Hopp vs. Fans: Wie das Fass überlief

Nachspielzeit – Die 90PLUS-Kolumne | In fast jedem Stadion waren sie an diesem Wochenende zu sehen: Banner, die TSG-Mäzen Dietmar Hopp als Sohn einer Dame des Horizontalgewerbes verunglimpfen. Es ist das Ergebnis eines jahrelang schwelenden Konflikts.
Hass hauptsächlich gegen den DFB
Wenngleich sich das Epizentrum der Anfeindungen gegen Dietmar Hopp an diesem Wochenende im Gästeblock der Rhein-Neckar-Arena befand, so mussten auch die Spiele in Dortmund, Köln und an der Alten Försterei aufgrund von Hassplakaten gegen den TSG-Mäzen unterbrochen werden. In Sinsheim und Berlin war sogar Stufe 2 des Drei-Stufen-Plans erreicht, der Schiedsrichter holte die Mannschaften vom Platz. Ja, die Art und Weise wie sich die Fanblocks an diesem Wochenende Gehör verschafft haben, muss man kritisieren und wurde auch von allen Seiten – auch von den Fanblocks selbst – völlig zurecht kritisiert. Man entehrt einen Menschen, der sich als Unternehmer und darüber hinaus durch sein soziales Engagement über Jahre um die Region Sinsheim sehr verdient gemacht hat. Ganz nebenbei hätte Stufe 3 des Drei-Stufen-Plans die eigene Mannschaft genau diese Anzahl an Punkten gekostet. Dabei richtet sich der Hass der Fans in erster Linie gegen den DFB.

Auslöser war ein Urteil vom 21. Februar, das BVB-Fans einschließlich der Saison 2021/22 von Auswärtsspielen in Sinsheim ausschließt. Schon im September 2018 kam es dort zu Beleidigungen in Richtung von Hopp. Damals wurde die Strafe zur Bewährung ausgesetzt, nachdem sich der Vorfall im Dezember letzten Jahres jedoch wiederholte, wurde diese aufgehoben und die Strafe rechtskräftig.
Im August 2017 setzte der damalige DFB-Präsident Reinhard Grindel Kollektivstrafen aus – und das über einige Köpfe im Verband hinweg: „Der DFB empfiehlt seinem Kontrollausschuss, bis auf weiteres darauf zu verzichten, Strafen zu beantragen, die unmittelbare Wirkung auf Fans haben, deren Beteiligung an Verstößen gegen die Stadionordnung nicht nachgewiesen ist.“ Dass drei Jahre später ausgerechnet eine solche wirksam wird, ist in den Augen der Fanszene ein Affront.
Dietmar Hopp als Reizfigur
Und dann wäre da noch Hopp selbst. Die Fehde zwischen ihm und den BVB-Fans hat inzwischen Tradition. Von der einen Seite gab es Schmähgesänge, Hassplakate und Gesichter im Fadenkreuz, die andere Seite revanchierte sich damit, den Gästefanblock mit Hochfrequenztönen zu beschallen, um eben jene Schmähgesänge ruhig zu stellen. Dazu kommen noch Klagen aller Art und – laut den Verteidigern im Prozess zwischen Hopp und den BVB-Fans – Richtmikrofone im Stadion, um die Täter ausfindig machen zu können.
So schaukelte sich der Konflikt über die Jahre immer weiter hoch. Die Tatsache, dass Hopps Firma SAP Sponsor beim DFB und einigen Bundesligaklubs wie dem FC Bayern ist, trug nicht gerade zur Deeskalation in der Fanszene bei. Der 79-Jährige gibt dahingehend dem, wovor sich die Fans der Traditionsvereine am meisten fürchten, ein Gesicht: Kommerzialisierung des Fußballs sowie Lücken in der 50+1-Regel. Dazu kommt noch, dass es ausgerechnet ein Fall mit Beteiligung von Hopp war, der zu einem konsequenten Durchgreifen seitens des DFB führte.

(Photo by Alex Grimm/Bongarts/Getty Images)
Zweierlei Maß? Die Gemengelage brodelt
Oder besser gesagt: Dass andere Fälle, wie der Rassismus-Eklat um den Herthaner Jordan Torunarigha oder ein Schalker Plakat, das Freiheit für den BVB-Attentäter Sergej W. forderte, es nicht taten. So entsteht unweigerlich der Eindruck moralischer Flexibilität, was bereits in diesem Kommentar aufgearbeitet wurde.
Viele Ultra-Gruppierungen setzen sich seit Langem gegen Rassismus, Sexismus, Homophobie und Antisemitismus ein. Ende Januar gab es eine Choreo der Münchener Südkurve, in Gedenken an Hugo Railing, der in den Ältestenrat des FC Bayern aufgenommen und im Vernichtungslager Sobibor ermordet wurde.

