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BVB versus Atlético | Zwei nationale Sorgenkinder greifen nach den Sternen der Königsklasse

10. April 2024 | Spotlight | BY Steven Busch

In der Bundesliga respektive La Liga laufen Borussia Dortmund und Atlético Madrid ihren gehobenen Ansprüchen in der Saison 2023/24 hinterher. Dennoch duellieren sich die beiden Traditionsvereine im Champions-League-Viertelfinale um ein Ticket zur Zulassung unter die besten vier Mannschaften Europas. Die Vorschau auf das Aufeinandertreffen zweier nationaler Sorgenkinder, mit (unerwarteten) Ambitionen in der Königsklasse – inklusive Experteneinschätzung des renommierten spanischen Journalisten Álex Jiménez!

BVB: Champions-League-Viertelfinale, aber kommende Saison ohne Auftritte auf Königsklassen-Parkett?

Unmittelbar nach Ende der Auslosungszeremonie zum Viertelfinale der UEFA Champions League diktierte ein strahlender BVB-Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke die Worte „tolles Los“ in die Aufnahmegeräte der versammelten JournalistInnen. Hintergrund: Borussia Dortmund wurde wenige Minuten zuvor mit Atlético de Madrid ein vermeintlicher Gegner auf Augenhöhe in dieser Phalanx der europäischen Schwergewichte zugelost. Insbesondere zu dieser fortgeschrittenen Runde des elitären Wettbewerbs respektive angesichts des womöglich entscheidenden Vorteils eines Rückspiels vor der berüchtigten „Gelben Wand“ im heimischen Signal-Iduna-Park, die große Chance der Schwarz-Gelben, auf internationaler Bühne weiterhin für Furore zu sorgen.



Nach der deklarierten „Todesgruppe“ – Gegner: Paris Saint-Germain, AC Milan sowie Newcastle United – und einem packenden Duell mit dem niederländischen Kontrahenten PSV Eindhoven im Achtelfinale trifft der BVB in der Runde der letzten acht Mannschaften nunmehr also auf den elffachen La-Liga-Titelträger (zuletzt 2020/21) aus der spanischen Landeshauptstadt. Das offizielle Motto des amtierenden deutschen Vizemeisters könnte in der Saison 2023/24 auf europäischem Terrain folgendermaßen zusammengefasst werden: „Endlich raus aus dem Alltag!“

Denn im Gegensatz zu den zumeist überzeugenden Auftritten in der Champions League laufen die Westfalen unter Trainer Edin Terzic den eigenen Ansprüchen in der Bundesliga in vielen Belangen (Taktik, spielerisches Niveau, individuelle Weiterentwicklung einzelner Akteure) deutlich hinterher. Spätestens nach der unglücklichen, in Summe aber ernüchternden 0:1-Heimpleite gegen den VfB Stuttgart muss Borussia Dortmund um die erneute Zulassung zur Königsklasse ernsthaft zittern.

Aktuell rangiert der BVB aufgrund der schlechteren Tordifferenz hinter RB Leipzig lediglich auf dem fünften Rang. Dieser Status quo genügt, insofern die Bundesligaklubs nicht über das UEFA-Ranking einen zusätzlichen Platz ergattern, nur für die in erster Linie finanziell zweitklassige Europa League. Sollte sich der kostenintensive Kader nicht für die zur kommenden Saison modifizierte, wirtschaftlich nochmals lukrativere Champions League qualifizieren, würde dies in puncto nationaler wie internationaler Wettbewerbsfähigkeit, Gehalts- und Transferbudget etc. weitreichende Konsequenzen implizieren.

BVB: Heimspiel-Nimbus adé?

(Photo by INA FASSBENDER/AFP via Getty Images)

Vor der Pleite gegen das schwäbische Überraschungsteam feierte der BVB allerdings fünf Pflichtspielsiege in Serie. Insbesondere durch den ersten Erfolg beim Branchenprimus FC Bayern München (2:0) seit zehn Jahren schien die (endlose) Debatte um Trainer Terzic, die rar gesäten fußballerischen Vollgasveranstaltungen sowie eine grundsätzliche Überbewertung des Kaders zunächst ad acta gelegt, doch Borussia Dortmund bleibt ein seltsam fragiles Mysterium. Inkonstanz als treuer Begleiter! Exemplarisch konnte der Champions-League-Sieger von 1997 lediglich 15 der bis dato 28 Bundesliga-Partien dieser Spielzeit für sich entscheiden.

