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Ansu Fati: Edeljoker, aber (noch) kein Ass

20. November 2023 | Spotlight | BY Steven Busch

Als wahrer Überraschungscoup wechselte das (ehemalige) Wunderkind Ansu Fati im vergangenen Sommer auf Leihbasis vom FC Barcelona in die Premier League – spezifischer zu Brighton & Hove Albion. Wir blicken auf die ersten Monate des jungen Spaniers bei den „Seagulls“.

Ansu Fati – Mittendrin, doch nicht immer dabei

Am 9. November 2023 offenbarte Ansu Fati die nonchalanten Ballkünste, welche den 1,78 m großen Spanier mit Wurzeln in Guinea-Bissau einst zu einer der heißesten Aktien im Nachwuchsfußball sowie legitimen Messi-Nachfolger bei seinem Jugendklub FC Barcelona auserkoren. Im Rahmen des 2:0-Erfolgs in der UEFA Europa League von Brighton & Hove Albion beim AFC Ajax avancierte der Offensivakteur mit jeweils einem Tor wie Assist zum gefeierten Mann des Abends. Sinnbildlich für die derzeitige Phase des Protagonisten fand diese Galavorstellung nicht in der königlichen Champions League, sondern auf der Bühne der kleinen internationalen Schwester respektive des kleinen Bruders statt.



Bereits von Kindesbeinen an war das besondere Talent Fatis unübersehbar. In stringenter Konsequenz wechselte der hoch veranlagte Dribbler 2012 in die renommierte La-Masia-Fußballakademie des FC Barcelona. In den folgenden Jahren durfte der Youngster die beeindruckenden Qualitäten eines Lionel Messi, Neymar Jr. und Co. aus nächster Nähe beäugen und überdies reiften dessen sportliche wie persönliche Tugenden. Trotz der schmalen Schultern verhalfen die außergewöhnlichen Fähigkeiten des Teenagers sich auf das Radar des damaligen Trainers des katalanischen Traditionsvereins, namentlich Ernesto Valverde, zu manövrieren.

Im Alter von gerade einmal 16 Jahren debütierte Fati am 25. August 2019 – Einwechslung beim 5:2-Sieg gegen Real Betis – für das „Blaugrana“-Profiteam. Ab diesem Moment zündete die Karriere des Shootingstars wie eine Rakete steil aufwärts. Innerhalb kürzester Zeit pulverisierte das Wunderkind etliche Rekorde: jüngster Torschütze des FC Barcelona, der UEFA Champions League sowie der spanischen Nationalmannschaft. Ja, auch in den Kreis der „Furia Roja“ – Debüt am 3. September 2020 beim 1:1-Remis in Deutschland – hatte es der Wirbelwind geschafft. Bei der 2020er-Wahl zum Golden Boy für Europas besten U21-Akteur schaffte es Fati auf Platz zwei hinter einem gewissen Erling Braut Haaland.

„The Sky is the Limit“? Nicht ganz, denn der schüchterne Senkrechtstarter mussten den zunehmenden Herausforderungen im Seniorenfußball körperlich wie mental Tribut zollen. Unter anderem diverse Muskelblessuren sowie ein Meniskuseinriss stoppten die Erfolgsgeschichte. Fakt: Seit 2019 verpasste Fati 104 (!) Pflichtspiele verletzungsbedingt. Der Status des „Dauer-Rekonvaleszenten“ förderte die Entwicklung des Jungprofis selbstredend nicht.

Unmittelbare Folge: Stagnation, fehlende Unbekümmertheit sowie Reservistenrolle im Barca-Starensemble. Zudem liefen andere Talente wie beispielsweise Lamine Yamal dem in der Offensive polyvalent einsetzbaren Akteur den Rang ab. Um die Freude respektive Leichtigkeit in der fußballerischen Vita Fatis zu revitalisieren, entschieden sich die Funktionäre des 26-fachen spanischen Meisters und die Entourage des Spielers unisono für einen Tapetenwechsel. Nächste Destination: Brighton & Hove Albion!

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Ansu Fati – Lediglich Platz 19 nach Premier-League-Einsatzminuten im Kader von Brighton & Hove Albion

Ansu Fati im Trikot von Brighton & Hove Albion.

