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Krise bei Olympique Lyon: Schwergewicht im freien Fall

29. Oktober 2023 | Spotlight | BY 90PLUS Redaktion

Der „Choc des Olympiques“ zwischen Marseille und Lyon am Sonntagabend (20.45 Uhr) beendet den zehnten Spieltag der französischen Ligue 1. Die klangvolle Partie, die über Jahrzehnte hinweg als Topspiel galt, hat inzwischen an Glanz verloren. Das liegt vor allem an Olympique Lyon.

Der einstige Serienmeister steckt sowohl sportlich als auch wirtschaftlich tief in der Krise und reist als siegloser Tabellenletzter nach Südfrankreich. Doch was sind die Gründe für den Absturz des siebenfachen französischen Meisters?



Olympique Lyon: Abstiegskampf statt Europa

Besonders in der ersten Dekade des Jahrtausends stand Olympique Lyon für Erfolg. Sieben aufeinanderfolgende Meisterschaften zwischen 2002 und 2008 sind bis heute Rekord im französischen Oberhaus. Auch auf europäischem Parkett machte sich der Klub einen Namen, so erreichten die Lyonnais 2010 sowie 2020 das Halbfinale der Champions League. Diese Erfolge gehören allerdings der Vergangenheit an, der Trend geht sukzessive abwärts.

Nach der Saison 2020/21, in der Lyon noch den vierten Platz belegt und die Königsklasse somit nur knapp verpasst hatte, fand der Klub nicht mehr in die Spur. Unter Ex-BVB-Trainer Peter Bosz beendeten die Gones die darauffolgende Spielzeit auf einem enttäuschenden achten Platz – das schlechteste Abschneiden seit der Saison 1995/96. Auch mit Boszs namhaften Nachfolger Laurent Blanc lief es 2022/23 nicht viel besser: als Tabellensiebter scheiterte der Traditionsverein erneut an der Qualifikation für das europäische Geschäft.

Für Welt- und Europameister Blanc endete das Kapitel Lyon nach nur vier Spieltagen der laufenden Saison, in denen sich sein Team lediglich einen Punkt geholt hatte. Sein Nachfolger, der italienische Weltmeister und Ex-Lyon-Profi Fabio Grosso, konnte bislang ebenfalls keine Wende einleiten. Im Gegenteil: Bei OL setzt sich die Negativserie auch unter dem neuen Coach gnadenlos fort. Erst am vorletzten Spieltag gab man eine 3:1-Führung gegen den direkten Konkurrenten Lorient aus der Hand und musste sich mit einem 3:3-Remis begnügen. Am vergangenen Wochenende folgte dann der bisherige Tiefpunkt. Der einst gefürchtete Klub verlor das Kellerduell gegen das bis dahin ebenso sieglose Clermont Foot mit 1:2. Der Rückstand auf das rettende Ufer beträgt nach neun absolvierten Spieltagen bereits sechs Punkte.

Eine Kehrtwende muss her, in Sachen Leistung wie auch fußballerisch. Beide Trainer, sowohl Grosso als auch Blanc, schafften es nicht, eine fußballerische Identität zu entwickeln. Lyon spielt oft bieder, macht zu viele Fehler. Ein klares Offensivkonzept fehlt. Wie soll der Ball im Aufbau bewegt werden, damit offensiv die Räume bespielbar sind, die es braucht? Und welche sind das für OL überhaupt? Vieles ist Stückwerk und ohne klare Vorgaben verliert die Mannschaft Stück für Stück mehr an dem letzten Funken Sicherheit, das sie noch in sich trägt. Es braucht dringend Lösungen.

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Einstieg von US-Investor brachte Olympique Lyon bislang keinen Erfolg

Für den sportlichen Niedergang eines Fußballklubs gibt es im Profigeschäft meist mehrere Auslöser. Im Fall von Olympique Lyon gehen sportliche Fehlentscheidungen mit Missmanagement auf der Führungsebene einher. In der jüngsten Vergangenheit sorgte der Einstieg eines Investmentfonds aus den Vereinigten Staaten für viel Aufsehen – und letztlich für umso mehr Sorgenfalten.

Im Dezember 2022 gab der Klub die Übernahme durch den US-Amerikaner John Textor, genauer durch dessen Investmentfirma „Eagle Football Holdings Limited“, bekannt. Für mehr als 327 Millionen Euro erwarb Textor etwa 77,5 Prozent der Anteile an Olympique Lyon und kündigte eine Kapitalerhöhung in Höhe von 86 Millionen Euro an. Der Unternehmer, der seit Mai sogar die Posten des Präsidenten und Generaldirektors in Lyon bekleidet, ist kein Unbekannter im Fußballgeschäft. Textor ist als Hauptaktionär beim englischen Erstligisten Crystal Palace, beim brasilianischen Erstligisten Botafogo Rio de Janeiro und dem belgischen Erstligaklub RWD Molenbeek maßgeblich in die Geschicke der Vereine involviert.

