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Experten-Prognosen zur Premier League: Meisterfrage, Top-Four und Havertz-SZN?

4. August 2022 | Spotlight | BY Chris McCarthy

Am Freitag rollt in der Premier League wieder der Ball. Wer wird 2022/2023 Meister, was ist im Kampf um die Top-Four zu erwarten und welche Überraschungen könnte es geben? Das und mehr gilt es in unserem Experten-Panel zu besprechen.

Vor dem Eröffnungsspiel zwischen dem FC Arsenal und Crystal Palace haben wir uns mit James Benge, der für CBS Sports über die Premier League berichtet, sowie Joachim Hebel, Kommentator und Co-Host des Podcasts KlickNRush, unterhalten. Für 90PLUS antwortete Chris McCarthy

  • Wer wird Meister in der Premier League?
  • Kai Havertz vor einer Monster-Saison?
  • Prognosen zu den Top-Four, Abstiegskampf und mehr


Premier League 2022/2023: Welcher Stürmer schlägt ein, wer wird Meister?

In der Premier League war es zweifelsohne das Transferfenster der Stürmer: Erling Haaland zu Manchester City, Darwin Nunez zu Liverpool und Gabriel Jesus zu Arsenal. Wer wird den größten Impact bei seinem neuen Verein haben? 

James Benge (JB): Haaland wird wahrscheinlich die meisten Tore schießen: Ein dominanter Top-Vollstrecker in einem System, das die meisten Chancen der Premier League herausspielt. Nunez hat mehr zu beweisen, nach einer Saison, in der er seine expected Goals (xG) dramatisch überperformt hat. Eine Regression zur Mitte, in einer kompetitiveren Liga scheint unausweichlich. Aber wenn wir über Impact reden, also wer sein Team am meisten verbessern wird, dann könnte es Jesus sein. Es war die gesamte Saison offensichtlich, dass ein neuer Stürmer in vielfacher Hinsicht einen echten Impact auf die gesamte Mannschaft haben würde. Wir haben bereits in der Vorbereitung gesehen, wie sehr sich das Team durch einen Top-Stürmer verbessert.

Joachim Hebel (JH): Es ist wie so oft im Leben: hier sehe ich bei allen drei Fällen Vor- und Nachteile. Ich habe alle drei Spieler in der Vorbereitung beobachtet. Sie haben mir Dinge gezeigt, die mir gefallen – und genauso aber auch Dinge, die noch Fragen offenhalten. Eines haben alle drei Stürmer gemeinsam: Die Erwartungen aufgrund der jeweiligen Ablösesumme werden enorm sein. Wenn ich mich auf einen Spieler festlegen sollte, dann sage ich Gabriel Jesus. Ich habe ihn gegen Nürnberg live aus nächster Nähe gesehen und war sehr beeindruckt.

Chris McCarthy (CM): Ich schließe mich James an, Haaland wird die meisten Tore erzielen, Nunez könnte trotz guter Ansätze in der Vorbereitung eine größere Anlaufzeit benötigen. Jesus dagegen hat bei Arsenal binnen kürzester Zeit angedeutet, wie wichtig er für das Team ist. Ließe sich das messen, würde ich sagen, dass er für den größten Punktezuwachs der drei Mannschaften verantwortlich sein könnte. Es sind nicht nur die Tore, es sind seine Laufwege, sein Arbeitsaufwand im Pressing, seine Spielintelligenz und Kombinationsfähigkeit, die letzte Saison auf dieser Position schlichtweg nicht vorhanden waren. Nachdem er bei Manchester City im Schatten vieler Stars stand, scheint er mit steigender Verantwortung regelrecht aufzublühen und alle damit anzustecken.

Haaland und Nunez haben natürlich einen großen Einfluss auf den Titelkampf. Sowohl ManCity als auch Liverpool haben sich namhaft verstärkt, gleichzeitig aber wichtige Spieler verloren (Oleksandr Zinchenko, Jesus, Raheem Sterling / Sadio Mané): Wer ist 2022/2023 Titelfavorit und warum? Und: Könnte sich womöglich doch ein Dritter einmischen?

JB: Ich sehe keinen, der City und Liverpool so nahe kommen kann. Wenn Leute sagen, Tottenham könne diese Lücke schließen, lohnt es sich hervorzuheben, dass wir von einer soliden Top-Four-Mannschaft erwarten, eine der leistungsstärksten Mannschaften der englischen Fußballgeschichte zu werden. Wer den Titel holen wird? Ich glaube, es wird wieder bis zur letzten Minute gehen und City wird es auf dramatische Weise richten.

JH: Klar, Manchester City. Sie haben Spieler verloren – aber auch starke Spieler dazu bekommen. Und ich glaube, nach den Sterling- und Zinchenko-Millionen könnte sogar noch etwas passieren. Liverpool muss jetzt zeigen, dass sie es auch ohne Mané können. Wenngleich man sagen muss, dass man dafür jetzt einen echten Mittelstürmer mit viel Potenzial hat.

