Keine Torlinientechnik im Clásico: Das ist dilettantisch!

22. April 2024 | News | BY Till Gabriel

Mit dem 3:2 im Clásico gegen den FC Barcelona hat Real Madrid die Tür zur Meisterschaft ganz weit aufgestoßen. Für Diskussionen sorgte eine Szene aus der ersten Halbzeit, die auch Jude Bellingham ratlos zurückließ. Ein Kommentar.

Clásico: Kein Tor aus Mangel an Beweisen

Es lief die 28. Minute im 256. Clásico zwischen Real Madrid und dem FC Barcelona. Barca-Talent Lamine Yamal spitzelte den Ball nach einer Ecke in Richtung Tor, Andrij Lunin klärte auf der Linie – oder doch erst dahinter? Zum Glück gibt es im Spitzenfußball seit vielen Jahren die Torlinientechnik, die solche Fälle zuverlässig auflöst und dem Schiedsrichter per Signal auf seine Uhr mitteilt, wenn der Ball im Tor ist. Das weiß auch Jude Bellingham, der direkt mit dem Finger auf sein Handgelenk deutete. So weit, so unspektakulär, doch: In Spanien gibt es immer noch keine Torlinientechnik. Das ist dilettantisch.



In der Bundesliga unterstützt das Hawk-Eye-System seit 2015 und hat sich, im Gegensatz zum VAR, ohne große Diskussionen etabliert. Auch die Premier League und die Serie A setzen auf das Hilfsmittel. LaLiga-Boss Javier Tebas meldete sich noch gestern Abend via X/Twitter zu Wort und postete eine Sammlung an Fehlern der Torlinientechnik mit der Bemerkung „Kein Kommentar“. Bereits zu Saisonbeginn hatte Tebas die Einführung ausgeschlossen, da es pro Saison nur wenige Fälle gäbe, in denen die Technik zum Einsatz kommt. Der VAR sei die bessere Lösung in diesen Situationen.

Die Szene aus dem Clásico beweist das Gegenteil. Den Fernsehbildern nach zu urteilen, gab es nur eine Kameraperspektive, die Abhilfe hätte schaffen können. Doch Real-Keeper Lunin verdeckte den Ball. Die Entscheidung von Schiedsrichter César Soto Grado war korrekt, vor dem Hintergrund, dass das Bildmaterial nicht beweisen konnte, dass der Ball die Linie komplett überquert hatte. Eine Entscheidung aus Mangel an Beweisen also, die womöglich großen Einfluss auf den Saisonausgang hat.

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Eine erneute Barca-Führung zu einem so frühen Zeitpunkt hätte den gesamten Spielverlauf verändern können, nach dem 3:2 ist Madrid die Meisterschaft quasi nicht mehr zu nehmen. Einem Spiel zwischen zwei der größten Vereine der Welt, dem (!) Duell des spanischen Fußballs, ist der Verzicht auf ein erprobtes technisches Hilfsmittel nicht würdig. Im Fußball werden im Vergleich zu anderen Sportarten wenig Punkte erzielt, meist zwei oder drei in 90 Minuten. Wenn ein Tor fallen könnte, muss sichergegangen werden, dass die Szene korrekt eingeordnet wird.

Natürlich ist es mit den technischen Unterstützungen im Fußball so eine Sache. Der Videobeweis polarisiert auch nach sieben Jahren die Fans. Doch während sich beim VAR neben emotionalen durchaus auch objektive Gegenargumente finden lassen, fällt einem das beim Hawk-Eye deutlich schwerer. Tor oder Nicht-Tor sind wie Abseits, eine Schwarz-Weiß-Entscheidung. Grautöne gibt es nicht, eine Entscheidung ist immer klar richtig, die andere klar falsch. Wer den Fußball gerechter machen will, sollte alles daran setzen, solche Situationen zu 100 % richtig zu entscheiden.

Am Ende jubelte Real dank Lucas Vázquez und Jude Bellingham. (Photo by Florencia Tan Jun/Getty Images)

Foulspiele dagegen sind oft Auslegungssache, von Handspiel ganz zu schweigen. Hier ist ein VAR letztlich auch nur ein Mensch, der ebenso anfällig für Fehleinschätzungen ist wie der Schiedsrichter auf dem Platz. Mit dem Unterschied, dass er mehr Möglichkeiten zur Beurteilung einer Situation hat. Wenn LaLiga-Präsident Tebas auf die Fehleranfälligkeit der Torlinientechnik hinweist, gleichzeitig jedoch den Videoschiedsrichter als heiligen Gral des modernen Schiedsrichterwesens feiert, widerspricht er sich selbst.

Ja, auch „Goal Reviews“ hatten bereits ihre Aussetzer, den berühmtesten gab es wohl 2020 zwischen Aston Villa und Sheffield, als Villa-Keeper Orjan Nyland den Ball klar hinter der Linie parierte, die Uhr des Schiedsrichters jedoch keine Regung zeigte. Jedoch treten solche Vorfälle vereinzelt auf, während der VAR Woche für Woche für Diskussionsstoff sorgt, wie am Sonntag Nottingham Forest schmerzhaft erfahren musste.

Dass man nach dem unterhaltsamen Clásico mehr über ein „Vielleicht-Tor“ als über Bellinghams Lucky Punch redet, spricht Bände. Wenn die zwei größten Teams Spaniens aufeinandertreffen, muss für maximale Fairness gesorgt werden. Die technischen Voraussetzungen sind gegeben, auch finanziell sollte das Hawk-Eye-System kein Problem darstellen für eine Liga, die 2023 897 Millionen Euro umsetzte. Dass sich Tebas die Torlinientechnik weiterhin ablehnt, ist eine Farce.

(Photo by THOMAS COEX/AFP via Getty Images)


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