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Plötzlich in aller Munde: Jahn Regenburg erobert die 2. Bundesliga

29. August 2021 | Trending | BY Yannick Lassmann

Spotlight | Vier Spieltage sind in der diesjährig besonders prominent besetzten 2. Bundesliga vorüber. Souverän von der Tabellenspitze grüßt der eher unscheinbare SSV Jahn Regensburg.

Jahn Regensburg mit perfektem Saisonstart

Die 2. Bundesliga lockt in der Spielzeit 2021/2022 mit einem höchst attraktiven Teilnehmerfeld. Neben Traditionsklubs wie dem FC St. Pauli, 1.FC Nürnberg, Karlsruher SC, Hannover 96, Fortuna Düsseldorf, Dynamo Dresden oder Hansa Rostock, die schon regelmäßig ihre Visitenkarte im deutschen Unterhaus abgaben, treten dort drei der Top-Sieben der ewigen Bundesliga-Tabelle an. Während der Hamburger SV versucht, im bereits vierten Anlauf den Wiederaufstieg zu schaffen, stiegen der SV Werder Bremen und FC Schalke 04 frisch ab. Doch der Saisonstart der vermeintlichen Favoriten verlief unbefriedigend. Zusammengerechnet brachten sie es auf gerade einmal drei Siege aus zwölf Ligaspielen. Schon einen Sieg mehr hat der SSV Jahn Regensburg eingefahren. Ein Verein, den viele Beobachter schnell als graue Maus abstempelten – und nun in den Blickpunkt rückt. Denn er fegte vor einer Woche Schalke mit 4:1 vom Platz und führt die Tabelle mit der Maximalpunktzahl von zwölf sowie einem beeindruckenden Torverhältnis von 12:1 an.



Dabei kommen die Oberpfälzer aus einer komplizierten vergangenen Saison. Erstmals seit dem Aufstieg im Jahr 2017 gerieten sie in ernsthafte Abstiegsgefahr. Bis zum letzten Spieltag drohte der Fall auf den Relegationsplatz. Letztlich wurde er durch einen 3:0-Heimerfolg über St. Pauli abgewendet. Trotz mehreren Sieglosserien sowie einer zwischenzeitlichen Corona-Quarantäne behielten die Verantwortlichen um den seit acht Jahren amtierenden Geschäftsführer Christian Keller (42) die Ruhe. Sie setzten weiter auf Trainer Mersad Selimbegovic (39), der 2019 auf Achim Beierlorzer (53) folgte. Eben jener – im Sommer nach Leipzig als Co-Trainer zurückkehrende – Beierlorzer etablierte den aus der RB-Schule stammenden Spielstil. Er beruht auf einem hohen kollektiven Pressing, das viele Mann-gegen-Mann-Situationen und daraus entstehende Zweikämpfe auf dem Spielfeld provoziert. Nach einer Balleroberung soll sofort vertikal gedacht, das Mittelfeld möglichst schnell überbrückt werden.

Mersad Selimbegovic coacht seine Mannschaft mit vollem Einsatz, hier beim 3:0-Auswärtssieg in Kiel.

(Photo: Imago)

Regensburg: Klare Linie beim Spielstil und funktionierende Neuzugänge

Selimbegovic – 2006 im Verein und zuvor als Assistent tätig – verfeinerte die Idee, indem er sich nicht ausschließlich auf die Arbeit gegen den Ball fokussierte, sondern das Ballbesitzspiel verbesserte und seine Mannschaft mental festigte. Mit Abgängen von Leistungsträgern weiß der Übungsleiter umzugehen, er kennt es nicht anders. Immerhin zog es in diesem Sommer mit Sebastian Stolze (26) nur einen weg. Zudem hing Identifikationsfigur Oliver Hein (31) die Fußballschuhe an den Nagel, die Leihe von Aaron Opoku (22) endete und Albion Vrenezi (27) wechselte in die 3. Liga zu Türkgücü.

Dafür präsentierte Keller wieder einmal die richtigen Lösungen auf dem Transfermarkt. Mit Steve Breitkreuz (29) kam ein Zweitliga-erfahrener Verteidiger aus Aue. Aus der Zweitvertretung des SC Freiburg stießen Carlo Boukhalfa und Konrad Faber (23), der sich direkt in der Startformation wiederfand, dazu. Als Königstransfer erwies sich bislang der vom FC Bayern München II geliehene Sarpreet Singh (22). Im Vorjahr bekam er beim 1.FC Nürnberg noch kein Bein auf den Boden, jetzt stieg er zum Unterschiedsspieler der gesamten Liga auf. In jedem Pflichtspiel steuerte er mindestens einen Scorerpunkt bei. Aktuell steht der Neuseeländer bei zwei Toren und drei Vorlagen. Von Beginn an genoss er das vollste Vertrauen von Selimbegovic, der ihm auf dem linken Flügel einsetzt.

Sarpreet Singh erzielt das 4:1 für den SSV Jahn Regensburg im Heimspiel gegen Schalke 04.

(Photo: Imago)

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Jahn Regensburg hat die nötige Portion Glück

Vertrauen spielt beim Cheftrainer ohnehin eine große Rolle: „Hier hat man Zeit, etwas zu entwickeln. Das ist ein großes Gut, das ich sehr schätze.“ Nicht nur seinen Spielern oder den Verantwortlichen vertraut er, sondern auch der eigenen Ausrichtung. Selbst in den größten Negativperioden blieb er seiner Linie treue – mit Erfolg. So erklärte Jan-Niklas Beste (22) – Torschütze zum 1:0 gegen Schalke – nach Spielende: „Wir machen im Vergleich zur vergangenen Saison nichts anders, nur landen jetzt die Fernschüsse zum Beispiel im Tor.“ Seine These bestätigten die „Expected Goals.“ Demnach hätte Jahn Regensburg im Spieljahr 2020/2021 statt 37 Treffern 49 erzielt und wäre somit sorgenfrei im gesicherten Mittelfeld gelandet. Nach den bisherigen vier Spieltagen hätte er dagegen lediglich sechs Tore auf dem Konto stehen haben sollen, stattdessen sind es zwölf.

