Kommentar: Tuchel und der FC Bayern waren kein Match
21. Februar 2024 | Spotlight | BY Michael Bojkov
Thomas Tuchel und der FC Bayern gehen nach der Saison getrennte Wege. Großartig überraschend kam die Nachricht nicht, dafür war die Beziehung zwischen Trainer, Mannschaft und Klub schon länger zu instabil. Ein Kommentar von Michael Bojkov.
Tuchel trägt nicht die Hauptverantwortung, aber eine Teilschuld
Es hat nicht sollen sein zwischen Thomas Tuchel und dem FC Bayern. Am Ende müssen sich beide Seiten eingestehen, dass es nicht gepasst hat. Ehrlicherweise waren bereits im Sommer erste Reibungspunkte erkennbar, als Tuchel die Holding Six im deutschen Fußballsprachgebrauch etablierte, die Bosse des FC Bayern aber eher widerwillig nach einem neuen Sechser Ausschau hielten und ihrem Trainer letztlich einen Kader zur Seite stellten, der selbst im komplett fitten Zustand auf dem Zahnfleisch gehen sollte. Dazu musste Tuchel mit Spielern arbeiten, die mit teils unerklärlichen Leistungsschwankungen und individuellen Aussetzern zu kämpfen hatten. Ein in allen Belangen undankbares Unterfangen für einen Trainer.
All das, ein heruntergewirtschafteter Kader, unpassende Spielerprofile und teils über Monate anhaltende individuelle Formdellen, sind Teil des Gesamtproblems beim FC Bayern, das es im Sommer umfassend zu beheben gilt. Tuchel ist somit keinesfalls hauptverantwortlich für die aktuelle Tabellensituation in der Bundesliga oder das peinliche Pokalaus bei Drittligist Saarbrücken.
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Und dennoch blieb auch der 50-Jährige nicht fehlerfrei. Tuchel hat es in seiner bislang elfmonatigen Amtszeit höchstens in Ansätzen geschafft, der Mannschaft die nötige Stabilität zu verleihen. Die positiven Resultate in der Hinrunde sind zu sehr großen Teilen auch der individuellen Klasse eines Leroy Sané oder Harry Kane zu verdanken, die den Gegner in Grund und Boden gespielt haben. Als Mannschaft war der FC Bayern nur selten ein Lichtblick, ein nachhaltiges spielerisches Gesamtkonstrukt nicht erkennbar – oder zumindest nicht erkennbar genug, um den Weg mit Tuchel langfristig weiterzugehen.
Auch muss Tuchel erklären, warum mit Mathys Tel einer der – wenn er denn spielen durfte – wenigen Konstanten der Mannschaft so geringe Einsatzzeiten bekommt. Lediglich viermal durfte der Youngster in der laufenden Saison von Beginn an ran – und das, obwohl seine Teamkollegen mit Leistungsschwankungen und Verletzungen zu kämpfen hatten und haben.
Auch das Verhältnis zu anderen Spielern, insbesondere Joshua Kimmich, soll nicht das beste sein, wobei sich hier die berechtigte Frage aufdrängt, ob es sich wirklich um ein Trainer-Problem handelt oder einige Akteure in der Kabine nicht grundsätzlich dazu neigen, dem eigenen Unmut Freiraum zu geben, wenn gewisse Dinge mal nicht nach ihren Vorstellungen laufen. Das ist also nochmal ein anderes Thema. Dennoch: Eine richtige Synergie waren Tuchel und der FC Bayern nie.
Die Bilanz, binnen drei Jahren zwei deutsche Weltklasse-Trainer verschlissen zu haben, ist aus Bayern-Sicht natürlich ernüchternd. Aber: Im Gegensatz zu Julian Nagelsmann, der den Kader bereits nach seinen Vorstellungen formen durfte und dessen Entlassung das Resultat puren Aktionismus war, lässt sich bei Tuchel festhalten, dass es offenbar auf mehreren Ebenen nicht richtig gefunkt hat und sich die mannschaftliche wie spielerische Entwicklung noch im Anfangsstadium befindet. Die Trennung ist folgerichtig und lässt sich aus Sicht der Verantwortlichen insofern auch leichter rechtfertigen. Allerdings nur unter dem Vorbehalt, dass im Sommer die Kernprobleme angegangen werden – und diesmal richtig.
(Photo by INA FASSBENDER/AFP via Getty Images)
Michael Bojkov
Lahm & Schweinsteiger haben ihn einst zum Fußball überredet – mit schwerwiegenden Folgen: Von Newcastle über Frankfurt bis Cádiz saugt Micha mittlerweile alles auf, was der europäische Vereinsfußball hergibt. Seit 2021 im Team. Hat unter anderem das Champions-League-Finale 2024 und die darauffolgende Europameisterschaft vor Ort für 90PLUS begleitet.