(Photo by Ryan Pierse/Getty Images)

Im Sommer 2023 wurde Fati auf Leihbasis (ein Jahr, ohne Kaufoption) vom FC Barcelona zu Brighton & Hove Albion transferiert. Statt Sonne pur in der Metropole am Mittelmeer nun tristes Regenwetter am Ärmelkanal. Ein Kulturschock für den inzwischen 21-Jährigen, doch bei genauerer Betrachtung eine logische Entscheidung. Bei den ambitionierten „Seagulls“ sollte, so der Plan, der filigrane Fußballer unter der Obhut des italienischen Erfolgscoachs Roberto De Zerbi eine sportliche Renaissance im neuen Umfeld Premier League feiern. Mit ihrem progressiven wie attraktiven Stil lassen sich beim Klub aus der Grafschaft East Sussex Parallelen zum berühmten Tiki-Taka-Ansatz der Katalanen finden.

Bei der Entscheidung über eine etwaige Leihstation für Fati wird sicher auch von Relevanz gewesen sein, dass der derzeitige Tabellen-8. der Beletage des englischen Fußballs sich überdies auch auf europäischem Terrain – in eingangs erwähnter UEFA Europa League – mit internationaler Konkurrenz misst. Doch wie lässt sich das Kapital bis dato bilanzieren? Im praktizierten 4-2-3-1-System nimmt der Neuzugang zumeist die Position des zentralen Spielgestalters hinter einer Spitze oder gar in vorderster Front ein. Wettbewerbsübergreifend stehen bislang in 13 Einsätzen (595 Minuten) respektable vier Tore und ein Assist zu Buche.



Allerdings pendelt der introvertierte Fati regelmäßig zwischen Bank und Startelf. In der Premier League erhielt der quirlige Angreifer lediglich einmal – zuletzt beim 1:1 gegen Sheffield United – das Mandat für die Anfangsformation. Generell belegt die Barca-Leihgabe mit 269 Einsatzminuten im englischen Oberhaus nur Platz 19 im kaderinternen Brighton-Ranking. Der 44-jährige Trainer De Zerbi wird nicht müde zu betonen, dass er noch deutliches Potenzial in den Darbietungen des jungen Spaniers erkennt. Exemplarisch belegt durch diese Aussage des Übungsleiters nach dem 2:0-Heimerfolg in der UEFA Europa League gegen AFC Ajax – wohlgemerkt im Anschluss an eine starke Fati-Performance – am 26. Oktober 2023:

Er hat sehr gut gespielt, aber er kann sich entwickeln und noch besser werden. Fati muss sich körperlich noch entwickeln und die Begeisterung wiederfinden, die er zu Beginn seiner Karriere hatte.

Es folgt die entscheidende Passage, in der De Zerbi einräumt, Fati habe seine Möglichkeiten „erst zu 60 Prozent“ ausgeschöpft. Deutlich Worte, aber eher in Anbetracht des riesigen Repertoires an Fähigkeiten des Spielers voller intrinsischer Hoffnung zu verstehen. Allen Unkenrufen zum Trotz verzaubert das einstige Wunderkind die ZuschauerInnen im American-Express-Stadium immer häufiger mit den lange verborgenen Qualitäten: First-Touch, Bewegungen zwischen den Räumen, Vertikalpässe, Technik, niedriger Körperschwerpunkt.

Fati-Leihe bislang durchaus als Erfolg zu betrachten

Um einen noch tieferen Einblick in Fatis Entwicklung zu gewinnen, liefert 90PLUS-Redakteur Lukas Heigl, seines Zeichens intensiver „Seagulls“-Beobachter, eine persönliche Einschätzung der aktuellen Lage:

