Warum der FC Bayern gegen Galatasaray lange wackelte und trotzdem gewann

25. Oktober 2023 | Spotlight | BY Manuel Behlert

Auswärtsspiele in der UEFA Champions League sind selten einfach. Das musste der FC Bayern am Dienstagabend im Hexenkessel von Istanbul zum zweiten Mal in Folge erfahren. Lange bestimmte der Gastgeber die Partie, war überlegen, hatte phasenweise ein Schussverhältnis von 16:3.

Doch die drei Punkte nahm der Rekordmeister aus München mit, gewann mit 3:1. Warum? Das ist eine berechtigte wie gute Frage. Auf die es nicht nur die eine, allumfassende Antwort gibt. In jedem Fall war auch die dritte Partie in dieser Saison in der Königsklasse eine lehrreiche für den FCB und Trainer Thomas Tuchel.

Warum Galatasaray Bayern lange dominieren konnte

Klar, spielt man in der Champions League auswärts, dann sind es besondere Nächte mit besonderen Herausforderungen. Vor allen Dingen bei Mannschaften, die nicht viele magische europäische Nächte erleben. Nun ist Galatasaray kein europäisches Kleinkaliber, die ganz großen K.O.-Runden-Duelle haben aber Seltenheitswert. Deswegen ist es auch eine Art Festakt, wenn der FC Bayern nach Istanbul kommt. Und das war von Beginn an spürbar. Die Fans entfachten einen Heidenlärm, die Mannschaft war davon angestachelt. Schon vor dem frühen 0:1 durch Kingsley Coman mit dem ersten zielstrebigen Angriff dominierte Gala. Und das deutlich. Dass es zur Pause 1:1 stand, war angesichts von 16:3 Schüssen für den türkischen Gastgeber fast ein Hohn.



Die Grundvoraussetzungen, um den Gast aus München zu dominieren, schaffte Galatasaray höchstselbst. Der Spielstil, den Trainer Okan Buruk implementierte, kennzeichnet sich durch ein hohes Risiko. Der Gastgeber lief offensiv an, war teilweise mit fünf Spielern in Begriff die Defensive der Bayern unter Druck zu setzen. Es war phasenweise eine 2-3-5-Systematik, die aber zum Erfolg führte. Galatasaray verhinderte einen geordneten Aufbau, erkannte früh, wann Pressingtrigger gesetzt werden können. Noussair Mazraoui überlegte einmal zu lange beim Abspiel: Ballverlust. Konrad Laimer schaute sich zweimal um: Ballverlust. Und immer wusste Galatasaray, wie man schnell nach vorne spielen kann.

Bayern fehlte es schlicht an Lösungen. Sie taten der Buruk-Elf den Gefallen, technische Fehler im eigenen Passspiel zu fabrizieren. Das hohe Risiko hätte nämlich durchaus ausgenutzt werden können, wenn nicht entweder der Mut oder die Fähigkeit, einen Steilpass zu spielen, gefehlt hätte. Während Galatasaray wusste, wie man das Spiel nach vorne aufziehen will, bleib bei Bayern vieles Stückwerk. Und das war der Unterschied. Jeder Angriff der Hausherren folgte einem Muster: Ballgewinn, viele Spieler machten sich auf den Weg nach vorne, schnelle Zirkulation, schnörkellose Pässe. Und im Zweifel wird eben ein ruhender Ball mitgenommen.

Bayern Galatasaray

(Photo by YASIN AKGUL/AFP via Getty Images)

Die Hausherren profitierten von der Hektik auf dem Feld und Bayern ließ sich provozieren. Zudem gewann Galatasaray viele Zweikämpfe, der FC Bayern, das merkte auch Tuchel nach dem Spiel an, fast überhaupt keine. Zwei guten Reflexen von Sven Ulreich, vielen guten Rettungstaten und viel Spielglück war es zu verdanken, dass es zur Pause nur 1:1 stand. Zwar spielten die Gastgeber sehr gut, Bayern fehlte aber auch jegliche Ruhe. Das Tempo wurde nicht variiert, hinzu kamen viele Abspielfehler. Laimer, als Zweikampfmonster angepriesen, wirkte oft verloren. Seine Probleme am Ball waren offensichtlich, aber auch die Arbeit gegen den Ball war selten zielführend. Zur Pause gab es viel zu korrigieren.

