Real Madrid im Derbi Madrileno ohne Mbappé: Fluch oder Segen für Ancelotti?
29. September 2024 | Vorschau | BY Jakob Haffke
Am Sonntagabend um 21 Uhr gastiert Titelverteidiger Real Madrid beim Stadtrivalen Atletico Madrid. Dabei muss Real-Trainer Carlo Ancelotti auf seinen neuen Superstar Kylian Mbappé verzichten, der mit einer Oberschenkelverletzung vorerst ausfällt. Setzt Ancelotti jetzt taktisch wieder auf Bewährtes aus der Vorsaison?
Was sich im Vergleich zur Vorsaison bei Real Madrid verändert hat
Mit Mbappé fehlt Ancelotti ein absoluter Ausnahmekönner, der jederzeit mit einer einzigen Aktion ein Spiel entscheiden kann. Trotz einiger Anpassungsprobleme steht Mbappé bereits bei sieben Toren aus neun Pflichtspielen für seinen neuen Verein. Insbesondere der Treffer zum 2:0 gegen Deportivo Alaves zeigt, wie gut eine Real-Offensive mit dem Kapitän der französischen Nationalmannschaft funktionieren kann. Ein Spieler wie Mbappé beansprucht, wenn er fit ist, einen Platz in der Startelf für sich. Der Einbau des Neuzugangs von Paris Saint-Germain hat allerdings bisher nicht nur positive Auswirkungen, sondern ist auch mit dafür verantwortlich, dass es bei Real noch nicht komplett rund läuft.
In der erfolgreichen letzten Saison, die mit dem Ligasieg und dem Triumph in der Champions League gekrönt wurde, setzte Ancelotti in den wichtigsten Spielen personell meist auf ein Dreiermittelfeld aus Toni Kroos, Aurélien Tchouaméni und Federico Valverde. Davor agierten Jude Bellingham, Vinicius Junior und Rodrygo und wurden mit allen offensiven Freiheiten ausgestattet. Gerade Bellingham profitierte enorm von seiner offensiven Positionierung und erzielte 23 Tore in allen Wettbewerben, da er immer wieder im Strafraum zu finden war.
Das Sommer-Transferfenster brachte zwei maßgebliche Änderungen im Kader Real Madrids mit sich, Mbappé kam aus Paris und Mittelfelddirigent Kroos beendete seine Karriere. Im bisherigen Saisonverlauf ersetzte Ancelotti Kroos oft direkt durch Mbappé, dafür rückte Bellingham zurück ins Dreiermittelfeld. Der 21-jährige Engländer interpretiert seine Rolle jedoch komplett anders als Kroos. Der ehemalige deutsche Nationalspieler ließ sich oft auf Höhe der eigenen Innenverteidiger fallen, verteilte aus der Tiefe die Bälle und fungierte als Taktgeber der Königlichen. Bellingham hingegen agiert auch aus seiner tieferen Position sehr offensiv und schiebt immer wieder vor bis in die letzte Linie. Dies sorgt dafür, dass die Balance in Reals Spiel bisher nicht immer stimmt.
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Aus Bellinghams neuer Rolle ergeben sich mehrere Veränderungen. So halten sich sowohl Bellingham, als auch Vinicius, Rodrygo und Mbappé gerne auf der linken Seite des Spielfelds auf. Dies ist nicht zwangsläufig problematisch, kombinieren die hochveranlagten Offensivspieler Reals auf engen Raum und überladen durch ihre Bewegungen die linke Seite, können sie jede Abwehrreihe der Welt vor Probleme stellen. Eine Linkslastigkeit im Spiel Reals hat außerdem fast schon Tradition, auch Karim Benzema ließ sich beispielsweise gerne auf diese Seite fallen. Gegen Deportivo Alaves war zudem zu sehen, dass vor allem Rodrygo deutlich konsequenter auf dem rechten Flügel positioniert war und weniger nach links zog, als in der Vorsaison.
Außerdem zählt Ancelotti ohnehin nicht zu den Verfechtern eines strikten Positionsspiels und strebt nicht an, dass stets alle offensiven Räume von seinen Spielern besetzt werden. Der Italiener bevorzugt es sogar seinen Spielern so viele Freiheiten wie möglich zu gewähren und offensive Lösungen selbst zu finden.
Das bisherige Hauptproblem Bellinghams offensiver Interpretation seiner Position ist der dadurch fehlende Spieler im defensiven Mittelfeld. Kroos, der vorher im linken zentralen Mittelfeld eingesetzt wurde, sammelte die meisten Ballkontakte aller Mittelfeldspieler in La Liga (116 pro 90 Min., Statistiken von fotmob.com) und war mit seiner Ballsicherheit (0,25 Ballverluste pro 90 Min.) maßgeblich dafür verantwortlich für Ruhephasen im Ballbesitz zu sorgen, er selbst ging nur selten mit nach vorne. Durch seine tiefere Positionierung im Vergleich zu Bellingham war Kroos zudem nicht nur im Spielaufbau zentral, sondern auch von hoher Bedeutung für die Restverteidigung. Diese Verantwortung muss jetzt vermehrt von den anderen beiden zentralen Mittelfeldspielern übernommen werden.