CM: Letzte Saison sah ich City ein gutes Stück vor Liverpool und wurde eines Besseren belehrt. Trotzdem bleibe ich dabei. ManCity ist eine absolute Maschine. Betrachtet man sich die Expected Goals der (wenigen) Punktverluste in den letzten zwei Jahren, hätte man auch diese fast alle abwenden müssen. Hier kommt Haaland ins Spiel. Gegen tiefstehende Gegner, aber auch in Spielen, in denen die Kugel einfach nicht rein will, werden sich seine Präsenz, Wucht und Abschlussstärke als entscheidende Faktoren erweisen.

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Gelingt dem FC Arsenal der Sprung in die Top-Four der Premier League?

Der Kampf um die Top-Four scheint Jahr für Jahr unberechenbarer zu werden. Letzte Saison komplettierten Chelsea und Tottenham das Feld der englischen CL-Teilnehmer, Arsenal und Manchester United gingen leer aus. Nach ereignisreichen Monaten an der Stamford Bridge (Besitzerwechsel / Frust bei Thomas Tuchel) und am Old Trafford (Erik ten Haag ist neu, Ronaldos Wechselwunsch) sowie positiven Vibes um Arsenal, könnten die Karten wieder neu gemischt werden. Wer schafft es 22/23 in die Top-Four? 

JB: Tottenham war die drittbeste Mannschaft in England seit Antonio Conte das Ruder übernahm. Jetzt sehen sie noch ein Stück besser aus. Sie scheinen einen Platz sicher zu haben. Wenn Manchester United clever ist – fraglich – werden sie sich mit ihrem Umbruch Zeit lassen und sich weniger um einen Platz in der Champions League sorgen. Bleiben noch Arsenal und Chelsea: Es scheint, als wäre das Momentum mit den Gunners und, dass sie nicht die Löcher im Kader haben, über die sich Thomas Tuchel bei den Blues beschwert.

JH: City und Liverpool sind für mich gesetzt. Thomas Tuchel kritisiert derzeit bei Chelsea noch viel – aber der Staub verfliegt langsam. WENN da wieder komplett Ruhe ist, dann sind sie für mich die Nummer drei. Um die Vier werden sich dann Tottenham und Arsenal streiten. Reihenweise bewusst so gewählt.

CM: City und Liverpool sind für mich ebenfalls gesetzt. Dahinter werde ich mutig und tippe auf Arsenal. Sie waren 21/22 mit einem Kader, der nicht für die Top-Four bereit war, verdammt nah dran und das ohne Stürmer und ihren wichtigsten Spieler in den letzten Monaten (Thomas Partey). Mit einem Jahr mehr Erfahrung, einer weiteren (guten) Vorbereitung und Jesus als fehlendes Puzzleteil glaube ich, dass Mikel Artetas Vision in dieser Saison endgültig konstant auf den Platz kommt. Direkt dahinter sehe ich Tottenham. Doch sowohl bei den Spurs als auch Chelsea (etwas wilde Einkaufspolitik unter Todd Boehly) sehe ich Chaospotential (dazu später mehr). Bei Manchester United erwarte ich ein Übergangsjahr und das sollte von den Verantwortlichen nach vielen teuren Pflastern auch so akzeptiert werden.

Bournemouth, Nottingham Forest and Fulham sind aufgestiegen, was ist von den Neulingen zu erwarten? 

JB: Es ist schwer, sich für Bournemouth zu begeistern, wenn sie es scheinbar so vorsichtig angehen. Gleichzeitig frage ich mich, ob der Aufstieg Nottingham Forest verleitet hat, zu überschwänglich zu sein. Sie brauchten zweifelsohne qualitative Verstärkungen und sie haben auch genügend Spieler geholt, die gut sein sollten. Bei Fulham dagegen scheint viel Frust zu herrschen, aber man sollte nicht vergessen, dass sie eine der besten Teams waren, die die Championship je gesehen hat. Punktuelle Verstärkungen wie Joao Palhinha und Kevin Mbabu könnten schon viel bewirken.

JH: Ich sage das immer wieder: zuletzt konnten immer die Aufsteiger überzeugen, die einen eigenen Stil hatten, der sich auch auf die Premier League übertragen lässt. Wolves, Leeds und zuletzt Brentford. Das sehe ich bei allen drei Neulingen eher weniger. Nottingham kauft sich eine komplett neue Mannschaft zusammen. Eine Taktik, die Fulham in deren letzten beiden Erstliga-Jahren sofort wieder absteigen ließ. Alle drei Teams werden im Abstiegskampf stecken.

CM: Bournemouth wird es schwer haben, selbst wenn sie auf dem Transfermarkt noch nachlegen werden. Bei Fulham habe ich diesmal zwar ein besseres Gefühl als bei den letzten Aufstiegen, weil sie mehr auf Kontinuität setzen und letzte Saison so stark war. Dennoch macht mich nervös, dass Marco Silva offenbar mit dem Kader unzufrieden ist und schon jetzt Unruhe da ist. Nottingham Forest ist die Wundertüte: Der Ansatz war aufgrund der vielen Leihen in der Aufstiegssaison vielleicht nötig, birgt aber Risiken. Sie könnten überraschen, aber es könnte auch massiv nach hinten los gehen.

