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Wendepunkt für Werner? Warum er bei Tottenham wieder in die Spur finden könnte

12. Januar 2024 | Spotlight | BY David Schöngarth

Tottenham Hotspur holt Timo Werner per Leihe zurück in die Premier League. Nicht jeder ist von dem Deal überzeugt. Kann Werner seine Karriere im zweiten Anlauf in England wiederbeleben? Eine Analyse.

Timo Werner: Karriereknick bei Chelsea

Es kam mehr oder weniger aus dem Nichts. Als am vergangenen Samstagmorgen die ersten Medien aus Deutschland von einem potenziellen Wechsel Timo Werners (27) in die Premier League zu Tottenham Hotspur berichteten, schienen sich beide Parteien schon einig zu sein. Am Tag darauf flog Werner nach London und absolvierte den Medizincheck, am Mittwoch nahm der Deutsche erstmals am kompletten Training teil. Die Reaktionen auf das Leihgeschäft, das den 27-Jährigen mit anschließender Kaufoption für die restliche Saison zu den Spurs transferiert, fielen durchaus gemischt aus. Denn auf der Insel hat Werner, der zwischen 2020 und 2022 das Trikot des FC Chelsea trug, einen schweren Stand. Für mehr als 50 Millionen Euro wechselte Werner 2020 nach London – in der Vorsaison hatte er mit wettbewerbsübergreifend 47 Torbeteiligungen in 45 Spielen für RB Leipzig ordentlich Eigenwerbung betrieben.



An diese starken Leistungen konnte der Deutsche bei den Blues allerdings nicht anknüpfen. Auch wenn sich die Titelausbeute (Champions League, Supercup und Klub-WM) und Offensivstatistik (44 Torbeteiligungen in insgesamt 89 Spielen) des 27-Jährigen durchaus sehen lassen können, ist der ständig mit der Abseitslinie flirtende Werner in England vor allem für kläglich vergebene Chancen und ein eher unrühmliches Ende mit Ex-Trainer Thomas Tuchel bekannt. Ein viral gegangenes Video aus der Zeit der leeren Corona-Stadien zeigt die Frustration, die der deutsche Trainer zuweilen mit seinem Schützling hatte.

Das Kapitel Premier League war für Werner nach zwei Jahren beendet, es zog den gebürtigen Stuttgarter 2022 zurück an die alte Wirkungsstätte zu RB Leipzig. Doch auch in Leipzig findet sich Werner nach einem soliden ersten Jahr inzwischen mehr und mehr auf dem Abstellgleis wieder. Dass in Domenico Tedesco der Trainer, der ihn ursprünglich verpflichtet hatte, wenige Monate nach Werners Ankunft entlassen wurde, half natürlich wenig. Im Sommer baute Leipzig-Coach Marco Rose die Offensive seiner Mannschaft um, verpflichtete Lois Openda (23), Benjamin Sesko (20) und Xavi Simons (20). Seitdem ist im 4-2-2-2 der Leipziger kein Platz mehr für Werner.

Wieso zieht es den Deutschen nun in die Premier League zurück und ausgerechnet zu Tottenham? Kann Werner eine echte Verstärkung für die Spurs darstellen? Und was bedeutet der Wechsel für die Karriere des 27-Jährigen?

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Ein Januartransfer par excellence

Zur Halbzeit der Saison Spieler zu verpflichten, die dann auch noch auf Anhieb den Kader verstärken oder eine spontane Lücke qualitativ auffüllen, ist schwer. Kein Verein will Leistungsträger während einer Spielzeit abgeben. Insofern müssen sich die Teams umschauen, kreativ werden und vielleicht auch Spieler verpflichten, deren Formkurve zuletzt eher nach unten zeigte. So ist es auch bei Timo Werner der Fall, der jetzt wahrlich keine 1A-Lösung für die Spurs sein kann. Die Hoffnung im Norden Londons ist aber, dass Spurs-Coach Ange Postecoglou der Richtige ist, um Werner wieder in Form zu bringen. Dazu später mehr. Aber wieso waren die Spurs überhaupt in diesem Januar an einem Offensivspieler interessiert?

Ein enttäuschter Timo Werner im Trikot von Chelsea.

Das Kapitel beim FC Chelsea lief für Timo Werner nicht nach Plan – trotz großer Titel und einer akzeptablen Statistik. (Photo by Mike Hewitt/Getty Images)

Im vergangenen Sommer verlor Tottenham seinen unersetzbaren Offensiv-Talisman Harry Kane (30), verpflichtet wurden im Angriff lediglich Brennan Johnson (22), Manor Solomon (24) und Alejo Veliz (20). Letztere waren von Anfang an nur als Ergänzungsspieler vorgesehen, sind dazu auch beide momentan verletzt. Die offensive Last konnte zwar in der laufenden Saison relativ gut auf die verschiedenen Schultern der Offensive verteilt werden – die Spurs trafen als einzige Mannschaft in der laufenden Saison in jedem Premier-League-Spiel -, mit der Teilnahme von Son Heung-Min (31) am Asien-Cup tut sich nun allerdings eine klaffende Lücke auf. Diese soll von Werner, der genau wie Son sowohl im Sturmzentrum, aber vor allem auch auf der linken Außenbahn eingesetzt werden kann, geschlossen werden. Die Spurs gehen mit der Leihe des 27-Jährigen dabei minimales (finanzielles) Risiko ein. Schlägt der 27-Jährige jedoch ein, kann sich Tottenham dank einer Kaufoption für verhältnismäßig günstige 17 bis 18 Millionen Euro die Dienste von Werner fest sichern.

