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Frage der Kommunikation: Wie Thomas Tuchel den FC Chelsea in die Spur geführt hat

25. März 2021 | Trending | BY Chris McCarthy

Spotlight | Im Januar übernahm Thomas Tuchel beim FC Chelsea das Traineramt von Frank Lampard. Der Deutsche hat die Blues wieder in die Spur geführt. Wie ist ihm das gelungen?

Am Sonntag zog der FC Chelsea dank eines 2:0-Erfolgs über Sheffield United in das Halbfinale des FA Cups ein. Obwohl die Blues auch im 14. Spiel unter der Leitung von Thomas Tuchel (47) ungeschlagen blieben, war der neue Trainer nicht ganz zufrieden.

„Wir hatten eine gute erste Halbzeit, wir kontrollierten alles“, sagte er gegenüber der BBC und ergänzte: „In der zweiten Halbzeit verloren wir die Kontrolle, wir waren sichtlich müde (…) und wir machten Fehler.“ Wir.

Vor zwei Monaten herrschte im Südwesten Londons noch ein ganz anderer Ton. Damals, am 19. Januar, war Chelsea trotz massiver Transferausgaben nach einem 0:2 gegen Leicester City auf Rang zehn abgestürzt. Frank Lampard (42), damals der Mann an der Seitenlinie, machte seine Unzufriedenheit deutlich: „Es gibt Spieler, die nicht so gut spielen wie sie sollten, das ist einfach Fakt. Die Spieler wissen, dass sie von einer besseren Mannschaft geschlagen wurden (…). Sie.

Wir. Sie. Es ist nur ein Wort, eine Formulierungsart und dennoch liegt genau darin der Grund für den Umschwung beim FC Chelsea.

Lampard und Chelsea: Ein verheißungsvoller Start

Dabei begann für Lampard und „seine“ Blues 2019/2020 alles so verheißungsvoll. Als Spieler eine lebende Legende, führte der ehemalige Mittelfeldspieler mit dem tödlichen Schuss die Londoner trotz einer Transfersperre und dem Verlust von Eden Hazard bei seiner ersten großen Trainerstation überraschend in die Champions League. Seine junge Mannschaft spielte unbekümmert auf. Naive Fehler wurden schnell verziehen. Einen richtigen Negativlauf, geschweige denn Druck, gab es während des Übergangsjahrs aber nie.

Das änderte sich im Sommer 2020 schlagartig. Die Blues durften den Rubel wieder rollen lassen, nahmen insgesamt 250 Millionen Euro für neue Spieler in die Hand, darunter 80 Millionen Euro für Kai Havertz und 53 Millionen für Timo Werner. Die Zielsetzung war klar: Chelsea wollte wieder an die Spitze und Titel gewinnen.

Kommunikationsprobleme unter Lampard

Startprobleme waren nach der großen Shoppingtour zu erwarten, doch mit der Zeit wurde immer deutlicher, dass Lampard Schwierigkeiten hatte, die hochklassigen Neuzugänge zu einer schlagfertigen Mannschaft zu formen. Die Unbekümmertheit der Vorsaison war weg, die Intensität schwand und beide Mannschaftsteile ließen gravierend nach. Die Offensive stockte immer mehr, auch weil die Neuzugänge nicht zündeten. Havertz hatte mit Anpassungsproblemen sowie dem Coronavirus zu kämpfen, während Werner in ein Leistungsloch stürzte und auf den ungeliebten Flügel abgeschoben wurde. Die Defensive wurde immer wieder umgestellt und verwandelte sich allmählich in ein Sieb. Schon bald hatte Lampard die achtmeisten Gegentore aller Klubs seit Saisonbeginn 2019/2020 sowie den schlechtesten Punkteschnitt der Vereinsgeschichte vorzuweisen.

Auch hinter den Kulissen stieg die Anspannung. Trotz der vielen Einkäufe gab es kaum Abgänge: Die Unzufriedenheit im Kader wuchs. „Das Problem ist, dass der Trainer nicht mit den Spielern sprach“, sagte eine Quelle gegenüber The Athletic und ergänzte: „Ich kenne Spieler, die nicht spielten und monatelang nichts von ihm hörten.“ Eine weitere Quelle sagte: „Es war seltsam für mich, dass Lampard bei seiner Art zu arbeiten so distanziert zu den Spielern war.“

Als Chelsea am 19. Spieltag nach dem besagten 0:2 gegen Leicester auf Platz zehn stürzte, war der Tiefpunkt erreicht. Lampard, dessen Verhältnis zu Direktorin Marina Granovskaia bereits länger angespannt war, verlor auch den Rückhalt von Besitzer Roman Abramovich. Die Spielerlegende musste gehen. Ein Tag später wurde Thomas Tuchel an der Stamford Bridge vorgestellt. Ausgerechnet ein Trainer, der sowohl bei Borussia Dortmund als auch Paris Saint-Germain bei internen Differenzen eine zentrale Rolle spielte. Aber auch „einer der besten Trainer Europas“, wie es in der Mitteilung hieß.

