15.000 Tote | Die WM 2022 in Katar – Wenn Humanität keine Rolle spielt

13. Dezember 2021 | Trending | BY Florian Weber

Die Fußball-Weltmeisterschaft 2022 wird in Katar stattfinden, der Wüstenstaat investiert seit Jahren mehrere Millionen Euro in den FC Bayern. Auf der anderen Seite sind die Arbeitsbedingungen in dem Emirat noch immer verheerend, Gastarbeiter werden ausgebeutet und zahlen nicht selten mit dem Leben. Über 15.000 Tote und wieso der Fußball seine Augen verschließt.

Ein Video des „ZDF Sportstudio“ sorgte gestern auf Twitter für Aufsehen. Zu sehen ist Nicholas McGeehan, Menschenrechtsforscher und Direktor der gemeinnützigen Organisation Fairsquare Research. Er spricht über Katar, den Ausrichter der Fußball-Weltmeisterschaft 2022. Und auch wenn die Informationen keine gänzlich neuen sind, sind die Worte McGeehans so schockierend, dass sie nachfolgend komplett wiedergegeben werden:

„Die aktuellen Zahlen sagen, es sind 15.000 tote Gastarbeiter in Katar seit der WM-Vergabe. Rund 9.000 davon aus Asien. Schockierend ist außerdem, dass 70% der Todesfälle von Gastarbeitern nicht aufgeklärt werden. Also sieben von zehn Familien haben keine Informationen darüber, wie ihre Söhne ums Leben gekommen sind.“

Die Zahlen, die McGeehan vorstellt, entstammen einem Bericht von Amnesty International. Veröffentlicht wurde er bereits im August. Die Informationen sorgten damals bereits für Widerhall. Angesichts dessen, was der Bericht offenlegte, allerdings für ein viel zu leises mediales Echo.

Totenscheine für Gastarbeiter werden wie am Fließband ausgestellt

Der Bericht „In the Prime of their Lives. Qatar’s failure to investigate, remedy and prevent migrant workers‘ deaths“ legt dar, dass Katar Totenscheine für Gastarbeiter ausstellt, ohne die Todesursache zu untersuchen. Dies geschehe routiniert und strukturiert. Glaubt man den Papieren der katarischen Behörden, starben in den letzten Jahren tausende junge und gesunde Männer an „natürlichen Ursachen“. Eine Formulierung, die an Vagheit nicht zu überbieten ist. Und Fragen aufwirft.

Amnesty International prüfte 18 Totenschein die Katar für Gastarbeiter ausstellte. In 15 waren die angegebenen Todesursachen unspezifisch: „akutes Herzversagen“, „unspezifisches Herzversagen“, „akutes Atemversagen aufgrund natürlicher Ursache“ und weitere Floskeln standen darin geschrieben. Ähnliche Formulierungen stellte Amnesty bei mehr als der Hälfte der Todesscheine fest, die für die auf den Baustellen zur Vorbereitung der Fußball-Weltmeisterschaft 2022 Gestorbenen ausgestellt wurden. Das Ergebnis der Untersuchung der Menschenrechtsorganisation lautet: Fast 70 Prozent der Todesfälle von Gastarbeitern in Katar bleiben ungeklärt – vorsätzlich.

Katar 2022

(Photo by Francois Nel/Getty Images)

Hinweise auf die wahren Todesursachen gibt der Bericht ebenfalls. „Seit die FIFA im Jahr 2010 die WM 2022 an Katar vergeben hat, gibt es immer wieder Informationen, Berichte und Vorwürfe, dass Arbeitsmigranten in beträchtlicher Zahl aufgrund des extrem heißen Klimas des Landes und der mangelhaften Arbeitsbedingungen starben, während sie an riesigen Infrastrukturprojekten“ arbeiteten. Infrastruktur, die größtenteils für die Fußball-WM 2022 errichtet wird.

