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„Bei Schalke bin ich sehr skeptisch“ – Das Panel zum Auftakt der 2. Bundesliga

23. Juli 2021 | Spotlight | BY Steffen Gronwald

Panel | Mit dem heutigen Auftaktspiel der 2. Bundesliga startet die namhafteste und vielleicht auch beste 2. Bundesliga aller Zeiten. Grund genug eine Reihe von Experten zu Wort kommen zu lassen…

  • Schalke, Bremen, der HSV, Nürnberg, Dresden, Rostock und Co. – die Reihe der (einst großen) Traditionsvereine ist so lang wie selten zuvor.
  • Der Kampf um den Aufstieg könnte noch einmal spannender werden, als in der Vorsaison
  • Weit mehr als nur das „Unterhaus“? Was kann die zweite Liga fußballerisch zeigen?

Wer ergattert sich in dieser Saison die heiß begehrten Plätze um den Aufstieg? Wem ist am ehesten eine große Enttäuschung zuzutrauen? Und welcher Verein findet sich nach den 34 Spieltagen unterm Strich wieder und muss den Gang in Liga 3 antreten?

Pünktlich zum heiß ersehnten Auftaktspiel zwischen Schalke 04 und dem HSV wagen der Journalist und Schalke-Reporter Andreas Ernst, ARD-, NDR- und MagentaTV-Sportreporter Michael Augustin sowie das Podcast-Duo Eva-Lotta Bohle und Matthew Karagich, die gemeinsam den „The 2. Bundesliga Podcast“ hosten, einen Blick auf die nun startende Saison.

Die prominenteste 2. Bundesliga aller Zeiten?

90PLUS: Die Fans warten mit Spannung auf die namhafteste und vielleicht auch beste 2. Bundesliga aller Zeiten. Doch das auch zurecht? Was darf fußballerisch von der nun startenden Saison erwartet werden?

Andreas Ernst: Ich hoffe eine Menge. Nach einem großen Turnier ist das erste Jahr dank neuer Erkenntnisse häufig taktisch ansprechend. Innovative Trainer wie Markus Anfang (Bremen) und Tim Walter (HSV) treffen auf weitere offensivfreudige Teams – und dazu gibt es auch den klassischen, robusten Zweitliga-Kampf. Das wird einige spannende Spiele geben. Auch die neue Aufmerksamkeit wird helfen: Samstagabend Schalke gegen Düsseldorf oder Bremen gegen HSV, vielleicht vor Fans – da hätte es auch Gottschalk mit „Wetten, dass…!?“ schwer gehabt.

Michael Augustin: Man sollte nicht den Fehler machen, jetzt zu glauben, dass der Zweitliga-Fußball in der kommenden Saison viel, viel besser als in den vergangenen Jahren wird, weil mit Schalke 04 und Werder Bremen jetzt noch zwei Großclubs mehr vertreten sind. So platt es klingt: Die Vereine werden sich erstmal in der neuen Umgebung zurechtfinden müssen. Und sie stehen sportlich und wirtschaftlich so sehr unter Druck, dass sie sich fußballerisch gar nicht ausgeruht entwickeln können. Aufsteigen – egal wie. Darum wird es gehen.

Und damit schöne Grüße nach Hamburg, wo beim HSV die Situation vergleichbar ist. Ich bin gespannt auf „Trainer-Mannschaften“ wie Holstein Kiel, St. Pauli und Heidenheim, deren Konzepte nicht auf kurzfristigen Erfolg ausgerichtet sind und von deren Trainern Ole Werner, Timo Schultz und Frank Schmidt ich sehr viel halte. Sie haben eine klare Vorstellung von attraktivem und erfolgreichem Fußball. Die Spieler werden – auf ihre Philosophie abgestimmt – verpflichtet und nicht umgekehrt. Natürlich haben gerade Kiel und St. Pauli Leistungsträger abgeben müssen. Aber ich traue beiden Trainern zu, dass sie ihre Mannschaften auf einem ähnlich hohen Niveau wie in der Rückrunde der vergangenen Saison weiterentwickeln können.

