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Defensivkünstler von der Cote d’Azur: Warum Nizza die beste Abwehr Europas hat

25. November 2023 | Spotlight | BY Manuel Behlert

Nicht selten ist eine gute Defensive im Fußball das Grundgerüst für den Erfolg. Dass der OGC Nizza in der Saison 2023/24 in der Lage ist, eine der positiven Geschichten im französischen Fußball zu schreiben, liegt allen voran an der Abwehrarbeit. Die Südfranzosen treiben das allerdings auf die Spitze. 

Riskiert man dieser Tage einen schnellen Blick auf die Tabelle in der französischen Ligue 1, dann findet man Paris Saint-Germain auf dem ersten Platz wieder. Nicht mit einem großen Vorsprung, aber doch verdient, nachdem sich das Team sukzessive gesteigert hat. Business as usual also in Frankreichs höchster Spielklasse? Nicht unbedingt. Denn die Konkurrenz schläft nicht, im Gegenteil. Sie ist hellwach. Das trifft auf den OGC Nizza, das einzige Team, das PSG bisher schlagen konnte, im Besonderen zu – vor allem defensiv.

Sommer 2023: Nizza erkennt die Probleme

Der Sommer 2023 sollte ein sehr wichtiger beim OGC Nizza werden. Nach Jahren mit hohen Ansprüchen, aber wenig Kontinuität auf der Trainerposition und vielen Konstanzproblemen auf dem Platz sollte eine Art Cut gemacht werden. Von 2020 bis 2023 standen Patrick Vieira, Adrian Ursea, Christophe Galtier, Lucien Favre und Didier Digard an der Seitenlinie des Klubs aus Südfrankreich. Keiner dieser Trainer vermochte das Potenzial, das zweifelsohne in dem Klub steckt, vollends auszuschöpfen. Die Vereinsführung entschied sich nach reiflicher Überlegung dazu, den jungen Italiener Francesco Farioli (34) als neuen Cheftrainer zu installieren. Dieser arbeitete zuvor für Alanyaspor und Karagümrük as Cheftrainer, war zuvor primär als Torhütertrainer tätig. 



Was zunächst überraschend erschien, entpuppte sich schnell als kluger Schachzug. Schon in der Vorbereitung war früh zu erkennen, wie der Fußball unter Farioli aussehen soll. Kluge Kaderergänzungen sollten zudem die fehlenden Puzzleteile darstellen, insbesondere im Offensivbereich. Hier verstärkte sich Nizza nämlich mit Jeremie Boga (26, Atalanta) und Terem Moffi (24, Lorient). Doch nicht der Offensivbereich, sondern die Abwehr ist das Prunkstück der Mannschaft. Weil die Problematik nicht nur den Kader, sondern auch den Spielstil betreffend, erkannt wurde. 

Nizza ist kaum zu überwinden

Der OGC Nizza beendete die Saison 2022/23 in der Ligue 1 auf einem soliden neunten Platz, verlor nur zehn Spiele, lag mit 37 Gegentoren dort schon auf dem zweiten Platz dieser Statistik, nur geschlagen vom RC Lens. In der Vorsaison war die Abwehrarbeit gut, mittlerweile ist sie überragend. Das zeigt auch der Blick auf die Bilanz: Nach zwölf absolvierten Spielen in der Ligue 1 stehen die Südfranzosen bei nur vier Gegentoren, zuhause kassierte das Team in sechs Partien nur einen einzigen Gegentreffer. Zuletzt gab es sieben „weiße Westen“ in Folge, letztmals zappelte der Ball Mitte September im Netz von „Le Gym“, damals beim 3:2-Auswärtssieg gegen PSG

Nizza

(Photo by SYLVAIN THOMAS/AFP via Getty Images)

Die Zahl der Gegentore ist aber nur ein Teil der Wahrheit. Interessant sind auch die Statistiken der zu erwartenden Gegentore, also der „xGA“. Und hier zeigt sich: Nizza performt war über, aber nicht sehr deutlich. Kumuliert hätte der aktuell Tabellenzweite aus Frankreich laut FBREF 8,8 Gegentore kassieren müssen. Die Diskrepanz ist nicht besonders hoch, zumal der Wert in acht Ligaspielen unter 1.0 lag. Kein Team in der gesamten Ligue 1 kann hier mithalten. Es wurden in der bisherigen Saison also komplett neue Maßstäbe gesetzt. Das führt nicht nur zu einer gewissen Grundstabilität, sondern auch dazu, dass offensiv natürlich weniger Tore reichen, um positive Resultate zu erzielen. 13 Tore schoss Nizza bisher, 26 Punkte hat das Team auf dem Konto, einen weniger als Tabellenführer PSG.