Beratungsgremium der Regierung: Reformen sollen verwässert werden

Die FIFA und der DFB erzählen gerne das Märchen, die Arbeitsbedingungen vor Ort würden sich durch die stärkere Zusammenarbeit mit westlichen Demokratien verbessern. Und in der Tat: Seit der Vergabe der WM 2022 an Katar hat das Land angekündigt, sein Arbeitsrecht zu reformieren, erste Reformschritte sogar schon eingeleitet. In der Realität ist davon allerdings kaum etwas zu sehen. Wie Amnesty International im Juni dieses Jahres berichtete, ist etwa folgende Praxis bis heute in Katar üblich: Ein wechselwilliger Gastarbeiter wird wegen „Entlaufens“ von seinem Arbeitgeber angezeigt und verurteilt. Ja, „Entlaufen“ ist nach katarischem Recht ein Strafbestand. Zudem hängt das Aufenthaltsrecht der Gastarbeiter ausschließlich von deren Arbeitgeber ab. Bedeutet: Wenn die Arbeitgeber wollen, droht den Gastarbeitern Haft oder Abschiebung. Migranten arbeiten in Katar unter sklavischen Bedingungen, dass zeigen diese beiden Beispiele. Und mehr als zwei Millionen von ihnen, um Straßen, Stadion, Hotels und Parks für die WM 2022 aus dem Boden zu stampfen – oder kurz: den König Fußball zu hofieren.

Und selbst den optimistischsten Geistern, wie etwa Karl-Heinz Rummenigge, der immer wieder auf die kleinen Schritte in Richtung eines menschenfreundlichen Katars hinweist, sei gesagt: Laut Amnesty International soll es Bestrebungen geben, die eingeleiteten aber bisher noch nicht umgesetzten Reformen nach der WM wieder rückgängig zu machen. Ein Beratergremium der Regierung habe deutlich gemacht, dass die Reformen verwässert werden sollen. Aktuell sei der öffentliche Druck allerdings noch zu groß.

Katar wies in einer Stellungnahme die Anschuldigungen zurück. Sie seien „beispiellos und ungerechtfertigt“, sagte ein Regierungssprecher und verwies darauf, wie wirkungsvoll die Arbeitsreformen seien. Von den Reformen hätten bisher über eine Million Menschen profitiert. Laut Amnesty International profitieren nur etwas zwei Prozent der Gastarbeiter in Katar von den nach der WM-Vergabe eingeleiteten Reformen, wie etwa dem gesetzlichen Mindestlohn.

FC Bayern, DFB und FIFA: Wenn Geld wichtiger als Menschenwürde ist

Welche Verantwortung an diesen Menschenrechtsverletzungen tragen nun Bundesligavereine wie der FC Bayern München, der seit 2011 jährlich zum Wintertrainingslager in den Wüstenstaat reist und seit 2018 einen millionenschweren Sponsoren-Deal mit Qatar Airways unterhält, der DFB und die FIFA? Mit der dortigen Austragung der Fußball-Weltmeisterschaft bieten DFB und FIFA dem Emirat eine Bühne, sich der Welt so zu präsentieren, wie der Staat es nach außen wünscht. Die Verstrickungen zwischen dem FC Bayern und Katar bewirken dasselbe. Und dahinter steckt seitens Katar eine strategische Motivation. Über den Sport will das Emirat seinen globalen Stellenwert steigern – und davon wirtschaftlich profitieren.

Katar ist eines der reichsten Länder der Welt. Zu diesem Reichtum gelangte das Land auf der arabischen Halbinsel durch immense Öl- und Erdgasvorkommen. Die Königsfamilie rund um Herrscher Scheich Tamim bin Hamad Al Thani plant allerdings seit Jahren, unabhängig von endlichen Ressourcen zu werden. Dazu investieren sie in verschiedene Wirtschaftssektoren – und haben im Sport nun ein Vehikel gefunden, die eigene Macht auszuweiten. Für diesen Machtzuwachs und die gesteigerte globale Aufmerksamkeit fließen horrende Summen. So horend hohe, dass die Vereine und Verbände, die von den Zahlungen profitieren, über Menschenwürde hinwegsehen.

Katar wird mit der Austragung der Fußball-Weltmeisterschaft von der FIFA und dem DFB eine Bühne geboten. Derjenige, der sich auf dieser präsentiert, muss sich aber nicht an die Regeln halten. Menschenwürde, Arbeitsrecht, Humanität – alles egal. Hauptsache die Spiele finden statt und das Geld fließt – unter welchen Umständen auch immer. Mit Lippenbekenntnissen zu den allgemeinen Menschenrechten spart weder die FIFA – „Die FIFA bekennt sich zur Einhaltung aller international anerkannten Menschenrechte und setzt sich für den Schutz dieser Rechte ein“ – noch der DFB – „Auf dem 43. DFB-Bundestag wurde 2019 ein Bekenntnis „zur Achtung aller international anerkannten Menschenrechte“ in § 2 der DFB-Satzung aufgenommen“. Kommt es aber darauf an, diese von einem der größten Inverstoren einzufordern, werden Menschenrechte von einem Muss zu einem Kann.

(Photo by Fran Santiago/Getty Images)


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