EURO 2020 | Deutschland-Drama, Dänen-Märchen, Spanien souverän – alles zum 3. Spieltag
25. Juni 2021 | Global News | BY Victor Catalina
Spotlight | Die Gruppenphase der EURO 2020 ist in den Geschichtsbüchern. Spieltag 3 hatte dabei – je länger er dauerte – desto mehr Drama zu bieten. Nicht nur mit Beteiligung von Deutschland.
Gruppen A-C: Wales macht’s erneut, Dänemarks Märchen bekommt sein Happy End
Die italienischen Fans konnten sich schon vor dem Spieltag bei einem guten Tropfen Chianti zurücklehnen und ansehen, was ihre auf acht Positionen rotierte Mannschaft gegen Wales macht. Das Achtelfinale hatten sie bereits mit dem 3:0 gegen die Schweiz gebucht. Die 90 Minuten verliefen wenig spektakulär. Kurz vor der Pause erzielte Matteo Pessina (24) das entscheidende Tor des Abends. Eine Niederlage, die die Waliser gerne in Kauf nehmen werden. Denn sie besiegelte die abermalige Teilnahme an der K.O.-Runde. 2016 kam Wales bis ins Halbfinale. Dort unterlagen sie dem späteren Titelgewinner Portugal 0:2. Italien stellte derweil einen neuen Rekord auf: Noch nie zuvor beendete eine Mannschaft die Gruppenphase der EM mit voller Punktzahl und ohne Gegentreffer.
Ebenfalls aufatmen darf die Schweiz. Mit dem 3:1 gegen die Türkei erhöhten sie auf vier Punkte und finden sich unter den besten Gruppendritten wieder. Allerdings bekommen sie es im Achtelfinale gleich mit einem Schwergewicht zu tun: Frankreich. Lediglich die vor dem Turnier als Geheimfavorit gehandelte Türkei konnte ihrem Gruppensieg in der Qualifikation keine weiteren Großtaten folgen lassen. Drei Spiele, drei Niederlagen, 1:8 Tore. Immerhin verhinderte İrfan Can Kahveci (25) mit seinem Treffer ein historisch schlechtes Ergebnis. 2000 schied Dänemark mit drei Niederlagen und 0:8 Toren aus.
Dänemarks Happy End bringt Cherchesov zur Weißglut, Finnland nicht eiskalt genug
Auch 21 Jahre später sah es so aus, als wäre für die Dänen nach der Vorrunde Schluss. Die ersten beiden Spiele hatten sie gegen Finnland, beziehungsweise Belgien 0:1 und 1:2 verloren. Aber nach dem Schock um Christian Eriksen (29) gab ihnen der Fußballgott doch noch einen aus. Mikkel Damsgaard (20) eröffnete per traumhaften Distanzschuss, bevor Yussuf Poulsen (27) ein Geschenk von Russlands Abwehr zum 0:2 nutzte. Genau dieses Ergebnis benötigte Dänemark im Vorfeld der Partie. Aber das Zustandekommen ließ Russlands Trainer Stanislav Cherchesov (57) die Fassung verlieren. An der Seitenlinie fing er an, wild zu gestikulieren und zu fluchen. Zwar gelang Artem Dzyuba (32) der zwischenzeitliche Anschlusstreffer. Doch keine zehn Minuten später erwachte die dänische Mannschaft endgültig zum Leben: Ein Gewaltschuss des Ex-Gladbachers Andreas Christensen (25) sowie Joakim Mæhle (24) nach Konter besiegelten das Weiterkommen. Zum ersten Mal gelang dies einer Mannschaft, trotz zweier Niederlagen.
Dabei hatten sie allerdings tatkräftige Unterstützung von den zuvor bereits qualifizierten Belgiern. Mit dem 2:0 gegen Finnland spielte auch die Mannschaft von Roberto Martínez die perfekte Gruppenphase. Als Belohnung gibt es im Achtelfinale ein Duell gegen den Titelverteidiger. Und die Finnen? Die sorgten mit dem Auftaktsieg gegen Dänemark für Aufsehen. Doch ein Lukáš Hrádecký (31) in Topform war nicht genug für die Runde der letzten 16. Lediglich ein eigener Treffer sowie die Tordifferenz von 1:3 gibt Huuhkajat, den Uhus, in der Endabrechnung der Gruppendritten das Nachsehen.