„Der Hype in Brighton rund um Ansu Fati war nach seinem Wechsel riesig. Die Fans konnten nicht glauben, wie ihr kleines Brighton, vor 20 Jahren noch heimatlos (da der ehemalige Besitzer das Stadiongrundstück verkauft hatte, musste man im 120 km entfernten Gillingham spielen) und kurz vor dem Absturz in den Amateurfußball, ernsthaft die Nummer 10 des FC Barcelona verpflichten konnte: das Wunderkind, den Messi-Nachfolger. Roberto De Zerbi bremste die Erwartungshaltungen jedoch schnell aus. Wichtig sei nach Aussage des Trainers vor allem, dass Fati nach schweren Monaten in Spanien wieder Vertrauen in seinen Körper und seine Qualitäten bekommen würde. De Zerbi sah es als seine Aufgabe an, das Talent, das ohne Zweifel in Fati schlummert, für die Fußballfans – nicht nur die der Seagulls, sondern weltweit – wiederaufleben zu lassen. Entsprechend behutsam wurde Ansu herangeführt, bekam nur sehr dosiert Einsatzminuten.

Doch nun zum sportlichen: Anders als noch bei Barca wird Ansu ausschließlich im Zentrum eingesetzt. Die Positionierung ist dabei recht fluide. Zumeist wechselt er sich mit Joao Pedro, mit dem er oft gemeinsam auf dem Feld steht, als 10er oder 9er ab. Diese Flexibilität in der Position hilft Fati extrem. Es bleibt ihm überlassen, ob er sich zwischen den gegnerischen Ketten anbietet, um dann nach Steckpässen mit Tempo auf die Abwehr zuzulaufen, oder ob er lieber Läufe hinter die Abwehr versucht, um dann einen Pass in den Lauf zu bekommen.

Vor allem mit Simon Adingra ist das Verständnis bereits stark ausgeprägt. Der junge Ivorer bereitete in beiden Partien gegen Ajax (jeweils 2:0) je einen Treffer für Fati vor. Wäre dieser noch etwas kälter im Abschluss, hätte diese Kombination sicherlich bereits fünf oder mehr Tore produziert. Gegen den Ball sorgt die Flexibilität hingegen dafür, dass der junge Spanier viel mit nach hinten arbeiten muss. Er kann sich nur ganz selten ausruhen, was viel Kräfte kostet. Auch deshalb spielte er bisher nur ein einziges Mal über die kompletten 90 Minuten. Seine defensiven Aufgaben erfüllt Fati in der ihm gegebenen Spielzeit dabei deutlich besser als erwartet. Immer wieder gewinnt er rund um die Mittellinie Bälle und leitet Gegenangriffe ein.

Als Fazit würde ich die Leihe bisher durchaus als Erfolg sehen. Der verletzte Julio Enciso, den Fati ersetzen sollte, wird kaum vermisst. Am Abschluss muss Ansu noch arbeiten, dann hätte er sämtliche (realistischen) Erfahrungen erfüllt. Spannend wird es zudem, wenn Adingra und Kaoru Mitoma im Januar und Februar aufgrund der Asien-Meisterschaft und des Africa Cup of Nations nicht für die Seagulls auflaufen können. In dieser Phase wird nochmal mehr Druck auf Ansu lasten. Aktuell genießt er oft Freiheiten, die ihm Mitoma verschafft, der gleich mehrere Gegenspieler bindet. Hier wird sich dann also zeigen, ob Fati mehr sein kann als „nur“ ein sehr guter Komplementärspieler.“

Ob und wie es für Ansu Fati nach seiner Leihe beim Jugendklub FC Barcelona – Vertrag bis 2027 – weitergeht, lässt sich zum jetzigen Zeitpunkt nicht seriös beurteilen. Sollte der zehnfache Nationalspieler seines Landes (zwei Tore) die vielversprechenden Ansätze für Brighton & Hove Albion konstant auf den Rasen bringen, spricht wenig gegen eine Liaison 2.0 im „Blaugrana“-Trikot. In erster Linie gelten die besonderen Fähigkeiten in den Beinen als valides Argument für einen gemeinsame Zukunft auf höchstem Niveau. Allerdings bedarf es dafür fundamental einen nicht streikenden Körper.

(Photo by Dean Mouhtaropoulos/Getty Images)

Steven Busch

Die Außenristpässe eines Tomás Rosicky entfachten seinen Enthusiasmus für den Fußball und die Affinität zu den schwarzgelben Borussen aus dem Ruhrgebiet. WM-Held Mario Götze brach ihm mit dem Wechsel in den Süden der Republik einst sein Fanherz und der Glaube an die Fußballromantik schwand.


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