Augenscheinlich wird in der Bilanz, dass der Ruf des Westfalenstadions als uneinnehmbare Festung, ausgerechnet in dessen Jubiläumsjahr (Eröffnung am 2. April 1974), etwas bröckelt. Bereits vier Niederlagen musste der BVB in heimischen Gefilden im nationalen Liga-Alltag hinnehmen. In jeweils 14 Begegnungen 2023/24 ist die Auswärtsbilanz mit 27 Punkten sogar um einen Zähler besser als die Ausbeute im Signal-Iduna-Park (!). Hoffnungsschimmer: Immerhin blieb die Borussia in den bisher vier Königsklassen-Auftritten dieser Saison noch ungeschlagen (zwei Siege, zwei Remis).

BVB-Torgarant Donyell Malen fällt mindestens im Viertelfinal-Hinspiel aus

(Photo by Dean Mouhtaropoulos/Getty Images)

Generell gibt es bei aller Kritik aber durchaus positive Aspekte beim BVB zu konstatieren. In der Offensive hat sich Donyell Malen zu einem unverzichtbaren Puzzlestück gemausert. Seit Jahresbeginn verbuchte der wieselflinke wie abschlussstarke Niederländer in wettbewerbsübergreifend zehn Partien formidable sieben Treffer und zwei Assists. Problem: Die beiden zurückliegenden Bundesliga-Begegnungen verpasste der 25-Jährige aufgrund einer Oberschenkelblessur. Auch ein Einsatz im Champions-League-Viertelfinal-Hinspiel bei Atlético de Madrid kommt für den Torgaranten zu früh.

Neben Malen, dessen Landsmann Ian Maatsen sich als vielversprechende Winter-Leihe auf der Linksverteidiger-Position etabliert hat, überzeugt auch die Defensivabteilung des achtfachen deutschen Meisters mit stabilen Leistungen. Sowohl in der Champions League (fünf Gegentore – Bestwert gemeinsam mit dem FC Arsenal) als auch im Laufe der bisherigen Bundesliga-Saison 2023/24 (33 Gegentore – zweitbester Wert nach Bayer 04 Leverkusen) darf dem BVB ein hervorragendes Zeugnis ausgestellt werden. In vier der bis dato acht Königsklassen-Partien wahrte die Mannschaft um Stammkeeper Gregor Kobel respektive dessen zuverlässigen Ersatzmann Alexander Meyer die weiße Weste (Höchstwert!).

Dass dabei häufig die beiden Torhüter mit sensationellen Paraden im Fokus stehen, offenbaren zuvorderst die Expected Goals Against (xGA), wonach die Schwarz-Gelben allein in der Beletage des deutschen Fußballs bereits 10,93 Gegentore mehr hätten hinnehmen müssen, als in schwarzen Zahlen auf dem Tableau steht (zweithöchster Wert nach dem 1. FC Köln +12,37). Jenes partielle Spielglück wird das Terzic-Ensemble auch in den Duellen mit den „Colchoneros“ (deutsch „Matratzenmacher“) benötigen, um die bedingungslose Anhängerschaft von einem „Wembley-Reloaded“ träumen zu lassen.

Atlético de Madrid: neue Offensivqualitäten, jedoch ungeahnte Schwächen des Simeone-Defensivbollwerks

(Photo by David Ramos/Getty Images)

Parallel zum BVB muss auch Kontrahent Atlético de Madrid um die erneute Qualifikation zur Königsklasse bangen. Wenngleich derzeit der wichtige vierte Rang in der heimischen La Liga zu Buche steht, lauert der frisch gekürte Copa-del-Rey-Sieger Athletic Bilbao mit nur zwei Zählern Rückstand auf die „Colchoneros“. In der Champions League feierte das Team des extrovertierten Chefcoachs Diego Simeone einen ungeschlagenen Gruppensieg – Gegner: Feyenoord, Lazio, Celtic – ehe die Spanier mit dem designierten Serie-A-Meister Inter einen der Titelfavoriten im Elfmeterschießen aus dem Wettbewerb kegelten.

Ebenso synchron zu den Westfalen ist die Inkonstanz ein treuer Begleiter diese Atléti-Saison. Seit dem Jahreswechsel musste der 1903 gegründete Verein beispielsweise in wettbewerbsübergreifend 20 Partien bereits erstaunliche acht Niederlagen (u. a. gegen Abstiegskandidat FC Cadiz) einstecken. Beim Blick auf die Bilanz lässt sich dokumentieren, dass die Mannschaft einen Paradigmenwechsel durchlebt. Vom traditionellen Simeone-Fußball der Marke „Defensive gewinnt Titel“ bewegt sich der Ansatz, in diesem Fall paradoxerweise konträr zum BVB, in Richtung progressiver Offensivtaktik. Während in La Liga etwa mit bislang 35 Gegentreffern nur der siebtbeste Wert (gemeinsam mit RCD Mallorca) zu verzeichnen ist, stellen 56 eigene Tore den vierten Platz in diesem Ranking des spanischen Oberhauses dar. 17 Treffer in der Champions-League-Gruppenphase für Antoine Griezmann und Co. werden sogar lediglich von Titelverteidiger Manchester City (18) überboten.

