Liverpool | Endlich unspektakulär: Die Krönung einer Spitzenmannschaft

4. Juni 2019 | Nachspielzeit | BY Chris McCarthy

Nachspielzeit | Für viele war es ein enttäuschendes Champions-League-Finale. Wenig Torchancen, kein hohes spielerisches Niveau und gerade im Fall des FC Liverpool: Keine „Vollgasveranstaltung“. Den Reds wird das nach dem 2:0 Sieg über Tottenham ziemlich egal sein. Sie stemmten letztendlich den sechsten Henkelpott der Vereinsgeschichte in den Nachthimmel von Madrid. Dabei komplettierte vor allem die Art des Sieges eine spektakuläre Entwicklung …eben weil sie so unspektakulär war…

„Dieses Spiel hätten sie letztes Jahr nicht gewonnen“

„Dieses Spiel hätten sie letztes Jahr nicht gewonnen“, ist ein Satz, der in Verbindung mit dem FC Liverpool 2018/2019 ziemlich häufig fiel. Gemeint waren damit die schwächeren Auftritte in dieser Saison. Davon gab es trotz der fast meisterlichen Ausbeute von 97 Punkte nämlich ebenfalls einige. Spiele, in denen nach einer harten englischen Woche die Kraft fehlte. Spiele, in denen es im offensiven Zusammenspiel einfach nicht laufen wollte. In den letzten Jahren ist Liverpool in diesen Spielen leer ausgegangen. So beachtlich die Entwicklung unter Jürgen Klopp auch war, so hoch war auch die Abhängigkeit von der berüchtigten „klopp´schen“ Intensität und der Offensive, die schon vor der Ankunft Mohamed Salahs Tore wie am Fließband produzierte.

2018/2019 wurde auch in diesen schwächeren Spielen zumindest ein Punkt mitgenommen, wenn nicht sogar alle drei. Ausschlaggebend dafür ist vor allem die Transformation der Defensive, die in Alisson (60 Millionen Euro) und Virgil Van Dijk (85 Millionen Euro) zwei teure Eckpfeiler erhielt, die nicht nur durch eigene Leistungen überragen, sondern durch ihre Präsenz zugleich ihre Mitspieler auf ein neues Level hieven. Mit Hilfe der besten Defensive der abgelaufenen Premier-League-Saison konnten die Reds endlich kontrollierter agieren. Die Anzahl an „Vollgasveranstaltungen“ nahm ab, routinierte Erfolge, bei denen eine 1:0 Führung heruntergespielt wurde, aber auch glückliche Siege, in denen die Abwehr die Mannschaft im Spiel hielt, nahmen zu.

(Photo by Shaun Botterill/Getty Images)

Unspektakuläre Krönung

Das Champions-League-Finale gegen Tottenham war eines dieser Spiele. Es hakte im Aufbau – die Reds hatten lediglich 35% Ballbesitz, nur 64% der Pässe fanden den eigenen Mitspieler. Darüber hinaus fehlte nach einer harten Saison die Kraft, ein Feuerwerk an Intensität abzubrennen. Klopps Jungs, die Barcelona vor wenigen Wochen noch in Grund und Boden liefen, wirkten platt und behäbig.

Wieder fand Liverpool einen Weg. Die Chance durch einen zweifelhaften Hand-Elfmeter in der zweiten Minute wurde von Mohamed Salah eiskalt genutzt und so konnte sich der Vizemeister erneut auf seinen plötzlich sattelfesten Abwehrverbund verlassen. Die Reds sahen, wie sich Tottenham schwer tat, das Spiel zu machen, konnten es sich daher erlauben, passiv zu bleiben. Die entscheidenden Zweikämpfe im Mittelfeld wurden gewonnen und als die Angriffe der Spurs ab der 70. Minute entschlossener wurden, waren Virgil Van Dijk und seine konzentrierten Kollegen stets zur Stelle. Die wenigen gefährlichen Schüsse, die dennoch durchsickerten, konnten durch den souveränen Alisson abgewehrt werden. Die Null wurde gehalten und so führte der einzig überzeugende Angriff der zweiten Hälfte zur Vorentscheidung durch Divock Origi, dessen Tore-Wichtigkeits-Verhältnis übrigens wohl kaum noch zu übertreffen ist.

Es war eine reife, vor allem aber pragmatische Leistung. Ein glanzloser Arbeitssieg auf der glamourösesten Bühne Europas. Doch genau dieser unspektakuläre Auftritt krönte den Reifeprozess einer neuen Spitzenmannschaft.

Chris McCarthy

(Photo OLI SCARFF/AFP/Getty Images)

Chris McCarthy

Gründer und der Mann für die Insel. Bei Chris dreht sich alles um die Premier League. Wengerball im Herzen, Kick and Rush in den Genen.


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