Grealish, Rice und Co. ǀ Der Kampf um die Top-Talente auf den britischen Inseln
11. November 2020 | Weiteres | BY Lukas Heigl
Spotlight ǀ Auf den britischen Inseln gibt es seit jeher eine fußballerische Rivalität zwischen England, Wales, Schottland, Irland und Nordirland. In den letzten Jahren wurde diese auch immer öft auf dem Rücken von Talenten ausgetragen, die eine doppelte Staatsbürgerschaft besitzen. Eine Analyse der Situation:
In Deutschland haben knapp zwei Millionen Menschen eine zweite Staatsbürgerschaft neben der deutschen. Auf den britischen Inseln tritt das deutlich häufiger auf. Auch unter Profifußballern ist dieser Umstand weit verbreitet. Dies führt zu regelrechten Kämpfen um die Spieler zwischen den unterschiedlichen Verbänden. Es wird nicht einmal davor zurückgeschreckt, um Spieler zu buhlen, die bereits Länderspiele für andere Nationen absolviert haben, aber sich noch nicht durch einen Pflichtspieleinsatz „festgespielt“ haben.
England – Das Nonplusultra
Die englische Nationalmannschaft hat gleich im doppelten Sinne eine Sonderrolle in diesem Werben um die Spieler. Zum einen ist der Verband den anderen Verbänden quantitativ und qualitativ weit überlegen. Es ist also auf der einen Seite schwieriger, in die englische Nationalmannschaft zu kommen als in die der Nachbarländer. Aber wenn man gut genug ist, um für die englische Auswahl in Frage zu kommen, entscheiden sich nur die wenigsten Spieler dagegen. Zum anderen haben nahezu alle Spieler mit doppelter Staatsbürgerschaft unter anderem den englischen Pass.
Neben den anderen britischen Ländern gibt es noch weitere Nationen, die dieses Problem haben. Für Jamaika könnten Raheem Sterling (25), Kalvin Phillips (24) oder Mason Holgate (24) spielen, Nigeria könnte mit Dele Alli (24), Tammy Abraham (23) und Bukayo Saka (19) auflaufen. All diese Spieler haben sich jedoch für England entschieden.
Wales – Das Vorbild
Wales schafft es aktuell am häufigsten, Spieler bereits so früh zu überzeugen, bevor sie überhaupt im Blickfeld des englischen Verbandes sind. Beispiele hierfür sind Ben Woodburn (21, Liverpool FC) und Ethan Ampadu (20, Chelsea FC), die bereits vor ihrem 18. Geburtstag für die Auswahl nominiert wurden, oder Daniel James (22, Manchester United) und David Brooks (23, AFC Bournemouth), die man schon als Zweitligaspieler nominierte.
Ein weiterer Grund ist sicherlich der Trainer: Ryan Giggs (46) ist seit Januar 2018 für die walisische Auswahl verantwortlich. Der Rekordspieler der Premier League sorgt allein schon mit seinem Namen dafür, dass viele Spieler für Wales auflaufen möchten. So viele Spieler mit doppelter Staatsbürgerschaft wie aktuell konnte man noch nie für den eigenen Verband gewinnen. (Giggs‘ Status droht allerdings zu bröckeln, aktuell muss er sich gegen den Vorwurf der Körperverletzung stellen.)
Was den Walisern ebenfalls in die Karten spielt, ist, dass der englische Verband aktuell mit derjenige mit der größten Talentdichte ist. Noch vor sechs Jahren hätte man in England einen Spieler wie David Brooks wohl nicht ohne Gegenwehr „ziehen lassen“.
Irland – Die Leidtragenden
Zu Beginn des Jahrtausends waren die Iren ganz klar die Nummer zwei im Ranking der Nationalmannschaften auf den britischen Inseln. Doch die Zeiten sind lange vorbei. Kaum noch ein talentierter Spieler entscheidet sich, wenn er die Wahl zwischen Irland und England hat, für die Boys in green. Das musste man zuletzt gleich dreimal leidvoll erfahren: Michael Keane (27, Everton FC) gab 2017 sein Debüt für England, Declan Rice (21, West Ham United) 2019 und Jack Grealish (25, Aston Villa) im September 2020.
