FC Bayern nach dem Aus gegen Villarreal: Alles auf dem Prüfstand

13. April 2022 | Trending | BY Manuel Behlert

Der Worst Case, zumindest bezogen auf das Viertelfinale der Champions League, ist für den FC Bayern eingetreten. Der Favorit schied gegen den FC Villarreal aus. Dieses Ausscheiden wirft einige Fragen auf, die Spieler, Trainer und Verantwortliche in Zukunft beantworten müssen. 

Nach dem 0:1 im Estadio de la Ceramica war die Hoffnung beim Rekordmeister groß, das Spiel in der heimischen Allianz Arena zu drehen. Ansätze waren da, deutlich mehr Ballbesitz und Abschlüsse hatte die Elf von Trainer Julian Nagelsmann (34) auf ihrer Seite. Gleichzeitig muss sie sich vorwerfen lassen, dass es in vielen Teilbereichen des Spiels an den nötigen Prozentpunkten fehlte, um einen cleveren und kompakten Gegner über 180 Minuten zu besiegen. Villarreal wartete auf die eine große Chance, nutzte sie und jubelte. Das hat sich der Favorit vor allem selbst zuzuschreiben.

Der Erkenntnisse aus dem Spiel gegen Villarreal

Rückblick: Nicht allzu lange ist es her, da hat der FC Bayern mit 4:1 beim SC Freiburg gewonnen und eine aufsteigende Tendenz in seinem Spiel vorweisen können. Vor den wichtigen Wochen schien das eine sehr gute Nachricht zu sein. Die Ernüchterung folgte im Auswärtsspiel beim FC Villarreal, das gut und gerne auch höher als 0:1 hätte verloren werden können. Nach einem ebenfalls zumindest dürftigen Auftritt gegen Augsburg (1:0) forderte Trainer Nagelsmann von seiner Mannschaft vor allem mehr Intensität. 

Nun war die Intensität in einigen Phasen des Spiels sichtbar vorhanden, doch sie ist nur eines von mehreren Elementen, das benötigt wird, um einen solch kompakten Gegner derart unter Druck zu setzen, dass viele hochkarätige Chancen die Folge sind. An vielen anderen Elementen fehlte es dem Rekordmeister. Die Struktur im Erarbeiten von Chancen war zu selten vorhanden, Ideen fehlten. Der Ball wurde oft auf die Flügel gespielt, in die Mitte geflankt und nach einer Klärungsaktion wieder erobert. Anschließend fing diese Dauerschleife – mal mit mehr, mal mit weniger Tempo – von vorne an. 

FC Bayern

(Photo by Christian Kaspar-Bartke/Getty Images)

Nur selten boten die Offensivspieler des FC Bayern Läufe in die Tiefe konsequent an, nur selten wurde das Tempo verschärft. Der Gast aus Spanien hatte mit seinem Zeitspiel, das den Rhythmus durchbrach, natürlich auch einen Anteil daran, dieses Zeitspiel ist aber legitim und auch dagegen gibt es Lösungen. Ohne Überraschungsmomente nützt es auch wenig, individuelle Überlegenheit auf dem Platz zu haben. Es war nicht zum ersten Mal in dieser Saison, speziell in der Rückrunde, der Fall, dass der Ball zu häufig ideenlos in den Strafraum gegeben wurde. Positiv zu erwähnen sei die Aufmerksamkeit im Spiel gegen den Ball, allen voran von Dayot Upamecano. Dass der eine Moment der Unordnung, auch noch direkt nach einem Wechsel in der Dreierkette, im Gegentreffer resultierte, passt zum Abend.

Personalplanungen und Unruheherde

Das für das Selbstverständnis des FC Bayern zu frühe Ausscheiden in der Champions League reiht sich ein in eine Phase, in der sich im gesamten Verein immer wieder neue Unruheherde auftun. Waren es Ende 2021 noch ungeimpfte Spieler und fortwährende Quarantäne-Ausfälle, ist es jetzt die Zukunft einiger Spieler, deren Verträge 2023 auslaufen. Die Gespräche mit Serge Gnabry (26) stocken, die hohen Gehaltsforderungen werden gerade in der Phase publik, in der der Spieler selbst sowohl Spielfreude als auch Effizienz, die ihm in vielen Phasen seiner Karriere enorm geholfen hat, vermissen lässt.

Robert Lewandowski (33) und die anhaltenden Abgangsgerüchte, angefeuert auch von dessen Berater Zahavi, spielen zudem eine Rolle. Was die Zukunft angeht, sieht sich der Rekordmeister mit einigen Ungewissheiten konfrontiert, auch wenn Oliver Kahn gebetsmühlenartig von einer Entspannung spricht. Man werde schon etwas verkünden, wenn es soweit ist. Signifikante Fortschritte scheint es lediglich bei Manuel Neuer (36) und Thomas Müller (33) zu geben, zweifelsohne auch zwei Führungsspieler, die wichtig für den Klub sind.

Es gibt nicht den einen Faktor, der für das Ausscheiden des FC Bayern verantwortlich ist. Der junge Trainer Nagelsmann hat einen Anteil, die Kaderplanung insgesamt mit zu vielen klaren Stammkräften und zu wenig „Druck“ spielt auch eine Rolle, das Formtief einiger Spieler, von denen ein beachtlicher Teil quasi seit zwei Jahren fast ohne Unterbrechung durchspielt, gehört ebenfalls zur Gesamtsituation dazu. Jetzt, wo es „nur“ noch um den Titel in der Bundesliga geht, muss schnellstmöglich an Lösungen gedacht werden. Denn solche Phasen sollen sich in Zukunft ja nicht wiederholen.

