Sergio Busquets: Barcas stiller Magier – eine Hommage zum Abschied

5. Juni 2023 | Trending | BY Christoph Albers

Als Sergio Busquets am Abend des 20. Mai die La-Liga-Trophäe in die Höhe stemmte, reihte sich der mittlerweile 34-jährige in einen illustren Kreis ein. Dem der Kreis siegreichen Barça-Kapitäne der womöglich größten Ära des stolzen Clubs, zu dem auch Carles Puyol, Xavi Hernandez, Andres Iniesta und Lionel Messi gehören. Und auf genau diesem Höhepunkt verabschiedet sich Busquets nun, ein Spieler der wie kaum ein anderer für diese Ära stand. Eine Hommage.

Sergio Busquets: Der Beginn einer Ära

Doch beginnen wir am Anfang dieser Ära. Wir befinden uns im Sommer 2008, der FC Barcelona hat sich erst kürzlich von Trainer Frank Rijkaard getrennt, der zuletzt nicht mehr an die großen Erfolge der Vorjahre anknüpfen konnte. Für ihn übernimmt der 37-Jährige Pep Guardiola, der einst aus dem eigenen Nachwuchs entsprang und schon als Spieler zur Vereinslegende wurde. Dennoch wird er, weil er zuvor lediglich die zweite Mannschaft des Clubs trainierte, kritisch beäugt. Und weil er nicht Jose Mourinho ist, der allen Erzählungen nach die einzige ernsthafte Alternative darstellte. 

Von dieser Ausgangslage unbeeindruckt, zeigte sich Guardiola in der folgenden Saison von seiner wohl mutigsten Seite. Die Stars und Anführer der „alten“ Truppe, Deco und Ronaldinho wurden prompt aussortiert und verkauft, der erfahrene Edmilson, zuvor gesetzt als „Pivote“, wurde ablösefrei an Villarreal abgegeben und Top-Stürmer Samuel Eto’o bekam eine letzte Gnadenfrist (bis zum kommenden Sommer). Stattdessen sollten die „Eigengewächse“ rund um Victor Valdes, Carles Puyol,, Xavi Hernandez, Andrés Iniesta und Lionel Messi in die Verantwortung treten. 



Der Start ging jedoch spektakulär daneben. Barça unterlag am ersten Spieltag der Saison mit 0:1 beim Underdog Numancia. Yaya Toure, der die so wichtige Rolle des alleinigen Sechsers (in Spanien wäre es natürlich der „Vierer“) ausfüllen sollten, wurde bereits in der 56. Spielminute durch Seydou Keita ersetzt. Am zweiten Spieltag blieb Toure, dem man eigentlich so viel zugetraut hatte, 90 Minuten lang auf der Bank. Stattdessen feierte der 20-jährige Sergio Busquets, der es in Numancia nicht einmal in der Kader geschafft hatte, sein Debüt auf der Position, die Guardiola einst selbst bekleidete. 

Das Spiel endete zwar nur mit einem 1:1, doch es war der Auftakt zu einer Serie von 22 (!) ungeschlagenen Ligaspielen, die der Grundstein der bisher erfolgreichsten Saison der Vereinsgeschichte werden sollte. Und Sergio Busquets war auf einmal Stammspieler und Säule dieser Mannschaft. 

Der Star im Schatten

Fast forward in den Sommer 2023. Sergio Busquets verlässt den FC Barcelona nach 15 Jahren und 722 Spielen für die erste Mannschaft (er kam bereits im Jahre 2005 zur U19 zum FC Barcelona). In diesen 15 Jahren gewann er u.a. neun Meisterschaften, sieben Titel in der Copa del Rey, dreimal die Champions League und drei Klubweltmeisterschaften und doch stand er immer ein wenig im Schatten seiner Nebenleute. Die individuellen Preise gingen zumeist an Lionel Messi, doch auch Xavi, Iniesta oder Piqué erhielten mehr mediale Aufmerksamkeit, als der zurückhaltende Katalane. 