 

Tuchel stabilisiert Chelsea-Defensive

Keine drei Tage später konnte Thomas Tuchel seine Qualitäten erstmals auf der Bank des FC Chelsea demonstrieren. Seine Handschrift war auf Anhieb zu erkennen. Beim 0:0 gegen die Wolverhampton Wanderers hatten die Blues 887 Pässe und 78,9 Prozent Ballbesitz vorzuweisen – beides Rekordwerte für das Debütspiel eines Trainers seit Ersterfassung dieser Statistik vor 18 Jahren. Die Bewegung ohne den Ball war zurück, das Spielgerät glitt wie in einem Videospiel von Station zu Station über den Rasen.

„Ich war sehr glücklich mit der Leistung, der Energie, unserer Intensität“, sagte er im Anschluss und fügte an: „Wir waren sehr strukturiert (…). Wenn das unser Startpunkt war, freue mich darauf, wo wir enden werden.“ Es war der Startpunkt.

Mit Hilfe der neu implementierten Dreier/Fünferkette hatte Tuchel die Defensive und die gesamte Mannschaft stabilisiert. Wie ausgewechselt liefen die Blues den Gegner nun schonungslos an. Das Mittelfeld, in dem Staubsauger N’Golo Kanté (29) plötzlich wieder mit vollem Akku jeden Grashalm inhalierte, stellt Lücken und Gegenspieler in Windeseile zu. Die Defensive, wo der von Lampard bereits aussortierte Antonio Rüdiger (28) so sicher und gedankenschnell wie lange nicht agiert, gleicht einer unüberwindbaren blauen Wand. Nur zwei Gegentore hat Chelsea in den ersten 14 Spielen unter Tuchel kassiert, seit sieben Spielen steht die Null – der beste Lauf seit 2005.

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Tuchel erreicht Spieler

System, Taktik, Herangehensweise – all das ist nur bedingt umsetzbar, wenn man die Spieler nicht erreicht. Laut einem Bericht der BBC hat vor allem der persönliche Umgang mit den Spielern einen tiefen Eindruck in London hinterlassen. Darüber hinaus begründet der 47-Jährige seine Personalentscheidungen bei seinen Pressekonferenzen stets transparent und ehrlich.

„Thomas Tuchel hat das Verhältnis zu den Spielern vereinfacht“, erklärte Ex-Chelsea-Verteidiger Graeme Le Saux jüngst gegenüber dem Rundfunkkanal. „Er ist emotional intelligent und weiß, wann er Spieler konfrontieren oder angehen muss, er hat Vertrauen aufgebaut.“

Das zeigt auch das Beispiel von Callum Hudson Odoi (20). Nachdem der talentierte Engländer aufgrund eines lethargischen Auftritts nach Einwechslung direkt wieder ausgewechselt wurde, stand er im darauffolgenden Achtelfinal-Hinspiel der Champions League gegen Atlético direkt in der Startelf. „Das hat nicht nur einen Einfluss auf den Spieler, sondern sendet ein Signal an den Rest des Kaders“, sagte Le Saux und betont: „Er kann auf seine Erfahrung mit Top-Spielern zurückgreifen, das ist keine Kritik an Frank Lampard, aber darin hatte er als Trainer keine Erfahrung.“

Chelsea-Trainer Thomas Tuchel mit Timo Werner

Photo: xAndyxRowlandx/ Imago

Tuchel will Chelsea-Offensive reparieren

Obwohl Tuchel beim FC Chelsea in 14 Spielen noch ungeschlagen ist, das Halbfinale des FA Cups, das Viertelfinale der Champions League und Platz vier in der Premier League erreicht hat, wird er als nächstes die Offensive in Angriff nehmen müssen.

Dabei gilt es nicht nur, durch den deutschen Draht mehr aus dem 133 Millionen Euro schweren Investment Kai Havertz und Timo Werner herauszuholen – beide kommen zusammen erst auf sechs Ligatore. Erst 17 Treffer haben die Blues im Kollektiv für ihren neuen Trainer erzielt. Auf Dauer zu wenig, findet auch Le Saux. „Wenn du nur ein Tor pro Spiel erzielst, hast du eine sehr geringe Fehlermarge“, analysiert der ehemalige Verteidiger und ergänzt: „Aber ich weiß nicht, ob ihm das während der Saison gelingt [das zu lösen; d. Red.], da es wenig Zeit zwischen den Spielen gibt.“

Und so bleibt vorerst nichts anderes übrig als der Versuch, das Kreativloch schon während den Spielen irgendwie zu stopfen. Immer wieder ist Tuchel an den Seitenlinien der leeren Stadien zu hören, wie er seinen Offensivkräften lautstark Kommandos zuruft. Hakim Ziyech, Mason Mount sowie Havertz und Werner haben sich bereits sichtlich gebessert. Was fehlt, hat der Trainer bereits identifiziert.

„Wir müssen präziser werden, wir müssen uns mehr auf unsere Entscheidungsfindung und unsere Technik fokussieren. Unsere Angreifer sind sich dessen sehr bewusst und stellen die höchsten Anforderungen an sich selbst“, sagte Tuchel gegenüber der BBC und betonte: „Also zeigen wir nicht mit dem Finger auf jemanden. Aber wir können die Situation auf jeden Fall verbessern.“ Wir.

Chris McCarthy

 

Photo: xDavexShopland/ Imago

 

 

Chris McCarthy

Gründer und der Mann für die Insel. Bei Chris dreht sich alles um die Premier League. Wengerball im Herzen, Kick and Rush in den Genen.


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