CL-Vorschau Gruppe A: Ajax, Liverpool, Neapel, Rangers

2. September 2022 | Vorschau | BY Manuel Behlert

Schon am 6. September startet die UEFA Champions League in die Gruppenphase. Aufgrund der Winter-WM muss diese bis Anfang November durchgezogen werden, der Spielplan ist also eng getaktet. In der Gruppe A kämpfen Ajax, der FC Liverpool, die SSC Neapel und die Rangers um dem Einzug in das Achtelfinale. 

Ajax: Viel Veränderung im Sommer 

Es war ein ereignisreicher Sommer, den Ajax durchlebte. Den Anfang machte der Wechsel von Erik ten Hag (54), dem Erfolgstrainer, der sich Manchester United anschloss. Dieser Abgang markierte einen Wendepunkt und stand sinnbildlich für zahlreiche Veränderungen, die noch folgen sollten. Große Namen wie Nicolas Tagliafico (29, Lyon), Lisandro Martinez (24, Manchester United), Noussair Mazraoui (24, FC Bayern), Sebastien Haller (28, Dortmund), Ryan Gravenberch (20, FC Bayern) und schließlich auch Antony (22, Manchester United) verließen den Klub. 

Nun sind die Niederländer Abgänge von Schlüsselspielern gewohnt und mehr als 200 Millionen Euro Einnahmen versüßen diese Transfers natürlich noch, aber vor einer derart schwierigen Saison mit einem extrem komplizierten Spielplan wäre es ideal gewesen, frühzeitig mit einer Basis an Automatismen arbeiten zu können. Stattdessen müssen neue Spieler wie Owen Wijndal (22), Francisco Conceicao (19), Florian Grillitsch (26) oder Steven Bergwijn (24) integriert werden und im Team muss sich eine neue Hierarchie entwickeln. Diese Prozesse müssen vorangetrieben werden, während sechs Tage nach dem Ende des Transferfensters schon das erste Spiel gegen die Rangers ansteht. 



Alfred Schreuder muss offene Fragen beantworten 

Die Umstände, unter denen der neue Trainer Alfred Schreuder (49) seine Spielidee implementieren muss, hätten also einfacher sein können. Der 49-Jährige passt gemessen an seinen generellen Vorstellungen von Fußball durchaus gut zu Ajax, aber zuweilen wird ihm nachgesagt, er sei etwas eigen, manchmal stur und beratungsresistent. Ob das zu einem solchen Klub passt, bei dem sich jedes einzelne Element den Strukturen und der Philosophie des Klubs unterzuordnen hat, langfristig erfolgreich ist, bleibt abzuwarten. 

Alfred Schreuder Champions League Liverpool

(Photo by JFK/EXPA/AFP via Getty Images)

Der Saisonstart lässt sich jedenfalls positiv bewerten. Ajax spielt weiterhin ein offensives 4-3-3, gewann zum Auftakt gleich viermal hintereinander und spielte dabei attraktiven Fußball. Zudem ist der neue Trainer zweifelsohne jemand, der gerne junge Spieler einbaut und der Talentepool könnte kaum größer sein als bei Ajax. Die Aufgabe wird es nun sein, schnellstmöglich Fortschritte in sämtlichen Teilbereichen des Spiels zu machen und Lösungen gegen individuell bessere Teams zu finden, denn diese warten in der Gruppenphase nun einmal. 

Im Fokus: Jurrien Timber

Nach dem Abgang von Lisandro Martinez, einem der dominanten Aufbauspieler schlechthin in den Niederlanden, rückt Jurrien Timber (21) noch mehr in den Fokus. Erst kürzlich verlängerte er trotz Avancen einiger Topklubs um ein weiteres Jahr bis 2025 – aus gutem Grund. Die neue Saison wird immens wichtig für ihn, er erhält mehr Verantwortung im Spielaufbau und dürfte als Initiator für einen Großteil der Angriffe dienen. Die Qualität, diese Aufgabe mit Bravour zu meistern, hat der Niederländer zweifelsohne. 

