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FC Bayern und die Hürde Lazio – als letzte Chance auf Silberware?

14. Februar 2024 | Spotlight | BY Michael Bojkov

Im Achtelfinale der Champions League bekommt es der FC Bayern mit Lazio zu tun. Auf dem Papier eine klare Angelegenheit. Die Favoritenrolle gehört dem deutschen Rekordmeister, der sich aktuell jedoch verwundbar zeigt. Nehmen die Römer den Bayern die vermeintlich letzte Chance auf einen Titel in dieser Saison?

Vor dem Achtelfinale zwischen Lazio und dem FC Bayern haben wir mit Mario Rieker gesprochen, der für DAZN Spiele der Serie A und Bundesliga kommentiert und insbesondere mit dem italienischen Fußball bestens vertraut ist.

FC Bayern: Mit „Rucksack“ gegen das römische Bollwerk

Dem FC Bayern droht die erste titellose Saison seit 2012. Nach dem denkwürdigen Pokalaus bei Drittligist Saarbrücken im Oktober hat die Mannschaft von Thomas Tuchel mit der 0:3-Klatsche gegen Bayer 04 am vergangenen Wochenende womöglich auch die Bundesliga verloren. Fünf Punkte Rückstand sind es nun auf die Überflieger aus Leverkusen. Doch nicht nur hinsichtlich der sportlichen Bedeutung, auch und vielleicht gerade in ihrer Art und Weise war die Niederlage in der BayArena niederschmetternd. Ein großes Problem, das die Münchner schon seit nunmehr einigen Monaten im Schlepptau haben, hat sich am Samstag in all seiner Deutlichkeit geäußert. Thomas Müller hat es nach dem Spiel im viel zitierten Interview bei Sky angesprochen: „Es fehlt die Freiheit. Wir haben teilweise eine Verkopftheit in unserem Spiel.“ Der dienstälteste Bayern-Spieler betonte, „dass wir im Training deutlich bessere Ansätze zeigen“ als in den Spielen selber.



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Mit dieser Ansicht ist er nicht allein: Auch Tuchel betont immer wieder die „Diskrepanz“ zwischen dem, was er auf dem Trainingsplatz beobachtet und dem, was die Fans in den Stadien von ihrer Mannschaft dargeboten bekommen. Den Angriffen des Rekordmeisters fehlt es regelmäßig an Tempo und Dynamik, Positionswechseln und Tiefenläufen, von automatisierten Abläufen ganz zu schweigen. Die Statik im Spiel der Münchner hat sich in Leverkusen auch auf dem Papier denkwürdig ausgedrückt: Erstmals seit über 28 Jahren konnte sich der FC Bayern keine einzige Torchance in einer Bundesliga-Partie herausspielen (kicker).

„Es fühlt sich an, als würden wir mit einem Rucksack spielen“, so Tuchel. Es sei „wichtig, dass der Prozess von den Spielern angestoßen wird“. Im besten Fall natürlich gegen die Römer, die im fehlerhaften Münchner Uhrwerk ihre Chance wittern. Denn: Lazio verfügt über eine sehr stabile Defensive. „Hier hat die Mannschaft von Maurizio Sarri eine unheimlich gute Entwicklung genommen“, weiß auch Serie-A-Kenner Mario Rieker. In der Tat haben sich die Laziali seit Sarris Ankunft im Juni 2021 stetig in der Defensive verbessert, und das drückt sich auch in Zahlen aus: In dieser Saison hat Lazio in 32 Pflichtspielen erst 34 Gegentreffer kassiert. Für Rieker ist dieser starke Wert auch und vor allem ein Verdienst von Torhüter Ivan Provedel, der eine herausragende Saison spielt.

Lazio vs. FC Bayern

Kann sich auf seinen Torhüter Ivan Provedel verlassen: Maurizio Sarri (r.). (Photo by Marco Rosi – SS Lazio/Getty Images)

Bayerns Defensive ist schlagbar – auch für Lazio?

Vorne versuchen die Römer mittels schnellen Umschaltaktionen zum Erfolg zu kommen, womit sie den Münchnern ebenfalls Probleme bereiten könnten. Denn auch defensive Unzulänglichkeiten sind ein Grund, weshalb der FC Bayern im neuen Kalenderjahr schon zwei seiner fünf Bundesliga-Spiele verloren hat. Wie das Spiel in Leverkusen exemplarisch zeigte, fehlt es häufig an der nötigen Abstimmung in der Hintermannschaft. Wer rückt wann raus? Wer sichert ab? Auch angesichts der hohen Personalfluktuation in der Defensive – Bayern spielte 2023/24 nur einmal in zwei aufeinanderfolgenden Pflichtspielen mit derselben Viererkette – lässt die Tuchel-Elf selbst elementare Fragen wie diese häufig unbeantwortet.

