Eine sichere Wahl? Was Arsenal von Unai Emery erwarten kann…

23. Mai 2018 | Nachspielzeit | BY Chris McCarthy

Viele, scheinbar sogar die meisten Mitarbeiter des FC Arsenal, rechneten am Sonntagabend noch fest damit, dass Mikel Arteta die Nachfolge von Trainerurgestein Arsene Wenger antreten würde. Letztendlich entschied man sich aufgrund der Unerfahrenheit seines ehemaligen Kapitäns relativ spontan für eine sicherere Variante. Eine sichere Variante in einem neuen, sicheren Konstrukt: Unai Emery.  

 

Neue Ära

Beim FC Arsenal hat man sich in den letzten Jahren intensiv auf die Ära nach Arsene Wenger vorbereitet. Vorbei sind die Zeiten, in denen der Trainer, besser gesagt der „Manager„, in sämtliche Belangen des Klubs das Sagen hat. Sven Mislintat, Chef der Rekrutierung, und Direktor Raul Sanllehi übernehmen eine Vielzahl der Aufgaben, für die Wenger zwei Jahrzehnte lang verantwortlich war. Darum ist es kein Zufall, dass der Verein Unai Emery explizit als neuen „Cheftrainer“ vorstellte. Der Baske darf sich auf seinen eigentlichen Job konzentrieren: Coachen. Doch was können die Gunners von ihm erwarten?

 

Was spricht für Emery?

Erfahrung

Da dieser Faktor für den FC Arsenal scheinbar ausschlaggebend war, fangen wir mit dem Lebenslauf an. So aufregend die Option Mikel Arteta wirkte und so sehr Kenner von ihm schwärmen, der Spanier konnte lediglich als Assistent von Pep Guardiola Erfahrung in einer Trainerfunktion sammeln. Das Umfeld in Nordlondon kann unbequem werden und wird nach dem für viele überfälligen Abgang der Trainerikone erwarten, schon sehr bald wieder oben angreifen zu können. Wären die Gooners geduldig genug gewesen, Artetas nicht vermeidbare Anfängerfehler zu verzeihen?

Wer weiß? In Unai Emery hat man jedenfalls einen Trainer verpflichten können, der nicht nur über 13 Jahre an Erfahrung verfügt, sondern auch gleich in mehreren Ländern tätig war und dabei auch einige Titel sammelte. Darüber hinaus hat der 46-Jährige nicht immer mit großen finanziellen Mitteln arbeiten dürfen, wie zuletzt in Paris.

UD Almería führte er trotz eines limitierten Budgets von der spanischen zweiten Liga auf den neunten Platz in La Liga. Den FC Valencia führte der einstige Mittelfeldspieler trotz erheblicher finanzieller Probleme drei Mal in Folge auf den dritten Platz. Lediglich beim FC Sevilla hinkte er den Erwartungen, zumindest national, etwas hinterher. Unter seiner Leitung kamen die Andalusier nie über Platz fünf hinaus, beendeten die Saison sogar als siebter oder neunter. Auf der anderen Seite bewies Emery genau zu dieser Zeit, dass er auch international erfolgreich sein kann. Etwas, das Wenger in seinen 22 Jahren nie gelang. Emery holte gleich drei Mal in Folge die Europa League Trophäe nach Sevilla.

(Photo MARCO BERTORELLO/AFP/Getty Images)

Dies war auch der Grund für das erfolgshungrige Paris, den Basken im Sommer 2016 zu verpflichten. Eine mehr als undankbare Aufgabe, denn bei Investitionen über 400 Millionen Euro wurden nationale Titel als selbstverständlich erachtet. Der Fokus war auf die Königsklasse gerichtet. Emery sollte, bei all der individuellen Klasse, einen unbalancierten und etwas schwierigen Kader zu einer Einheit formen und die Champions League gewinnen. Also den Titel, der von allen im Vereinsfußball wohl am schwierigsten einzuplanen ist.

Sicher, am zweimaligen Ausscheiden im Achtelfinale der Königsklasse ist Emery nicht unbeteiligt (dazu später mehr), doch alleine die Tatsache, dass dies nach dem schier dominanten Gewinn des nationalen Tripels überwiegt, spricht Bände über den Druck, der in Paris herrschte. Emery stand quasi von seinem ersten Tag im Parc des Princes auf der Abschussliste der Medien. Letztendlich hielt er zwei Jahre durch.

Vom psychologischen Standpunkt dürfte er der herausfordernden Aufgabe, eine Trainerlegende zu beerben, die 22 Jahre im Amt war und einen Verein zu dem machte, was er heute ist, jedenfalls gewachsen sein.

