„Kreative Transfers“ – Was uns im Sommer erwarten könnte
18. Mai 2020 | Spotlight | BY Christoph Albers
Die Corona-Krise hat auch den Profifußball, trotz des Bundesliga-Re-Starts, fest im Griff. Auch der Transfermarkt ist, da sind sich die Verantwortlichen einig, davon natürlich nicht ausgenommen.
Sportdirektoren, Berater und Co. spekulieren darüber, welche Lösungen es geben könnte, um trotz finanzieller Engpässe Spielertransfers zu ermöglichen. Oftmals ist die Rede von „kreativen Transfers“, Tauschgeschäften und Leihdeals. Wir beleuchten für euch die finanziellen Hintergründe.
Tauschgeschäfte
Der Tausch von Spielern, bzw. eigentlich deren Registrierungsrechte, ist in erster Linie natürlich eine Möglichkeit, um einen Spieler ohne oder mit einem geringeren Einsatz von Cash zu verpflichten. Wenn beide Vereine Interesse an einem Spieler des jeweils anderen Vereins haben und in diesem Zuge darauf verzichten können, zunächst einen anderen (bzw. den entsprechenden) Spieler zu verkaufen, macht ein Spielertausch für beide Seiten Sinn.
Doch es gibt noch einen weiteren, ganz entscheidenden Aspekt, warum ein Spielertausch für beide Vereine sinnvoll sein kann. Dieser Aspekt ergibt sich aus den Besonderheiten der Bilanzierung von Spielertransfers.
Wenn ein Verein einen Spieler verpflichtet, werden seine Registrierungsrechte zunächst mit der vollen Ablösesumme in der Bilanz als immaterieller Vermögenswert angezeigt. Dieser Wert wird über die Vertragslaufzeit linear abgeschrieben. In der Gewinn- und Verlustrechnung wird dementsprechend jedes Jahr der Betrag der Abschreibung geltend gemacht.
Ablösesummen in der Bilanz
Was im ersten Moment vielleicht etwas technisch klingt, wird anhand eines Beispiel gut sichtbar: PSG verpflichtete Neymar im Sommer 2017 für 222 Millionen Euro vom FC Barcelona, wo er einen Fünfjahresvertrag unterschrieb. In der Bilanz würde man Neymar somit einen Wert von 222 Millionen Euro zuschreiben. In der GuV würde man diese Summe aber über die fünf Jahre seiner Vertragslaufzeit aufteilen, also in fünf Tranchen zu je 44,4 Millionen Euro.
Das hat wiederum zwei Folgen:
1. Neymars Wert in der Bilanz sinkt jedes Jahr um 44,4 Millionen Euro, sodass er in diesem Sommer, nach drei Jahren bei PSG, nur noch mit 88,8 Millionen Euro in der Bilanz bewertet werden würde.
2. Für PSG gehen jedes Jahr „nur“ 44,4 Millionen Euro in die Gewinn- und Verlust Rechnung ein, die wiederum eine wichtige Grundlage für das Financial Fair Play der UEFA ist. So musste PSG nicht einmalig die 222 Millionen Euro ausgleichen, sondern jährlich 44,4 Millionen Euro.
Gewinne bei Spielerverkäufen
Verkauft ein Verein jedoch einen Spieler, so geht die volle, erhaltene Ablösesumme auf einmal in die GuV-Rechnung ein. Würde PSG, um in diesem Beispiel zu bleiben, Neymar in diesem Sommer für 150 Millionen Euro verkaufen, würden sie diese Summe, abzüglich des aktuellen Bilanzwerts von 88,8 Millionen (Restwert wird dann auf einmal abgeschrieben), als Gewinn verzeichnen. Somit könnte PSG in seiner GuV einen Gewinn von 61,2 Millionen Euro geltend machen. Dass sie 72 Millionen Euro weniger für ihn bekommen hätten, als sie 2017 für ihn bezahlt haben, interessiert in diesem Kontext nicht.
Doch was hat das mit Tauschgeschäften zu tun? Dazu kommen wir jetzt. Bei Tauschgeschäften kann man sich diese Zusammenhänge nämlich gut zu nutze machen. Bei einem Tauschgeschäft werden auf dem Papier nämlich auch zwei Transfers durchgeführt, nur dass sich die Zahlungsverpflichtungen gegeneinander aufheben. In der Bilanzierung werden aber trotzdem beide Transfers mit einem geldlichen Gegenwert dargestellt, sodass der Verkauf direkt in voller Summe (abzüglich des Restwerts) in die GuV-Rechnung eingeht und der Kauf über die Vertragslaufzeit jeweils anteilig in die GuV-Rechnung eingeht.
Warum Cillessen 35 Millionen Euro gekostet hat
Das führt i.d.R. dazu, dass beide Vereine bei einem Spielertausch einen Gewinn in der Bilanz verbuchen können und je höher der virtuelle Wert der getauschten Spieler ist, desto höher ist auch der Gewinn. So lässt sich beispielsweise auch erklären, dass Jasper Cillessen mit 35 Millionen Euro und Neto mit 26 Millionen Euro bewertet wurden, als der FC Barcelona und der FC Valencia im Sommer 2019 ein Tauschgeschäft dieser beiden Spieler vereinbarten.