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Warum Bayern am Ende doch gewinnen konnte

Zufrieden sein konnte Bayern-Trainer Tuchel nicht. Entsprechend veränderte sich auch etwas, wohlwissend, dass das hohe Tempo, das die Hausherren anschlugen, nicht über 90 Minuten + X aufrecht erhalten werden konnte. Zunächst agierte Bayern im Spiel gegen den Ball etwas tiefer. Dadurch hatte es Galatasaray nicht mehr so leicht, schnell zwischen die Linien zu kommen. Die Lücken wurden kleiner, die Abstände geringer. Es waren Nuancen, die aber sofort einen positiven Effekt auf das Gesamtbild hatten. Ja, die Türken hatten weiterhin Chancen, aber in einer geringeren Taktung. Und die Entlastung wurde größer, der FCB hatte endlich auch mal Ballbesitz in der gegnerischen Hälfte. Und kam selbst häufiger zwischen die Linien.

Das war nämlich ein Faktor, der in der ersten Halbzeit fast gar nicht zu sehen war. Lediglich in zwei Situationen gelang es, das hohe Fünf-Mann-Pressing mal mit einem flachen Pass über größere Distanz zu überspielen und schon ergab sich eine Gleichzahlsituation. Nun ergaben sich häufiger lukrative Gegenangriffe. Nicht immer wurden diese präzise ausgespielt, aber das Pendel schlug weniger deutlich in Richtung Galatasaray aus. Es gab weiterhin Zweikampfsiege der Gastgeber, weiterhin Wackler beim Rekordmeister und Ballverluste, aber alles war stabiler. Und damit bereitete der Favorit auch den Sieg vor.

Auffällig: Das Pressing wurde jetzt einerseits besser überspielt, andererseits war Gala generell nicht mehr so griffig. Nach rund 70 Minuten ließen die Kräfte merklich nach. Dass Bayern quasi gleichzeitig geduldiger und die Passschärfe besser wurde, trug ebenfalls zu einer positiven Veränderung bei. Dank des jetzt geringeren Widerstands hatten die Spieler der Gäste mehr Zeit, Entscheidungen zu treffen. Und das war an diesem Abend ein wichtiger Faktor. Die Entscheidungen saßen jetzt nämlich. Mehr Angriffe hatten Hand und Fuß, Fehler wurden weniger.

Bayern

(Photo by YASIN AKGUL/AFP via Getty Images)

Und dann war da noch Harry Kane, vorher lange abgemeldet. In der Schlussphase zeigte er seine gesamte Klasse. Beim Treffer zum 2:1 wollte er die flache Hereingabe zunächst per Hacke vollenden, blieb dann in der Situation und war reaktionsschnell. Anschließend setzte er sich von seinem Gegenspieler ab, bleib cool und legte auf Jamal Musiala ab, der vollendete. Die Gäste waren in der Schlussphase zur richtigen Zeit zur Stelle. Nutzten die Fehler, die Galatasaray eigentlich schon während des gesamten Spiels machte, die jetzt aber eine größere Tragweite hatten, weil die Energie fehlte, um jedem Ball hinterherzueilen.

Kurzum: Zunächst fehlte Galatasaray die Kaltschnäuzigkeit vor dem Tor, dann gingen am Ende die Kräfte aus. Das als Gesamtfazit zu sehen, wäre aber ein wenig zu einfach. Weil der FC Bayern erkannt hat, wo die gröbsten Fehler in der ersten Halbzeit lagen und diese zumindest in einigen Punkten korrigiert hat. Geglänzt wurde nicht – aber bei neun Punkten aus drei Spielen ist das am Ende auch nicht immer der wichtigste Faktor.

(Photo by Ahmad Mora/Getty Images)

Manuel Behlert

Vom Spitzenfußball bis zum 17-jährigen Nachwuchstalent aus Dänemark: Manu interessiert sich für alle Facetten im Weltfußball. Seit 2017 im 90PLUS-Team. Lässt sich vor allem von sehenswertem Offensivfußball begeistern.


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