Manchester United mit neuem Tiefpunkt: Wie geht es jetzt weiter?
13. Dezember 2023 | Spotlight | BY Manuel Behlert
FC Bayern, FC Kopenhagen, Galatasaray: Das waren die Gegner, die die Auslosung der Gruppenphase der Champions League für Manchester United ergab. Fans und Verantwortliche waren sich einig, dass es gute, attraktive und machbare Lose waren, die gezogen wurden. Einige Monate später sind alle in der Realität angekommen.
Denn Manchester United ärgerte weder den deutschen Rekordmeister, noch überzeugten die Red Devils gegen die anderen Gruppengegner. Nur vier Punkte konnte die Mannschaft von Trainer Erik ten Hag in der Königsklasse einfahren, was den letzten Platz bedeutete. Nicht einmal für die Europa League reichte es. Es ist ein neuer Tiefpunkt erreicht und die Zeit, alles zu hinterfragen, ist spätestens jetzt gekommen.
Ein Spiel als Realitycheck für Manchester United
Der Anspruch eines großen Klubs wie Manchester United ist es, auf höchstem Niveau bestehen, Spiele gewinnen und vielleicht sogar regelmäßig dominieren zu können. Wie sehr Anspruch und Wirklichkeit bei den Red Devils dieser Tage auseinanderklaffen, zeigte die Gruppenphase in der Champions League und besonders das Spiel am Dienstagabend gegen den FC Bayern (0:1) deutlich. Die Ausgangslage war klar: Für ein Weiterkommen musste unbedingt gewonnen werden. Das Old Trafford, ein europäischer Fußballtempel, war voll, die Fans zumindest vor Anpfiff noch positiv gestimmt. Was sich auf dem Platz allerdings zeigte, war das Gegenteil von Euphorie oder der Zurschaustellung des Willens, ein gutes Ergebnis einzufahren.
Manchester United presste nur selten aggressiv, war mit dem Ball schlampig, sehr ungenau, wenig zielstrebig. Manuel Neuer musste im gesamten Spiel lediglich einen Distanzschuss von Luke Shaw parieren, den er einfach wegfausten konnte. Dass es mit einigen verletzten Spielern spielerisch nicht perfekt läuft, lässt sich erklären und entschuldigen. Die vielen Zweikämpfe, die an die Spieler des Rekordmeisters gingen, waren allerdings ein viel größeres Problem. Nicht einmal die Grundtugenden wurden auf den Platz gebracht. Es entstand der Eindruck, die Spieler von Manchester United wissen nicht, dass sie dieses Spiel gewinnen müssen.
Dass Erik ten Hag nach dem Spiel sagte, die Spieler hätten alles gegeben und man habe „den Spirit auf dem Platz“ gesehen, überraschte schon ein wenig. Der Niederländer sah sogar ein ordentliches Spiel seiner Mannschaft, die „die Niederlage nicht verdient“ hatte. In England sieht man die Aussagen des Niederländers nicht zum ersten Mal eine wenig anders. Ex-United-Spieler Paul Scholes sprach von einer „beängstigenden“ Leistung, das Team könne „keine einzige Chance kreieren“. Es fehlt an Abstimmung, schon im Aufbau wird das Team nervös, wenn es nur leicht gepresst wird. All das wurde am Dienstag gegen eine nicht wirklich überragend aufgelegte Bayern-Elf zum wiederholten Male deutlich.
Das gestrige Spiel war ein erneuter Tiefpunkt für Manchester United. Und das nicht nur auf dem Platz sondern auch im Stadion. Es waren nämlich über weite Strecken der Partie nur die Fans des Rekordmeisters zu hören, die sich auch noch über den Gegner lustig machten. Das ist die Höchststrafe. Schon vor der Partie schallte es „you’re sh*t and you know you are“ durch das Old Trafford. Und ehrlicherweise hatten die Bayern-Anhänger damit einen Punkt. Die Fans können relativ gut einschätzen, dass United an einem Punkt angelangt ist, an dem es so nicht weitergehen kann.