Diese Wirkungen könnten sich die Vereine auch in diesem Sommer zu nutze machen, um Vorteile für sich zu generieren. Allerdings steht in diesem Fall sicherlich vor allem der Aspekt im Vordergrund, dass weniger Cash benötigt wird. Durch die weggefallenen, laufenden Einnahmen fehlt es den meisten Vereinen nämlich an flüssigen Mitteln, ihre Liquidität geschwächt oder gar gefährdet und da kann auch Gewinn in der Bilanz nur wenig helfen.
Leihgeschäfte bleiben ein Thema
Eine andere Möglichkeit sind in diesem Zusammenhang natürlich auch Leihgeschäfte, die ihrerseits auch einige Vorteile mit sich bringen. Je nach Ausgestaltung können diese allerdings sehr unterschiedlich ausfallen.
Im Falle einer einfachen Leihe mit Gehaltsübernahme, kann der abgebende Verein natürlich vorrangig seine Gehaltskosten verringern und ggf. die nötigen Mittel für Neuverpflichtungen frei machen. Zudem bleibt natürlich auch die Hoffnung, dass sich der verliehene Spieler gut entwickelt und anschließend eine größere Rolle im eigenen Team oder gewinnbringend verkauft werden kann. Diese Form der Leihe wird man im Sommer sicherlich auch vielfach beobachten können, doch wirklich interessant wird es für uns erst, wenn es um Kaufoptionen oder Kaufverpflichtungen geht.
Kaufpflichten
Kaufoptionen geben dem aufnehmenden Verein i.d.R. einfach nur die Möglichkeit den Spieler für eine zuvor festgelegte Summe fest an sich zu binden. Diese Option kann der Verein freiwillig ziehen, wenn er mit dem Leihspieler zufrieden ist. Bei Kaufverpflichtungen hat der Verein hingegen keine Wahl. Er muss den Spieler für die zuvor festgelegte Ablösesumme verpflichten, entweder zu einem bestimmten Zeitpunkt oder wenn bestimmte, festgelegte Kriterien (z.B. eine bestimmte Anzahl an Einsätzen, o.ä.) erfüllt worden sind.
Diese Verpflichtungen geben den abgebenden Vereinen, im Vergleich zur Kaufoption, eine größere Planungssicherheit. Für den aufnehmenden Verein ist es dagegen eine Möglichkeit einen Spieler zu verpflichten, ohne direkt eine Ablösesumme aufbringen zu müssen. Dieser Vorteil kann entweder bilanzieller Natur sein, insbesondere hilfreich im Zusammenhang mit dem Financial Fair Play, oder im Hinblick auf die Liquidität zum Tragen kommen, da die entsprechende Ablösesumme nicht sofort erbracht werden muss.
In diesem Sommer dürften beide Vorteile eine entsprechende Rolle spielen. Da so ziemlich alle Vereine große Einnahmeverluste hinnehmen mussten, dürften sowohl ihre FFP-Kennzahlen (maximale Verluste, Gehälter-zu-Umsatz-Rate), als auch ihre Liquidität gelitten haben. Die Variante „Leihe mit Kaufpflicht“ könnte also eine gute Lösung für die Probleme vieler Vereine darstellen, zumal die meisten davon ausgehen dürften, dass sich ihre Situation in den kommenden Jahren wieder etwas verbessert, sodass sie die finanzielle Belastung der Spielertransfers von heute dann besser tragen können.
Abtretungen
Ein weiterer Aspekt, der in diesem Zusammenhang interessant werden könnte, ist die Abtretung der Forderungen, die sich aus der Kaufpflicht ergeben. Das bedeutet, dass ein Verein die zukünftigen Zahlungen für den Verkauf des Spielers (über die Kaufpflicht) einem Kreditinstitut überlässt, um im Gegenzug sofort Cash zu erhalten, das wiederum für Investitionen in der Gegenwart verwendet werden kann. In der Regel bekommt der Verein, aufgrund der Risiken für das Kreditinstitut, weniger Geld, als die Forderung einbringen würde. Doch für den jeweiligen Verein kann die geringere Summe in der Gegenwart mehr wert sein, als die höhere Summe in der Zukunft, weil er darauf setzt, dass seine Investitionen einen höheren Betrag einbringt als die Differenz zwischen den Summen.
Ein ähnliches Vorgehen ist auch bei Ratenzahlungen nicht unüblich. So hat beispielsweise der FC Liverpool die noch ausstehenden Zahlungen des FC Barcelona für den Coutinho-Transfer schon längst an ein Kredit-Institut abgetreten, um seine Investitionen zu finanzieren. Unterstellt man, dass davon z.B. Transfers wie die von Alisson Becker, Fabinho oder auch Virgil van Dijk mitfinanziert werden konnte, so kann man durchaus konstatieren, dass sich die Abtretung mehr als gelohnt hat.
