Spotlight

Sieben Jahre Arsenal: Das Vermächtnis des Granit Xhaka

6. Juli 2023 | Spotlight | BY Chris McCarthy

Nach sieben Jahren verlässt Granit Xhaka den FC Arsenal. Er wechselt zu Bayer Leverkusen. Wie wird er bei den Gunners in Erinnerung bleiben?

Was wäre ein Artikel über Granit Xhakas Arsenal-Karriere ohne einen Rückblick auf den 27. Oktober 2019.



Es ist der 10. Spieltag der Saison 2019/2020 und ein trister Herbstabend. Arsenal müht zu Hause gegen Crystal Palace ab. Unter lauten Buhrufen und hämischem Applaus der frustrierten Fans wird Xhaka ausgewechselt. Als er vom Platz trottet, platzt ihm der Kragen. Er hält sich die Hand ans Ohr, bittet die Zuschauer provokativ um mehr, ehe seinen Lippen zwei Worte entweichen. Keiner der 60.000 hat es gehört, doch bei allen ist es angekommen: „Fuck Off“.

Arsenal versinkt in dieser Zeit endgültig im Mittelmaß, der ganze Verein ist zerrüttet. Und Xhaka? Der scheint sein letztes Spiel für die Gunners gemacht zu haben, als er sein Trikot auf den Boden wirft und kurz darauf die Kapitänsbinde entzogen bekommt. Keiner hätte damals für möglich gehalten, dass der Ausstand erst vier Jahre später folgen würde. Schon gar nicht auf diese Art und Weise.

28. Mai 2023. Diesmal ist der Himmel über dem Emirates Stadium blau. Die Sonne scheint. Es ist der letzte Spieltag der Saison 2022/2023 und inoffiziell das letzte Spiel des Schweizers für die Gunners – der Wechsel zu Bayer Leverkusen ging erst an diesem Donnerstag über die Bühne. Arsenal lässt als Vizemeister die ungekrönte aber beste Spielzeit seit 20 Jahren zu Hause mit einem 5:0 über die Wolverhampton Wanderers ausgleiten. Natürlich trifft Xhaka. Erst zum 1:0, dann zum 2:0 – mit jedem Tor ist das Grinsen breiter, der Jubel der 60.000 Fans lauter.

In der 75. Minute wird er schließlich ausgewechselt. Die „we’ve got Granit Xhaka“-Sprechchöre, die ihn das ganze Spiel begleitet haben, gehen in „Granit Xhaka, we want you to stay“ über. Das ganze Stadion steht. Es ist ein märchenhafter Ausstand nach 297 Pflichtspielen.

Wie kam es dazu?

Granit Xhaka: Übereifrig und missverstanden

Der Stimmungsumschwung zwischen Oktober 2019 und Mai 2023, so kitschig wie in einem Hollywood-Film, er ist exemplarisch für die Wechselhaftigkeit des Fußballs. From Zero to Hero, vom Sündenbock zum Fanliebling. Das ist der erste Grund, warum Xhaka 2023 so gefeiert wird – wir alle lieben nunmal Comeback- Storys. Der zweite ist, dass sie den Menschen Xhaka jetzt erst verstehen.

Sicher, der impulsive Mittelfeldspieler ist in den letzten Jahren sowohl mental als auch spielerisch ein ganzes stück gereift. Nichtsdestotrotz war er die gesamte Zeit über Granit Xhaka. Ein „aggressiver Spieler und Leader“, wie er bei seiner Ankunft 2016 aus Mönchengladbach über sich selbst sagte. Und genau das wurde ihm zunächst zum Verhängnis.

Sowohl während seiner Anfangszeit als auch im Führungsvakuum, das nach Arsene Wengers unausweichlichem Abschied unter Unai Emery 2018 entstand. Denn während sich viele seiner teilweise überbezahlten Mitspieler bei der sportlichen Talfahrt eines gesamten Vereins versteckten, zeigte der Schweizer Charakter. Er wollte etwas bewegen. Mit breiter Brust und viel Emotionen.

Manchmal führte das zu Übereifer. Das Resultat: überharte Tacklings, Fehler und Disziplinlosigkeiten – kein Spieler der Premier League hatte zwischen 2016 und 2021 mehr Rote Karten (vier). Und sowas fällt den Fans nunmal eher auf, als jemand der solche Situationen bereits im Ansatz meidet. Wer nicht in den Zweikampf geht, kann ihn auch nicht verlieren.

