Liverpool gegen Arsenal: Kick and Rush auf Weltklasse-Niveau
24. Dezember 2023 | Spotlight | BY Philipp Overhoff
Nach ereignisreichen 90 Minuten haben sich der FC Liverpool und der FC Arsenal am Samstagabend im Premier-League-Spitzenspiel mit 1:1 getrennt. Die Partie verdiente sich dabei sogar für englische Verhältnisse das Prädikat „intensiv“. Eine Analyse.
Arsenal führt früh: Die Standard-Maschine schlägt wieder zu
Deutet man die Körpersprache von Jürgen Klopp und Mikel Arteta beim obligatorischen Trainer-Handshake nach Abpfiff richtig, so können sowohl Liverpool als auch Arsenal mit dem Punktgewinn sehr gut leben. Der gegenseitigen Huldigung vorausgegangen sind dabei 90 Spielminuten im Zeichen des Pressing-Fußballs, für den Klopp und Arteta, wenn auch auf eine andere Art und Weise, beide stellvertretend stehen.
Der FC Liverpool startete im altbewährten 4-3-3 in das Duell, wobei die Mittelfeld-Zentrale von Wataru Endo, Curtis Jones und Dominik Szoboszlai bekleidet wurde. Alexis Mac Allister fehlt den Reds nach wie vor verletzt, Ryan Gravenberch kam nach seiner Verletzung gegen Manchester United von der Bank.
Den Gästen aus London, die ihrerseits ebenso im 4-3-3 aufliefen, gehörte in diesem Duell die Anfangsphase. Nach nur vier Minuten ging Arsenal durch einen Treffer von Gabriel in Führung. Der Innenverteidiger traf nach Freistoßflanke von Martin Odegaard per Kopf, ein bekanntes Stilmittel der Gunners in dieser Spielzeit. 17 ihrer 36 Saisontore markierte die Arteta-Truppe nach Standardsituationen, ein absoluter Spitzenwert.
Liverpool zeigte sich vom frühen Rückstand jedoch völlig unbeeindruckt und setzte die Aufbauspieler Arsenals immer wieder unter enorm hohen Pressingdruck. Infolgedessen operierten diese fast ausschließlich mit langen Bällen, eigentlich untypisch für die Philosophie ihres Trainers, der das geordnete Flachpassspiel hinten raus als oberste Maxime betrachtet. Aber es war alles sinnvoll: Ballverluste in kritischen Zonen wurden vermieden, das Turbo-Umschaltspiel von Liverpool so lahmgelegt.
(Photo by Michael Regan/Getty Images)
Beim gestrigen Auftritt an der Anfield Road entschieden sich die Nord-Londoner also dafür, das Risiko gefährlicher Ballverluste zu minimieren und entzogen sich dem Liverpooler Anlaufen immer wieder mit hohen Bällen, die in der ersten Halbzeit primär auf Kai Havertz zielten. Der deutsche Nationalspieler war bei Ibrahima Konate und Virgil van Dijk aber sehr gut aufgehoben, insgesamt gewann Liverpool in der ersten Halbzeit 85% aller Luftzweikämpfe. Havertz selbst verlor alle vier seiner Kopfballduelle.
Da auch der FC Arsenal in der ersten Halbzeit ein nicht weniger intensives Gegenpressing spielte, entwickelte sich ein temporeiches Auf und Ab. Längere Ballpassagen im Mittelfeld gab es so gut wie gar nicht, das Spielgerät wechselte fast sekündlich seinen Besitzer. Folgerichtig war es daher auch, dass die Tore nach einer Standardsituation beziehungsweise nach einem langen Ball fielen. Und als Sinnbild der individuellen Klasse. In der 29. Minute überspielte Trent Alexander-Arnold mit einem Traumpass nahezu die komplette Arsenal-Defensive und fand Mohamed Salah auf der rechten Seite. Der Ägypter ließ seinen direkten Bewacher Oleksandr Zinchenko im Eins-gegen-Eins stehen, zog ins Zentrum und hämmerte den Ball aus zehn Metern unhaltbar in den rechten Winkel. Ein typisches Salah-Tor.