Ein Spieler wie gemacht für Ange Postecoglou?

Dass Timo Werner rein numerisch den Kader der Spurs für den Zeitraum des Asien-Cups verstärkt, ist schön und gut. Doch kann der Deutsche dem Team von Ange Postecoglou auch fußballerisch weiterhelfen? Bei genauerer Betrachtung spricht vieles dafür, denn der 27-Jährige passt auf dem Papier sehr gut zur Philosophie des neuen Spurs-Trainer. Ein Blick auf die Expected Goals-Werte des deutschen Angreifers aus den letzten Jahren zeigt, dass Werner nie sonderlich überperformt hat. Für seinen herausragenden Ausschluss ist der Deutsche schließlich auch nicht bekannt. Aber Werner hat andere Qualitäten, die ihn immer wieder in gefährliche Situationen bringen und somit zu einer wertvollen Ergänzung für viele Offensivabteilungen machen. Allen voran wäre da natürlich die Geschwindigkeit des Deutschen, mit der er immer wieder in die Tiefe starten, Raum gewinnen und die Defensivreihen des Gegners auf Trab halten kann. Tottenhams Offensivspiel in der laufenden Saison ist häufig schnell und vertikal – und die bevorstehende Rückkehr von Kreativ-Spezialist James Maddison (27) bedeutet, dass Werner mit noch besseren Bällen aus dem Mittelfeld gefüttert werden könnte.

Timo Werners Statistiken in einem Kreisdiagramm.

Timo Werners Statistiken im letzten Jahr im Vergleich zu anderen Stürmern. Vor allem im Dribbling und raumgewinnenden Passspiel kann sich der Deutsche beweisen. Damit dürfte er gut zum vertikalen Spiel der Spurs passen. (Daten via Fbref)

Die Statistik attestiert Werner außerdem gute Dribbling-Werte und Bestnoten im raumgewinnenden Passspiel – ein guter Fit zu dem schnellen Umschaltspiel der Spurs. Das Team von Ange Postecoglou zählt zu den pressing-intensivsten Mannschaften der Premier League, wie der „Passes Per Defensive Action“-Wert (PPDA) zeigt. Hier erlauben die Spurs dem Gegner im Schnitt nur 9,7 Pässe in der eigenen Hälfte, ehe es zu einer Pressingaktion kommt. Werner, der seine Bereitschaft zum Offensivpressing im Verlauf seiner Karriere bereits unter Beweis gestellt hat, dürfte sich hier perfekt einfügen.

Letztlich wird es auch wichtig sein, dass sich Werner gut in das derzeit extrem harmonische Mannschaftsgefüge der Spurs einfügt. Nach überwiegend düsteren Jahren unter José Mourinho und Antonio Conte scheint der Spurs-Kader derzeit so geschlossen wie selten, Trainer Postecoglou betont immer wieder, wie wichtig ihm Mentalität und Professionalität seien. Die bisherige Saison der Spurs gibt dem Australier recht: Einstige Nebenakteure wie Giovani Lo Celso oder der bereits als Transferflop verschriene Richarlison finden derzeit unter der Ägide von Postecoglou wieder in die Spur. Timo Werner wird auf eine ähnliche Entwicklung hoffen.

Ein Triumph aus vergangenen Tagen: Timo Werner feiert mit Chelsea den Gewinn der Champions League 2020/21. (Photo by Manu Fernandez – Pool/Getty Images)

Letzte Chance für die Heim-EM

Am Ende des Tages steht für Werner einiges auf dem Spiel. Zwar ist der gebürtige Stuttgarter und 57-fache deutsche Nationalspieler erst 27, viele weitere Chancen bei einem Top-Klub wird Werner wohl aber nicht mehr bekommen. Außerdem bleiben Werner nur noch wenige Monate, um sich für die Heim-EM 2024 in Deutschland zu empfehlen. 2017 debütierte der 27-Jährige für die deutsche Nationalmannschaft, spielte bei der WM 2018 und Europameisterschaft 2021. Die Weltmeisterschaft 2022 verpasste er verletzungsbedingt.

Der neue Bundestrainer Julian Nagelsmann hat Werner bislang noch nicht nominiert – und das obwohl beide in Leipzig sehr erfolgreich zusammenarbeiteten. Vielleicht kann Werner nun bei Tottenham die Aufmerksamkeit seines Ex-Coaches gewinnen.

(Photo by Maja Hitij/Getty Images)

David Schöngarth

Aufgewachsen mit Grafite, Luca Toni und Co. entfachten Gareth Bale und Mauricio Pochettinos Spurs in David eine Leidenschaft für die Premier League. Interessiert sich für alles, was auf der Insel vor sich geht. Seit 2022 bei 90Plus.


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