Viele Jahre lang hatte Juventus den Titel in der Serie Aquasi abonniert. Neun Meisterschaften feierte die Alte Dame zwischen 2011 und 2020 in Folge. Zeitgleich befanden sich zwei andere italienische Fußball-Schwergewichte aus dem Norden des Landes, die Stadtrivalen Inter Milan und AC Milan, im Dornröschenschlaf. Nur drei Jahre nach dem Champions-League-Triumph 2010 beendete Inter die Saison 2012/2013 auf dem enttäuschenden neunten Platz, die AC Milan fiel im Jahr 2015 sogar auf den zehnten Rang der Serie A zurück.
Spulen wir vor in die Saison 2020/2021. Dem Jahr, in dem die norditalienische Mode- und Industriemetropole wieder im wahrsten Sinne des Wortes an die Spitze des italienischen Fußballs zurückkehrte. Denn der Titel wurde in diesem Jahr zwischen Inter und Milan ausgemacht. Was das Derby della Madonnina im Februar 2021 so bedeutsam machte.
Doch auch Rivale Inter kam im Herbst auf Betriebstemperatur und wurde zum Milan-Verfolger Nummer eins. Lediglich in der Champions League kamen die Nerazzuri nicht in Form und schieden als Gruppenletzter aus. Wochenlang trennten beide Teams nur wenige Punkte – ein Meisterschaftsrennen, dass Hochspannung versprach. Unmittelbar vor dem richtungsweisenden Aufeinandertreffen beider Teams im zweiten Derby della Madonnina der Serie A-Saison war Inter dann das Team der Stunde. Denn während das Team von Antonio Conte abgesehen vom Halbfinal-Aus in der Coppa Italia gegen Juve gut in die Rückrunde startete, verließ die Rossoneri im neuen Jahr das Glück. Mit sechs Siegen aus den elf Spielen zwischen Neujahr und dem Duell mit Inter im Februar entglitt Milan die Tabellenführung. Das Derby della Madonnina sollte diesen Trend nur noch verstärken und die Weichen für den weiteren Saisonverlauf stellen.
Besonders brisant: Erst kurz vor dem Aufeinandertreffen in der Liga im Februar, hatte es im Januar ein Derby della Madonnina im italienischen Pokal gegeben. Inter bezwang da Milan im Viertelfinale mit 2:1 – für Milan die zweite Niederlage in Folge. Während der Partie gerieten Milans Zlatan Ibrahimovic (41) und Romelu Lukaku (30) aneinander. Beide Spieler wurden anschließend für ein Pokalspiel gesperrt. Für zusätzliches Drama war neben der ewigen Rivalität und dem hochspannenden Meisterschaftskampf also gesorgt.
Im Fokus vor dem Derby della Madonnina: Romelu Lukaku und Zlatan Ibrahimovic, die kurz vorher aneinander geraten waren. (Photo by Marco Luzzani/Getty Images)
Ein einseitiges Derby della Madonnina: Der Spielverlauf
Es war also alles angerichtet für ein Derby auf höchstem Niveau am 21.02.2021. Auf Seiten Milans bildete Kapitän Romagnoli (28) gemeinsam mit Simon Kjaer (34) das Duo in der Innenverteidigung, im Mittelfeld sicherten Frank Kessié und Sandro Tonali ab. Vorne stürmte Zlatan Ibrahimovic (41), der sich aufseiten Inters mit dem Abwehr-Bollwerk bestehend aus Stefan de Vrij (31), Alessandro Bastoni (24) und Milan Skriniar (28) konfrontiert sah. Im Mittelfeld lief bei Inter ebenfalls das eingespielte Trio aus Nicolo Barella (26), Marcelo Brozovic (30) und Christian Eriksen (31) auf, Lautaro Martinez (26) und Romelu Lukaku (30) bildeten das gewohnte und gefürchtete Sturmduo. Bestbesetzung also, und doch fehlte etwas: Die Fans. Die waren nämlich aufgrund der anhaltenden Corona-Pandemie nicht zugelassen, sodass das packende Derby vor leeren Rängen ausgefochten wurde.
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In einer intensiven Partie kam Inter deutlich besser aus der Kabine. Schon in der fünften Minute stach das Offensivduo der Nerazzurri, als Lukaku die Vorarbeit für Lautaro Martinez lieferte – 1:0 für Inter. Auch in der Folge ging alles erstmal in eine Richtung. Inter drückte, erst zum Ende der Halbzeit fasste Milan mehr Mut und hatte eigene Chancen. Zur Pause entwickelte sich ein offener Schlagabtausch, Inter nahm die Führung jedoch mit in die Kabine.
Milan nahm die Leistungssteigerung mit und dominierte die Anfangsphase des zweiten Durchgangs. Ein Anschlusstreffer wäre zu diesem Zeitpunkt nicht unverdient gewesen. Genau in dieser Drangphase antwortete Inter – wie es Spitzenteams nun einmal so tun – mit einem in Conte-Manier eiskalt ausgespielten Konter: 2:0 Lautaro Martinez (57.).