Baumgartners Treffer bricht den Bann, Ukraine knappstmöglich weiter
Beim Spiel zwischen der Niederlande und Nordmazedonien waren die Rollen schon im Vorfeld geklärt. Die Elftal qualifizierte sich bereits mit dem 2:0 gegen Österreich für das Achtelfinale, Nordmazedonien hätte zwar noch nach Punkten mit der Ukraine oder Österreich gleichziehen können, aber der direkte Vergleich und eine Tordifferenz von 2:5 wussten das zu verhindern. Das 3:0 war standesgemäß. Memphis Depay (27) eröffnete, Georginio Wijnaldum (30) legte nach und zog in der ewigen niederländischen Torjägerliste an Marco van Basten (56) sowie Dirk Kuyt (40) vorbei, ist nun mit 25 Toren auf Augenhöhe mit dem Ex-Hamburger Rafael van der Vaart (38). Bis zur Spitze, die Robin van Persie (37) innehat, braucht Wijnaldum aber nochmal 25 Tore.
An der Spitze des nordmazedonischen Fußballs steht unangefochten Goran Pandev (37), der in Amsterdam sein 122. und letztes Länderspiel absolvierte. Er hat sein Land als Kapitän zu einem großen Turnier geführt, hatte beim Ausgleich gegen Österreich seinen goldenen Moment und mit dem 2:1 in Duisburg gegen Deutschland zu einer Performance für die nordmazedonischen Geschichtsbücher beigetragen. Viel mehr geht nicht. In seiner Heimat hat Pandev den Status als Halbgott ohnehin sicher.
Für die Ukraine könnte noch ein wenig mehr gehen. Zwar unterlagen sie Österreich aufgrund eines Treffers des Hoffenheimers Christoph Baumgartner (21) 0:1, was Rot-Weiß-Rot die erste Teilnahme an einer K.O.-Runde seit der WM 1954 bescherte, doch steht die Mannschaft von Andriy Shevchenko (44) trotzdem im Achtelfinale – und das denkbar knapp. Von den 16 Teams ist die Ukraine die einzige Mannschaft, die trotz lediglich drei Punkten und einem negativen Torverhältnis (4:5) noch den Sprung geschafft hat. Sie sind die schwächste Mannschaft der besten Gruppendritten. Einatmen, ausatmen. Nächster Halt: Hampden Park, es geht gegen Schweden. Österreich hat derweil einen doch relativ machbaren Gegner erwischt: Italien.
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Gruppen D-F: England minimalistisch, Polens später Knockout – und sehr viel Drama zum Abschluss
Die meisten Punkte pro Tor sammelte England bei dieser Europameisterschaft. Zwei Treffer von Raheem Sterling (26) reichten zur Qualifikation für das Achtelfinale. Macht bei sieben Zählern insgesamt 3,5 Punkte pro Tor. Gegen Tschechien erwischten die Three Lions einen Einstand nach Maß. Nicht einmal 120 Sekunden dauerte es, da landete die Kugel erstmals am Gestänge. Gut zehn Minuten später war der Bann gebrochen. Mit einer souveränen Defensivleistung brachte England das Ergebnis über die Zeit. Gareth Southgate (50) musste von Fans und Medien in der jüngeren Vergangenheit für seine konservative Herangehensweise sowie die Nichtberücksichtigung der spielstarken Jack Grealish (25) und Jadon Sancho (21) viel Kritik einstecken. Doch der Erfolg gibt ihm bislang recht.