Kai Havertz vom FC Chelsea im Duell mit Arsenal-Verteidiger Gabriel, gelingt dem Deutschen in der Premier League der ganz große Durchbruch?

(Photo by Sam Greenwood/Getty Images)

Letzte Prognosen zur Premier League 2022/2023

Wer steigt (sonst) noch ab und warum?

JB: Forest und Bournemouth machen mir Sorgen, meine leicht verrückte Prognose für den dritten Absteiger ist Wolverhampton. Ihre Offensive trocknete letzte Saison regelrecht aus und droht nun auch einige Zeit auf Raul Jimenez verzichten zu müssen. Keeper Jose Sa wird wahrscheinlich auch nicht so stark sein wie letzte Saison. Ich tippe auf die Wolves.

JH: Leeds und Brentford stehen in der Premier League auf dem Prüfstand. Leeds hat mit Kalvin Phillips und Raphinha die beiden mit Abstand besten Spieler verloren. Dazu muss Jesse Marsch erstmal final ankommen. Kann sein, dass sein Umbruch mit dem Abstieg endet. Bei Brentford ist die Frage, ob sie noch so überraschen können. Sie haben über den eigenen Möglichkeiten gespielt und Christian Eriksen ist weg. Das „Second Season Syndrom“ geht um…

CM: Zwei Aufsteiger, ich tippe auf Fulham und Bournemouth. Bei Leeds United mache ich mir ebenfalls große Sorgen, wenngleich Jesse Marsch ein guter „Fit“ sein sollte und nun Zeit mit der Mannschaft hatte. Aber als dritten Absteiger nehme ich Everton. Sie haben letzte Saison den Klassenerhalt knapp geschafft und haben sich nach Richarlisons Abgang sogar verschlechtert. Darüber hinaus ist Frank Lampard meiner Meinung nach der Top-Kandidat auf die erste Trainerentlassung.

Abschließend: Ein Player to Watch, eine Überraschungsmannschaft und eine “bold prediction”

JB: Ich bin wirklich gespannt, wie Gianluca Scamacca in das System von West Ham passt. Nicht zuletzt, weil er technische Qualitäten und einen satten Schuss mit der Lufthoheit vereint, die typisch für eine David-Moyes-Mannschaft ist. Palace könnte in die höheren Gefilde der Premier League aufsteigen, vielleicht sogar auf Rang sieben oder acht. Wenn die Wolves als Abstiegskandidat nicht gewagt genug sind, glaube ich, dass es die Saison werden könnte, in der Kai Havertz der Durchbruch zum absoluten Superstar gelingt, der bei der Jagd um die Torjägerkanone vielleicht sogar unter den ersten Drei landen könnte.

JH: Ich nehme jetzt mal einen Spieler, der vielleicht nicht ganz oben landen wird, aber auf den ich mich freue: Luis Sinisterra von Leeds United. Ein klasse Aussenspieler, der alles hat, was man für die Premier League braucht. Ich habe ihn in der Conference League begleiten dürfen. Er ist vielleicht jemand, der sich für einen größeren Klub empfehlen kann. Ansonsten hoffe ich, dass Aston Villa überraschen kann. Gute Transfers, die meinen es echt ernst. Meine „bold prediction“ ist, dass Newcastle United mehr Punkte einfahren wird, als letzte Saison (lacht).

CM: Boubacar Kamara, der hier bereits vorgestellt wurde, könnte eine der besten Verpflichtungen der Saison werden (ablösefrei, Marseille). Ein spannender defensiver Mittelfeldspieler, der bei Aston Villa zu einem entscheidenden Puzzleteil werden könnte. Auf William Saliba (Arsenal) bin ich nach erfolgreichen Leihen ebenfalls gespannt, da erwarte ich viel. Überraschungsteam, im negativen Sinne, könnte Leicester werden. Auf dem Transfermarkt muss einiges passieren, damit man mit den Kandidaten für die Europa League noch Schritt halten kann. Ich sehe sie näher an den unteren Rängen als an den europäischen.

Meine gewagte Prognose – Betonung auf „gewagt“ – ist, dass ein Trainer aus der letztjährigen Top-Four am Ende der Saison nicht mehr im Amt sein wird. Da blicke ich bewusst nach London. Nicht aufgrund Contes oder Tuchels Qualität – sie sind zwei der besten in ihrem Fach – sondern weil es abseits des Platzes ungemütlich werden könnte. Tuchel äußerte seinen Frust bereits vor der Saison öffentlich. Und mit Conte verpflichtet man neben Genialität auch eine Prise Unberechenbarkeit. Man vergisst schnell, dass er bereits letzte Saison kurz davor war, hinzuschmeißen. In beiden Fällen könnte ein Negativlauf schnell zu Chaos führen.

(Photo by Sam Greenwood/Getty Images)

Chris McCarthy

Gründer und der Mann für die Insel. Bei Chris dreht sich alles um die Premier League. Wengerball im Herzen, Kick and Rush in den Genen.


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