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Der FC Liverpool will wieder eine gute Rolle spielen

In der UEFA Champions League hat es der FC Liverpool in den letzten Jahren häufig geschafft, weit zu kommen. Ein Titel sprang auch dabei heraus, in der letzten Saison schafften es die Reds in das Endspiel und unterlagen Real Madrid. Folglich gab es keinen Grund, den Kader komplett auf links zu drehen. Sadio Mane (30), Neco Williams (21), Takumi Minamino (27) und Divock Origi (27) waren die prominentesten Abgänge und vor allem der Weggang des Senegalesen im Angriff, der sich dem FC Bayern anschloss, hinterließ eine Lücke. Allerdings wurde Darwin Nunez (23) für viel Geld von Benfica verpflichtet und soll langsam in die Stürmerrolle hineinwachsen. 

Ansonsten wurden zwei Talente verpflichtet: Fabio Carvalho (19) kam vom FC Fulham, Calvin Ramsay (18) vom FC Aberdeen. In den letzten Tagen des Transferfensters kamen noch einmal Gerüchte über einen potenziellen Transfer im Mittelfeld auf, aber aufgrund mangelnder adäquater Optionen zerschlug sich das schnell wieder. Sind alle Spieler fit, dann bringt der Kader auch einiges mit. Die Personalprobleme im Mittelfeld zu Saisonbeginn haben auch mit vielen angeschlagenen oder verletzten Spielern zu tun. Dahingehend wurde glücklicherweise noch einmal nachgelegt, die Leihe von Arthur Melo (26) am Deadline Day hilft ungemein. 

Wohin geht die Reise für die Reds?

Zu Beginn der Saison ergaben sich rund um den FC Liverpool aber einige offene Fragen. Ein 2:2 zum Auftakt bei Aufsteiger Fulham entsprach nicht den eigenen Vorstellungen. Gleiches gilt für die Niederlage bei Manchester United und auch für den Punktverlust gegen Crystal Palace. Beim 9:0 gegen Bournemouth hingegen platzte der Knoten schon früh und die Spielfreude kehrte auf den Platz zurück. Eines ist klar: Wenn diese Mannschaft ins Rollen kommt, dann ist sie nur sehr schwer zu stoppen. Jürgen Klopp (55) kann außerdem in besonderen Spielen eine ganz besondere Einstellung in seinen Spielern wecken, was vor allem in der K.O.-Phase ein ganz entscheidender Faktor werden kann.

Allerdings muss dafür zunächst einmal die Gruppenphase überstanden werden. In einer Gruppe, in der alle Auswärtsfahrten mit schweren Spielen verbunden sein werden, ist ein guter Start von besonderer Bedeutung. Für Liverpool spricht in jedem Fall die Erfahrung, viele Spieler im Kader haben schon zahlreiche Europapokalspiele absolviert und wissen, wie die Einteilung der Kräfte in den heißen Phasen der Saison gelingen kann. Dass diese Saison aufgrund der hohen Belastung und der vielen Aufgaben schon vor der WM mit einer extrem hohen Belastung einhergeht und auch die Reds viel rotieren müssen, was mitunter für einen Rhythmusverlust sorgen kann, steht allerdings außer Frage.

Im Fokus: Darwin Nunez

Natürlich steht der Topneuzugang des FC Liverpool im Fokus. In seinen ersten Wochen nahm der Uruguayer nahezu alles mit, was mitzunehmen ist. Er vergab zahlreiche aussichtsreiche Torchancen, hatte als Einwechselspieler einen extrem positiven Einfluss auf ein Spiel, traf auch direkt sehenswert und flog noch dazu in der Anfangsphase der Saison mit einer roten Karte vom Feld. Darwin Nunez hat ein enormes Potenzial, Jürgen Klopp will dieses fördern und den Spieler schnellstmöglich zu einem der besten Offensivspieler in Europa entwickeln. Das geht nicht über Nacht, aber da die Offensivabläufe aufgrund der anderen Spieler sehr stimmig sind und er das einzig wirkliche neue Element in der Angriffsreihe ist, sollten die Leistungen sukzessive besser werden. Vielleicht kann der 23-Jährige schon der Gruppenphase seinen Stempel aufdrücken.

