Chelsea vs. Real Madrid: Werden die „Blues“ zu Wiederholungstätern?

6. April 2022 | Vorschau | BY Michael Bojkov

Vorschau | Mit dem FC Chelsea und Real Madrid duellieren sich der amtierende Sieger und der Rekordsieger des Wettbewerbs um den Einzug in das Champions-League-Halbfinale. Viel größer geht es also eigentlich kaum. Während die „Blues“ den Henkelpott verteidigen wollen, sind die Königlichen auf Revanche aus.

Ein Spiel mit junger Vergangenheit

Chelsea gegen Real Madrid – war da nicht mal was? Doch, und das vor nichtmal allzu langer Zeit. Erst in der vergangenen Saison standen sich die beiden Mannschaften im Halbfinale der Champions League gegenüber. Damals setzten sich die „Blues“ nach Hin- und Rückspiel letztlich ungefährdet mit 3:1 durch, holten sich später im Finale gegen Manchester City (1:0) nach 2012 den zweiten Henkelpott der Vereinsgeschichte. Nun wollen die Engländer den Titel verteidigen. Das ist erst einer Mannschaft gelungen, die da heißt – richtig – Real Madrid. 

Die Königlichen wollen sich nicht nur für die schmerzhafte Halbfinalpleite aus dem letzten Jahr revanchieren, sondern wieder die glorreichen Zeiten in der spanischen Hauptstadt aufleben lassen. Nachdem man den Pott zwischen 2016 und 2018 gleich dreimal am Stück holte, warten die „Blancos“ seit nunmehr immerhin vier Jahren auf internationale Silberware. Vielleicht ist also gerade jetzt der richtige Zeitpunkt mit dem richtigen Gegner, um den eigenen hohen Ansprüchen wieder ein Stück weit gerechter zu werden.



Chelsea: Titelverteidigung in schwierigen Zeiten?

Es schien nahezu alles perfekt an der Stamford Bridge. In Thomas Tuchel (48) hatte man endlich den Trainer gefunden, der es nicht nur geschafft hat, eine junge, talentierte Mannschaft auf das nächste Level zu hieven, sondern auch den westlichen Teil Londons mit Silberware zu schmücken. Mit großer Silberware. Und das nur wenige Monate nach Dienstantritt. Der Champions-League-Titel in der vergangenen Spielzeit machte nicht nur die Fans und das zuweilen schwierige Umfeld der „Blues“ glücklich, sondern sorgte auch dafür, dass der Klub international mächtig an Renommee gewann. So konnte man im vergangenen Spätsommer mit Romelu Lukaku (28) einen der besten Stürmer der Welt an die „Bridge“ zurückholen. 

Chelsea Real Madrid

(Photo by GLYN KIRK/AFP via Getty Images)

So gut es auf dem Platz lief, so niederschmetternd kam jedoch die Nachricht, dass der russische Oligarch und Klubeigentümer Roman Abramowitsch (55) aufgrund des Angriffskrieges seines Heimatlandes gegen die Ukraine von Großbritannien und der EU sanktioniert wurde. Für den FC Chelsea bedeutete das von einem auf den anderen Tag nichts geringeres als die Zahlungsunfähigkeit, da Abramowitsch in Europa de facto der Geldhahn abgedreht wurde. Plötzlich wusste keiner mehr, wie genau es weitergeht und ob das jüngst so erfolgreiche Konstrukt überhaupt eine Zukunft hat.

Mannschaft blendet die Unruhen aus

Die gute Nachricht: Auf dem Platz macht sich das kaum bemerkbar. Die Mannschaft fuhr konstant gute Resultate ein, im März gab es sechs Pflichtspielsiege am Stück. Die jüngste 1:4-Schlappe gegen Brentford durchbrach diese Serie zwar, allerdings waren sich alle recht schnell einig, dass das Heimspiel gegen den Aufsteiger der Kategorie Ausrutscher zuzuordnen gilt.

Betrachtet man die Leistungen auch abgesehen von der Niederlage gegen Brentford mit kritischem Blick, ist jedoch durchaus anzumerken, dass die Rädchen im Tuchelschen System hier und da nicht mehr ganz so gut ineinandergreifen, wie das in der vergangenen Rückrunde der Fall war. Zielscheibe der Kritik ist immer wieder auch Lukaku, der über ein halbes Jahr nach seinem Chelsea-Comeback den hohen Erwartungen hinterherhinkt, zuweilen sogar wie ein Fremdkörper im System wirkt.

