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Premier League: Arsenal zwischen Glück und Bedauern – „Tatort“ Tottenham Stadium

10. April 2023 | Spotlight | BY Chris McCarthy

Fünf Awards zum 30. Spieltag der Premier League: Arsenal gegen Liverpool zwischen Glück und Bedauern. Das Tottenham Stadium wird zum Tatort und neuer Trainer, alter Blues für den FC Chelsea. 

„Glücklicher Punkt und doch zwei Punkte verspielt“-Award: FC Arsenal

Es war ein mitreißendes 2:2-Unentschieden zwischen dem FC Liverpool und dem FC Arsenal am Sonntag. Absurdes Tempo, krachende Zweikämpfe, hochwertiger Fußball. Vintage Premier League.



Die Mannschaft von Mikel Arteta legte in der Anfangsphase all die Tugenden an den Tag, durch die sie die Tabellenführung eroberten: Herausragendes Kombinations- und Positionsspiel, ein direkter Zug zum Tor sowie unnatürliche Reife für die zweitjüngste Mannschaft der Premier League. Die Folge war die erste 2:0-Führung an der Anfield Road seit 2012 nach 28 Minuten.

Für die Gäste aus London schien es ein überraschend ruhiger Nachmittag und ein gewaltiger Schritt Richtung Meisterschaft zu werden. Doch dann passierte es. Das Spiel kippte komplett. Wie kam es dazu?

  • Zum einen ließen sich die Gunners gegen Ende der ersten Hälfte in unnötige Nickeligkeiten verstricken und von der steigenden Intensität beeinflussen. Plötzlich spielte sich Arsenal nicht mehr so maschinenartig hinten raus, sondern ließ sich vom Chaos anstecken: Unnötige und schnelle Ballverluste, Stellungsfehler in der Defensive. Die Gäste hatten die Kontrolle abgegeben. Das 1:2 fiel bereits vor der Pause.
  • Zum anderen ist der FC Liverpool trotz einer enttäuschenden Saison zu Hause weiterhin eine Macht, die dort nur so vor Resilienz strotzt: Das Team von Jürgen Klopp kämpfte sich erst in die Partie – die Anfield Road erwachte – und spielte sich dann in einen Rausch. Die Reds schnürten die nun hektischen Gunners ein und kamen 19-mal im Sechzehner zum Abschluss – Negativrekord für Arsenal seit Datenerfassung

Dass es am Ende *nur* 2:2 stand, hatte Arsenal Mohamed Salah, der beim Stand von 1:2 einen Elfmeter vergab, und einem herausragenden Aaron Ramsdale zu verdanken, der am Ende gleich mehrfach spektakulär das 2:3 verhinderte.

Aus Sicht der Gunners war es ein sehr glücklicher Punkt. Das sagen alleine die 1,81 zu 4,76 expected Goals. Gleichzeitig aber waren sie es, die überhaupt erst die Contenance verloren hatten und somit die zwei Punkte aus der Hand gaben. Und das in einem gnadenlosen Titelrennen mit Manchester City, das aktuell heiß läuft und zwar weiterhin sechs Punkte Rückstand, allerdings ein Nachholspiel sowie das direkte Duell in der Hinterhand hat.

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„Unfaires Duo“-Award: Kevin De Bruyne und Erling Haaland

Mit Kevin De Bruyne verfügt Manchester City bereits seit einigen Jahren über einen, wen nicht den besten Zehner der Premier League. Das ist nichts Neues. Seit Sommer hat er allerdings nun auch einen der besten Stürmer der Welt vor sich stehen: Erling Haaland. Und dieser ist dank seiner Kombination aus Physis, Antizipation und Kaltschnäuzigkeit der ideale Abnehmer für die patentierten Halbfeldflanken und perfekten Steilpässe des Belgiers.

Wie unfair diese Kombination ist, sahen wir auch am Samstag beim 4:1-Sieg über Southampton. Nach einer zähen Angelegenheit gegen tapfere Saints war De Bruynes butterweiche Hereingabe nach 45 Minuten der Dosenöffner, Haaland war per Kopf zur Stelle und nickte zum 1:0 ein.

De Bruyne erreichte damit übrigens als schnellster Spieler in der Geschichte der Premier League den Meilenstein von 100 Vorlagen. Besonders auffällig ist allerdings, dass er in dieser Spielzeit Haaland, der später übrigens spektakulär per Fallrückzieher seinen 30. Saisontreffer erzielte, bereits siebenmal assistierte. Schon jetzt Vereinsrekord für zwei City-Spieler.

„Tatort“-Award: Tottenham Stadium

Kaum ein Spiel der Premier League sorgte am Wochenende für so viel Diskussionsstoff wie das zwischen den Tottenham Hotspur und Brighton and Hove Albion. Eine Partie, bei der sowohl Gästetrainer Roberto de Zerbi als auch Spurs Interimscoach Cristian Stellini für Kabelleien die Rote Karte erhielten – die beiden ehemaligen Gegenspieler hatten bereits vor dem Spiel verbale Pfeilspitzen ausgetauscht.

Doch der eigentliche Tatort war der Rasen des Tottenham Stadiums. Das Opfer: Brighton. Der Schuldige? Nun, um den zu ermitteln, brauchte es keinen Kommissar.

