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Tottenham: Postecoglous Mut – Genie oder Wahnsinn?

4. Dezember 2023 | Spotlight | BY Chris McCarthy

Tottenham war bei Manchester City mutig, aber vor allem glücklich. Ange Postecoglous Mut – ist das Genie oder Wahnsinn? Damit beschäftigt sich Chris McCarthy in seiner Premier-League-Kolumne „Final Whistle“.  

Tottenham „wagt“ unter Postecoglu wieder

„To dare is to do“, zu Deutsch „sich zu wagen, heißt zu tun“. Es ist der Leitsatz der Tottenham Hotspur. Agieren statt zu reagieren, seine eigene Identität auf den Platz bringen anstatt sich anzupassen oder gar unterzuordnen.



Jahrelang standen bei den Spurs allerdings Trainer an der Seitenlinie, die dieser Denkweise widersprachen, ihr sogar komplett entgegenwirkten. Ob José Mourinho oder Antonio Conte: Ihr primärer Ansatz war es, das gegnerische Spiel zu zerstören und davon zu profitieren.

Mit Ange Postecoglou haben die Londoner nun einen Mann, der bereit ist, für „to dare is to do“ zu sterben. Das stellte der wortgewandte Motivationskünstler am Sonntag gegen Manchester City eindrucksvoll unter Beweis.

Ohne die beiden ersten Innenverteidiger und drei der besten Mittelfeldspieler blieben sich die Spurs auch bei der besten Mannschaft der Welt treu. Ganz egal wie hoch der Druck oder wie groß das Risiko, sie suchten stets den fußballerischen Weg, bauten teilweise tief aus dem eigenen Sechzehner auf. Der Mourinho-Bus blieb in der Garage. Der Lohn: Ein 3:3-Unentschieden – nach zweimaligem Rückstand – auswärts beim Triple-Sieger.

Doch das ist nur die halbe Wahrheit. In Realität entführten die Spurs nicht wegen, sondern trotz dieses Harakiri-Ansatzes einen Punkt aus dem Etihad.

Die Spieler von Tottenham-Trainer Ange Postecoglou machen gegen Manchester City einen Kreis.

(Photo by Stu Forster/Getty Images)

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Tottenham hatte gegen Manchester City vor allem Glück

Denn ManCity hatte mit den frechen Londonern eigentlich leichtes Spiel, eroberte immer wieder in gefährlichen Situationen den Ball und kreierte hervorragende Chancen. Tottenham war resilient, doch Tottenham hatte vor allem Glück, dass Erling Haaland und Co. eine eklatante Abschlussschwäche an den Tag legten: Bei 3,09 zu 0,56 expected Goals und 2:0 Alu-Treffern hätte das Spiel auch in einem Debakel enden können, mindestens aber in einer Pleite.

War Postecoglous Mut also eher Wahnsinn? Darüber machte ich mir lange Gedanken. Beim 2:1, nach dem 3:3 und auch nach dem Schlusspfiff. Es wirkte immerhin fahrlässig, weil der Trainer damit nicht nur eine Klatsche, sondern die vierte Niederlage in Serie und somit den Verlust von Selbstbewusstsein und Anfangseuphorie aufs Spiel setzte.

Oder war es insgeheim genial? Weil er langfristig denkt. Weil er seiner Mannschaft damit Vertrauen schenkte. Weil er den Spielern und den Fans signalisierte: „Das ist Tottenham, so spielen wir, ganz egal mit wem und ganz egal gegen wen“.

Ich tendiere zu Letzterem.

Postecoglou hat das Große und Ganze im Blick

Denn am Sonntag ging es Postecoglou gegen einen übermächtigen und weiterentwickelten Gegner nicht primär um Punkte. Und trotz des Traumstarts ging es 2023/2024 auch nie um Titel. Dazu ist der Kader in dieser Phase der Entwicklung zu dünn. Realistisch betrachtet wurde das internationale Geschäft anvisiert. Doch selbst das ist einem größeren Ziel untergeordnet.

Von Tag eins ging es darum, bei Tottenham einen Umbruch, ein radikales Umdenken einzuleiten. Denn die Spurs haben nicht nur lange nichts gewonnen, sondern in den letzten Jahren auch noch ihre Identität und zuletzt mit Harry Kane ihr Gesicht verloren. Und Postecoglou ist nun dabei, Stein für Stein das neue alte Ich der Spurs wieder aufzubauen. So etwas beginnt mit Worten, erfordert aber auch Taten auf dem Rasen, damit wirklich alle in und um den Verein an Bord sind.

Im weißen Teil Nordlondons wird „to dare is to do“ wieder gelebt. Und ganz egal, was folgt, das muss die unerschütterliche Basis sein.

Chris McCarthy

(Photo by Stu Forster/Getty Images)

Chris McCarthy

Gründer und der Mann für die Insel. Bei Chris dreht sich alles um die Premier League. Wengerball im Herzen, Kick and Rush in den Genen.


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