Jugendarbeit

Seit der Verpflichtung von Arsene Wenger im Jahre 1996, spielt bei den Kanonieren die Jugendarbeit eine signifikante Rolle. In Zeiten der für Arsenal wohl nicht erreichbaren Rekordablösesummen möchte man dies nicht nur fortsetzen, sondern intensivieren.

In Unai Emery hat man einen Fußball-Lehrer gefunden, der genau das beherzigt. Schon in Sevilla, als er mit Monchi einen hervorragenden Kaderplaner zur Seite hatte, wusste der Coach, junge, teilweise unbekannte Spieler auf ein neues Level zu bringen.

Diese explizit auf sein System zugeschnittene Unterstützung fehlte in Paris. Trotzdem legte der Baske, obwohl das Geld bekanntlich sehr locker saß, auch hier Wert auf die Entwicklung der vorhandenen Perspektiv-Spieler. Ein Adrien Rabiot oder Presnel Kimpembe wurden von rohen Talenten zu absoluten Säulen entwickelt. Der Mittelfeldspieler und der Innenverteidiger sind bei PSG heute nicht mehr wegzudenken.

(Photo JACQUES DEMARTHON/AFP/Getty Images)

Auch bei Arsenal ist Talent durchaus vorhanden. Die erhofften Entwicklungssprünge, die Wenger vor vielen Jahren noch berühmt machten, blieben zuletzt allerdings aus. Aus dem aktuellen Kader zeigten beispielsweise Calum Chambers oder Rob Holding nach ihren Verpflichtungen hervorragende Ansätze, doch beide Verteidiger stagnierten. Die beiden Engländer, Ainsley Maitland-Niles, Reiss Nelson, Eddie Nketiah, der neu verpflichtete Konstantinos Mavropanos und viele weitere, hoch veranlagte Spieler aus der eigenen Jugend, haben unter Emery gute Voraussetzungen, eine interessante Entwicklung hinzulegen.

Darüber hinaus darf sich der neue Trainer in Nordlondon, wie schon in Sevilla, der Unterstützung eines renommierten „Recruiters“ erfreuen. Sven Mislintat gilt als einer der besten Talentsichter Europas.

 

Vorbereitung

Unai Emery, so sagte es sein ehemaliger Spieler Joaquin kürzlich, ist „vom Fußball besessen, es ist quasi eine Krankheit.“ Der Baske ist detailorientiert, strukturiert und vor allem stets hervorragend vorbereitet. Er gilt als taktisch scharfsinnig und stellt sich penibel auf seine jeweiligen Gegner ein. Eigenschaften, für die Arsene Wenger in den letzten Jahren nicht gerade bekannt war.

Emery dagegen überlässt scheinbar nichts dem Zufall:

„Für jedes Spiel schaue ich alleine wohl 12 Stunden auf Video. Videos sind sehr wichtig“

Dem zweifelsohne sehr talentierten Kader der Gunners sollte schmerzlich vermisste taktische Disziplin eingehaucht werden. Durch intensivere Vorbereitungen auf die Gegner soll das Team nicht nur stabiler, sondern organisierter auftreten. Das fußballerische Können war beim FC Arsenal unter Wenger nämlich nie wirklich das Problem…

 

System & Stil

Wird Unai Emery beim FC Arsenal über einen besseren Kader verfügen, als in Paris? Natürlich nicht. Es könnte aber ein Kader sein, der eher zu seinen Stärken passt! Beim FC Sevilla formte der Übungsleiter zusammen mit Monchi eine laufstarke, hoch pressende Kontermaschine, die perfekt auf sein präferiertes 4-2-3-1 zugeschnitten wurde.

In Paris dagegen musste Emery mit den Spielern arbeiten, die ihm relativ unbedacht vor die Füße gelegt worden. So genial einige Akteure und Neuzugänge teilweise waren/sind, sie passten nicht zwingend zu seiner taktischen Philosophie oder trugen kaum zur Kader-Balance bei. Sein flexibles 4-2-3-1 kam aufgrund des Fehlens eines typischen „Zehners“ nicht zur Geltung. Trotz der hohen Qualität von Adrien Rabiot oder Marco Verratti war das Mittelfeld oft zu statisch. Die Franzosen taten sich gegen tief stehende Gegner von guter Qualität im letzten Drittel oftmals schwer, Chancen für den außergewöhnlichen Sturm zu kreieren.

Bei den Gunners könnte Emery nun einen Kader erben, der besser ist, als die Leistungen in den letzten Jahren vermuten ließen. Mit Mesut Özil ist die Spielmacher-Position herausragend besetzt. Aaron Ramsey, sofern er bleibt, gibt Emery eine dynamische Komponente in der Schaltzentrale, die es bei PSG nicht gab. Darüber hinaus bevorzugt der Taktiker Außenspieler, die sich in die Mitte orientieren. Auch hier stellen insbesondere ein Henrikh Mkhitaryan, womöglich sogar ein Alexander Iwobi, passende Spielertypen dar. Hinzu kommt, dass Emery gerne mit offensiven Außenverteidigern agiert. Sead Kolasinac und Hector Bellerin könnten in diesem System, zumindest von ihrem Skill-Set her, große Nutznießer der entstehenden Räume werden.