Ratenzahlungen
Ratenzahlungen werden im Sommer sicherlich auch ein wichtiges Mittel zu Finanzierung von Spielertransfers darstellen. Vor allem größere Transfers werden in der Regel mit einer Ratenzahlung getätigt. Manchester United ist beispielsweise berüchtigt dafür, dass sie sehr viel über Ratenzahlungen regeln. Das hat in erster Linie einen positiven Effekt auf die Liquidität, bzw. auf der „Cash Ebene“. Da die Zahlungen erst in der Zukunft geleistet werden müssen, braucht der jeweilige Verein schließlich weniger Cash zum Zeitpunkt des Spielertransfers, was sehr wichtig sein kann, wenn die laufenden Einnahmen fehlen.
Allerdings ist das im Hinblick auf das Financial Fair Play keine große Hilfe. Da dabei vor allem die Bilanz bzw. die Gewinn- und Verlustrechnung zählt, werden dort, wie üblich, die jeweiligen Abschreibungssummen für Ablösesummen und Gehälter betrachtet. Die tatsächlichen Zahlungen spielen dabei zunächst einmal keine Rolle. In dieser Hinsicht ist also das Tauschgeschäft oder die Leihe mit Kaufoption hilfreicher.
Ausstiegsklauseln
Ein anderer Aspekt, der in den letzten Jahren stets von großer Bedeutung war, dürfte in diesem Sommer etwas weniger bedeutsam sein, der Aspekt der Ausstiegsklauseln. In Spanien sind solche Klauseln bekanntermaßen verpflichtend und wurden in der Vergangenheit gerne genutzt. In Spanien sind sie im Grunde wie ein einseitiges Kündigungsrecht des Spielers zu behandeln. Wenn der Spieler eine bestimmte, festgelegte Summe beim spanischen Verband hinterlegt, wird sein Vertrag automatisch aufgelöst. Die Summe bringt er aber in der Regel nicht selbst auf, vielmehr wird sie vom aufnehmenden Verein beim Verband hinterlegt. Das Problem dabei ist aber, dass die Summe zu diesem Zeitpunkt vollständig hinterlegt werden muss. Es sind also keine Ratenzahlungen möglich. Die Folge: Die aufnehmenden Vereine müssen meistens einen Kredit aufnehmen, um die Summe sofort zahlen zu können, woraufhin die Verbindlichkeiten steigen und ggf. auch Zinszahlungen notwendig werden, was den Transfer wiederum noch teuerer machen würde.
In Zeiten, in denen die laufenden Einnahmen fehlen, kann das durchaus problematisch werden. Daher dürften viele Vereine eher versuchen einen Transfer zu verhandeln, um die Zahlungsbedingungen anpassen zu können. Die Klausel kann dabei aber natürlich hilfreich sein, um die Verhandlungsposition zu stärken. In anderen Ländern können solche Klauseln durchaus auch anders gestaltet sein, was wiederum zu anderen Optionen führt. Verhältnismäßig geringe Ausstiegsklauseln sind darüber hinaus natürlich auch weiterhin eine große Chance, zum Beispiel bei Spielern von abgestiegenen Vereinen. Milot Rashica könnte in diesem Zusammenhang ein ganz gutes Beispiel sein.
Free Agents
Ansonsten sind dürften erwartungsgemäß auch Spieler von großem Interesse sein, deren Verträge ausgelaufen sind und die somit ohne die Zahlung einer Ablösesumme verfügbar wären. Durch das gesteigerte Interesse befinden sie sich in einer relativ starken Verhandlungsposition, die sie nutzen können, um ein ordentliches „Handgeld“ („Signinig Fee“) herauszuschlagen. In den letzten Jahren hat sich vor allem Juventus Turin damit hervorgetan. Die „Alte Dame“ konnte u.a. Spieler wie Aaron Ramsey, Adrien Rabiot, Emre Can, Andrea Pirlo, Sami Khedira, Paul Pogba, Kingsley Coman, Lucio, Dani Alves oder Fernando Llorente auf diese Weise Vertrag nehmen. In diesem Sommer werden sie auf diesem Markt sicherlich größere Konkurrenz bekommen, auf dem z.B. Edinson Cavani, Dries Mertens oder auch Willian zu finden sein könnten.
Abgesehen davon, sind natürlich auch wir extrem gespannt, welche „kreativen Transfermodelle“ sich im Sommer noch so ergeben könnten. Wir werden das, in gewohnter Manier, intensiv verfolgen und halten euch über die Entwicklungen auf dem Laufenden.
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(Photo by M. Donato/FC Bayern-Pool/Bongarts/Getty Images)
Christoph Albers
Cruyff-Jünger und Taktik-Liebhaber. Mag präzise Schnittstellen-Pässe, schwarze Leder-Fußballschuhe, Retro-Trikots und hat einen unerklärlichen Hang zu Fußball-Finanzen. Seit 2016 bei 90PLUS.