Das kann eine Chance für Lazio sein, so wie sie es aktuell auch für jeden Gegner des FC Bayern in der Bundesliga ist. Klar ist allerdings auch, dass die Offensive nicht zu den ausgemachten Stärken der Römer zählt – im Gegenteil: In allen Wettbewerben zusammen hat Lazio gerade einmal 35 Tore erzielen können. Das hängt auch stark mit der zähen Ausbeute von Stürmer Ciro Immobile zusammen, der eigentlich immer wie am Fließband getroffen, in der vergangenen und der laufenden Spielzeit jedoch nachgelassen hat. Dass der Ex-Dortmunder mit nur neun Saisontreffern dennoch Lazios torgefährlichster Spieler ist, spricht Bände.

Lazio fehlt es an Konstanz

Rieker nennt fehlende Präzision im Offensivdrittel als weiteren Grund für die Harmlosigkeit der Sarri-Elf. Die wirkt sich nicht nur auf die Toranzeige, sondern auch auf die Beständigkeit in den Ergebnissen aus. In der Liga hinken die Römer den eigenen Erwartungen hinterher, sind aktuell nur Tabellenachter und dabei, den Anschluss an die Champions-League-Ränge zu verlieren. Die Generalprobe für das Achtelfinale gegen Bayern hat Lazio zwar mit 3:1 bei Aufsteiger Cagliari gewonnen, zuvor waren die Adler jedoch drei Pflichtspiele in Folge sieglos.

Eine Ursache dafür, dass offensiv nicht viel zusammenläuft und die Biancocelesti mit ständigen Formschankungen zu kämpfen haben, ist auch der schmerzhafte Abgang von Sergej Milinkovic-Savic im vergangenen Sommer. „Als Verbindungsspieler und Gestalter strahlte es zusätzlich auch immer eine Menge Torgefahr aus. Sein Abgang nach Saudi-Arabien hat eine große Lücke hinterlassen, die nicht gefüllt werden konnte“, analysiert Rieker. Auch daher „fehlt dem Team das Selbstverständnis der vergangenen Spielzeit“.

Ohne den Serben bleibt Lazio nicht mehr viel an individueller Klasse übrig. Neben Immobile und Torhüter Provedel sind hier am ehesten noch Mittelfeldmann Luis Alberto sowie Linksaußen und Top-Vorlagengeber Felipe Anderson zu nennen, die das Kreativspiel der Laziali schultern. Zu vergleichen mit der individuellen Qualität, die der FC Bayern mitbringt, ist die der Römer keinesfalls. Trotz vieler Baustellen sind die Münchner auf nahezu allen Positionen mit Spielern von Weltklasse-Format gespickt.

Lazio vs. FC Bayern

Im Gegensatz zu Lazio verfügt der FC Bayern über viel individuelle Klasse. (Photo by MADS CLAUS RASMUSSEN/Ritzau Scanpix/AFP via Getty Images)

Dessen ist sich auch Trainer Sarri bewusst, der die Chance auf ein Weiterkommen seiner Mannschaft an der „Grenze zum Unmöglichen“ sieht, wie er auf der Pressekonferenz vor dem Spiel sagte. Ein bewusster Griff in die Underdog-Trickkiste? Fest steht: Auf dem Papier ist der FC Bayern die klar überlegene Mannschaft. Aber auch darin liegt eine Chance für Lazio.

Vielleicht fühlen sich die Adler gerade als Außenseiter wohler. Der Druck liegt nicht bei ihnen und die Spieler sollten trotz Königsklassen-Ambiente befreiter aufspielen können als das im zähen Alltagsgeschäft der Serie A der Fall ist, wo sie qua eigenen Ansprüchen an jedem Wochenende zum Siegen verdammt sind. Sarri nannte auch den „Spaß“ als einen Faktor zum Erfolg: „Was zählt, ist kollektiver, ansteckender Spaß. Wenn die Mannschaft auf dem Platz Spaß hat, bleiben alle dabei, auch die Zuschauer.“

Michael Bojkov

Prognose von Experte Mario Rieker

Aufgrund der Formschwankungen der Römer sind die Bayern für mich haushoher Favorit. Lazio muss mutig spielen und könnte den Bayern dann weh tun, wenn sie durch ihre hohen Balleroberungen gegen den zuletzt hinten sehr fahrigen Rekordmeister zu schnellen Umschaltmomenten kommen. Ob die Laziali diesen Mut im Achtelfinale der Königsklasse aufbringen, wage ich allerdings zu bezweifeln. Deswegen gehe ich davon aus, dass die Bayern beide Spiele mit mindestens zwei Toren Unterschied gewinnen werden.

(Photo by FILIPPO MONTEFORTE/AFP via Getty Images)

Michael Bojkov

Lahm & Schweinsteiger haben ihn einst zum Fußball überredet – mit schwerwiegenden Folgen: Von Newcastle über Frankfurt bis Cádiz saugt Micha mittlerweile alles auf, was der europäische Vereinsfußball hergibt. Seit 2021 bei 90PLUS und vorwiegend in Spanien unterwegs.


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