(Photo by Christian Kaspar-Bartke/Bongarts/Getty Images)
Was ist ein Vorfall?
Die Frage aber bleibt, wo man im Notfall ansetzen will. Man kann argumentieren, dass der Drei-Stufen-Plan mindestens einen Freischuss enthält, bevor es merkliche Konsequenzen gibt. Andererseits kann man auch nicht bei jedem Vorfall gleich mit Spielabbruch drohen. Und überhaupt: Was ist ein Vorfall und ab wann ist ein Spielabbruch verhältnismäßig?
Klar, die oben genannten Beispiele würden harte Konsequenzen rechtfertigen. Am vergangenen Wochenende allerdings waren die Schiedsrichter auf Plakate mit Hopp-Thematik konditioniert, wie der Pawlowsche Hund. Beim Drittligaspiel zwischen dem SV Meppen und dem MSV Duisburg am Sonntag rieben sich nicht wenige verwundert die Augen, als es für folgendes Banner eine sechsminütige Spielunterbrechung gab:
„Hat der Dietmar genug Kohle,
wird zu seinem Schutz und Wohle
Von Leuten, deren Wort nichts wert,
mal wieder jemand ausgesperrt“
– Banner der Fans des MSV Duisburg beim Auswärtsspiel in Meppen (1:0)
Die FIFA unterteilt in Punkt 4.1 ihrer Statuten Diskriminierung „auf der Grundlage von Rasse, Hautfarbe, ethnischer, nationaler oder sozialer Herkunft, Geschlecht, Behinderung, Sprache, Religion, politischer Ansichten, Einkommen, Geburt, sexueller Orientierung oder aller anderen Gründe.“ Das klingt sehr detailliert, lässt für jeden Punkt an sich allerdings viel Interpretationsspielraum. Im Fall der Duisburger könnte man die Diskriminierung eines reichen Mannes herauslesen. Im Kontext mit den restlichen Bannern vom Wochenende erscheint eine Spielunterbrechung hier allerdings eher unverhältnismäßig. Der DFB muss aufpassen, sich keine unnötigen Präzedenzfälle zu schaffen.
Machtkampf zwischen Verband und Fans droht
Die Kritik am DFB, soviel steht fest, sie wird nach diesem Wochenende nicht leiser werden. Die Ultra-Gruppierungen wissen, dass sie, nach vielen erfolglosen Versuchen, mit dieser Art des Kollektivprotests einen wunden Punkt getroffen haben.
Die Frage ist jetzt, wer am längeren Hebel sitzt. Vereine und Verbände können Kollektivstrafen und Stadionverbote verteilen, darunter wird aber mittelfristig die Stimmung in den Stadien leiden. Langfristig wird es auch das Produkt Bundesliga tun, das sich nicht zuletzt über seine aktive Fanszene definiert. Besonders von der Insel gibt es dafür immer wieder viel Zuspruch. Derweil riskieren die Fans, sich eine jahrzehntelange Tradition, nämlich jedes Wochenende unbeschwert ihre Mannschaft im Stadion sehen zu dürfen, zu torpedieren. Die Sicherheitsvorkehrungen in den Stadien waren vorher schon hoch, nach diesem Wochenende dürften sie noch höher werden.
Der deutsche Fußball steht vor entscheidenden Wochen. Beide Seiten wären gut beraten, die Lage nicht noch weiter eskalieren zu lassen. Die Fans haben ihren Standpunkt mehr als klar dargestellt. Es muss und es wird Konsequenzen für diese Proteste geben. Doch könnte auch die Fanszene darüber nachdenken, wie sie konsequent denjenigen entgegentreten und gegebenenfalls aus ihren Reihen entfernen, die Affenlaute oder andere rassistische, frauenfeindliche oder homophobe Sprüche von sich geben. Gleichzeitig sind auch DFB und Vereine aufgefordert, darüber nachzudenken, wie es soweit kommen konnte. Deutschland hat eine wunderbare Fankultur. Es wäre zu schade, wenn sie an diesem Vorfall zerbrechen würde.
(Photo by Matthias Hangst/Bongarts/Getty Images)
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Victor Catalina
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