisse jegliche Konstanz und Dominanz vermissen. Insbesondere auf taktische Veränderungen des Gegners während den Spielen hat Kovac nur selten Antworten parat.

Zwar stehen aus den letzten neun Bundesligapartien acht Siege zu Buche, wirklich überzeugen konnte der deutsche Rekordmeister aber nur sporadisch. Insbesondere Gegner mit aggressivem Pressing und schnellem Umschaltspiel erwiesen sich in dieser Saison als Problem für den FCB. So kommt es, dass die Münchner erstmals seit einigen Jahren in ein Champions-League-Achtelfinale gehen und alles andere als die Favoritenrolle inne haben. Für Kovac gilt es nun, schnellstmöglich Antworten auf die Balance-Probleme seiner Mannschaft zu finden, um dem Turbo-Offensivfußball der „Reds“ entgegen wirken zu können.

Denn auch für ihn selbst geht es in diesem Achtelfinale um einiges. Sollte Kovac mit seiner Mannschaft den Vorjahresfinalisten tatsächlich ausschalten, könnte dies so etwas wie die Initialzündung für den Rest der Saison geben. Doch dafür bedarf es noch einiger entscheidender Handgriffe.

Schlüsselspieler: Thiago oder nix!

Als Pep Guardiola im Sommer 2013 seinen Dienst an der Säbener Straße antrat, hatte er einen klaren Wunsch: Thiago oder nix! Und so kam es, dass der FC Bayern München den Spanier für rund 25 Millionen Euro vom FC Barcelona loseiste. Nach zwei Jahren voller Verletzungen konnte Thiago in seiner dritten Saison beim FCB endlich über einen längeren Zeitraum seinen enormen Wert unter Beweis stellen. Auch in den Spielzeiten nach Guardiola Amtszeit zählte Thiago immer zu den Leistungsträgern, doch spätestens seit dieser Saison ist der mittlerweile 27-Jährige unverzichtbar für den deutschen Rekordmeister.

(Photo by Alexander Hassenstein/Bongarts/Getty Images)

Vier Spiele verpasste Thiago in dieser Saison bisher in der Liga verletzungsbedingt. In keinem dieser Spiele ging der FCB als Sieger vom Platz. Der Edeltechniker ist zum absoluten Chef in Münchens Mittelfeld aufgestiegen, nahezu alles läuft über Thiago. Sein Spielaufbau, sein Passspiel, seine Kreativität, aber auch seine Arbeit gegen den Ball haben sich im Vergleich zu den Vorjahren noch einmal verbessert und ihn so zu einem der wichtigsten, vielleicht sogar zum wichtigsten Spieler für Kovac gemacht.

Mit 65 Prozent gewonnen Zweikämpfen ist Thiago der zweikampfstärkste Mittelfeldspieler in der Bundesliga. Nicht ohne Grund scheinen die Münchner ohne ihren „Maestro“ defensiv deutlich anfälliger zu sein. Immer, wenn Thiago nicht auf dem Feld stand, musste der FCB im Schnitt deutlich mehr Gegentore hinnehmen (2,5 Gegentore pro Spiel) als mit ihm (0,82 Gegentore pro Spiel). Insbesondere, da dem deutschen Rekordmeister derzeit die Balance zwischen Defensive und Offensive fehlt, ist ein Thiago in dieser bestechenden Form unverzichtbar für Kovac.

Prognose zum Hinspiel: Es könnte wild werden

Die Formkurve der „Reds“ ging zuletzt etwas nach unten, die des FCB hingegen nach oben und dennoch: Der FC Liverpool scheint die Nase in diesem Duell vorne zu haben. Insbesondere angestachelt durch das frenetische Publikum an der Anfield Road dürfte auf die Münchner ein herber Kraftakt warten. Zudem werden auch Jürgen Klopp die Probleme des deutschen Rekordmeisters nicht entgangen sein. Zeigt sich Liverpool wieder von seiner besseren Seite, wird sich der FC Bayern auf einiges gefasst machen müssen. Mit Leistungen wie zuletzt beim 3:2 beim FC Augsburg dürfte im Hinspiel nichts zu holen sein.

