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Hitziges Sevilla-Derby: Flaschenwurf, Europa-League-Drama – und nun die Wachablösung?

12. November 2023 | Spotlight | BY Antonio Riether

Am Sonntagabend (18.30 Uhr) steigt das 140. Sevilla-Derby zwischen dem FC Sevilla und Real Betis Balompié im Estadio Ramón Sánchez Pizjuán. Aufgrund des anhaltenden Negativlaufs des FC Sevilla gehen die Béticos diesmal als Favorit in das Stadtduell. Angesichts des bevorstehenden Derbys lohnt sich durchaus ein Blick auf die brisanten Duelle der beiden Rivalen.

Sevilla-Derby: Tiefpunkt zwischen Betis und FC Sevilla im Jahr 2007

Wenn in Sevilla das Derby ansteht, ist die Spannung in der 690.000-Einwohner-Stadt förmlich mit den Händen zu greifen. Die beiden Traditionsvereine begleitet eine mehr als hundertjährige Rivalität, seit dem ersten Derby im Jahr 1909. Betis betrachtet sich innerhalb dieses innerstädtischen Wettstreits als Arbeiterklub, während der FC Sevilla eher als traditioneller Repräsentant des Bürgertums und der Oberschicht gilt. Die sportlichen Vergleiche zwischen den beiden Klubs sind daher von hoher Spannung, Intensität und Leidenschaft, aber auch zuweilen von übertriebener Härte, Provokationen und sogar Gewalt geprägt.



Dass rivalisierende Fans aneinandergeraten, ist keine Ausnahme. Dass die Gewalt auch bis auf den Rasen überschwappt, hingegen schon. Ein trauriges Beispiel dafür lieferten die Betis-Fans, die beim Derby im Viertelfinal-Rückspiel der Copa del Rey 2007 für eine unrühmliche Szene sorgten. Nach dem 0:0 im Hinspiel beim FC Sevilla fiel im Rückspiel im Benito Villamarín in der 55. Minute der erste Treffer durch den langjährigen Sevilla-Stürmer Frédéric Kanouté.

Die Betis-Fans warfen daraufhin mehrere Gegenstände auf das Spielfeld, während der tumultartigen Szene wurde Sevillas Trainer Juande Ramos dermaßen hart von einer Zwei-Liter-Flasche am Kopf getroffen, dass dieser bewusstlos zusammenbrach und in ein Krankenhaus eingeliefert werden musste. Mehreren Berichten zufolge soll die Flasche vorher mit Eis gefüllt worden sein. Die Restzeit des abgebrochenen Spiels wurde drei Wochen später unter Ausschluss der Öffentlichkeit beim FC Getafe ausgetragen, Sevilla erreichte letztlich knapp das Halbfinale und gewann sogar noch den Titel.

Legendäre Sevilla-Derbys: Achtelfinal-Drama in der Europa League 2014

Die Hitzigkeit der Sevilla-Derbys zeichnete sich in den nächsten Jahren aber glücklicherweise vorrangig durch enge sportliche Duelle aus. So etwa im Jahr 2014, als die beiden Teams im Achtelfinale der Europa League aufeinandertrafen. Überraschend gewann Betis das Hinspiel im Sánchez Pizjuán mit 2:0, Léo Baptistao und Salva Sevilla erzielten die beiden Treffer.

Für das Rückspiel hatte sich der FC Sevilla jedoch einiges vorgenommen, was sich bereits nach zwanzig Minuten andeutete. Da brachte der 2019 verstorbene José Antonio Reyes Sevilla in Führung, ehe Carlos Bacca nach 75 Minuten zum 2:0 traf. Nach torloser Verlängerung ging es in ein dramatisches Elfmeterschießen, bei dem Betis nach einem gehaltenen Strafstoß durch Antonio Adán erst in Führung ging. Held des Abends wurde letztlich aber Sevilla-Keeper Beto, der zwei Elfmeter parierte und den Rojiblancos den Einzug ins Viertelfinale klarmachte. Nachdem die Sevillistas den FC Porto und den FC Valencia aus den nächsten K.-o.-Runden kickten, gewannen sie letzten Endes das Finale gegen Benfica und krönten sich mit dem dritten Europa-League-Titel.

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In den Folgejahren war der FC Sevilla – auch aufgrund der Triumphe in der Europa League von 2014 bis 2016 – der unumstrittene Platzhirsch in der Stadt. Bei den Ligaduellen gegen Betis ging man meist als Sieger vom Platz, in der Saison 2014/15 stieg Betis sogar in die zweite Liga ab. Dennoch sorgten die Grün-Weißen im Ligaspiel am 6. Januar 2018 für eine faustdicke Überraschung. Mit 5:3 deklassierten die Verdiblancos in einer wilden Partie den Erzrivalen im eigenen Stadion.