Der spanische Journalist Álex Jimenez (u. a. Marca) sieht das veränderte Leitbild der „Colchoneros“, allerdings auf Kosten der Defensive, zum einen in der Neuinterpretation des 3-5-2-Systems mit zwei offensivfreudigen Achtern wie Pablo Barrios oder Rodrigo de Paul und zudem in den schnellen Umschaltaktionen der Flügelpositionen (Samuel Lino, Marco Llorente, Rodrigo Riquelme oder der argentinische Weltmeister Nahuel Molina) begründet. Als fundamentales Element dieser (neuen) Herangehensweise fungiert der Ex-Dortmunder Axel Witsel als spielöffnender, passsicherer Initiator aus der Innenverteidigung heraus. In letzter Instanz ist aber auch Atlético de Madrid von der Magie seiner Ausnahmekönner wie Griezmann, Morata oder Memphis Depay (fällt mit Muskelverletzung aus) abhängig.

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Atlético de Madrid: Kapitän Koke als stiller, jedoch unverzichtbarer Leader im „Colchoneros“-Ensemble

(Photo by MARCO BERTORELLO/AFP via Getty Images)

Wie auch der BVB ist Atlético de Madrid eine Mannschaft ohne die ganz großen Stars. Am ehesten würde noch der französische Weltmeister Griezmann herhalten. Für den 33-jährigen Offensivallrounder sind in der Saison 2023/24 bislang wettbewerbsübergreifend 19 Treffer in 38 Partien (davon sechs in der Champions League – Höchstwert!) notiert. Allerdings weist Experte Jimenez auf einen anderen stillen, jedoch unverzichtbaren Leader im Kader explizit hin: Mittelfeldmotor Koke!

Der Kapitän von Atléti verleiht der Mannschaft Temperament und ist zugleich deren Kopf. Koke ist einer jener Spieler, die mehr auffallen, wenn sie fehlen, als wenn sie da sind. So wie es damals mit Gabi Fernández [ehemaliger Atlético-Kapitän; Anm. d. Red.] war.

Neben einigen prägenden Akteuren wie Koke, Griezmann oder Witsel lebt Atléti von der mannschaftlichen Geschlossenheit, einem frenetischen Publikum im Estadio Cívitas Metropolitano und den ausgeprägten Motivationskünsten des ehrgeizigen argentinischen Trainers Simeone. Doch wie kann Borussia Dortmund den spanischen Kontrahenten über zwei Partien schlagen? Die größte Anfälligkeit offenbart sich laut Jimenez in einer jahrelangen Stärke des Ensembles – der Defensive!

Sollte es dem BVB gelingen, ein schnelles, vertikales Spiel aufzuziehen, ergeben sich fast automatisch Chancen gegen die nicht besonders flinke, körperlich zuweilen malträtierte Abwehrreihe, um Stefan Savic, Reinildo Mandava, José María Giménez oder Mario Hermoso. Insbesondere die Melange aus quirligen Profis der Marke Jadon Sancho, Karim Adeyemi, Jamie Bynoe-Gittens gepaart mit der Abschlussstärke eines Niclas Füllkrug – prädestiniert sogar Youssoufa Moukoko – könnte zum Erfolg der Schwarz-Gelben führen.

Prognose

Das Champions-League-Viertelfinale zwischen Borussia Dortmund und Atlético de Madrid dürfte ein Duell auf Augenhöhe werden. Entsprechende Nuancen dürften somit über den Einzug in die Runde der letzten vier Teams in Europas Königsklasse entscheiden. Der BVB hat den vermeintlichen Heimvorteil im Rückspiel auf dessen Seite. Allerdings bedarf es für die Westfalen eines guten Resultats respektive Ausgangssituation aus der Partie im Hexenkessel Estadio Cívitas Metropolitano. Auch der spanische Experte Álex Jimenez geht von einem ausgeglichenen Kräftemessen aus, betont allerdings insbesondere den unbedingten Willen der „Colchoneros“ oder, um es mit anderen Worten zu sagen: „Bei Atleti träumt man davon, die Champions League zu gewinnen, und warum sollte das in diesem Jahr nicht gelingen?“

(Photo by Leon Kuegeler/Getty Images)

Steven Busch

Die Außenristpässe eines Tomás Rosicky entfachten seinen Enthusiasmus für den Fußball und die Affinität zu den schwarzgelben Borussen aus dem Ruhrgebiet. WM-Held Mario Götze brach ihm mit dem Wechsel in den Süden der Republik einst sein Fanherz und der Glaube an die Fußballromantik schwand.


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