Mögliche Aufstellungen

Jürgen Klopp steht vor einer kniffligen Aufgabe. Denn mit Virgil van Dijk, Joe Gomez und Dejan Lovren könnten gleich drei Innenverteidiger ausfallen. Van Dijk ist aufgrund einer Gelbsperre zum Zuschauen verdammt und auch Gomez wird aufgrund eines Beinbruchs definitiv fehlen. Hoffnung besteht lediglich bei Lovren, doch auch der Kroate laboriert noch an einer Oberschenkelverletzung. Ob er rechtzeitig fit wird, bleibt abzuwarten. Sollte der 29-Jährige allerdings nicht zur Verfügung stehen, dürfte Fabinho in die Innenverteidigung neben Joel Matip rücken. Eine Chance für den FCB? Ansonsten wird Klopp wohl auf Überraschungen verzichten. Eine Gelbsperre im Rückspiel droht lediglich Defensivspezialist Andrew Robertsen.

Bei den Münchnern werden definitiv Corentin Tolisso (Kreuzbandriss), Arjen Robben und Thomas Müller (Rotsperre) fehlen. Kurzfristig meldete sich auch Jerome Boateng ab, der an Magen-Darm-Problemen laboriert. Kopfzerbrechen bereitet Kovac jedoch vor allem Kingsley Coman. Der Flügelflitzer hatte die Partie gegen die Augsburger am Freitag verletzungsbedingt vorzeitig beenden müssen. Ob er rechtzeitig fit wird, bleibt abzuwarten. Sollte Coman zunächst nur auf der Bank Platz nehmen oder gar die Partie nur von der Tribüne aus verfolgen, könnte der wiedergenesene Franck Ribéry in Münchens Startelf zurückkehren. Allerdings: Ribery flog nicht mit der Mannschaft nach Liverpool, weil er Vater wurde. Laut Hasan Salihamidzic könnte der Franzose aber noch nachkommen und ist entsprechend trotzdem eine Option. Besonders aufpassen muss Joshua Kimmich, der bei einer weiteren gelben Karte das Rückspiel verpassen würde.

FC Liverpool: Alisson – Alexander-Arnold, Lovren (Fabinho), Matip, Robertsen, Milner, Henderson, Wijnaldum, Salah, Firmino, Mané

FC Bayern: Neuer – Kimmich, Süle, Hummels, Alaba, Thiago, Goretzka, James, Gnabry, Coman (Ribéry), Lewandowski

Justin Kraft von Miasanrot.de: „Bayern ist Außenseiter“

Justin Kraft (auf Twitter LahmsteigerDE) ist Blogger und Podcaster beim Bayern-Blog Miasanrot.de, zudem Buchautor und befasst sich mit dem FC Bayern, seit er denken kann. Für den bevorstehenden Kracher gegen den FC Liverpool hat er sich unseren Fragen rund um die Königsklassen-Begegnung gestellt und ist sich vor allem in einem Punkt sicher: Bayern ist Außenseiter.

Neunzigplus: Liverpool gegen den FC Bayern, das hat schon was von Halbfinal-Charakter. Doch während die Münchner von der Dominanz der letzten Jahre in dieser Saison etwas eingebüßt haben, scheinen die „Reds“ stärker denn je. Täuscht der Eindruck oder geht der FCB tatsächlich als so etwas wie der Außenseiter in dieses Achtelfinale?

Justin Kraft: Genau deshalb sehe ich – zumindest aktuell – den Halbfinal-Charakter nicht. Ich sehe eine Mannschaft, die womöglich auf dem Zenit ihres Schaffens ist und gute Karten hat, wieder weit zu kommen. Und dann ist da der FC Bayern, der sich in dieser Saison von einer Notsituation in die nächste hangelt und das als Übergang verkauft. Allerdings wirkt das etwas planlos und das macht es eigentlich dramatisch. Also ja: Bayern ist meiner Meinung nach der Außenseiter. 

Neunzigplus: Nach wie vor gilt das frühe, aggressive Anlaufen und das überfallartige Umschaltspiel als große Waffe von Jürgen Klopps LFC. Gerade gegen Gegner mit einer solchen Spielweise hatte der FCB in dieser Spielzeit bisher oft große Probleme, es fehlt die Balance zwischen Offensive und Defensive. Was muss Trainer Niko Kovac seinen Spielern mit auf den Rasen geben, damit es gegen das Offensiv-Trio Salah, Mane und Firmino kein böses Erwachen gibt? Wird Kovac sein System verändern, um dieser Problematik entgegen zu wirken?