(Photo ADRIAN DENNIS/AFP/Getty Images)

Ganz nebenbei sollte die wackelige Defensive, aber auch Granit Xhaka, von Emerys kompakteren Spielstil profitieren. Der unterschätzte Mohamed Elneny, der auch unter Wenger zuletzt taktische Verantwortung übernehmen musste, könnte einer der Gewinner des Trainerwechsels sein. Der laufstarke Ägypter ist für die wichtige Rolle des Sechsers bei Emery prädestiniert. Er könnte das Tempo diktieren und entscheiden, wann die Formation durch seine Eingliederung in die Innenverteidigung von einem 4-2-3-1 in ein 3-4-3 übergeht. Eine Transition, die für Emerys System zum Alltag gehört. Im Sturm hat er ohnehin die Qual der Wahl. Sowohl Pierre-Emerick Aubameyang als auch Alexandre Lacazette sind ideale, nämlich sehr bewegliche Stürmertypen von ungemein hoher Qualität.

Sollten die Gunners auf dem Transfermarkt, neben neuem Personal für die Problemzonen Tor und Innenverteidigung, auch die ein oder andere passende Ergänzung für Emerys System finden, stünde dem Wenger-Nachfolger ein mehr als geeigneter Kader zur Verfügung. Auch hier wird Sven Mislintat in der neu geschaffenen Struktur eine tragende Rolle spielen.

 

 

Was spricht gegen Emery?

Fehlende Autorität

Als Emery in Paris ankam, wollte er mit seiner Art Fußball zu spielen erfolgreich sein. Im Fokus standen Intensität, Pressing, Laufstärke und hoher Aufwand. Das kam bei den technisch hoch veranlagten Spielern nicht sonderlich gut an. Der Trainer beugte sich dem Wunsch der Mannschaft und kehrte zu einer etwas behäbigeren, ballbesitzorientierten Spielweise zurück. Obwohl das für die Flexibilität des Übungsleiters sprach, zeugte dies nicht sonderlich von Autorität. Immerhin hatte Emery mit „seiner“ Spielweise drei Mal in Folge die Europa League gewonnen.

Noch weniger Autorität bewies Emery im Umgang mit schwierigen Charakteren. Neymar gewährte er bei seinen „verletzungsbedingten“ Auszeiten eine zu lange Leine. Bei den Streitereien zwischen dem Brasilianer und Edinson Cavani verfolgte der Baske die Devise, die Spieler das unter sich regeln zu lassen.

Bei Arsenal gibt es auf den ersten Blick zwar keine Diven des Kalibers „Neymar“, doch eine Mannschaft, die unter Wenger eine große Fehlertoleranz genoss, könnte bei dem lockeren Führungsstil Emerys zu bequem werden.

(Photo BERTRAND GUAY/AFP/Getty Images)

 

Kann man Mentalität coachen?

Die starke Mentalität, die Arsenal Anfang des Jahrtausends dank unangefochtener Leader wie Sol Campbell oder Patrick Vieira so auszeichnete, wurde in den letzten Jahren schmerzlich vermisst. Führungsspieler fehl(t)en und die Gunners konnten an schlechten Tagen, trotz hoher fußballerischer Qualität, schon einmal zerbrechen, gegen kampfstarke Teams unnötige Punkte liegen lassen oder gegen Top-Teams gar unter die Räder geraten.

In der Ligue 1 war PSG 2017/2018, nach den personellen Auflösungserscheinungen bei der AS Monaco, zwar ohne echte Konkurrenz, doch im Vorjahr hatte man gegenüber den finanziell krass unterlegenen Jungspunden aus dem Fürstentum über die gesamte Saison das Nachsehen. Die Vizemeisterschaft drohte Emery schon im ersten Jahr den Kopf zu kosten.

Viel schwerer wog jedoch die Tatsache, dass man in der Champions League zwei Mal in Folge bereits im Achtelfinale ausschied. Schlimmer als das Ausbleiben des so heiß ersehnten Erfolgs auf der internationalen Bühne, war die Art und Weise, wie man sich aus der Königsklasse verabschiedete. PSG traf zwar in beiden Spielzeiten unter Emery schon früh auf Hochkaräter, trotzdem offenbarten beide Duelle erhebliche Schwächen hinsichtlich der Mentalität der Mannschaft.

2016/2017 verspielte man bekanntlich einen 4:0 Hinspiel-Sieg über den FC Barcelona, als man beim 1:6 im Camp Nou regelrecht implodierte. Die Mannschaft ließ Siegermentalität vermissen, wirkte trotz der hohen Führung verunsichert und ließ sich schuljungenmäßig ausspielen.