Das Matchup Salah vs. Zinchenko war im Vorhinein als ein Schlüsselduell ausgemacht worden, da der Ukrainer seine Stärken deutlich eher im Spiel mit als gegen den Ball besitzt und in der Vergangenheit mit schnellen Flügelspielern vom Archetypus eines Mo Salah immer wieder seine Schwierigkeiten hatte. Zumindest in dieser Aktion war der Linksverteidiger absolut chancenlos.
Sky-Experte Rene Adler beschrieb die erste Halbzeit sehr treffend als antizyklisch. Das Team, welches gerade weniger den Ball hatte, war tendenziell im Vorteil und eher dazu in der Lage, vielversprechende Abschlusssituationen für sich zu kreieren. Beide Trainer vermieden es zudem, das allerhöchste Risiko zu gehen. Respekt unter den Besten eben.
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Liverpool in der zweiten Halbzeit näher am Sieg
Dieses Bild änderte sich in der zweiten Halbzeit zunächst kaum. Hoher Pressingdruck, lange Pässe, konsequentes Nachgehen auf den zweiten Ball. Erst Mitte der zweiten Halbzeit gelang es dem FC Arsenal etwas mehr Kontrolle über das Spielgeschehen zu erlangen. Zwischen der 65. und 75. Minute hatten die Gunners fast 80% Ballbesitz. Schlüsselspieler dieser Phase war Declan Rice, der sich immer wieder tief fallen ließ, den Ball bei seinen Innenverteidigern abholte und ins zweite Drittel des Spielfeldes beförderte. Der Rekord-Einkauf des Klubs brachte trotz des aggressiven Liverpooler Pressings 88% seiner Pässe an den Mitspieler und stellte insbesondere in den letzten 30 Spielminuten immer wieder die Hauptanspielstation im Londoner Mittelfeld dar.
Passend zum Spielverlauf, wir erinnern uns, hatte der FC Liverpool in der ausgeprägtesten Ballbesitzphase Arsenals aber seine zwei größten Torchancen. In der 71. und 72. Minute scheiterten Harvey Eliott und Alexander-Arnold jeweils am Aluminium. Im Anschluss an diese beiden Möglichkeiten beruhigte sich das Spiel etwas, beide Teams mussten ihrem hohen Arbeitsaufwand etwas Tribut zollen und verteidigten nun konservativer. Da die Defensivabteilungen beider Mannschaften fast über die gesamte Spieldauer hinweg einen sehr konzentrierten Job machten, ergaben sich keine ganz heißen Abschlusssituationen mehr.
Auch wenn die Elf von Jürgen Klopp insgesamt etwas griffiger wirkte und 60% der Zweikämpfe gewann, so waren es vor allem Rice und William Saliba, die das Zentrum des FC Arsenal größtenteils dicht hielten und eine mögliche Liverpooler Schlussoffensive gar nicht erst aufkommen ließen. Saliba eroberte sechs Bälle, gewann jedes seiner drei Kopfballduelle und blockte dazu noch einen Schuss. Eine weitere dominante Vorstellung des jungen französischen Innenverteidigers.
Dieses Spitzenspiel hatte alles in allem zwar nur wenige klare Torchancen zu bieten , machte seinem Namen trotzdem alle Ehre. Beide Mannschaften zeigten, warum sie nicht nur mit, sondern auch gegen den Ball zur absoluten Elite des europäischen Klubfußballs gehören. Insbesondere die erste Halbzeit bot typisch britischen Kick-and-Rush-Fußball, die technische Klasse fast aller Akteure auf dem Spielfeld blitze dabei in hoher Regelmäßigkeit aber immer wieder auf.
Letztendlich dürfte der FC Arsenal mit der Punkteteilung sogar noch ein Stück besser leben können als der FC Liverpool, da die Reds in der zweiten Halbzeit die klareren Torgelegenheiten hatte und zusätzlich dazu in der ersten Halbzeit um einen vermeintlich klaren Handelfmeter gebracht wurden. Somit bestreiten die Gunners die Weihnachtsfeiertage als Tabellenführer der Premier League.
(Photo by PAUL ELLIS/AFP via Getty Images)