Wie Ancelotti auf Mbappés Ausfall reagieren kann
Um Mbappés Ausfall zu kompensieren, könnte Ancelotti wieder auf bewährte Mechanismen aus der Vorsaison zurückzugreifen. Bellingham würde in diesem Fall zusammen mit Vinicius und Rodrygo die offensive Dreierreihe bilden und dafür ein zusätzlicher zentraler Mittelfeldspieler in die Startelf rücken.
Eduardo Camavinga als erste Option ist jedoch nach seiner Verletzung wahrscheinlich noch nicht bereit für die Startelf, somit bleibt Ancelotti nur noch Luka Modric, der mit seinen 39 Jahren bisher nur dosiert Einsatzminuten gesammelt hat. Vom Spielerprofil ist er Toni Kroos aus dem aktuellen Madrider Kader am ähnlichsten, Modric geht jedoch im Ballbesitz oft mehr ins Risiko und verliert dementsprechend häufiger den Ball (1,01 Ballverluste pro 90 Min.). Gerade aufgrund seiner Erfahrung dürfte er jedoch im Derbi Madrileno trotzdem die erste Wahl sein und zusammen mit Tchouaméni und Valverde das Dreiermittelfeld bilden.
Eine andere Variante wäre es, Arda Güler an Stelle des französischen Nationalmannschaftskapitäns Mbappé aufzustellen. Dies könnte bedeuten, entweder Bellingham im Dreiermittelfeld zu belassen, Güler auf den linken Flügel zu stellen und Rodrygo als Sturmspitze aufzubieten oder Güler und Bellingham als eine Art rotierende Doppel-10 aufzubieten. Der türkische Shootingstar hat seinen Wert für Real insbesondere in der Rückrunde der Vorsaison mit sechs Toren bereits unter Beweis gestellt und auch bei der Euro 2024 überzeugt.
Beide Optionen wären jedoch deutlich offensiver als Modric starten zu lassen und Bellingham eine Reihe weiter nach vorne zu schieben. Außerdem ist Güler aufgrund der angespannten Personallage, neben Supertalent Endrick, die einzig verbliebende Offensivoption auf der Bank, sodass es sich anbietet den 19-Jährigen vorerst draußen zu lassen, um im Laufe des Spiels mehr Optionen zu haben. Auch Modric Erfahrung und Abgezocktheit spielen in der zu erwartenden, hitzigen Derby-Atmosphäre im Hexenkessel Wanda Metropolitano sicherlich eine Rolle bei Ancelottis Entscheidung.
Was Real Madrid im Derbi Madrileno erwartet
Atletico Madrid ist, seit Diego Simeone 2011 den Trainerposten übernommen hat, eine der am unangenehmsten zu bespielenden Mannschaften Europas. Real konnte nur zwei der letzten sieben Duelle in der Liga gegen Atletico gewinnen.
Insbesondere die Defensive ist bei Simeones Team bereits zu diesem frühen Zeitpunkt der Saison schon wieder das absolute Prunkstück, seit dem 2:2 zum Saisonauftakt gegen Villareal kassierte man nur noch ein weiteres Gegentor in La Liga. Es ist zu erwarten, dass Atletico im eigenen Stadion versuchen wird, Real permanent zu stressen und unter Druck zu setzen und dann schnell nach vorne zu spielen. Mit Neuzugängen wie Conor Gallagher, Julian Alvarez, Alexander Sørloth und Robin Le Normand haben sich die Colchoneros in allen Mannschaftsteilen hochkarätig verstärkt. Die dazugehalten Spielerprofile passen perfekt zu den Spielprinzipien Atleticos und bringen die Intensität mit, die Simeone von seiner Mannschaft stets verlangt.
Carlo Ancelotti und Real Madrid erwartet also ein hochintensives und umkämpftes Derbi Madrileno. Für den 65-Jährigen stellt der Ausfall von Mbappé eine Herausforderung dar, zugleich bietet sich aber auch die Chance durch eine etwas defensivere Aufstellung die Balance zwischen Defensive und Offensive zu stärken. Dabei kann sich der Italiener auf bewährte Mechanismen aus der Vorsaison und seinen breiten Kader verlassen. Somit könnte sich der Ausfall Mbappé im Madrider Stadtderby auch als Segen erweisen.
Voraussichtliche Aufstellungen
Atletico Madrid:
Oblak – Le Normand, Gimenez, Reinildo – Llorente, De Paul, Koke, Gallagher, Samuel Lino – Griezmann, Alvarez
Real Madrid:
Courtois – Carvajal, Rüdiger, Militao, Mendy – Valverde, Tchouaméni, Modric – Bellingham – Rodrygo, Vinicius Junior
Autor: Jakob Haffke
(Photo by Juan Manuel Serrano Arce/Getty Images)