Folglich hatte Xhaka genug, als er an jenem Oktoberabend 2019 vom Platz gejagt wurde. Genug davon, der Sündenbock zu sein, obwohl er nach Niederlagen nicht schlafen könne und „wir uns mehr kümmern als Leute denken“, wie er später in einem Interview sagte.

Neustart unter Mikel Arteta

Bei all dem Hass, den Xhaka erntete, sowohl auf dem Platz als auch in den sozialen Medien, man hätte es ihm nicht verübeln können, hätte er seinen Wechselwunsch im Winter 2019/2020 in die Tat umgesetzt. Doch er rannte nicht weg.

Auch weil mit Mikel Arteta mittlerweile nicht nur ein neuer Trainer in der Stadt gekommen war sondern eine klare Vision für ein neues FC Arsenal. „Ich mochte seine Herzlichkeit. Er war ehrlich, geradeheraus. Klare Pläne. Ich spürte, dass ich ihm vertrauen konnte“, sagte Xhaka, der bei der Umsetzung eine zentrale Rolle spielen sollte.

Als Fußballer, „mit seiner Qualität am Ball, wie er Pässe eliminiert und sein Passradius“, aber auch als Führungsspieler: „Er ist ein Spieler, dessen Engagement über alles Normale hinausgeht. Er lässt jeden Tag jeden Tropfen Blut auf dem Fußballplatz, und er tut dasselbe im Training. Für mich ist er ein großartiges Beispiel für jeden Mitspieler, so wie er auf sich achtet und seinen Beruf lebt“, lobte Arteta im Sommer 2020.

Granit Xhaka: Das Herz des neuen FC Arsenal

In den folgenden drei Jahren hat sich im Norden Londons einiges getan. 25 neue Spieler wurden verpflichtet, die Mannschaft komplett auf den Kopf gestellt.

Mit Bukayo Saka, Gabriel Martinelli gibt es neue junge Hoffnungsträger, mit Martin Ödegaard einen spielstarken neuen Anführer. Sie sind die Gesichter des neuen FC Arsenal, der mit attraktivem Fußball, Hunger und Charakter die Bindung zu den Fans wiederhergestellt hat und sich kontinuierlich weiterentwickelt – vom achten, über den fünften bis hin zum zweiten Platz der Premier League.

Und Xhaka? Neben Saka, der damals als 18-Jähriger hinten links aushalf, ist er das einzige Überbleibsel aus Artetas erstem Spiel als Cheftrainer im Dezember 2019. 2022/2023 dirigierte noch immer das Mittelfeld, führte seine Mitspieler mit gutem Beispiel und lauten Kommandos an – Kapitänsbinde hin oder her. Er war der Herzschlag des Teams. Aber es gab Zweifel daran, ob mit dem steigendem Tempo im Emirates Stadium mithalten könnte.

„Vor einem Jahr habe ich ihm gesagt, dass hinter dir ein Fragezeichen steht, du musst mehr liefern, du musst besser sein“, erinnerte Arteta nach dem letzten Spiel gegen die Wolves an ein Gespräch nach der Saison 2021/22. „Er ging zurück und trainierte am nächsten Tag, dann kam er vor dieser Saison zurück, vier Kilo leichter, fit und man konnte an seinem Gesicht sehen, dass er entschlossen war, es zu schaffen.“

Xhaka steigert sich noch einmal, spielte in offensiverer Rolle wohl die beste Saison in einem Arsenal-Trikot. Die sieben Tore und sieben Vorlagen sind jeweils Höchstwerte seiner Profikarriere. „Er ist außergewöhnlich gewesen. Er war ein wichtiger Teil des Teams, des Erfolgs und ich bin so froh, dass jeder seine Leistung zu schätzen weiß“, betonte Arteta nach dem inoffiziellen Ausstand. Und dennoch wünschte sich der perfektionistische Trainer für die Saison 2023/2024 auf der Acht noch mehr Mobilität, Torgefahr und Dynamik, dafür soll nun Kai Havertz sorgen.

Die Vizemeisterschaft 2022/2023 soll nämlich nur der Anfang einer neuen, erfolgreicheren Ära beim FC Arsenal gewesen sein. Eine Ära, für die Xhaka als Herz und Brücke herhielt, auch wenn er selbst kein Teil davon sein wird.

(Photo by Justin Setterfield/Getty Images)

Chris McCarthy

Gründer und der Mann für die Insel. Bei Chris dreht sich alles um die Premier League. Wengerball im Herzen, Kick and Rush in den Genen.


Ähnliche Artikel