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Das technische Level und der Faktor Spielaufbau

Bei der Ursachenforschung ist es ratsam, sich nicht nur die Saison 2021/22 vorzunehmen. Nagelsmann versuchte in seiner Debütsaison bei einem absoluten Topklub vieles. Dass Fehler für einen solch jungen Trainer in irgendeiner Art und Weise normal sind, sollte jedem klar sein. Der Trainer steht auch nicht zur Diskussion, hat auch nicht umsonst einen langfristigen Vertrag erhalten. Die Kaderplanung der letzten Jahre hatte ihre guten Aspekte und sicher waren sehr spannende Transfers dabei, aber insbesondere das technische Level beim FC Bayern hat merklich nachgelassen. Sinnbildlich für den Wandel weg von mehr technischen Elementen hin zu mehr Athletik war der Abgang von Thiago Alcantara (31) zum FC Liverpool.

Dabei braucht es beides: Sowohl Dynamik und Athletik, insbesondere, wenn sich die Mittelfeldspieler weit in das Spiel nach vorne einschalten, aber auch technische Lösungen auf höchstem Niveau. Das soll nicht bedeuten, dass die Mannschaft des Rekordmeisters technisch schlecht ausgebildet ist, aber im Vergleich zu früheren Kaderzusammenstellungen sind hier Mängel erkennbar, die sich auch auf den Flügelpositionen genau so beschreiben lassen können. Zweifelsohne ist Jamal Musiala (19) ein Spieler, der Situationen auf engstem Raum instinktiv und technisch hervorragend lösen kann, aber ein Spieler dieser Kategorie reicht nicht, schon gar nicht, wenn ein so hohes Risiko mit einer offensiven Aufstellung gewählt wird.

Außerdem fällt ein Mangel an Kreativität schon im Spielaufbau auf. Dem angesprochenen Upamecano und seinen Partnern in der Dreierkette, Benjamin Pavard (26) und Lucas Hernandez (26), kann man gegen Villarreal im Spiel gegen den Ball absolut keinen Vorwurf machen. Vom Spielaufbau vergangener Tage ist das Spiel des Rekordmeisters aber meilenweit entfernt. Sicherheitspässe, Pässe über fünf, vielleicht zehn Meter, bevorzugt quer, kurz auf die Außen, viel mehr kam nicht.

FC Bayern

(Photo by CHRISTOF STACHE/AFP via Getty Images)

Auch ein Joshua Kimmich (27), der sich den Ball mitunter abholte, fand nicht immer Lösungen. Lange Bälle auf die Außen, auch hinter die Abwehr, kamen in den letzten Wochen zu oft nicht an. Ohnehin ist die offensive Herangehensweise im zentralen Mittelfeld mitunter ein Problem, auch in der Entstehung des 1:1 gegen die Spanier am Dienstag klaffte eine Lücke.

FC Bayern: Zwei neue Spieler im Sommer reichen nicht

Anhand der Aufzählung der Mängel wird bereits deutlich, dass ein Problem ist dass nächste übergreift. Ein Kader, der insgesamt über mehr technisch hochklassige Spieler verfügt, hat es leichter, gegnerische Abwehrreihen auseinander zu spielen. Im Mittelfeld muss die Frage erlaubt sein, wie zumindest ein Teil der offensichtlichen Defizite gelöst werden kann. Ryan Gravenberch (19) von Ajax soll kommen, der technisch zwar durchaus versiert ist, aber weder ein klassischer 6er, noch ein idealer Aufbauspieler ist. Für Rechtsverteidiger Noussair Mazraoui (24), der ebenfalls von Ajax kommen soll, gilt zumindest, dass er auf der rechten Abwehrseite ein Upgrade ist, auch auf technischer Ebene.

Trotzdem bleiben, selbst ungeachtet möglicher Abgänge, Fragen, die zu beantworten sind. Muss in der Offensive vielleicht generell frischer Wind her, ein Spieler, der andere Stärken hat, als es bei den etablierten Kräften der Fall ist? Kann die Innenverteidigung die Spielaufbauproblematik ohne einen Neuzugang lösen? Tanguy Nianzou (19) zeigte hier zwar vielversprechende Ansätze, aber ihm in der kommenden Saison schon den ganz großen Sprung zuzutrauen, gleicht einem Vabanquespiel. Der Abend in der Allianz Arena zeigte einmal mehr, dass neue Impulse dem Kader gut tun würden. Und, dass zwei neue Spieler nicht reichen.

Bleibt noch eine letzte Frage – und diese könnte eine ganz entscheidende sein. Haben Hasan Salihamidzic (44) und Oliver Kahn den Weitblick, alle Probleme zu erkennen und, noch wichtiger, alle auch zu beheben? Die nächste Saison wird nämlich wieder hohe Belastungen mit sich bringen, aber einen Vorteil. Im Sommer findet kein großes Turnier statt, Nagelsmann und sein Team haben nach einer Erholungspause eine gemeinsame Vorbereitung, in der an den vielen Stellschrauben gedreht werden kann. Nur braucht es dafür auch das nötige Personal. Nach aktuellem Stand ist noch viel zu tun. Besonders, wenn ein Spieler wie Robert Lewandowski den FC Bayern wirklich im Sommer verlassen will und wird…

 

(Photo by Alexander Hassenstein/Getty Images)

Manuel Behlert

Vom Spitzenfußball bis zum 17-jährigen Nachwuchstalent aus Dänemark: Manu interessiert sich für alle Facetten im Weltfußball. Seit 2017 im 90PLUS-Team. Lässt sich vor allem von sehenswertem Offensivfußball begeistern.


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