Eva-Lotta Bohle/Matthew Karagich: Tendenziell erwarten wir gerade von den Teams mit hoher Qualität, die um den Aufstieg mitspielen wollen und werden, dass sie Ballbesitzfußball spielen wollen. Wie die letzten Jahren gezeigt haben, gibt es meistens ein oder zwei Teams, die an der Spitze auch einen anderen Weg wählen werden. Generell gilt: Erwartet das Unerwartete. Klingt platt, hat bei der zweiten Liga die letzten Jahre allerdings immer ganz gut funktioniert.

 

Der Fluch der Absteiger

Die Absteiger hatten es in den letzten Jahren nicht immer leicht, nur wenige Vereine – wie beispielsweise der VfB Stuttgart – schafften den direkten Wiederaufstieg, andere Klubs wie der HSV, Hannover 96 und auch Nürnberg kämpfen nach wie vor um den Aufstieg, wenn nicht sogar um eine verhältnismäßig ruhige Saison. Wie werden sich Bremen und Schalke nun schlagen?

AE: In den vergangenen 15 Jahren schafften nur einmal zwei Klubs gemeinsam den direkten Wiederaufstieg. Diese Statistik sollte man nicht überbewerten. Aber sie zeigt, dass niemand die Zweite Liga unterschätzen darf. Bezogen auf Schalke glaube ich nicht, dass Klub und Fans gefährdet sind, die große Prüfung kommt aber, wenn es zum Beispiel gegen Aue oder Sandhausen nach 75 Minuten 0:0 steht. Bleibt dann das Publikum auch ruhig. Sportlich können es beide Klubs durchaus schaffen, Schalke erscheint mir aber besser vorbereitet als Werder, da die sportliche Leitung schon länger Planungssicherheit hatte.

MA: Vor einem Jahr habe ich gesagt: Wer Terodde holt, steigt auf. Hat beim HSV ja nicht ganz  so geklappt, wie wir inzwischen wissen. Und auch bei Schalke bin ich sehr skeptisch, obwohl ich Simon Terodde wieder mindestens 15 Tore zutraue. Aber die komplette vergangene Saison bei Schalke 04 war ein einziger Negativtrend. Obwohl Dimitrios Grammozis erst seit März Trainer ist und nur acht der 24 Niederlagen zu verantworten hat, kann ich mir nicht vorstellen, dass es ihm gelingen wird, Schalke wieder nach oben zu führen.

Wird dieser ständig unruhige Verein in der zweiten Liga zur Ruhe kommen? Ich glaube nicht. Und deshalb wird es nicht mit dem direkten Wiederaufstieg klappen. Bei Werder Bremen bin ich etwas optimistischer. Auch weil Niclas Füllkrug bleiben will. Und wenn er tatsächlich mal eine Saison ohne schwere Verletzung durchstehen sollte, wird er vermutlich noch öfter treffen als Terodde. Und damit wäre schon mal die große Bremer Schwäche der  vergangenen Rückserie abgestellt – das Toreschießen.

ELB/MK: Bremen war an bisher im Transferfenster nicht besonders aktiv, die größte Meldung war die Verpflichtung von Markus Anfang. Hier gehen die Meinungen von Matt und mir auseinander: Matt geht davon aus, dass Bremen gute Chancen auf den Aufstieg hat. Ich bin da etwas skeptischer. Gründe dafür sind dafür unter anderem die eher ruhige Transferphase und die Tatsache, dass Markus Anfang letztes Jahr in Darmstadt auch einige Monate brauchte, bis sein Spielsystem klar erkennbar wurde und von der Mannschaft sichtbar angenommen wurde.

Ob Bremen sich diese Eingewöhnungsphase wird leisten können, um trotzdem hinter aufzusteigen, bezweifle ich. Zu Schalke: Durch die finanziellen Schwierigkeiten, die der Club hat, sind die Möglichkeiten auf dem Transfermarkt bekanntlich begrenzt, die Neuzugänge könnten helfen, dass die Mannschaft an Stabilität gewinnt. Grammozis kennt die Liga, was für Schalke definitiv ein Vorteil sein könnte. Ob sie den direkten Wiederaufstieg schaffen wird sich zeigen, wir sind uns da nicht ganz einig.