Gerade Rice und Grealish waren extrem bittere Pillen für den irischen Verband. Beide spielten bis einschließlich der U21-Nationalmannschaft für Irland. Rice machte 2018 sogar Länderspiele für die A-Nationalmannschaft Irlands. Da dies allerdings nur Testspiele waren, konnte er sich noch umentscheiden und wechselte 2019 den Verband. Grealish hingegen wartete lieber bis vor einigen Wochen auf eine Einladung der englischen Nationalmannschaft, als für die Iren zu spielen, die ihn bereits 2016 nominieren wollten.
Schottland – Die Spätstarter
Eine gänzlich andere Strategie als Wales fährt der schottische Verband. Sie versuchen nicht, die Spieler möglichst früh zu binden, sondern warten, bis die Spieler selbst wissen, dass es mit der englischen Nationalmannschaft wohl nichts mehr wird. So debütierten Tom Cairney (29, Fulham FC) mit 26 Jahren, Matt Ritchie (31, Newcastle United) mit 25 Jahren oder Liam Cooper (29, Leeds United) mit 29 Jahren. Es gibt aber auch Ausnahmen, Scott McTominay (23, Manchester United) und Oliver McBurnie (23, Sheffield United) debütierten beide bereits mit 21 Jahren.
Nordirland – Das untere Ende der Nahrungskette
Das kleinste Land der britischen Inseln ist auch im Fußball qualitativ etwas hinten dran. Die großen Zeiten, in denen man sich regelmäßig für Weltmeisterschaften qualifizieren konnte (1958, 1982 und 1986), sind lange vorbei. 2016 konnte man sich immerhin erstmalig für eine Europameisterschaft qualifizieren und erreichte sogar das Achtelfinale. Doch anhand dieser spärlichen Lichtblicke erkennt man bereits, dass man auch im Werben um die Spieler nicht unbedingt weit vorne dabei ist. So kann sich Nordirland nahezu ausschließlich Spieler sichern, die bei den anderen Nationen durch das Raster fallen. Entsprechend hoch ist auch das Durchschnittsalter der Mannschaft, es ist nicht ungewöhnlich, dass Spieler mit 35 und mehr Jahren noch in der Nationalmannschaft unterwegs sind.
Die Ausnahme stellt aktuell Jamal Lewis (22) dar. Der Linksverteidiger, der in seine zweite Premier-League-Saison geht und Newcastle United immerhin 16,5 Millionen Euro wert war, entschied sich 2018 für die nordirische Nationalmannschaft, wo er auch sämtliche U-Nationalmannschaften durchlaufen hatte.
Spieler, die sich in den nächsten Jahren entscheiden müssen:
- Jarrod Bowen (23, West Ham United): England oder Wales;
- Matt Targett (25, Aston Villa): England oder Schottland;
- Patrick Bamford (27, Leeds United): England oder Irland;
- Marc Guehi (20, Swansea City): England oder Irland;
- Jonathan Panzo (20, Dijon FCO): England oder Irland;
- Ben Wilmot (20, Watford FC): England oder Irland;
- Will Smallbone (20, Southampton FC): England oder Irland;
- Fraser Hornby (21, Stade Reims): England oder Schottland;
- Tom McIntyre (21, Reading FC): England oder Schottland
(Photo by Michael Regan/Getty Images)
Lukas Heigl
Liebhaber des britischen Fußballs: Von Brighton über Reading und Wimbledon bis nach Inverness. Ist mehr für Spiele der dritten englischen Liga als für den Classico zu begeistern. Durch das Kommentatoren-Duo Galler/Menuge auch am französischen Fußball interessiert