Eine Tatsache, die Busquets selbst sicherlich nie allzu sehr störte, schließlich war er vor allem bei denen, auf die es wirklich ankam höchst angesehen, auch wenn ihn die meisten Fans, vor allem die, die in erster Linie nur Highlight-Videos schauen, kaum zu Gesicht bekamen. Am schönsten brachte dies sein einstiger Nationaltrainer, Vincente del Bosque, zum Ausdruck: „Schaust du auf das Spiel, wirst du Busquets nicht sehen, doch schaust du auf Busquets, wirst du das Spiel sehen.“ 

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Der Schlüssel zum Spiel

Doch was meint Del Bosque damit wirklich? Natürlich können wir an dieser Stelle nur mutmaßen, doch mit hoher Wahrscheinlichkeit geht es um Folgendes: In der Geschichte des Fußballs gab es wohl kaum einen Spieler, der es so gut verstanden hat, das Tempo und den Rhythmus des Spiels so zu steuern, wie es Busquets getan hat – in all seinen Facetten. 

Am offensichtlichsten ist dabei natürlich das Passspiel. Vordergründig geht es hier vor allem um die Länge, Schärfe und Richtung der Pässe. Wann geht es darum den Ball zu kontrollieren und es der Mannschaft zu erlauben sich neu zu formieren (Ballbesitz als Defensivkonzept), um nach Ballverlust wieder ins Gegenpressing gehen zu können, und wann geht es darum die Tiefe zu suchen, um Abschlüsse zu generieren? Wie kann eine Seite überlagert werden und wann ist der richtige Moment gekommen, um den freien Raum auf der anderen Seite anzuspielen? Wie kann der tiefstehende Gegner aus der Reserve gelockt werden oder wann ist es besser den Gegner im letzten Drittel einzuschnüren? Wo ist der freie Mann und wer der Dritte?

All die Konzepte und Prinzipien Barças und Guardiolas liefen in Busquets als zentralen Punkt des Spiels zusammen. Weil er sowohl die technischen Möglichkeiten als auch die nötige Übersicht und Cleverness besaß und noch besitzt. Eine kleine Kostprobe gefällig?   

Durch seine Vororientierung und sein intuitives Verständnis, sieht alles mühelos aus. Fast wie in Zeitlupe. Doch oft passiert noch viel mehr, als man zunächst wahrnimmt. Kleine Körpertäuschungen genau vor dem ersten Kontakt, die Kontaktaufnahme mit dem Gegner, die es Busquets erlaubt aufzudrehen, der kurze Schulterblick. Unnachahmlich. 

Doch nicht nur mit dem Ball war Busquets all die Jahre eine Klasse für sich. Auch gegen den Ball hat er große Qualitäten. Diese liegen, trotz seiner stolzen Körpergröße von 1,89m, nicht im Kopfballspiel oder de Physis, vom Tempo mal ganz zu schweigen. Auch gegen den Ball bestach Busquets vor allem mit seinem Spielverständnis und seiner Antizipation. Er war vor allem immer dann gut, wenn er nach vorne verteidigen und ins Gegenpressing gehen konnte. Also genau in den Situationen, wo es darauf ankommt, schon vorher in eine gute Position zu kommen und Optionen abzuwägen. Und genau das war lange Zeit – vor allem unter Guardiola – eines der absoluten Markenzeichen des FC Barcelona. 

„Busquets 2.0“

Nach Guardiolas Abgang und mit der Entwicklung des Fußball in den letzten Jahren, die einen höheren Fokus auf Umschaltmomente, ein insgesamt höheres Tempo und damit auch eine verstärkte Fokussierung auf physische Attribute mit sich brachte, büßte Busquets’ größte Stärke jedoch an Bedeutung ein. Auf einmal lief Barça öfter in Konter und Busquets der Musik hinterher. 

Die Verantwortung als alleiniger Sechser vor einer Viererkette mit zwei hohen Außenverteidigern wurde zu groß, selbst für den vermutlich besten „Sechser“ aller Zeiten. Ein Missstand, den erst Xavi Hernandez nach seiner Rückkehr als Trainer zu beheben wusste. Xavi ließ nur noch einen Außenverteidiger wirklich hoch schieben, während der Zweite (zumeist Koundé) die Innenverteidigung zu einer Dreierkette ergänzte, während ein „Achter“ (zumeist de Jong) neben Busqutes fiel, um das Zentrum besser gegen Konter abzusichern und im Spielaufbau eine Überzahl im Zentrum zu erzeugen. Kurzum ein sogenannter „3-2-Aufbau“. 

In diesem Setup wurde Busquets wieder stärker, weil er vermehrt nach vorne verteidigen und sich seinen Manndeckern, die er über die Jahre vermehrt auf die Füße gestellt bekam (auch wenn er es meisterhaft verstand selbige aus ihren Positionen zu locken und Räume zu öffnen), entziehen konnte. Ein kluger Schachzug, der mutmaßlich auch von Pep Guardiola inspiriert war, der ähnliches bei Manchester City aufführen ließ und lässt. 

