Unruhe ohne Ende: Die Hintergründe der Ajax-Krise auf und neben dem Platz

8. Oktober 2023 | Global News | BY Manuel Behlert

Der Name AFC Ajax war und ist bis heute im Weltfußball mit viel Tradition verbunden. Viele große Spieler spielten für diesen Klub in den Niederlanden, zahlreiche Titel wurden gewonnen, phasenweise prägte die Ajax-Schule sogar den internationalen Fußball. Vom Glanz vergangener Tage ist derzeit aber wenig zu sehen. 

Im Gegenteil, aktuell geht es für die Verantwortlichen darum, das ganz große Chaos zu verhindern. Denn die Entwicklungen der letzten Wochen und Monate sind besorgniserregend, auf und neben dem Platz. Doch wie kam die Krise rund um Ajax eigentlich zustande und welche Auswege könnte es geben? 

Auf Spurensuche: Die Anfänge der Ajax-Krise

Der Status quo bei Ajax, einem der traditionsreichsten und erfolgreichsten Klubs in den Niederlanden, ist schnell erklärt. Nach fünf beendeten Saisonspielen hat das Team nur einen Sieg eingefahren, wartet seit sechs Pflichtspielen auf einen Erfolg. Das Topspiel gegen Feyenoord im eigenen Stadion wurde kürzlich beim Stand von 0:3 abgebrochen, weil die Zuschauer mehrfach Feuerwerkskörper auf den Platz warfen. Nach Fortführung der Partie unter Ausschluss der Öffentlichkeit hieß es am Ende gar 0:4, was einem Debakel gleich kam. Auf dem Feld fehlt die Identität, der Trainer steht massiv in der Kritik und Sven Mislintat (50) wurde nur wenige Monate nach Amtsantritt als Sportdirektor entlassen.



Bei der Frage nach der Wurzel allen Übels haben wir bei Tim van Duijn, Journalist beim niederländischen Medium Voetbal International, nachgehakt. „Der Niedergang hat damit begonnen, dass viele Schlüsselfiguren Ajax verlassen haben und es derzeit nicht klar ist, wer wofür verantwortlich ist. Nach dem Weggang von Marc Overmars ist Ajax nicht mehr dasselbe. Unter Erik ten Hag hat Ajax sehr gut gearbeitet, aber seine Nachfolger haben das nicht fortgeführt. Es ist aber nicht nur die Schuld der Trainer, denn im Vorstand herrscht schon seit langem ein Chaos. Nach dem Weggang von Overmars fehlte es an Know-how bei Transfers, sodass Ajax die Hilfe eines Agenten benötigte, um bestimmte Transfers abzuschließen. Seine Rolle und sein Einfluss erwiesen sich als viel größer als erwartet, was Ajax für Außenstehende schlecht aussehen ließ.“

Ajax

(Photo by ANGELOS TZORTZINIS/AFP via Getty Images)

Auch die Transferaktivitäten müssen kritisch beäugt werden. Spieler wie Mohammed Kudus (23), Jurrien Timber (22), Edson Alvarez (25) und Calvin Bassey (23) zu ersetzen, ist nicht einfach. Sie alle wechselten aber in die Premier League, spülten viel Geld in die Kasse. Ein zentraler Aspekt der Kritik an der Kaderplanung ist, dass viel Geld für viel durchschnittliche Spieler ausgegeben wurde. Ein Beispiel: Diant Ramaj (21), Gaston Avila (21), Carlos Forbs (19) und Georges Mikautadze (22) kosteten zusammen gut 50 Millionen Euro, haben – bis auf Forbs – bisher aber noch keinen wirklich positiven Einfluss auf das Spiel von Ajax. 

Es war also ein Mangel an Kompetenz, der die Ajax-Krise ausgelöst hat. Das ist besonders unglücklich, weil dieser Klub in den letzten Jahren stets gute Lösungen parat hatte, wenn Topspieler verkauft wurden. Entweder innerhalb der eigenen, hervorragenden Jugendakademie oder dank einer guten Scoutingbasis. Erstmals seit längerer Zeit muss sich Ajax vorwerfen lassen, einen Kader zur Verfügung zu haben, dem es gleich in mehreren Elementen an der nötigen Qualität und Homogenität fehlt. Das macht es auch nicht einfach für den Trainer.