Justin Kraft: Mit großen Veränderungen rechne ich nicht. Kovač sprach vor der Saison zwar von Flexibilität, konnte diese aber nicht zeigen. Daher rechne ich mit einem 4-2-3-1. Bayern wird sicherlich hin und wieder auch mal höher anlaufen, insgesamt aber doch tiefer stehen als beispielsweise zuletzt gegen Augsburg. Kovač müsste dafür sorgen, dass die Mannschaft in den Umschaltsituationen besser steht. Sprich: Nach Ballverlusten brennt die Luft, weil den Bayern schon in Ballbesitz die Organisation fehlt. Außerdem wird es gegen Liverpool eine diszipliniertere Arbeit gegen den Ball brauchen, wenn der Gegner mal etwas länger den Ball hat. Vielleicht wird Kovač dafür Martínez bringen, aber auch das wäre jetzt keine bahnbrechende Anpassung. 

Neunzigplus: Seit dem 1:2 gegen Manchester City in der Liga hat man ein wenig das Gefühl, dass Liverpool aktuell etwas federn lässt. Zudem werden im Hinspiel gegen die Münchner mit Joe Gomez (verletzt) und Virgil van Dijk (gesperrt) gleich beide Stamminnenverteidiger fehlen. Ist es für den deutschen Rekordmeister wohlmöglich der beste Zeitpunkt, um auf die „Reds“ zu treffen?

Justin Kraft: Vielleicht stimmt das, ja. Liverpool wird nach dem Trainingslager und der kurzen Pause aber auch voll motiviert sein. Auch das verlorene Finale in der letzten Saison wird sie pushen. Klopp kann seine Jungs auf den Punkt motivieren und einstellen. Das hat er mehrfach bewiesen. Daher sollte sich Bayern nicht darauf verlassen, dass die Form eh nicht so überragend ist. Die eigenen Probleme sind zu groß, um auf andere zu schauen. 

Neunzigplus: Im Champions-League-Finale im letzten Jahr hat Real Madrid Liverpool vor allem durch Dominanz im Mittelfeld im Laufe des Spiels den Zahn gezogen. Gilt es für Kovac als Vorbereitung auf die Partie mit Spielermaterial wie Thiago, James und Goretzka genau dort anzusetzen?

Justin Kraft: Bayern ist stark, wenn sie das Mittelfeld kontrollieren. Das ist seit van Gaal so. Ancelotti schien das nicht so richtig zu verstehen – oder er konnte es nicht umsetzen. Für Kovač gilt ähnliches. Er sieht den Zusammenhang zwischen dem schwachen Positionsspiel, den Ballverlusten und den anschließenden Schwachpunkten in der Defensive nicht. Und das macht es schwer, ein Spiel zu kontrollieren. Es beschränkt dich auf die individuelle Klasse. Ob das gegen Liverpool reicht? Eher nicht. 

Neunzigplus: Abschließend kurz und knackig: Wer setzt sich in dieser Kracher-Paarung durch und warum? 

Justin Kraft: Ich denke, dass Liverpool im Normalfall souverän weiterkommt. Sie sind die bessere Mannschaft. Aber: Es kann alles passieren. Bayern ist erfahren, individuell sehr stark besetzt und große Spiele sind mehr als taktische Perfektion. Sie werden oft durch Details wie Schiedsrichterentscheidungen, Verletzungen, glückliche Tore oder Standards entschieden. Auch deshalb, weil viel auf dem Spiel steht und Mannschaften dann oft weniger Risiko gehen. Das macht es vielleicht ein bisschen spannender. Eine knappe Niederlage mit eigenem Tor im Hinspiel wäre für Bayern schon ein Erfolg.


Nico Scheck

Aufgewachsen mit Elber, verzaubert von Ronaldinho. Talent reichte nur für die Kreisliga, also ging es in den Journalismus. Seit 2017: 90PLUS. Manchmal: SEO. Immer: Fußball. Joga Bonito statt Catenaccio.


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