José Mourinho: „The Special One“ und das besondere Kapitel Roma
24. Januar 2024 | Spotlight | BY David Schöngarth
Das Ende war wieder einmal unschön. Aber man kann nicht leugnen, dass José Mourinho eine besondere Bindung zur Roma hatte, und für immer in den Geschichtsbüchern der Giallorossi stehen wird. Ein Rückblick.
José Mourinho: Der Fleck auf seinem Lebenslauf
Im April 2021 schien José Mourinhos Zeit in England endgültig vorüber. Knapp anderthalb Jahre zuvor hatte Tottenhams Chairman Daniel Levy „The Special One“ mit der Aufgabe betraut, die Spurs endlich zu Titeln zu führen – und das, obwohl Mourinhos Nimbus in England schon nach seiner Zeit bei Manchester United enorm gelitten hatte. Überzeugte Anhänger des Portugiesen werden, vielleicht berechtigterweise, darauf verweisen, dass Mourinho bei den Spurs ausgerechnet wenige Tage vor dem EFL-Cup Finale gegen Manchester City entlassen wurde. Der Fleck auf dem Lebenslauf – Tottenham war der erste Verein seit 2002, bei dem der Portugiese keinen Titel gewann – wäre also nicht, wenn man ihm einfach noch das eine Spiel gegeben hätte. So zumindest die Argumentation.
Zugegeben: Das ist viel Fiktion. Fakt ist hingegen, dass Mourinhos Tottenham zum Ende seiner Amtszeit nicht nur langweilig und unansehnlich, sondern auch ausrechenbar war, und der Stern des zweifachen Champions-League-Siegers durch das Kapitel im Norden Londons noch weiter gesunken war.
Neuer Verein, gleiches Ziel?
Das hielt die Roma nicht davon ab, Mourinho knapp zwei Wochen nach seinem Aus in London als neuen Trainer vorzustellen, obwohl Medienberichten zufolge eigentlich schon Gespräche mit Maurizio Sarri geführt worden waren. Aus dem regnerischen England ins warme Rom: So unterschiedlich die äußeren Umstände auch waren, Mourinhos Mission schien die gleiche. Genau wie bei Tottenham war die letzte Trophäe der Roma auf die Saison 2007/08 datiert, die Anhänger von Il Giallorossi sehnten sich nach Silbernem.
Die Mission, wieder Titel und Erfolge in die ewige Stadt zu bringen, ging Mourinho mit einigen weitrechenden Entscheidungen an: Leistungsträger wie Edin Dzeko und Javier Pastore wurden abgegeben, junge Spieler wie Marash Kumbulla oder Tammy Abraham verpflichtet – für insgesamt stolze 130 Millionen Euro.
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Erlösung in Tirana
Die erste Saison von José Mourinho bei der Roma gab „The Special One“ recht. Die Wölfe starteten mit wettbewerbsübergreifend sechs Siegen aus den ersten sechs Spielen in die neue Saison. Abraham, der zweitteuerste Einkauf der Vereinsgeschichte, schoss in seinem ersten Jahr im Trikot der Roma auf Anhieb 27 Tore, fünf weitere Treffer bereitete der Engländer vor.
Doch es war nicht die solide, aber am Ende durchschnittliche Serie A-Saison, die Mourinho in Rom im Sommer 2022 unsterblich machte. Es war der Gewinn der UEFA Conference League im Mai 2022 gegen Feyenoord Rotterdam. Die Conference League mag der kleinste und vermeintlich unbedeutendste Wettbewerb der UEFA sein – für die Fans der Roma war das in jener Nacht in Tirana aber egal. Mourinho hatte die Giallorossi zum ersten Titel seit 14 Jahren geführt. Videos des in Tränen aufgelösten Portugiesen gingen im Anschluss um die Welt.
Eine besondere Verbindung mit den Fans
Spätestens seit dem Gewinn der Conference League lagen die Fans in Rom Mourinho zu Füßen. Am Morgen seiner Entlassung liefen viele Fans dem schwarzen Lexus, mit dem der Portugiese vom Trainingsgelände gefahren wurde, hinterher. „Grazie Mister!“, riefen Sie. „Wir werden immer Tirana haben!“. Und als Mourinho ein letztes Mal die getönten Scheiben herunterließ, für Fotos und um sich für die Abschiedswünsche zu bedanken, war „The Special One“ erneut sichtlich aufgelöst.