Schon in der ersten Minute gingen die Gäste, die damals auf einem mittelmäßigen zehnten Platz standen, durch Fabian Ruíz in Führung, nach 13 Minuten traf Wissam Ben Yedder zum Ausgleich. Acht Minuten später traf Betis erneut durch Zouhair Feddal, fünf Minuten vor der Pause glich Simon Kjaer zum 2:2 aus. Doch Betis kam gut aus der Pause und erhöhte durch einen Doppelschlag von Riza Durmisi und Sergio León auf 4:2. Auf den Anschlusstreffer von Clément Lenglet antwortete Cristian Tello in der Nachspielzeit mit dem fünften Betis-Streich. Betis beendete an jenem Tag eine Negativserie von acht sieglosen La-Liga-Partien gegen den FC Sevilla.

Die jüngsten Sevilla-Derbys waren dagegen ausgeglichen: Die Statistik der letzten Partien verrät vieles über die allmählich Etablierung des einstigen Fahrstuhlklubs Betis Balompié und den Abwärtstrend, den der FC Sevilla trotz des jüngsten Europa-League-Titels erfährt. In den letzten vier Pflichtspielen gingen beide Teams jeweils einmal als Sieger vom Platz, in beiden Fällen setzte sich der Gewinner mit 2:1 durch. Etwas bedeutender als der letzte Sieg des FC Sevilla im Ligaspiel Ende Februar 2022 war jedoch der 2:1-Pokalerfolg von Betis gegen den Stadtrivalen eineinhalb Monate zuvor. Trotz eines Rückstandes gewann Betis vor heimischer Kulisse dank zweier Treffer von Nabil Fekir und Sergio Canales und setzte sich erstmals seit 1985 in einer K.-o.-Phase eines Wettbewerbs gegen den FC Sevilla durch.

Die letzten beiden Auflagen des Gran Derbis in der vergangenen Saison ließen die Fans allerdings ratlos zurück. Das Hinspiel im November 2022 bei Betis endete nach einem Eigentor von Jesús Navas und einem Treffer durch Nemanja Gudelj mit 1:1. Dabei gab es allerdings mehr Platzverweise als Tore, schon im ersten Durchgang flogen sowohl Sevilla-Verteidiger Gonzalo Montiel als auch Betis-Profi Nabil Fekir mit glatt Rot vom Platz. Nach nicht einmal vier Minuten in der zweiten Spielhälfte ereilte Betis-Stürmer Borja Iglesias nach einem groben Foul das gleiche Schicksal. Beim Rückspiel im Mai 2023, dem letzten Aufeinandertreffen der beiden Mannschaften, trennte man sich nach 17 Derbys, bei denen mindestens ein Treffer gefallen war, mit 0:0. Einziger Aufreger dabei: selbstverständlich ein Platzverweis. Diesmal holte sich Linksverteidiger Juan Miranda drei Minuten vor Schluss die Rote Karte ab.

Betis geht als Favorit in das Derby – auch ohne Rekordmann Joaquín

Erstmals nach Jahren wird das Duell am Sonntag ohne den Derby-Rekordspieler Joaquín, der das Derbi sevillano insgesamt 27-mal bestreiten konnte, auskommen müssen. Mit 41 Jahren beendete die Betis-Legende im vergangenen Sommer seine Spielerkarriere. Doch auch ohne Joaquín kann sich Betis angesichts der bisherigen Leistungen in der Liga durchaus Hoffnungen auf einen Sieg im Wohnzimmer des Rivalen machen.

Die Mannschaft von Trainer Manuel Pellegrini steht in der heimischen Liga nach nur zwei Pleiten aus zwölf Partien auf dem sechsten Tabellenplatz, außerdem kann sich Betis in der Europa League nach dem jüngsten 4:1-Sieg über Aris Limassol gute Chancen auf den Einzug in die K.-o.-Phase ausrechnen.

Sevilla

(Photo by Fran Santiago/Getty Images)

Beim amtierenden Europa-League-Sieger FC Sevilla läuft es hingegen überhaupt nicht rund. In den bisherigen 15 Partien in der Liga und in der Champions League konnte Sevilla lediglich zwei Siege einfahren, so warten die Nervionenses seit acht Partien auf einen Pflichtspielsieg. Der Trainerwechsel im Oktober, bei dem José Luis Mendilibar durch den Uruguayer Diego Alonso ersetzt wurde, fruchtete also noch nicht. Aktuell belegen die Andalusier Tabellenplatz 15 – schon die letzte Saison schloss der Klub auf einem enttäuschenden zwölften Platz ab.

Am Sonntag muss sich Sevilla ausgerechnet gegen eine vor Selbstvertrauen nur so strotzende Betis-Mannschaft aus dem Abwärtsstrudel befreien, andernfalls könnte die Luft im Tabellenkeller noch dünner werden. Betis dagegen könnte sich mit einem Dreier weiter in den oberen Tabellenregionen festsetzen. Für die Betis-Fans dürfte dies eine ungewöhnliche Situation sein, steht man doch sonst im Schatten des siebenfachen Europapokalsiegers. In letzter Zeit bahnt sich aber eine Wachablösung in der Andalusischen Metropole an.

(Photo by Fran Santiago/Getty Images)


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