Die Frage ist nur, was passiert, sollten auch die Ergebnisse ausbleiben. Als nächstes geht es für England gegen Deutschland. Es ist das erste Aufeinandertreffen dieser beiden in einem großen Turnier seit dem 4:1 – beziehungsweise 1:4 – in Bloemfontein bei der WM 2010, als Schiedsrichter Jorge Larrionda (53) beim Stand von 2:1 für Deutschland einen Schuss von Frank Lampard (43) nicht so weit hinter der Torlinie verortete, wie er eigentlich war. Das zweite Achtelfinal-Aus in Folge nach 2016 wäre für diesen hochveranlagten Kader eine herbe Enttäuschung und würde die Diskussionen um Southgate und seinen Spielstil nur noch weiter anfachen. Es gilt, sich im Duell mit Deutschland kreativ und flexibel zu zeigen.
Tschechien seinerseits kann die Niederlage verkraften, da sie schon vor dem Spiel für das Achtelfinale qualifiziert waren. Trotzdem sind sie einer der größten Verlierer des Spieltags. Von der Pole Position gestartet, fällt Tschechien durch das 0:1 auf Platz 3 zurück – und hat am Sonntag ein Duell mit der Niederlande in Budapest. Dafür verantwortlich ist auch Kroatien, das parallel im Hampden Park gegen Schottland spielte. Nach Treffern von Nikola Vlašić (23) und Callum McGregor (28) war es Kapitän Luka Modrić (35), der seine Mannschaft mit einem eleganten Außenristtreffer auf Kurs brachte. Wenig später machte Ivan Perišić (32) per Kopf den Deckel drauf. Der ausgeglichene direkte Vergleich (1:1) sowie der eine, mehr erzielte Treffer, machen den Vizeweltmeister zum Vizegruppensieger.
Claesson besiegelt Schwedens Gruppensieg spät, Spanien rehabilitiert sich spektakulär
Auch ohne den verletzten Zlatan Ibrahimović (39) wusste Schweden bei dieser Europameisterschaft zu überzeugen – zumeist durch eine solide Defensive. Vor dem dritten Spieltag waren sie noch ohne Gegentor – was sich gegen Polen ändern sollte. Ein Doppelpack des Leipzigers Emil Forsberg (29) brachte Tre Kronor auf Kurs, bevor auch Robert Lewandowski (32) seinerseits doppelt traf. Ein weiteres Tor seiner Mannschaft hätte das Weiterkommen bedeutet. Doch es fiel auf der anderen Seite. Viktor Claesson (29) katapultierte Schweden in der 94. Minute wieder auf Platz 1 – und damit zu einem Duell mit der Ukraine in Glasgow. Polen bleibt derweil lediglich die Teilnahmeurkunde – und die Erkenntnis, dass es für ein Weiterkommen mehr Spieler von der Qualität eines Robert Lewandowski braucht. Vor allem in der Defensive.
Im Parallelspiel traf Spanien auf die Slowakei. Bislang konnte Luis Enriques (51) Mannschaft nur bedingt überzeugen. 0:0 gegen Schweden, 1:1 gegen Polen. Dabei zeigten sie sich im Offensivspiel bisweilen so kreativ, wie das Inhaltsverzeichnis eines Telefonbuchs. Eine halbe Stunde war eine Verbesserung zu erkennen, wenngleich Spanien weiterhin unglücklich agierte, wie Álvaro Morata (28) bei seinem vergebenen Foulelfmeter. Doch mit etwas Starthilfe des slowakischen Torhüters Martin Dúbravka (32) platzte der Knoten. Aymeric Laporte (27), Pablo Sarabia (29), Ferrán Torres (21) und ein weiteres Eigentor von Juraj Kucka (34) sorgten für ein standesgemäßes 5:0. Nach Portugal war die Slowakei schon die zweite Mannschaft, der bei dieser Europameisterschaft zwei Eigentore in einem Spiel unterliefen. Damit sind es schon deren acht allein in diesem Turnier, verglichen mit den neun bei allen vorherigen Europameisterschaften zusammen. Ein Lapsus als neuester Chic im europäischen Fußball.