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Premier-League-Experte Uli Hebel, bei DAZN und Sky als Kommentator tätig, sieht die Probleme hier jedoch simpler als sie zunächst erscheinen mögen. „Lukaku hat Probleme mit der Intensität in der Premier League. Unter Conte war er auch gegen den Ball gefordert. Aber die Serie A hat, mit Verlaub, ein ganz anderes Tempo als die englische Liga. Bei Inter konnte er sich Pausen gönnen, die der defensive Verbund aufgefangen hat. Das Brentford-Spiel zeigte ganz gut: In der Premier League erlaubt nicht einmal ein Aufsteiger diesen Luxus. Und weil er die Wege gehen muss, ist er bei seiner primären Aufgabe weit weniger effektiv.“ Hebel sieht das Formloch also nicht nur dem Belgier selbst, sondern auch der läuferischen Intensität in der Premier League geschuldet. 

Gegen Real Madrid wäre ein Lukaku in seiner besten Version zwar eine kaum zu verteidigende Waffe, die Mannschaft ist jedoch nicht zwingend von ihm abhängig. Bei den „Blues“ ist die Toreproduktion auf mehrere Schultern verteilt. Mason Mount (23) etwa gelangen in der laufenden Premier-League-Spielzeit bereits acht Treffer, was für einen Zehner keine schlechte Ausbeute ist. Kai Havertz (22) ist zudem immer für ein wichtiges, gerne auch spielentscheidendes Tor gut, was er nach seinem goldenen Treffer im letztjährigen Champions-League-Finale auch in der laufenden Saison unter Beweis stellte.

Real Madrid will an gute alte Zeiten anknüpfen

Es war eine derbe Blamage, die Real Madrid vor der jüngsten Länderspielpause einstecken musste. Mit 0:4 verlor man den Clásico gegen den FC Barcelona – noch dazu vor heimischer Kulisse. Die Frage, die sich im Nachgang stellte: Wie muss eine solche Niederlage eingeordnet werden? Denn im Grunde kam sie ziemlich unerwartet. Immerhin feierte Real zuvor fünf Siege am Stück. Für Nils Kern, Chefredakteur bei REAL TOTAL, war die Clasico-Schlappe ein Ausrutscher. „Im Clásico war der große Unterschied, dass nur eine Mannschaft Lust auf das Spiel hatte. Gegen Chelsea werden die Blancos zumindest wieder konzentrierter agieren und eben Gegner und Spiel ernst nehmen. So wird die Art und Weise des Clásicos eine Ausnahme bleiben.“ Dass die jüngste Blamage Langzeitfolgeschäden nach sich zieht, hält der Real-Experte also für unwahrscheinlich.

Chelsea Real Madrid

(Photo by MIGUEL RIOPA / AFP) (Photo by MIGUEL RIOPA/AFP via Getty Images)

Vieles hängt von der individuellen Klasse ab

Großes Aber: „Weder davor noch danach hat Real immer spielerisch überzeugen können“, so Kern. In der Tat fahren die Königlichen zwar die notwendigen Resultate ein, die Art und Weise wirkt aber oftmals etwas behäbig. Nach wie vor wird zu viel der individuellen Klasse von Spielern wie Toni Kroos (32), Vinícius Junior (21) und allen voran Karim Benzema (34) überlassen. Das zeigte auch der jüngste 2:1-Erfolg bei Celta Vigo, wo der Tabellenführer aus Madrid nicht das erste Mal in der laufenden Spielzeit mit angezogener Handbremse spielte.

Was außerdem etwas Sorge bereitet: Für das Hinspiel an der Stamford Bridge droht Cheftrainer Carlo Ancelotti (62) aufgrund einer Corona-Infektion auszufallen. Trotz seiner sehr zurückhaltenden Art des Ingame-Coachings sieht Kern einen Nachteil, sollte Ancelotti tatsächlich auch gegen Chelsea passen müssen. „Zwar dürfte auch ohne Ancelotti die Mannschaft auf- und eingestellt sein, wie es Ancelotti auch getan hätte, aber gegen Celta hat man schon einige Nachteile gesehen: keiner stand an der Seitenlinie, kein anfeuern, keine kurzen Ansagen, kein Ingame-Coaching […] Immerhin gibt es mit Benzema, Luka Modrić (36) und auch David Alaba (29) mittlerweile viele Kommunikatoren auf dem Platz, aber mit Trainer wäre es mir definitiv lieber“, so Kern.