Manchester United: Eine Saison zum Vergessen
Das Aus in der Champions League war erschreckend, nicht einmal in der Europa League zu überwintern, ist ein schwerer Schlag. Auch in den anderen Wettbewerben ist viel Luft nach oben. Im EFL-Cup war früh gegen Newcastle United (0:3) Schluss, im FA-Cup steigt man auswärts bei Wigan Athletic ein. Und in der Liga steht Manchester United auf Platz sechs, mit einem negativen Torverhältnis, wohl gemerkt. Zwölf Pflichtspielniederlagen gab es bereits, damit wurde die Hälfte aller Spiele verloren. Das ist übrigens die gleiche Anzahl wie in der gesamten Vorsaison.
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Es bahnt sich eine Saison zum Vergessen an. In der Liga sind Liverpool, Manchester City, Arsenal und derzeit wohl auch Aston Villa enteilt, Tottenham zeigt deutlich mehr Energie und Newcastle United wirkt stabiler. Den Pokal zu gewinnen kann United sicher nicht einplanen, zu viele Unwägbarkeiten liegen auf dem Weg. Es wäre der erste bedeutungsvolle Titel seit 2016, die letzte Meisterschaft gab es 2013. Und selbst dieser FA-Cup wäre nur ein kleines Trostpflaster auf eine große Wunde, die diese Saison hinterlässt.
Jeder Stein muss umgedreht werden
Doch wie geht es nun weiter? Schon im September schrieben wir, dass die Zeit der Ausreden für Erik ten Hag langsam, aber sicher vorüber sei und er Lösungen finden muss. Eine Weiterentwicklung ist seitdem aber nicht zu sehen. 3:4 in Kopenhagen, 0:3 zuhause gegen Bournemouth: Die schwachen Resultate werden nicht weniger. Dass es Verletzungssorgen gab und gibt, die einen Einfluss haben, ist natürlich auch nicht von der Hand zu weisen. Das kann aber nicht die einzige Erklärung sein, warum häufig so gar keine Struktur auf dem Platz erkennbar ist. Selbst die Siege sind ja oftmals nicht geprägt von sehr guten Leistungen.
Spätestens jetzt muss jeder realisiert haben, dass es nicht damit getan ist, nur den Trainer auszutauschen und den ein oder anderen neuen Spieler zu verpflichten. Es muss ein ganzheitliches Konzept her, Manchester United muss von Grund auf neu durchdacht und umgebaut werden. Dabei müssen wichtige Fragen beantwortet werden: Wie will man Fußball spielen? Welche Grundprinzipien sind wichtig? Und wie lässt sich das mit einem nachhaltigen Konzept vereinbaren?
Drüber hinaus ist es von enormer Bedeutung, im Scouting und bei der Abwicklung von Transfers besser zu werden. Antony ist auf dem besten Weg zu einem 95-Millionen-Flop zu werden – was für viele in der Branche keine Überraschung ist. Erfahrene Spieler wie Casemiro oder Raphael Varane erfüllten die Erwartungen nur zum Teil, es existiert die ein oder andere „Kaderleiche“ bei United. Trotz hoher Ausgaben einen Kader mit derart wenig Homogenität hinzustellen, ist ebenfalls als extrem negativ zu bewerten. Auch hier hatten mehrere Verantwortliche, darunter auch der Trainer, die Finger im Spiel.
Es gibt also nicht den Alleinschuldigen, aber es ist auch niemand von der Schuld freizusprechen. Die Red Devils befinden sich weiterhin auf einer Talfahrt, die mit kleinen Stellschrauben, an denen gedreht wird, nicht zu stoppen ist. Vielleicht hilft dabei ja auch Jim Ratcliffe, der in Kürze die Teilübernahme von Manchester United fixiert und auf sportlicher Ebene erhebliches Mitspracherecht haben wird. Doch selbst mit den richtigen Ideen ist die Aufgabe eine sehr große und langwierige. Willkommen in der Realität, Manchester United.
(Photo by Shaun Botterill/Getty Images)
Manuel Behlert
Vom Spitzenfußball bis zum 17-jährigen Nachwuchstalent aus Dänemark: Manu interessiert sich für alle Facetten im Weltfußball. Seit 2017 im 90PLUS-Team. Lässt sich vor allem von sehenswertem Offensivfußball begeistern.