Apropos Molenbeek: Auch hier gab es eine Geschichte, die Lyon nicht gerade in ein sehr positives Licht rückt. Die Rede ist vom Deal rund um Ernest Nuamah. Weil Lyon nämlich aufgrund der finanziellen Lage eingeschränkt handlungsfähig auf dem Transfermarkt war, verpflichtete Molenbeek den Offensivspieler kurzerhand für 25 Millionen Euro aus Nordsjaelland und verlieh ihn nach Lyon. Es ist nicht schwer, darauf zu kommen, warum das Ermittlungen nach sich zog und immer noch zieht. Der Fall ist noch nicht zu Ende ermittelt, Konsequenzen könnten von einer Geldstrafe bis hin zu einer Transfersperre reichen.

Fabio Grosso, Trainer von Olympique Lyon, an der Seitenlinie.

(Photo by JEFF PACHOUD / AFP) (Photo by JEFF PACHOUD/AFP via Getty Images)

Co-Investor will offenbar aussteigen

Der Investoreneinstieg, der aus Lyon eigentlich einen ernsthaften Konkurrenten für Frankreichs Ligakrösus Paris Saint-Germain machen sollte, blieb jedoch wirkungslos. Denn obwohl es OL in den vergangenen Transferperioden stets gelungen war, hohe Erlöse aus Spielverkäufen zu erzielen, ist es dem Verein nicht möglich, große Ausgaben zu tätigen. Grund dafür sind Querelen mit den Behörden.

Die DNCG, Finanzaufsichtsbehörde des französischen Fußballs, beschloss aufgrund finanzieller Unregelmäßigkeiten in Textors Budgetplanung, die Transferaktivitäten des Vereins in der laufenden Saison strenger zu überwachen. Angesichts der Umstände erwägt ein Investor nun, aus dem Geschäft mit dem Erstligisten auszusteigen, wie das französische Fachblatt L’Équipe Anfang Oktober berichtete. Hierbei handelt es sich um die Firma Iconic, die als Co-Investor und Aktionär von „Eagle Football Holdings Limited“ mit 75 Millionen Euro an der Übernahme beteiligt war. Dem Bericht nach soll Iconic sogar seinen Anteil zurückfordern.

Nach hochkarätigen Abgängen: Gescheiterter personeller Umbruch

Namhafte, sprich teure Transfers blieben aufgrund der Beobachtung durch die DNCG also aus. Der preisintensivste Neuzugang Clinton Mata kam für fünf Millionen Euro vom FC Brügge, insgesamt investierte Lyon nur knapp 20 Millionen Euro in neue Spieler und Leihen.

Auf der anderen Seite verlor man im vergangenen Sommer zahlreiche Akteure, darunter auch einige Leistungsträger. Rechtsaußen Bradley Barcola wechselte etwa für 45 Millionen Euro zu PSG, Innenverteidiger Castello Lukeba wurde für 40 Millionen zu RB Leipzig transferiert, Mittelfeldmann Romain Faivre ging für 15 Millionen zu Bournemouth.

Auch die beiden ehemaligen Starspieler Alexandre Lacazette und Corentin Tolisso, die jeweils im Sommer 2022 ablösefrei zurück zu ihrem Jugendklub Lyon gewechselt waren, blieben bisher den Erwartungen als Führungsfiguren zurück. Der ehemalige Arsenal-Stürmer Lacazette, 16-facher Nationalspieler Frankreichs, steuerte in der Liga bislang immerhin drei der mickrigen sieben erzielten Treffer Lyons bei. Ex-Bayern-Mittelfeldspieler Tolisso kam zuletzt nur noch von der Bank.

Unter der Woche herrschte noch einmal zusätzlich Unruhe: Nachdem Jerome Rothen bei einer RMC-Sendungen Details aus der OL-Kabine erzählte, wurde das Training kurzerhand verschoben, weil Trainer Grosso versuchte, den Maulwurf, der Interna weitergegeben hat, ausfindig zu machen. Das passt zur Gesamtsituation des Klubs.

Wie es bei Lyon weitergeht, ist wohl maßgeblich vom Klassenerhalt abhängig. Ein Abstieg in die zweite Liga dürfte aufgrund der Abhängigkeit vom Investor schwerwiegende wirtschaftliche Folgen haben. Der erste Schritt in Richtung Trendwende könnte aber bereits am Sonntag mit dem ersten Saisonsieg gemacht werden. Gegner Marseille erwischte einen holprigen Saisonstart, das Team von Grossos Weltmeister-Teamkollegen Gennaro Gattuso steht derzeit auf Platz acht. Was Lyon in der schweren Stunde etwas Mut machen dürfte: Marseille verlor drei seiner letzten vier Ligaspiele.

von Antonio José Riether

(Photo by JEFF PACHOUD/AFP via Getty Images)

 


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