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Der Faktor Sven Mislintat

Die Mislintat-Geschichte ist übrigens noch nicht zu Ende erzählt. Eine Pointe gab es noch. Nämlich die internen Ermittlungen, die gegen ihn eingeleitet wurden. Er sagte Ajax nämlich nicht, dass einer der Berater, mit denen er im Sommer Geschäfte machte (Arthur Beck), Aktien eines Unternehmens besitzt, an dem Mislintat selbst beteiligt ist. Man muss in diesem Fall nur eins und eins zusammenzählen, um auf den Verdacht eines Interessenkonfliktes zu kommen. Das beschleunigte laut Tim van Duijn auch dessen Entlassung: „Ich glaube nicht, dass Sven Mislintat schlechte Absichten hatte, aber es war fahrlässig. Weil es Ajax schlecht ging und die Spieler nicht lieferten, wurde die meiste Aufmerksamkeit auf ihn gelenkt und er war der erste, der zum Opfer wurde.“

Mislintat Ajax

(Photo by PHIL NIJHUIS/ANP/AFP via Getty Images)

Den 50-Jährigen zum Alleinschuldigen zu erheben, wäre aber auch falsch. Die internen Veränderungen und die Führungslosigkeit bei Ajax begünstigten die Entwicklung. Als Edwin van der Sar (Geschäftsführer) beispielsweise plötzlich seinen Abgang ankündigte, gab es keine Aufsicht mehr und Mislintat konnte im Grunde machen, was er wollte. Es fehlte das Kontrollorgan, klare Hierarchien im internen Bereich. Dabei war die Aufgabe, die auf den 50-Jährigen wartete, extrem umfassend.

„Mislintat hatte nicht nur die Aufgabe, einen kompatiblen Kader zusammenzustellen, sondern musste Ajax auch „erneuern“ und das Scouting neu organisieren. Kapitän Dusan Tadic sah, dass sich bei Ajax viel verändert hatte, fühlte sich mit den neuen Plänen nicht wohl und beschloss zu gehen“, erklärt Tim van Duijn. Das sorgte wiederum für ein Führungsvakuum. Spieler, die in der Mannschaft Kommandos gaben, auch in der Kabine hoch geschätzt wurden, verließen den Klub. Die Neuzugänge waren nahezu alle sehr jung, konnten die Lücke nicht schließen. Auch deswegen sieht der Fußball aktuell so bieder aus. Individuell gesehen mag es spannende Spielertypen geben, so einfach ist es im Fußball aber nicht.

Auch zwischen Mislintat und Trauner Maurice Steijn gab es Differenzen. Steijn wollte mehr niederländische und bekannte, erfahrene Spieler im Kader haben. Er entschied sich zum Beispiel für Nicolas Tagliafico, der die Ajax-DNA bei einem früheren Engagement aufgesogen hatte. Mislintat war aber nicht bereit, das geforderte Gehalt zu bezahlen, ähnlich sah es bei anderen Personalien aus. Die Diskrepanz zwischen den Ideen des Trainers und der Umsetzung von Mislintat war enorm. Das destabilisiert einen Cheftrainer intern natürlich auch weiterhin.

Ajax muss Lösungen für die Zukunft finden

Die Situation bei Ajax ist problematisch, aber nicht unumkehrbar. Es müssen schnelle, aber vor allem auch die richtigen Entscheidungen getroffen werden. Louis van Gaal (72) wurde deswegen zum Berater ernannt, der sich in die Krise stürzen und dem Verein wieder die altbekannte Identität verleihen soll. Eine ordnende Hand zu haben ist aber nur ein erster Schritt. Darauf muss aber eine klare Struktur folgen, nach der gearbeitet wird – in allen Bereichen.

van Gaal Ajax

(Photo by RAMON VAN FLYMEN/ANP/AFP via Getty Images)

Wahrscheinlich auch mit einem anderen Trainer, wie Experte Tim van Duijn erklärt: „Ajax muss sich überarbeiten, Dinge anders machen und eine klare und bessere Vision umsetzen.Was den Trainer betrifft: Ja, er steht unter großem Druck.Wenn die nächsten Spiele nicht gut laufen, wird er Ajax sicher auch verlassen. Die Idee, Steijn zu verpflichten, war gut, denn er galt als ‚Overperformer‘, der bei seinen vorherigen Vereinen gute Arbeit geleistet hat und wahrscheinlich auch mit einer neuen Mannschaft gut zurechtkommen könnte. Aber am Ende war Ajax doch eine Nummer zu groß für ihn, das lässt sich schon jetzt sagen.“

Der nächste Gegner in der Eredivisie heißt AZ Alkmaar. Bei einer Niederlage wäre der Traum von der Meisterschaft wohl schon jetzt ausgeträumt. Die Länderspielpause, die an dieses Spiel anschließt, gilt als die Möglichkeit, den Neuanfang im Klub, der dringend benötigt wird, mit der entsprechenden Energie zu starten. Denn eins ist klar: Viele Fehlentscheidungen darf man sich bei Ajax nicht mehr erlauben.

(Photo by OLAF KRAAK/ANP/AFP via Getty Images)

Manuel Behlert

Vom Spitzenfußball bis zum 17-jährigen Nachwuchstalent aus Dänemark: Manu interessiert sich für alle Facetten im Weltfußball. Seit 2017 im 90PLUS-Team. Lässt sich vor allem von sehenswertem Offensivfußball begeistern.


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