Markus Anfang (Werder Bremen) Niclas Füllkrug (Werder Bremen) im Gespräch

Erik Hillmer/EIBNER / Imago

Wie lief das Sommer-Transferfenster?

Die Pandemie-Situation erwischte so ziemlich jeden Klub und ließ das große Spektakel auf dem Transfermarkt bisher ausbleiben. Welchem Verein oder welchen Vereinen würdest du bislang eine sehr gute Note ausstellen, wenn es um die Bewertung der bisherigen Transfers (sowohl Ab- als auch Neuzugänge) geht?

AE: Ich will da bei den übrigen 17 Klubs nicht in die Details gehen. Schalke stelle ich eine 2 aus. Sportdirektor Rouven Schröder hat in Windeseile einen guten Kader zusammengezimmert, der aber den Nachteil haben könnte, dass er im Fall des Nichtaufstiegs wieder großflächig umgebaut werden muss. Viele Neue sind rund um 30 Jahre alt. Daher „nur“ eine 2.

MA: Natürlich hat Schalke 04 mit der Verpflichtung von Simon Terodde ein Statement auf dem Transfermarkt gesetzt. Marius Bülter im besten Fußballer-Alter aus der Bundesliga von Union Berlin zu holen – auch das hat mich überrascht. Dazu Latza und Palsson – auch Spieler, die in der Zweiten Liga absolut Sinn machen. Das Gesamtgebilde auf Schalke ist mir trotzdem zu fragil. Ich glaube, dass Fortuna Düsseldorf nicht so viel verkehrt gemacht hat: Felix Klaus fest verpflichtet, Khaled Narey vom HSV geholt, außerdem mit Nicklas Shipnoski einen Top-Spieler aus der 3. Liga.

Düsseldorf hat seine Mannschaft punktuell gut verstärkt. Von den Abgängen wird Kevin Danso vermutlich die größte Lücke reißen. Definitiv gespannt bin ich auf Fiete Arp in Kiel. Ein Verein mit einer klaren sportlichen Strategie, ein ruhiges Umfeld zum Weiterentwickeln – meiner Meinung nach kommt dieser Wechsel für ihn zwei Jahre zu spät. Seine beiden Jahren in München hat er verschenkt. Immerhin hat Arp ein bisschen was für die Altersvorsorge tun können.

ELB/MK: Sehr gute Noten zu verteilen, finden wir beide etwas schwierig, da meistens nicht 1zu1 Lösungen gefunden werden können, wenn wichtige Spieler den Verein verlassen. Allerdings gefällt uns beiden ganz gut, was Sandhausen bisher sehr aktiv auf die Beine gestellt hat, um möglichst früh, die bekannten zahlreichen Abgänge zu ersetzten. Ob unter anderem Kapinos, der für die Liga überdurchschnittlich aufgefallen ist, und Kevin Behrens’ Fehlen stark auffallen wird, wird sich zeigen. Auch Holstein Kiel hat kluge Transfers getätigt, allerdings steht hier auch ein großer Umbruch an, nachdem man Spieler wie Serra und Lee verloren hat. Eventuell auch noch Hannover 96.

2. Bundesliga 2021/2022: Wieder Spannung bis zum Schluss?

Bereits in der vergangenen Saison war der Kampf um die vordersten Platzierung denkbar eng. Erleben wir solch eine Spannung bis zum Schluss auch in dieser Saison und wen siehst du auf den ersten drei Plätzen?

AE: Ich muss ja jetzt Schalke sagen… Das Projekt „neues Schalke“ läuft gut an, die Kaderplanung ist stringent, die Form gut. Aber hinter Schalke? Puh, Bremen und den HSV sehe ich natürlich auch vorn. Mein Geheimtipp ist St. Pauli nach toller Rückrunde – zuletzt stiegen Bielefeld und Bochum nach ähnlicher Ausgangsposition in der Folgesaison souverän auf. Darmstadt war zwar noch besser als St. Pauli, hat aber Trainer und eine ganze Achse um Torjäger Dursun verloren – deshalb muss Darmstadt eher nach unten schauen.

