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Inter | Geglückter unerwünschter Umbruch?

4. November 2021 | Trending | BY Yannick Lassmann

Spotlight | Inter verlor nach der Meisterschaft gleich mehrere prägende Figuren. Dennoch spielt die Nerazzurri wieder eine gute Rolle in der Serie A. Ob es zur Titelverteidigung langt, ist jedoch fraglich.

Inter: Auf grenzenlose Euphorie folgt Ernüchterung

Die Jubelgesänge waren am 2. Mai weit über die Standgrenzen Mailands hinaus zu hören, als ein 2:2 zwischen Sassuolo Calcio und Atalanta den ersten Inter-Scudetto seit elf Jahren besiegelte. Schützenhilfe war eigentlich gar nicht nötig gewesen. Zu dominant trat die Nerazzurri – insbesondere in der Rückserie – auf, wo der Fokus – nach dem frühen Champions-League-Aus – vollends auf die Serie A gelegt werden konnte. Mit beeindruckenden 91 Punkten und 89 geschossenen Toren in 38 Spielen führte die Nerazzurri am Ende mit klarem Vorsprung die Tabelle an.

Die Hoffnungen auf eine langfristig erfolgreiche Zukunft waren allerdings schon wenige Wochen später verflogen. Die angespannte finanzielle Situation machte Verantwortlichen sowie Fans einen Strich durch die Rechnung. Kurz nach Saisonende löste Meistermacher Antonio Conte (52) – jetzt bei Tottenham tätig – seinen Vertrag auf. Es kam noch schlimmer, denn Inter war auf satte Transfereinnahmen angewiesen. Achraf Hakimi (22) wechselte nach nur einem Jahr für 60 Millionen Euro zum steinreichen Paris St. Germain. Zwei Wochen vor Saisonstart kehrte auch noch Romelu Lukaku (28) – nicht nur aufgrund seiner 24 Treffer absoluter Unterschiedsspieler – nach Chelsea zurück. Immerhin spülte der Abgang etwa 115 Millionen Euro in die leeren Kassen. Dazu ging mit Ashley Young (36) ein Routinier, der in der Kabine eine bedeutende Rolle besaß.

 

Trotzdem stand nur ein geringes Budget zur Verfügung, um den erheblichen personellen Aderlass angemessen aufzufangen. Auf der Trainerposition reagierte die Führung um den stets besonnenen agierenden Giuseppe Marotta (64) umgehend. Simone Inzaghi (45), der zuvor fünf Jahre erfolgreich bei Lazio arbeitete und ablösefrei zu haben war, lautete die Antwort auf den Verlust von Conte. Eine kluge Wahl, denn der Trainer setzte in der Hauptstadt auf einen ähnlichen Spielstil im bei Inter praktizierten 3-5-2-System. Dementsprechend verlief die Anpassungszeit nicht allzu lang.

Ebenfalls keine Transferentschädigung musste an den Stadtrivalen AC Milan überwiesen werden. Hakan Calhanoglu (27) ließ dort seinen Vertrag auslaufen und wagte den unpopulären Seitenwechsel. Auf Hakimi folgte EM-Entdeckung Denzel Dumfries (25/ 12,5 Millionen Euro Ablöse an PSV Eindhoven). Die größte Problematik herrschte im Angriff. Zu dominant präsentierte sich Lukaku, als das er für geringes Geld nur annähernd gleichwertig ersetzt werden könnte. Daher nahm der Einfluss von Lautaro Martinez (24) – ebenfalls herausragend im Vorjahr – weiter zu. Zudem kamen Edin Dzeko (35) ablösefrei von der Roma und der Inzaghi bereits bekannte Joaquín Correa (27) vorerst leihweise von Lazio.

Neuzugänge helfen weiter: Überragender Dzeko

Somit hatte der neue Übungsleiter schon zu Beginn der Spielzeit auf allen Positionen die freie Wahl. Er entschied sich, dem angewandten Inter-Ansatz treu zu bleiben. Eine feste Säule bildet – bei aller offensiven Stärke – die Verteidigung. Torhüter Samir Handanovic (37) zeigt weiterhin, dass er auch im höheren Fußballalter konstant starke Leistungen bringen kann. Darüber hinaus besteht Verlass auf seine Vordermänner. Die Dreierkette aus Alessandro Bastoni (22), Milan Skriniar (26) und Stefan de Vrij (29) tritt nahezu fehlerfrei auf.