Stefano Piolis Team kam nicht mehr in die Spur, Romelu Lukaku setzte kurze Zeit später mit dem 3:0 den Schlussstrich unter ein Derby della Madonnina, welches Inters Titelambitionen unterstrich und die Machtverhältnisse in Mailand demonstrierte. Mit dem Sieg konnte Inter den Vorsprung an der Tabellenspitze auf vier Punkte ausbauen. Doch das war erst der Anfang einer furiosen Rückrunde für Inter.
Lautaro Martinez bei seinem zweiten Treffer der Partie. (Photo by MIGUEL MEDINA/AFP via Getty Images)
Inters Machtdemonstration: Was danach geschah
Der Derbysieg fiel nämlich in mitten einer Serie beachtlichen Phase, in der es elf Siegen in Serie gab. Der Vorsprung der Nerazzurri an der Tabellenspitze wuchs und wuchs. Am 2. Mai, vier Spieltage vor Saisonende, sicherte sich Inter den Scudetto. Ein historisches Ereignis, schließlich brach Inter Juventus festen Griff um die italienische Meisterschaft und holte die erste Meisterschaft seit einem knappen Jahrzehnt.
Milan hingegen ging in der Rückrunde die Puste aus. Nach zwei Niederlagen in Folge gegen Sassuolo und die Roma rutschten die Rossoneri im April fünf Spieltage vor Schluss sogar außerhalb der Champions-League-Ränge. Und das obwohl Milan in der ersten Saisonhälfte lange die Tabellenführung inne hatte. Dank eines beeindruckenden Saisonendspurts, darunter ein 3:0 gegen Juventus und ein 7:0 gegen den FC Turin, sicherte sich Milan letztendlich doch die Qualifikation für die Champions League und wurde sogar Zweiter hinter Stadtrivalen Inter. Ein Beweis dafür, dass die Entwicklungskurve bei den Rossoneri trotz zwischenzeitlichen Ausrutschern unter Stefano Pioli grundsätzlich nach oben zeigte.
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Das sollte sich auch in der darauffolgenden Saison bestätigen, als der Meistertitel erneut in Mailand ausgemacht wurde. Diesmal aber mit besserem Ende für Milan. Die Rossoneri sicherten sich 2021/2022 am letzten Spieltag vor Inter den Scudetto und beendeten ihrerseits die Meisterschafts-Durstrecke seit 2011.
Antonio Conte war zu diesem Zeitpunkt bereits ein Geist der Vergangenheit. Der Architekt von Inters Meisterschaft im Jahr zuvor hatte unmittelbar nach Saisonende das Amt aufgeben – angeblich aufgrund von Differenzen mit der Vereinsführung, die starke Einsparungen für den Transfersommer der Nerazzurri angekündigt hatten. Im Herbst 2021 heuerte Conte bei Tottenham an. Trotz einer guten ersten Saison endete das Kapitel bei den Spurs für Conte in einem Scherbenhaufen. Inter nahm derweil unter dem Conte-Nachfolger Simone Inzhagi eine gute Entwicklung.
Antonio Conte verließ Inter im Sommer 2021 und ist nach einem gescheiterten Intermezzo bei Tottenham derzeit ohne Job. (Photo by Mike Hewitt/Getty Images)
Dennoch wird die Saison 2020/2021 noch lange in Erinnerung der Inter-Fans leben. Die Nerazzurri holten unter der Ägide von Antonio Conte nämlich nicht nur den ersten Scudetto seit 2010, sie taten es mit Stil. 91 Punkte, drei Niederlagen in der Liga, dazu ein zwischenzeitlicher Lauf von 20 Ligaspielen ohne Niederlage in Serie.
Mit dem sich perfekt ergänzenden Duo aus Romelu Lukaku und Lautaro Martinez im Sturm, Nicolo Barella, Marcelo Brozovic und Christian Eriksen im Mittelfeld, Achraf Hakimi (24) und Ivan Perisic (34) als Wirbelwinde auf den Außenverteidigerpositionen und Stefan de Vrij, Alessandro Bastoni und Milan Skriniar als Innenverteidigung, war der Kader von Inter perfekt ausgeglichen und auf das System Antonio Contes mit Dreierkette und offensiven Außenverteidigern zugeschnitten.
Die Saison 2020/2021 war symbolisch für die Rückkehr des Mailänder Fußballs ins Rampenlicht der Serie A. Mit dem Derby della Madonnina im Februar 2021 gipfelte der Schlagabtausch, den sich Inter und Milan in dieser Saison lieferten. Weitere enge Duelle folgten. Im vergangenen Jahr kämpften beide Teams um den Einzug ins Champions-League-Finale. Und auch wenn 2022/2023 Neapel die Schlagzeilen bestimmte, sieht es danach aus, als sei die Mailänder Renaissance noch nicht vorüber.
(Photo by MIGUEL MEDINA/AFP via Getty Images)