MA: Alleine wegen der vielen Traditionsvereine wird die Zweite Liga phasenweise mehr Interesse hervorrufen als die Bundesliga. Über Hannover 96, Nürnberg, Dresden und Rostock haben wir ja noch gar nicht gesprochen. Egal, wie erfolgreich diese Vereine sein werden – ihr Schicksal interessiert mehr Menschen als das von Fürth, Hoffenheim, Leipzig oder Wolfsburg eine Liga höher. Oft war es ja in den vergangenen Jahren so, dass Mannschaften, die einen positiven Trend in der Rückserie hatten, diesen auch mit in die neue Saison gerettet haben.

Das würde in diesem Fall für Holstein Kiel sprechen. Zwar fehlen mit Lee und Serra zwei Top-Leute in der Offensive. Aber der Gerechtigkeitsfanatiker in mir sagt, dass Holstein für das ganze Corona-Chaos der vergangenen Saison mit einem Jahr Verzögerung belohnt wird – und am Ende aufsteigt. Dazu noch Werder Bremen und eine Mannschaft, mit der auf Anhieb niemand rechnet. Vielleicht der FC St. Pauli, wenn sich Guido Burgstaller nicht längerfristig verletzt. Auch Heidenheim wäre mal dran.

ELB/MK: Definitiv wird es wieder relativ eng werden. Aber nicht nur oben, sondern auch unten. Mit Dresden, Rostock und Ingolstadt hat man vom Profil her doch nochmal andere Aufsteiger als Braunschweig und Würzburg im Jahr zuvor. Matt vermutet, dass Bremen die Liga gewinnen wird, Düsseldorf zweiter wird und Schalke in die Relegation geht. Ich tippe HSV auf eins (irgendwas muss es ja mal klappen), Heidenheim auf zwei und Düsseldorf muss in die Relegation.

Wintzheimer, Reis (beide HSV) Testspiel

Passion2Press/Markus Fischer / Imago

Wer sind die Abstiegskandidaten?

Welche Vereine werden es in dieser Saison schwer haben regelmäßig Punkte einzufahren und müssen um einen Verbleib in Liga Zwei zittern?

AE: Da ich mich als jahrelanger Bundesliga-Reporter noch einarbeiten muss, ist mein Urteil gewiss nicht so bindend, wie es in der Ersten Liga der Fall wäre. Aber Aue könnte es in diesem Jahr erwischen – dazu dürften es die „Kleinen“ wie Regensburg und Sandhausen in dieser Saison durch die starke Konkurrenz noch etwas schwieriger haben. Auch die Aufsteiger Dresden, Rostock und Ingolstadt werden den Blick erstmal nach unten richten.

MA: Ich glaube, dass sich Erzgebirge Aue, der SV Sandhausen, der FC Ingolstadt und Jahn Regensburg schwer tun werden. Auch Hannover 96 könnte untern reinrutschen – ein Verein, der zuletzt immer an seinen zu hohen Erwartungen gescheitert ist und latent unruhig wird, wenn die Erfolge ausbleiben.

ELB/MK: Matt sorgt sich vor allem um Aue, Dresden und Regensburg. Ich würde die Liste um Ingolstadt ergänzen, da sie gegen Osnabrück in der Relegation zwar phasenweise gezeigt haben was sie können, aber in der zweiten Liga meiner Meinung nach nicht so punkten werden, wie sie müssten. Dann gibt es noch ein, zwei Mannschaften, die ich sehr schlecht einschätzen kann. Darunter Nürnberg, aber auch Paderborn unter dem neuen Trainer Lukas Kwasniok.

Dynamo Dresden Team Kreis

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Steffen Gronwald

Steffen verfolgt primär den Vereinsfußball, fühlt sich im deutschen Ober- und Unterhaus zu Hause - verfolgt zugleich aber auch La Liga und die Premier League intensiv. Ob Offensivspektakel oder "park the Bus", fesseln tut ihn beides, zudem steht bei ihm auch der Schiedsrichter im Fokus. Seit 2016 bei 90PLUS.


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