Die Seagulls dominierten das Spiel (65% Ballbesitz, 17:9 Schüsse), bekamen aber zwei Tore aberkannt sowie zwei Elfmeterpfiffe verwehrt und verloren am Ende überaus unglücklich mit 1:2. „Sie wurden beraubt“, sagte sogar BBC-Experte Chris Sutton in Anlehnung an das Schiedsrichtergespann.

Dass das vermeintliche 1:1 durch Kaoru Mitoma vom Linienrichter wegen der Ballmitnahme mit dem obersten Oberarm aberkannt wurde, war zwar strittig aber keine klare Fehlentscheidung. Es war getreu des Reglements also vertretbar, dass die Entscheidung nicht revidiert wurde. Die anderen Situationen dagegen…

  • 55. Minute (Stand 1:1): Das vermeintliche 2:1 von Danny Welbeck wurde erst gegeben, dann aber aberkannt, da Mac Allister angeblich den Schuss mit dem Arm ins Tor lenkte. Dies war keine klare Fehlentscheidung, wurde aber trotzdem revidiert. Und das, obwohl die Zeitlupen nicht eindeutig bewiesen, dass der Ball wirklich den Arm und nicht eher die Hüfte berührte.
  • 71. Minute (Stand 1:1): Pierre-Emil Hojbjerg tritt Mitoma eindeutig im Sechzehner auf den Fuß, der Japaner geht zu Boden. Ein klarer Elfmeter, der VAR schaltete sich nicht einmal ein.
  • 86. Minute (Stand 2:1): Clement Lenglet zieht Lewis Dunk nach einem Freistoß im Strafraum mit zwei Händen am Trikot. Zwar nur kurz, laut Regelwerk aber ein Strafstoß. Wieder meldet sich der VAR nicht zu Wort.

Brightons Dunk sagte nach dem Spiel, dass er den Sinn des VAR nicht verstehe. Sutton ergänzte: „Howard Webb (Schiedsrichter-Chef, d.Red) wird sich noch einmal bei ihnen entschuldigen, da bin ich mir sicher! Wirklich furchtbar.“

Die Entschuldigung wird nichts nutzen, Tottenham festigt durch den Sieg im Sechspunktespiel Platz fünf. Brighton hat zwar zwei Spiele weniger absolviert, aber nun sieben Zähler Rückstand.

„Neuer Trainer, gleiche(r) Blues“-Award: Chelsea

Auch die Entlassung von Graham Potter konnte den Negativtrend des FC Chelsea nicht bremsen. Im ersten Spiel unter Interimstrainer und Rückkehrer Frank Lampard setzte es bei den Wolverhampton Wanderers eine 0:1-Niederlage.

Es war absehbar, dass der Engländer das Ruder nicht über Nacht rumreißen würde. Zum einen, weil der Job im Westen Londons äußerst undankbar ist. Zu viel Fluktuation, zu wenig Balance ziert den Kader, den Neu-Besitzer mit viel Geld und wenig Strategie hoffnungslos aufblähte (wir analysierten). Das an sich macht die Wahl einer Interimslösung beim FC Chelsea nachvollziehbar, die neue Festanstellung würde unter diesen Umständen in Gefahr laufen, verbrannt zu werden, der Mittelfeldplatz ist ohnehin unausweichlich.

Auf der anderen Seite aber strahlte die Wahl auf Lampard so viel Inspiration aus wie der ehemalige Weltklassespieler bislang als Trainer. Nämlich recht wenig. Wunderdinge waren somit wohl kaum zu erwarten.

Und so war es kein Wunder, dass ein Trainer-Wechsel-Effekt am Samstag ausblieb. Stattdessen setzte sich der gleiche Blues fort: Harmlose Offensive (ein Schuss aufs Tor), keine Gegenwehr. Einzig der Vorletzte der Premier League, Nottingham Forest, hat weniger Punkte nach Rückstand geholt (5) als Chelsea (6).

„Jungbrunnen“-Award: Roy Hodgson

Zugegeben, es wirkte wie eine Verzweiflungstat, als Crystal Palace vor zwei Wochen Trainer Patrick Vieiera durch Roy Hodgson ersetzte. Immerhin ist der 75-jährige Engländer der älteste Trainer der Premier-League-Geschichte.

Doch siehe da. Am Sonntag gab es den zweiten Sieg in Serie, ein 5:1 über Leeds United. Damit haben die Londoner in den zwei Spieler unter Hodgsons Leitung ganze sieben Tore erzielt – genau so viele wie in den 15 Spielen zuvor.

Inspiriert vom alten Trainerurgestein wirkt der junge Angriff in sämtlichen Bereichen wie neu geboren. Nachdem die Eagles in den letzten drei Spielen unter Vieira keinen Schuss aufs Tor brachten, waren es in den letzten beiden Spielen jeweils acht. Am Sonntag gab es zudem 34 erfolgreiche Dribblings – Rekord für ein Spiel in der Premier League seit Datenerfassung. Die Folge: Sechs Punkte Vorsprung auf die Abstiegsränge.

(Photo by PAUL ELLIS/AFP via Getty Images)

Chris McCarthy

Gründer und der Mann für die Insel. Bei Chris dreht sich alles um die Premier League. Wengerball im Herzen, Kick and Rush in den Genen.


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