SSC Neapel: Es kann spektakulär werden

Der Transfersommer 2022 hielt für die SSC Neapel einiges bereit. Wichtige Spieler verließen den Klub, machten aber auch Budget frei und brachten Einnahmen, die reinvestiert werden konnten. Zu den prominentesten Abgängen zählten Fabian Ruiz (26, PSG), Kalidou Koulibaly (31, Chelsea), Lorenzo Insigne (31, Toronto) und Dries Mertens (35, Galatasaray). Dem Team ging Individuelle Qualität, Erfahrung und auch ein Teil der Identität verloren. Nun ist es am restlichen Kader, eben jene Aspekte auszugleichen und eine neue Hierarchie entstehen zu lassen. 

Koulibaly wurde durch Min-jae Kim (25, Fenerbahce) ersetzt, Mathias Olivera (24, Getafe) kam für die linke Seite, Giacomo Raspadori (22, Sassuolo) verstärkte die Offensive genau wie Giovanni Simeone (27, Hellas). Für das Mittelfeld wurde Tanguy Ndombele (25, Spurs) nach Neapel gelotst, der über enorm viel Potenzial verfügt. Gleiches gilt für Khvicha Kvaratskhelia (21), der schon in den ersten Spielen herausragende Leistungen zeigte und den wir bereits ausführlicher vorstellten.  In den ersten Wochen der Saison wirkten die Partenopei schon sehr gefestigt, darauf lässt sich aufbauen.

Neapel verfolgt einen offensiven Ansatz

Trainer Luciano Spalletti (63) ist mit allen Wassern gewaschen. Der Italiener bringt eine immense Erfahrung mit, lässt aber dennoch keine Chance aus, moderne Elemente in das Spiel und das Trainer seiner Mannschaften einfließen zu lassen. Deswegen qualifizierte sich der Klub nicht nur für die Champions League, sondern tat dies auch mit stellenweise sehr attraktivem Fußball. Wohin die Reise gehen kann, zeigte Neapel in den Spielen gegen Hellas (5:2) und Monza (4:0). Wenn diese Mannschaft Räume bekommt und ihr Potenzial in der Offensive ausspielen kann, dann ist sie nur sehr schwer zu schlagen. 

Neapel Liverpool

(Photo by Francesco Pecoraro/Getty Images)

Klar, in der Champions League warten andere Kaliber als diese Gegner, aber noch hat Neapel ja auch nicht das Maximum des eigenen Potenzials ausgeschöpft. Die Spieler müssen sich zunächst weiter finden, die Neuzugänge in der Offensive erst einmal mit den etablierten Kräften wie Victor Osimhen (23), Hirving Lozano (27) oder Kreativspieler Piotr Zielinski (28) harmonieren. In der Spitze wie in der Breite hat der Klub aus der Serie A in jedem Fall viel Potenzial und kann für jede Mannschaft ein sehr schwer zu bespielender Gegner sein. Platz drei wäre angesichts der eigenen Ansprüche fast schon zu wenig, Neapel will in die K.O.-Runde. 

Im Fokus: Amir Rrahmani

Osimhen und Zielinski gehören zu den Stars des Teams, Ndombele und Kvaratskhelia zählen zu den vielversprechendsten Neuzugängen, aber Amir Rrahmani (28) ist einer der spannendsten Spieler, die im Kader der SSC Neapel zu finden sind. Der Innenverteidiger stand in den letzten Jahren stets ein wenig im Schatten von Koulibaly, der das Spiel in der Defensive maßgeblich durch seine Physis und seine starken Zweikämpfe prägte. Physische Elemente bringt auch der Defensivspezialist aus dem Kosovo mit, er vereint diese aber auch mit einem klugen Aufbau und lässt sich auch vom Pressing des Gegners nicht aus der Ruhe bringen. Mit 28 Jahren ist er reif für eine Führungsrolle im Defensivzentrum.

Rangers: Als Außenseiter kann überrascht werden

Die Rangers aus Glasgow begeisterten in der vorigen Saison im Europapokal, als in der UEFA Europa League der Einzug in das Endspiel gelang. Auf dem Weg dorthin wurden unter anderem Borussia Dortmund und RB Leipzig ausgeschaltet. Das weckte Begehrlichkeiten. Calvin Bassey (22) wechselte zu Ajax, Joe Aribo (25) zum FC Southampton. Sonst konnten aber viele der Schlüsselspieler gehalten werden, wodurch der Kader in der neuen Saison gewiss nicht schlechter ist als 2021/22. Denn: Es konnte auch zuleget werden. Bisher hat sich vor allem Malik Tillman (20), Leihgabe vom FC Bayern, sehr positiv hervorgetan.