Genauso verhält es bei den Standardsituationen. In der kicker-Montagsausgabe hieß es: Die Oberpfälzer hätten nicht mehr Zeit investiert oder neue Methoden erlernt. Doch während in der gesamten Spielzeit nur neun Tore nach ruhenden Bällen fielen, sind es jetzt schon sechs. Alleine gegen die Königsblauen jubelten sie dreimal nach Standards. Bezeichnend ist wohl das 2:0 von Breitkreuz, als ein Freistoß über Umwege bei ihm landete und er im Fallen vollendete. Das Glück ist auf die Seite der Regensburger zurückgekehrt. Darüber hinaus werden die Grundtugenden gewohnt zuverlässig erledigt. 483 gewonnene Zweikämpfe stellen mit deutlichem Abstand den Liga-Höchstwert dar. 846 Sprints gehören ebenfalls zum oberen Drittel. Dazu ließ die Mannschaft – dank ihrer stringenten Defensivarbeit – nur 14 Chancen zu.

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Die Regensburger Achse steht

Torhüter Alexander Meyer (30) strahlt jede Menge Sicherheit aus, obwohl er bislang nur selten ernsthaft geprüft wurde. Daher musste erst nach 351 Spielminuten hinter sich greifen. Seine Vordermänner verrichteten ihre Arbeit zumeist höchst überzeugend. Neuzugang Breitkreuz und Scott Kennedy (24) bilden eine stabile Innenverteidigung. Über außen rennen Faber und der teils etwas rustikale Erik Wekesser (24) die Linie hoch und runter.

Ebenfalls für ihre Laufarbeit geschätzt werden Kapitän Benedikt Gimber (24) sowie Max Besuschkow (24). Das stets über 11 Kilometer abspulende Duo spielt im präferierten 4-4-2-System eine ganz entscheidende Rolle. Denn es muss das Mittelfeldzentrum – trotz durchaus vorhandener Unterzahlsituationen – unter Kontrolle bringen, was ihnen bis dato hervorragend gelang. Auf den offensiven Flügelpositionen wirbelt nicht nur der herausragende Singh, sondern auch der stark verbesserte Beste. Vorne blieb Andreas Albers (31) – der letzte Saison über ein Drittel der Tore verantwortete – zwar noch glücklos, dafür netzte David Otto (22) schon ein.

Von der Bank kann Selimbegovic mit Akteuren wie Benedikt Saller (28), Jan Elvedi (24), Boukhalfa, Kaan Caliskaner (21), Jann George (29) oder den für 300.000 Euro verpflichteten Joel Zwarts (22) auf fast allen Positionen nachlegen, ohne einen Qualitätsverlust zu riskieren.

Der SSV Jahn Regensburg bejubelt den Treffer zum 1:0 im Heimspiel gegen Schalke.

(Photo: Imago)

Dankbarer Spielplan? – Klassenerhalt bleibt oberstes Ziel

Dennoch zählt der ausgeglichene Kader individuell zu den schwächeren der 2. Bundesliga. Dies ist allen Verantwortlichen bewusst. Selimbegovic schwärmte infolge des überlegenden Auftritts gegen Schalke nicht umsonst: „Wir waren so gut, so abgezockt, so souverän. Das war unser bestes Spiel bisher.“ Mit dem Aufstiegsfavoriten wies Jahn Regensburg erstmals einen Hochkaräter in die Schranken. Zuvor profitierte man auch von angeschlagenen Gegnern. Zum Auftakt gewannen die Oberpfälzer – nach schwieriger Anfangsphase – beim coronageplagten Darmstadt 98 mit 2:0, danach folgte ein 3:0-Heimsieg über einen total harmlosen SV Sandhausen. Das DFB-Pokalspiel beim Regionalligisten Rot-Weiß Koblenz (3:0) erwies sich ebenso wenig als Gradmesser wie Holstein Kiel (3:0), das die verlorene Aufstiegsrelegation noch nicht ganz verkraftet zu haben scheint.

Daher wollte der Trainer die Resultate nicht überbewerten. Er wies in den letzten Tagen nahezu gebetsmühlenartig auf das eigentliche Saisonziel hin: „Wir brauchen noch zehn Siege bis zum Klassenerhalt.“ Mit dem Auswärtsspiel beim ebenso gut aufgelegten FC St. Pauli wartet am Sonntag der bisher wohl stärkste Kontrahent. Danach geht es gegen den 1.FC Nürnberg und Fortuna Düsseldorf – zwei ebenfalls nach oben schauende Vereine. Sollte Jahn Regensburg auch in diesen Spielen erfolgreich auftreten und die Tabellenführung aufrechterhalten, wird weiter fleißig über einen vorgesehenen Nebendarsteller in der so namhaften 2. Bundesliga gesprochen werden.

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(Photo: Imago)

Yannick Lassmann

Rafael van der Vaart begeisterte ihn für den HSV. Durchlebte wenig Höhen sowie zahlreiche Tiefen mit seinem Verein und lernte den internationalen Fußball lieben. Dem VAR steht er mit tiefer Abneigung gegenüber. Seit 2021 bei 90Plus.


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