Busquets

(Photo by David Ramos/Getty Images)

Ein Blick zu Manchester City hilft allerdings auch um zu verstehen, dass die „Ära Busquets“ zu einem Ende gekommen ist. Bei den „Skyblues“ hat Guardiola in Rodri eine Art „Busquets 2.0“ gefunden. Ein Spieler der ebenfalls hochintelligent, technisch und taktisch ebenfalls herausragend, aber auch noch deutlich kompletter ist. So verfügt Rodri über eine deutlich stärkere Physis (und ist auch noch 2cm größer), ein höheres Grundtempo, eine gute Kopfballtechnik und einen starken Distanzschuss. 

Dieser Vergleich soll Busquets natürlich nichts wegnehmen oder seine Leistungen schmälern, vielmehr soll er zeigen, dass es eine nächste Evolutionsstufe auf dieser Position gibt, so wie Busquets selbst einst die nächste Evolutionsstufe Guardiolas darstellte. Pep gibt, Pep nimmt. Doch zurück nach Spanien und zurück nach Barcelona.

Wie geht es jetzt für Barça weiter?

Barça wird sich verändern müssen. Mit Busquets geht ein Stamm- (er spielte auch in der abgelaufenen Spielzeit noch knapp 70% der verfügbaren Spielminuten), Schlüssel- und Führungsspieler. Vor allem letztere Funktion sollte nicht unterschätzt werden, schließlich gilt er als einer der Spieler, der auch Neuzugängen die Werte des Clubs vermittelt und ihnen bei der Integration hilft. Als Sohn des Vereins (schon sein Vater Carles war Torwart bei Barça und ist mittlerweile Torwarttrainer der zweiten Mannschaft Barça Atletic) war er, ähnlich wie Gerard Piqué, ein „Rolemodel“, dass es so nun nicht mehr gibt. Dass Jordi Alba ebenfalls geht, hilft sicherlich auch nicht. Aus dieser Riege bleibt folglich nur noch Sergi Roberto übrig, der allerdings niemals das gleiche Standing hatte, wie seine Prominenten Vorgänger. 

Barça wird also eine neue Führungsgruppe etablieren müssen, eine, die mutmaßlich kaum noch La Masia-Bezug haben wird. Mit Eric Garcia, Alejandro Balde, Gavi und Ansu Fati stehen zwar ein paar „Alumnis“ in Xavis Kader, als potenzielle Kapitäne kommen sie jedoch noch nicht in Frage. Langjährige Kadermitglieder wie Sergi Roberto und Marc-Andre Ter Stegen stehen nun mehr denn je in der Verantwortung, ein zunehmender Identitätsverlust droht dennoch. 

Über die sportliche Nachfolge, wird man wohl erst am Ende des Sommer-Transferfensters sprechen können. Der Wunsch nach einem Nachfolger aus dem eigenen Nachwuchs wird jedoch mit höchster Wahrscheinlichkeit unerfüllt bleiben. Doch auch nach Guardiolas Abgang als Spieler musste Barça sieben Jahre auf einen passenden Nachfolger warten…

Auch die Frage, wohin es Sergio Busquets selbst zieht, ist noch nicht abschließend beantwortet. Als geneigter Fan hätte man es sich sicherlich gewünscht, dass er seine Karriere im Camp Nou beendet, wie z.B. Piqué und Puyol vor ihm. Doch es ist wesentlich wahrscheinlicher, dass er den Weg von Xavi oder Guardiola wählt und noch eine Station im Ausland einlegt und womöglich ebenfalls auf der arabischen Halbinsel. Es wäre nicht das romantische Ende, dass er sich verdient hätte, doch es bleibt zu hoffen, dass dies seinem Denkmal nicht schadet und er hoffentlich eines Tages nach Barcelona zurückkehren kann. Vielleicht ja als Trainer, wie… naja… wie Guardiola eben.

(Photo by PAU BARRENA/AFP via Getty Images)

Christoph Albers

Cruyff-Jünger und Taktik-Liebhaber. Mag präzise Schnittstellen-Pässe, schwarze Leder-Fußballschuhe, Retro-Trikots und hat einen unerklärlichen Hang zu Fußball-Finanzen. Seit 2016 bei 90PLUS.


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