Wer behält im Mittelfeld die Oberhand? Darauf kommt es an

Worauf es auf dem Platz ankommt? Da sieht Kern insbesondere das Mittelfeld um Casemiro (30), Kroos und Modrić gefordert. „Im vergangenen Halbfinale machten nicht nur Chelseas Geschwindigkeit und Qualität im Angriff den Unterschied aus, sondern auch das Mittelfeld um N’golo Kanté (31). Und das war auch in Paris (0:1 im Achtelfinal-Hinspiel) entscheidend: Real bekam keine Kontrolle, Kroos und Modrić verloren etliche Bälle, sodass die Offensive in der Luft hing.“ Insbesondere den Aktionsradius von Kanté gilt es einzuzäunen, der in wichtigen Spielen regelmäßig zu Höchstleistungen aufläuft und praktisch das gesamte Mittelfeld für sich und seine Mannschaft beansprucht.

Zur entscheidenden Waffe könnte nicht nur die individuelle Klasse von Benzema und Co. werden, sondern auch die magische Fähigkeit, in großen Spielen auch regelmäßig Großes zu leisten. Das hat zuletzt PSG im Achtelfinal-Rückspiel gegen die „Blancos“ (1:3) auf eine bittere Art und Weise zu spüren bekommen. Hier sieht Hebel auch eine potenzielle Gefahr für Chelsea. „Real hat gezeigt, dass es an speziellen Abenden immer noch Besonderes leisten kann. Wenn man es lässt. Und genau deshalb wird Chelsea dafür sorgen müssen, dass das Spiel in konstant hohem Tempo passiert. Der Vorteil, den die Engländer gegenüber anderen Teams haben“, so der Kommentator.

Prognose: Das sagen die Experten

Uli Hebel: „Ich freue mich auf zwei der größten Namen im europäischen Fußball. Der aktuelle Champion gegen den Rekordsieger. Recht viel größer geht es nicht. Ich freue mich insbesondere auf das Aufeinandertreffen im Mittelfeld; nach wie vor der stärkste Mannschaftsteil beider Truppen. Wenn Chelsea bei sich ist, gewinnen sie. Nicht deutlich – aber klar. Von Real denke ich: Das PSG-Spiel hat vieles überschminkt.“

Nils Kern: „Von Real Madrid ist im Hinspiel nicht viel Risiko zu erwarten. Mit Kroos, Modrić und Co. will man eine ruhige, kontrollierte Kugel schieben, den Gegner raus locken, um dann Vinícius zu schicken, Konter zu setzen. Das hat in Paris überhaupt nicht geklappt, aber weil unter Ancelotti aktuell Ergebnisse vor dem Spektakel stehen, erwarte ich wenig vom Hinspiel. Hinten sicher stehen, und wenn vorne einer durch kommt, ist das gut, ansonsten geht man mit einem dankbaren Unentschieden ins Rückspiel. Wichtiger ist nicht, zu gewinnen, sondern: nicht zu verlieren. Daher ist auch mein Tipp: 1:1.“

Mögliche Aufstellungen:

Chelsea: Mendy – Azpilicueta, Thiago Silva, Rüdiger – Reece James, Kanté, Kovačić, Marcos Alonso – Mount, Havertz – Lukaku

Real Madrid: Courtois – Carvajal, Militão, Alaba, Mendy – Modrić, Casemiro, Kroos – Asensio, Benzema, Vinícius Jr.

Photo by Getty Images

Michael Bojkov

Michael Bojkov

Lahm & Schweinsteiger haben ihn einst zum Fußball überredet – mit schwerwiegenden Folgen: Von Newcastle über Frankfurt bis Cádiz saugt Micha mittlerweile alles auf, was der europäische Vereinsfußball hergibt. Seit 2021 bei 90PLUS und vorwiegend in Spanien unterwegs.


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