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Mit den Fans der Roma hatte Mourinho eine so enge Verbindung wie wahrscheinlich bei keinem Verein zuvor. Der Portugiese genoss bei der Anhängerschaft der Giallorossi nach dem Triumph von 2022 und dem Erreichen des Europa-League-Finales ein Jahr später beinahe unendlich viel Vertrauen, das erst kürzlich aufgebraucht schien, als nach einer erneuten Niederlage gegen den Stadtrivalen Lazio ein Graffiti am Trainingsgelände der Roma auftauchte: „Lieber in Ehre sterben als in Schmach zu leben.“
Ein unrühmliches Ende
Rückblickend wäre es für Mourinhos Karriere wahrscheinlich am besten gewesen, wenn er im vergangenen Sommer die Roma verlassen hätte: von den Fans geliebt und von der internationalen Fußballwelt immerhin respektiert, für die Erfolge, die er in Rom feiern konnte. Angebote soll es damals, glaubt man Mourinho, gegeben haben – unter anderem aus Saudi-Arabien. Doch „The Special One“ bekräftigte öffentlich seine Bindung an die Roma, und sicherte sich erneut die Loyalität der Fans.
Doch die neue Saison 2023/24 sollte für Mourinho das Ende bedeuten. Nicht nur, weil die Roma wie schon im Jahr zuvor ein minimales Budget für neue Spieler hatte (Der Kader der Giallorossi ist dank ablösefreier Transfers und Leihen trotzdem mit großen Namen gespickt), sondern weil neben der stagnierenden fußballerischen Entwicklung auch noch das Verletzungspech die Mannschaft von José Mourinho traf. Tammy Abraham riss sich im Europa League-Finale im Mai 2023 das Kreuzband und hat seitdem kein Spiel mehr für die Roma absolviert. Paulo Dybala schleppt kleinere Verletzungen mit sich herum und verpasste bereits ein Drittel der Ligaspiele.
Während sich die Ergebniskrise der Roma in den letzten Wochen weiter verschärfte – in Mourinhos letzten sieben Spielen verlor die Roma vier Mal – schienen die Erwartungen an die Zukunft bei „The Special One“ und den amerikanischen Besitzern der Roma auseinanderzudriften. Während sich Mourinho, dessen Vertrag zum Ende der Saison ausgelaufen wäre, Medienberichten zufolge zu einer Verlängerung bereit erklärt hatte, schienen die Vereinsbosse zur Entscheidung zu kommen, den Portugiesen vorzeitig von seinen Aufgaben zu entbinden. „Je mehr Mourinho über eine Verlängerung sprach, umso ohrenbetäubender wurde die Stille der Friedkins“, so der Journalist James Horncastle von The Athletic über die amerikanische Friedkin-Besitzerfamilie der Roma.
José Mourinho bei der Roma – ein ambivalentes Kapitel
Die Bewertung von Mourinhos Zeit bei der Roma ist nicht leicht. Der Portugiese hatte den schlechtesten Punkteschnitt von allen Roma-Trainern, die mehr als 50 Spiele an der Seitenlinie standen (1,70 Punkte pro Spiel). Gleichzeitig führte er die Giallorossi zum ersten Titel seit 14 Jahren. Und man sollte sich vor Augen führen, dass der Portugiese nur einen Elfmeter davon entfernt war, den europäischen Triumph von 2022 zu wiederholen und sich mit der Roma erstmals seit fünf Jahren wieder für die Champions League zu qualifizieren.
Mehr noch als bei allen anderen Stationen zuvor scheint die Entlassung bei der Roma „The Special One“ nicht nur überrascht, sondern auch emotional mitgenommen haben. Eine so enge Bindung wie zu den Fans der Roma hatte Mourinho bislang selten. Aber die nächste Station für den Portugiesen wird kommen. Vielleicht im internationalen Fußball. Vielleicht in Saudi-Arabien. Entsprechende Verhandlungen sollen bereits laufen. Oder doch wieder bei einem Verein, der sich durch den Nimbus und das Versprechen des schnellen Erfolgs verleiten lässt. Das Kapitel in Rom hat Mourinho dabei trotz allem wieder einmal Recht gegeben.
(Photo by OZAN KOSE/AFP via Getty Images)
David Schöngarth
Aufgewachsen mit Grafite, Luca Toni und Co. entfachten Gareth Bale und Mauricio Pochettinos Spurs in David eine Leidenschaft für die Premier League. Interessiert sich für alles, was auf der Insel vor sich geht. Seit 2022 bei 90Plus.