Von Szalai bis Goretzka: Ein Drama in acht Akten – mit Happy End für Deutschland
Die Gruppe F hatte schon im Vorfeld dieser Europameisterschaft viel versprochen – und noch mehr gehalten. Wie beim 4:2-Sieg von Deutschland über Portugal oder Ungarns überraschendem Punktgewinn gegen Weltmeister Frankreich. Nun stand der letzte Spieltag an. Er sollte einer ohnehin spektakulären Gruppenphase nochmal die Krone aufsetzen. Nicht zuletzt, weil auch Ungarn gegen Deutschland seine Außenseiterrolle zur Perfektion erfüllte. Portugal und Frankreich spielten parallel dazu eine äußerst unterhaltsame Neuauflage des vergangenen EM-Finals aus. Am Ende hatte zwar jede Mannschaft wieder dieselbe Platzierung wie vor dem Spieltag inne, doch während der 90 Minuten spielte sich ein beispielloses Drama ab.
Deutschland und Ungarn waren zwischenzeitlich sowohl Zweiter, als auch Letzter. Portugal hatte sogar die gesamte Odyssee hinter sich. Nach Cristiano Ronaldos (36) Führungstreffer sprang der Titelverteidiger auf Platz 1. Als Karim Benzema (33) den Doppelpack schnürte, waren sie urplötzlich nur noch Vierter. Einzig Frankreich fiel in der 31. Minute kurz vor Schreck der Cognacschwenker aus der Hand. Bei einem deutschen sowie einem portugiesischen Sieg wäre der Weltmeister sogar nur noch Dritter gewesen. So gesehen verlief der Abend für die Equipe Tricolore relativ komfortabel.
Am Ende ist es ein verdienter Ausgang. Drei der vier Mannschaften konnten je einmal gewinnen. Frankreich gegen Deutschland, Deutschland gegen Portugal und Portugal gegen Ungarn. Fernab aller politischen Konflikte gebührt Marco Rossi (56) in dieser Gruppe ein Sonderlob. Trotz eines klaren Defizits an individueller Qualität und dem Ausfall seines besten Spielers Dominik Szoboszlai (20) stellte Rossi seine Mannschaft in allen drei Gruppenspielen taktisch sowie mental hervorragend ein. Aus dem 0:3 gegen Portugal zogen Team und Trainer die richtigen Schlüsse, sodass sie sich auch durch die Ausgleichstreffer Frankreichs und Deutschlands nicht aus dem Konzept bringen ließen. Performances wie diese hätten wohl in jeder anderen Gruppe für das Achtelfinale gereicht. Am Ende waren die letzten beiden Weltmeister sowie der Titelverteidiger lediglich individuell eine Nummer zu stark. Und das spricht angesichts eines Kaderwerts von 75 Millionen Euro ganz klar für die Arbeit von Marco Rossi.
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Fazit
Die Gruppenphase der EURO 2020 ist Geschichte. Im Vergleich zu 2016 war sie wesentlich spektakulärer. Besonders die Spieler der Serie A und Bundesliga konnten überzeugen, erzielten bis hierhin die meisten Treffer. Ganz oben – also, gleich nach dem Eigentor – steht Cristiano Ronaldo, der mit seinem 109. Länderspieltor den Rekord von Ali Daei (52) eingestellt hat und bereits fünf Treffer vorweisen kann. Mit deren sechs ist Antoine Griezmann (30) 2016 Torschützenkönig geworden. Einige große Namen wie England, Spanien oder auch Deutschland waren zwischenzeitlich am Straucheln, gefallen ist aber keiner von ihnen. Zusammen mit Mannschaften wie Italien und der Niederlande und Belgien, die vollends zu überzeugen wussten, dürfen wir uns auf ein spannendes und hoffentlich nicht minder ereignisreiches restliches Turnier freuen.
Bildquelle: imago
Victor Catalina
Victor Catalina
Mit Hitzfelds Bayern aufgewachsen, in Dortmund studiert und Sheffield das eigene Handwerk perfektioniert. Für 90PLUS immer bestens über die Vergangenheit und Gegenwart des europäischen Fußballs sowie seine Statistiken informiert.