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A La Liga | Spannung, Skandale – und ein Cup der Guten Hoffnung?

18. Januar 2023 | Spotlight | BY Michael Bojkov

Spotlight | La Liga ist zurück! Was hielt der spanische Fußball in den ersten Wochen nach der Winterpause bereit? Wir blicken auf die wichtigsten Themen.

In „A La Liga“ thematisiert 90PLUS-Redakteur Michael Bojkov die Brennpunkte des spanischen Fußballs. Das Format erscheint im zweiwöchigen Rhythmus.

Die Liga der Skandale

Wenn sich ein Wettbewerb mit acht Roten Karten in den ersten acht Spielen aus der Winterpause zurückmelden kann, dann ja wohl La Liga. Was nach einem skurrilen Gedankenexperiment klingt, ist Realität. Tatsächlich ging es zum Start der Rückrunde nicht gerade fair auf den Plätzen zu, was für einen rot gefärbten Jahresabschluss sorgte. Ohnehin war der Restart in La Liga weniger von sportlichen Diskussionen denn von Aufregern und Skandalen abseits des Rasens geprägt.

So wurde am 30. Dezember, dem Tag vor dem Barcelona-Derby bekannt, dass Robert Lewandowskis (34) Rotsperre durch ein Gericht vorerst aufgehoben wurde. Völlig zurecht legte Espanyol Protest ein und die Tatsache, dass der spanische Fußballverband (RFEF) ob dieser Entscheidung offenbar machtlos war, lässt viele Fragen hinsichtlich des Machtgefüges in Spanien offen. Ohnehin kommt die RFEF dieser Tage zu Genüge in Erklärungsnöte.

So musste der Verband einmal mehr die Daseinsberechtigung von Schiedsrichter Mateu Lahoz (45) rechtfertigen, nachdem dieser im Barcelona-Derby gen Spielende begann, völlig willkürlich Karten zu verteilen und die Partie in bekannter Manier zu seiner eigenen Show machte. Als Schiedsrichter natürlich ein No-Go, aber bei weitem nicht Lahoz‘ erste Entgleisung in einem großen Spiel – und trotzdem wird er weiter munter zu den wichtigsten Fußballereignissen des Landes geschickt.

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Zur ganzen Wahrheit gehört jedoch auch, dass Spanien ein grundsätzliches Schiedsrichter-Problem zu haben scheint. Kaum ein Spiel wird abgepfiffen, ohne dass über den Unparteiischen gesprochen wird. Seit dem Restart scheint sich dieses Phänomen fast nochmal verstärkt zu haben – von Showeinlagen der Unparteiischen im Stile von Lahoz über absurde Platzverweise und Elfmeter (jüngstes Beispiel: Yeray Alvarez’ (27) Platzverweis und Elfmeter für Real Sociedad im Basken-Derby) bis hin zu skurrilen Handentscheidungen ist alles dabei – wobei letztes fairerweise ein globales Problem des Fußballsports ist.

Dabei haben wir über den traurigsten Skandal noch gar nicht gesprochen: Rassismus. Dieser scheint in Spanien von Fans, Verbänden und der Justiz weitestgehend toleriert zu werden. Vor wenigen Wochen erst erachtete ein Gericht in Spanien die rassistischen Beleidigungen im Madrider Stadtderby seitens Atleti-Fans gegen Vinicius Junior (22) als nicht strafbar, mit der Argumentation, die Rufe seien nur „wenige Sekunden“ hörbar gewesen und Teil der sportlichen Rivalität.

Bei Reals Gastspiel in Valladolid wurde Vinicius erneut rassistisch beleidigt. Den Verbänden schien es wieder egal zu sein. Auch ein Statement von Liga-Boss Javier Tebas (60) ließ auf sich warten. Seine einzigen Worte galten dem betroffenen Spieler selbst, nachdem dieser auf Twitter geschrieben hatte, La Liga tue „weiterhin nichts“ gegen Rassismus. Tebas‘ prompte Reaktion Richtung Vinicius: „Es ist sehr bedauerlich, unfair und nicht wahr, öffentlich zu behaupten, die Liga tue nichts gegen Rassismus. Informiere dich mal besser.“ Was uns das wieder einmal zeigt? Der Mund wird in Spaniens Fußball erst aufgemacht, sobald das eigene Amt Schmutzflecken bekommt. 

La Liga: Spannung in allen Tabellenregionen

Die schöne Nachricht: Während die Verbände auf allen Ebenen versagen, sorgen wenigstens die Mannschaften für einen sportlich attraktiven Wettbewerb. Tatsächlich herrscht in sämtlichen Tabellenregionen Spannung bis zum Gehtnichtmehr. An der Spitze marschieren Real Madrid und der FC Barcelona im Gleichschritt, erstmals seit Jahren scheint sich wieder ein spannender Titelkampf zwischen den beiden Branchenriesen anzubahnen. Hinter Real Sociedad, die eine grandiose Saison spielen, gibt es einen Sechskampf um Platz vier, wenn man so will.