(Photo JOSEP LAGO/AFP/Getty Images)

Ein Jahr später wartet mit Real Madrid ein ähnlich schwerer Brocken. Hier agierte Emerys Truppe im Santiago Bernabeu viel zu naiv. Aus dem, gerade für ein Auswärtsspiel, mehr als zufriedenstellenden 1:1 nach 81 Minuten, wurde ein 1:3. PSG wurde zu gierig und vernachlässigte die Defensive – ein Spielverlauf, der den Fans der Gunners bekannt sein dürfte (Antoine Griezmann lässt grüßen). Ohne den verletzten Neymar gab sich Paris im Rückspiel schon früh geschlagen. Die unnötige Gelb-Rote Karte für Verratti wegen Meckerns beim Stand von 0:1 zeugte von fehlender Reife und besiegelte das Aus (1:2).

Natürlich wäre es zu einfach, nur dem Trainer diese Pleiten zuzuschreiben, doch er trägt die Verantwortung für seine Spieler. Die Fans des FC Arsenal dürften nach den peinlichen Resultaten in der Champions League und dem unnötig verspielten Einzug ins Finale der Europa League, diese Zeilen außerdem etwas kritischer aufnehmen, als manch andere Fan-Gruppen Europas.

 

Systemtauglichkeit mit Schwächen

Obwohl der FC Arsenal einen etwas unterschätzen Kader hat, gibt es natürlich gravierende Baustellen. Gerade in Bezug auf Emerys Präferenz, den Ball permanent kontrolliert hinten herauszuspielen, fehlt es hier an Qualität.

Es fehlt zwar ohnehin ein zuverlässiger Torwart, doch durch die Ankunft des pragmatischen Trainers, ist das Anforderungsprofil anspruchsvoller geworden. Der Keeper muss fußballerisch begabt und in der Lage sein, auch unter Druck einen sauberen Pass an den Mann zu bringen. Gleiches gilt für die Innenverteidiger. Der technisch limitierte Shkodran Mustafi oder der gehandelte Sokratis, wären für diese Herangehensweise eher suboptimal geeignet.

Auch die Position des „Sechser/Innenverteidiger-Hybriden“, für die Elneny wie bereits erwähnt ein Geheimkandidat ist, scheint nicht ideal besetzt zu sein. Granit Xhakas Formkurve zeigte zuletzt zwar deutlich nach oben, allerdings offenbarte der Schweizer hinsichtlich taktischem Verständnis und Konzentration immer wieder Aussetzer. Xhaka muss diese Probleme in den Griff bekommen, dann könnte er unter Emery eine elementare Rolle spielen.

 

Fehlende Erfahrung in England

So erfahren Emery auch ist, die Premier League ist für ihn absolutes Neuland. Anders als sein grünschnäbliger Landsmann Arteta, muss sich der neue Mann mit Land, Kultur, Sprache, Liga und dem Arsenal Football Club erst einmal vertraut machen.

Emery durchlief mehrere Stationen in mehreren Ländern. Die Umstellung zur intensiven Premier League stellte jedoch schon für viele gestandene Trainer eine neue Herausforderung dar. Der 46-Jährige könnte sehr wohl eine Eingewöhnungszeit benötigen.

(Photo FRANCK FIFE/AFP/Getty Images)

 

 

Fazit: Eine sichere Variante in einem sicheren Konstrukt

Selbst wenn der Versuch mit Emery scheitern sollte, Arsenal hat sich in den letzten Jahren der Ära Wenger intern derartig gut aufgestellt, dass der perspektivische Erfolg des Vereins nicht mehr nur von einem Mann abhängt. Der fast schon diktatorische Führungsstil Wengers – und das ist keine Kritik am Elsässer – ist Vergangenheit. Der Trainer ist fortan nur noch eine Komponente eines Gesamtkonstrukts und muss, bzw. darf sich auf das Wesentliche konzentrieren. Alleine das ist für Arsenal als Fortschritt zu bewerten und sollte Wengers Nachfolger die Übernahme erleichtern.

Emery selbst sollte dank seiner Erfahrung mit der anspruchsvollen Situation umgehen können. Außerdem bringt er verlockende Trainerqualitäten mit, die dem FC Arsenal zweifelsohne weiterhelfen werden – allen voran taktische Ordnung und Stabilität. Seine Probleme hinsichtlich der Autorität und vor allem der mentalen Stärke stehen aber gerade bei den Gunners unter besonderer Beobachtung…

 

Chris McCarthy

Gründer und der Mann für die Insel. Bei Chris dreht sich alles um die Premier League. Wengerball im Herzen, Kick and Rush in den Genen.


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