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Nizza: Die gesamte Mannschaft arbeitet für die Defensive

Doch fernab der Statistiken: Warum läuft es für Nizza unter Trainer Farioli defensiv so gut? Das System per sé lässt nämlich nicht vermuten, dass Le Gym ein derartiges Bollwerk auf den Platz bringt. Das 4-3-3 ist nämlich eher eine offensivere Formation. Entscheidend in diesem Fall ist die Ausprägung. Khephren Thuram, ein defensivorientierter Mittelfeldspieler, übernimmt nicht selten eine der 8er-Positionen, interpretiert diese im Spiel nach vorne aber eher konservativ. Zwar schaltet er sich mit seiner Dynamik punktuell ein, hat aber immer den Raum hinter sich und die Defensive als Ganzes im Hinterkopf. Er ist ein Schlüsselspieler, wenn es darum geht, das defensive Bewusstsein der gesamten Mannschaft zu fördern.

Weite Wege und viele intensive Läufe sind bei den Offensivspielern gefordert. Einerseits, um wieder hinter den Ball zu kommen und andererseits, um diesen bei Ballverlusten zurückzuerobern. Schon die Stürmer beginnen mit der Defensivarbeit, dabei verschiebt die Mannschaft als Kollektiv clever. Jeder Spieler weiß, welche Räume so eng wie möglich gestaltet werden müssen, damit die gegnerische Elf so viel wie möglich nachdenken muss, um Torgefahr zu erzeugen. Kein Spieler auf dem Platz ist sich zu schade, seinen Gegenspieler zu verarbeiten, ihn über den gesamten Platz zu verfolgen.

Nizza

(Photo by VALERY HACHE/AFP via Getty Images)

Diese Denkweise hat der neue Trainer implementiert. Eine Kompaktheit war schon 2022/23 zu sehen, die letzte Bereitschaft und Entschlossenheit aber noch nicht. Hinzu kommt, dass die Defensive im Wesentlichen in ihrer Besetzung identisch geblieben ist. So konnten sich Automatismen entwickeln, die vom Trainer mit neuen taktischen Impulsen verfeinert wurden. Das Geheimnis ist also die Zusammenkunft aus einem sehr guten Plan, einer hervorragenden Risikoabwägung und der kompletten Bereitschaft des Teams, intensiv zu arbeiten.

40 und so wichtig: Der Dante-Faktor

Es sind nicht die ganz großen Individualkünstler, die diese Mannschaft auszeichnen. Im Gegenteil: Melvin Bard (23), Jordan Lotomba (25) oder Pablo Rosario (26) sind eher Systemspieler, die taktisch klug geschult die nötigen Aufgaben entsprechend der Vorstellungen des Trainers erfüllen. Die spannendste Personalie in der Viererkette ist noch Jean-Clair Todibo (23, ehemals Schalke), der mittlerweile bei vielen Topteams auf der Liste steht. Ein Name sticht jedoch hervor: Dante. Eben jener Dante, der beim FC Bayern und Borussia Mönchengladbach eine sehr gut Zeit hatte, auch noch ein Jahr in Wolfsburg spielte, steht seit 2016 in Nizza unter Vertrag. 

Und verlernt hat er nichts. Auch mit 40 Jahren spielt er noch einen sehr guten Part als Innenverteidiger. Selbstverständlich fehlt es ihm an der Spritzigkeit vergangener Tage, aber er bringt so viel mehr ein, das der gesamten Abwehr hilft. Sein Stellungsspiel ist fantastisch, er antizipiert viele Gefahrenherde noch in ihrer Entstehung und darüber hinaus gewinnt er viele wichtige Zweikämpfe, sowohl am Boden als auch in der Luft. 

Fast noch wichtiger: Der 40-Jährige dirigiert die jungen Spieler, ist auf und neben dem Platz ein Ansprechpartner. Sein taktisches Verständnis in Verbindung mit den Führungsqualitäten macht ihn zu einem Fixpunkt im Defensivzentrum. Es sind also zahlreiche Bausteine, die den OGC Nizza in der Arbeit gegen den Ball derart erfolgreich machen. Wo der Weg hinführt, wird vor allem von der Konstanz in den eigenen Leistungen abhängig sein. Bisher gab es jedenfalls noch keine Schwächeperioden. Der derzeit wohl besten Abwehr Europas sei Dank.

(Photo by VALERY HACHE/AFP via Getty Images)

Manuel Behlert

Vom Spitzenfußball bis zum 17-jährigen Nachwuchstalent aus Dänemark: Manu interessiert sich für alle Facetten im Weltfußball. Seit 2017 im 90PLUS-Team. Lässt sich vor allem von sehenswertem Offensivfußball begeistern.


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