Tatsächlich trennen den aktuellen Tabellenvierten und Platz neun gerade einmal zwei Punkte. Dabei verspricht die Konstellation äußerst viel Spannung: Atletico steckt in einer lang anhaltenden Schaffenskrise und könnte das erste Mal seit 2012 de Einzug in die Königsklasse verpassen, während Mannschaften wie Real Betis und der Athletic Club seit Jahren von der Champions League träumen. Dazu gibt es mit Osasuna und Rayo Vallecano zwei Überraschungsmannschaften, die den etablierten Topteams die europäischen Plätze streitig machen wollen.

La Liga

(Photo by Juan Manuel Serrano Arce/Getty Images)

Zur aktuellen Tabelle von La Liga

Graue Mittelfeldmäuse? In La Liga Fehlanzeige. Wenn man zwei Mannschaften als solche bezeichnen könnte, dann mit viel Wohlwollen RCD Mallorca und Aufsteiger Girona. Die beiden stehen fünf und sechs Punkte zwischen Europapokal und Abstieg und sind damit noch am weitesten vom Geschehen entfernt. Ab Rang zwölf heißt es dann Abstiegskampf pur. Dort trennen Valencia lediglich drei Pünktchen vom Tabellenachzehnten aus Cádiz.

Ausgang? Offen. Zu ausgeglichen ist das Teilnehmerfeld, zu unberechenbar die Formkurven der Mannschaften. Spannend zu beobachten wird sein, ob sich der FC Sevilla aus dem Abstiegskampf befreien kann. Nach dem ersten Liga-Heimsieg der Saison (2:1 gegen Getafe) mussten sich die Andalusier jüngst Girona geschlagen geben (1:2), wurden damit wieder auf Platz 19 zurückgeworfen.

Die einzige Mannschaft, für die es wohl um kaum noch etwas geht, ist der FC Elche. Der Aufsteiger von 2020 steht völlig abgeschlagen auf dem letzten Tabellenplatz. Bereits fünf verschiedene Trainer standen beim Klub aus der Region Valencia in der laufenden Spielzeit an der Seitenlinie, der Abstand zum rettenden Ufer beträgt mittlerweile ganze zwölf Punkte. Abgesehen von ihnen kämpft de facto die halbe Liga um Europa, die andere Hälfte gegen den Abstieg. Das sorgt dafür, dass jedes Spiel spannend ist – ein Wettbewerbs-Bonus, von dem andere Ligen nur träumen und mit dem die Spanier definitiv für sich werben können. 

Supercopa: Das Sportfest in Saudi-Arabien

Letzte Woche stand das jährliche Final Four des spanischen Supercups auf dem Programm und wieder einmal waren jede Menge Highlight geboten. Es mag etwas paradox klingen, da die Umstände mit dem Austragungsort in Saudi-Arabien alles andere als fanfreundlich und zudem politisch problematisch sind. Zur Wahrheit gehört aber, dass die Supercopa de España ein regelmäßiger sportlicher Erfolg für den spanischen Fußball ist. Die Spiele in den letzten Jahren waren oft hochklassig und bis in die Schlusssekunden spannend, was auch daran liegt, dass dieser Wettbewerb von den Teilnehmern ernst genommen wird.



Während man beim Supercup in Deutschland oder dem Community Shield in England manchmal den Eindruck gewinnt, dass beide Mannschaften ein etwas wichtigeres Testspiel bestreiten, entfacht die Supercopa einen richtigen Wettbewerbsflair. Welchen Anteil der Final-Four-Modus daran hat, kann diskutiert werden. In jedem Fall gingen es die Teilnehmer auch in diesem Jahr mit aller sportlichen Seriosität an, ließen ihre Stammelf spielen anstatt den Ausflug nach Saudi-Arabien zum Durchschnaufen zu nutzen – obwohl ihnen das in einer derart eng getakteten Saison außer den Verbänden wohl niemand übel nehmen würde.

Die Halbfinale waren nicht über die volle Strecke von hochklassigem Fußball und historischen Momenten geprägt, doch bescherte die Dramaturgie sowohl bei Real Madrid gegen Valencia als auch bei Real Betis gegen Barça 120 spannende Minuten und Elfmeterschießen. Im Finale standen sich dann erstmals seit 2017  – irgendwie passend zur aktuellen Saison in La Liga – Real und Barça gegenüber. Dieses Spiel war dann auch von hoher spielerischer Klasse geprägt – zumindest von einer Seite: Barça war die Mannschaft, die mit offensivem Tempofußball und starken Individualleistungen überzeugte.

Das Spiel erinnerte phasenweise ans Liga-Clasico in der vergangenen Saison, als die Katalanen die Königlichen 4:0 im Bernabéu bezwangen. In nahezu allen Belangen war Real die schwächere Mannschaft und musste die Supercopa nach dem Triumph im letzten Jahr an den Erzrivalen weiterreichen. Für Barça war es der erste Titel unter Xavi (42) als Trainer – und vielleicht ein nächster Fingerzeig, in welche Richtung es für die neue Generation in Blaugrana gehen könnte. 

(Photo by PAU BARRENA/AFP via Getty Images)

Text von Michael Bojkov

Michael Bojkov

Lahm & Schweinsteiger haben ihn einst zum Fußball überredet – mit schwerwiegenden Folgen: Von Newcastle über Frankfurt bis Cádiz saugt Micha mittlerweile alles auf, was der europäische Vereinsfußball hergibt. Seit 2021 bei 90PLUS und vorwiegend in Spanien unterwegs.


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