Ohnehin gilt das Zentrum momentan als Prunkstück des Mailänder Spiels. Nicoló Barella (24) – kurz vor einer Vertragsverlängerung stehend – beging den nächsten Schritt in seiner Entwicklung. Er fungiert nun nicht mehr nur als Antreiber aus der Tiefe heraus, sondern trifft im letzten Drittel des Spielfelds zunehmend richtige Entscheidungen. Dies spiegelt sich auch in der Anzahl seiner Torvorlagen wieder. Während er 2020/21 neunmal für einen Mitspieler auflegte, steht er jetzt schon bei sechs Zuspielen, die einen Treffer einleiteten.

Inter: Edin Dzeko und Nicoló Barella

(Photo by Marco Luzzani/Getty Images)

Ein weiterer Faktor ist Marcelo Brozovic (28), der eine defensive Absicherung garantiert, sodass Barella sich nach vorne hin austoben kann. Akzente setzt auch schon der bei vier Scorerpunkten stehende Calhanoglu, der aber noch nicht sein gesamtes Potenzial abrief. Mit noch größeren Anlaufschwierigkeiten hat Dumpfries zu kämpfen. Der Niederländer konnte sich noch keinen Stammplatz erobern. Stattdessen fungiert der im Sommer fest aus Parma verpflichtete Matteo Darmian (31) zumeist als rechter Schienenspieler. Sein Gegenpart blieb Ivan Perisic (32), dessen Offensivpower immer noch enorm weiterhilft.

Trotz des Weggangs von Lukaku hapert es im Angriffsspiel der Nerazzurri keineswegs. 28 Tore erzielte sie bereits – im Schnitt sogar mehr als im Vorjahr. Für ein Viertel zeigte sich Dzeko verantwortlich. Der großgewachsene Mittelstürmer wies erneut nach, dass sein Karriereende noch längst nicht bevorstehen muss. Neben ihm bot Martinez ebenfalls starke Vorstellungen. Fünfmal netzte er während seiner ersten sechs Einsätze ein. Zuletzt musste er im Heimspiel gegen Udine (2:0) allerdings lange zusehen. Correa erhielt den Vorzug und rechtfertigte dies mit einem Doppelpack.

Gelungener Saisonstart – starke Konkurrenz

Insgesamt gewann Inter sieben der elf Ligaspiele. Die einzige Niederlage setzte es kurioserweise bei Lazio (1:3), wo man sich im Sommer gleich doppelt bediente. Die Siege wurden allesamt in Duellen mit vermeintlich unterlegenen Mannschaften eingefahren – zumeist souverän mit zwei oder mehr Toren Differenz. Auffällig: In Vergleichen mit Spitzenmannschaften blieben die Erfolgserlebnisse aus. Gegen Atalanta (2:2) gab es nach wildem Spiel eine leistungsgerechte Punkteteilung. Das Derby d’italia endete ebenfalls Remis, wobei die Nerazzurri über weite Strecken das Geschehen kontrollierte und Juventus erst durch einen späten Elfmeter den Ausgleich herstellte.

(Photo: Flashscore)

Ähnlich schaut die Lage in der Champions League aus, wo die Mailänder zuletzt zweimal die Pflicht gegen Sheriff Tiraspol erfüllten. Das Heimspiel gegen Real Madrid ging allerdings unglücklich verloren (0:1). Am Sonntag (20.45 Uhr) steht das Stadtderby gegen die brillant gestartete – und schon mit sieben Punkten Vorsprung ausgestattete – AC an. Eine Begegnung, die zeigen kann, ob Inter trotz des ungewollten Umbruchs wieder als Titelaspirant fungiert oder doch nur die vorher als Saisonziel ausgegebene Champions-League-Teilnahme das höchste der Gefühle darstellt. Dort oder spätestens im direkt nach der Länderspielpause steigenden Aufeinandertreffen mit der ebenso bärenstark auftretenden SSC Napoli dürfte geklärt werden, ob der Umbruch sogar als überaus gelungen bezeichnet werden darf.

(Photo by Gabriele Maltinti/Getty Images)

Yannick Lassmann

Rafael van der Vaart begeisterte ihn für den HSV. Durchlebte wenig Höhen sowie zahlreiche Tiefen mit seinem Verein und lernte den internationalen Fußball lieben. Dem VAR steht er mit tiefer Abneigung gegenüber. Seit 2021 bei 90Plus.


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