Außerdem sind mit Ridvan Yilmaz (21, Besiktas), Ben Davies (26, Liverpool), Antonio Colak (28, PAOK) und Rabbi Matondo (21, Schalke 04) weitere interessante Spieler hinzugekommen, die den Kader auch in der Breite verstärken. Die eigene Jugend liefert auch immer wieder spannende Spieler, die den Sprung zu den Profis schaffen können. Trainer Giovanni van Bronckhorst (47) kann mit den Entwicklungen rund um den Kader im Sommer sehr zufrieden sein. 

Bringen die typischen Rangers-Tugenden den Erfolg?

In den bisherigen Spielen der neuen Saison ließen sich stilistisch nur wenige Veränderungen bei den Rangers erkennen. Das Team spielt also weiterhin sehr energiegeladen, kann ein Spiel in wenigen Minuten kippen lassen. Die Physis ist wie für schottische Teams üblich sehr ausgeprägt, aber eben nicht das einzige Element, mit dem die Mannschaft glänzen kann. Ganz im Gegenteil: Van Bronckhorst legt wert darauf, dass seine Mannschaft in der Lage ist, ein Spiel gut aufzubauen, im Mittelfeld auch einmal das Tempo zu variieren und mit Ballbesitzmomenten für Ruhe zu sorgen. Die Flexibilität im Spiel, hochschiebende Außenverteidiger und eine Wucht bei Standards machen die Rangers selbst für Gegner wie Liverpool oder Neapel unberechenbar.

Der Start in die neue Saison glückte mit vier Siegen und einem Remis aus fünf Spielen auch schon, in der Qualifikation für die Champions League wurde die PSV Eindhoven ausgeschaltet. Alleine das zeigt bereits, wie gefährlich die Rangers sein können. Schon in der Europa League gelang es in der Vorsaison mitunter, die fehlende individuelle Klasse durch Einsatz und Leidenschaft zu kompensieren. Platz drei scheint aufgrund dieser Qualitäten nicht völlig außer Reichweite zu sein, auch wenn dafür vieles sehr gut funktionieren muss.

Im Fokus: Glen Kamara

Die Rangers haben viele spannende Spieler im Kader und auch einige Neuzugänge, die schon einen sehr guten Eindruck hinterlassen. Einer der Schlüsselspieler spielt aber schon seit geraumer Zeit für den schottischen Klub und hört auf den Namen Glen Kamara (26). Der Finne ist Dreh- und Angelpunkt im Mittelfeld und vereint die wichtigsten Komponenten, die für das Spiel der Rangers von Bedeutung sind. Er ist dynamisch, sehr laufstark und schaltet sich immer mal wieder in die Offensive ein. Einen Kamara in Topform werden die Rangers benötigen, um in dieser Gruppe eine reelle Chance zu haben.

Glen Kamara

(Photo by Christian Kaspar-Bartke/Getty Images)

Prognose: Liverpool und Neapel mit den besten Chancen 

Ajax ist es immer zuzutrauen, im europäischen Wettbewerb zu überraschen. Ein entscheidender Punkt ist aber, dass es viele Veränderungen und einige späte Transfers gab. Die Integration der neuen Spieler dürfte also alles andere als reibungslos verlaufen. Deswegen gehen Liverpool und Neapel als Favoriten in diese Gruppe. Schöpfen beide ihr Potenzial vollumfänglich aus, werden sie auch die K.O.-Runde erreichen. Selbst bei Platz drei dürfte Ajax harte Konkurrenz bekommen, denn die Rangers fühlen sich in Europa wohl, erreichten in der Vorsaison das Endspiel in der Europa League. Der direkte Vergleich könnte hier für Platz drei entscheidend sein.

 

(Photo by OLI SCARFF/AFP via Getty Images)

Manuel Behlert

Vom Spitzenfußball bis zum 17-jährigen Nachwuchstalent aus Dänemark: Manu interessiert sich für alle Facetten im Weltfußball. Seit 2017 im 90PLUS-Team. Lässt sich vor allem von sehenswertem Offensivfußball begeistern.


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