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Wieso Juventus aktuell nur noch Durchschnitt ist

29. Oktober 2022 | Spotlight | BY Manuel Behlert

Juventus Turin ist aus der Champions League ausgeschieden. Diesen Satz konnte man in den letzten Jahren nach dem Achtelfinale häufig lesen und hören. Das Ausscheiden schon in der Gruppenphase 2022/23 sorgt aber für einen neuen Tiefpunkt, der die Verantwortlichen der Bianconeri kalt erwischt. 

11. Oktober 2022, Haifa: Es läuft die 42. Spielminute im Gruppenspiel der UEFA Champions League zwischen Maccabi und Juventus. Der Gastgeber schaltet schnell um, die Italiener verteidigen passiv. Ein schöner und wohl-temperierter Pass findet Omer Atzili. Der 29-Jährige Angreifer schlägt einen kurzen Haken, schießt den Ball perfekt in das kurze, obere Eck. Das 2:0 für Maccabi war gleichbedeutend mit dem Endstand und zeigte die Hilflosigkeit der Vecchia Signora eiskalt auf. 



Juventus: Fußballerische Probleme wohin man schaut

Die angesprochene Hilflosigkeit in dieser einen spielentscheidenden Szene gegen Maccabi Haifa steht sinnbildlich für die aktuelle Lage dieses stolzen und traditionsreichen Klubs. Einen Spieltag vor dem Ende der Gruppenphase auszuscheiden, ist ein Drama für Juventus. Die Gegner lauteten PSG, Benfica und eben Maccabi. Mit Pech, vergebenen Chancen oder fehlendem Spielglück lässt sich das Ausscheiden nicht erklären, vielmehr aber mit einer Negativspirale, die in den letzten Jahren nicht aufgehalten wurde. Trainer wurden verschlissen, die sportliche Leitung traf fragwürdige Entscheidungen bei der Kaderplanung. Die Folge war und ist ein Kader, dem jegliche Homogenität fehlt. Das Besondere ist verflogen. Und kommt vielleicht so schnell nicht wieder.

Vor der detaillierten Analyse lohnt sich der kurze Blick auf die Statistiken in der Serie A. Als Tabellenachter gingen die Bianconeri in den zwölften Spieltag. Fünf Siege, vier Remis, zwei Niederlagen und nur 17 Tore zeichnen ein Bild, das die aktuelle Lage sehr gut beschreibt. Ja, die Defensive hat mit bisher sieben Gegentoren in der Liga noch nicht allzu viel zugelassen. Viel mehr positive Worte lassen sich aber nicht verlieren, wenn über Juventus gesprochen wird. Und es geht noch weiter: Beim Ballbesitz in der Serie A steht Juventus auf Platz acht, genau wie bei den Schüssen auf das gegnerische Tor und bei der zurückgelegten Strecke pro Partie. 

Eine Underperformance liegt nicht zugrunde, Juventus steht genau dort, wo es hingehört. Die Verbindungen zwischen den einzelnen Mannschaftsteilen sind oft nonexistent, die Besetzung der Räume fragwürdig. Im Ballbesitz spielt die Elf von Trainer Massimiliano Allegri (55) hin, quer, hier, quer, zurück. Überraschungsmomente sind in den seltensten Fällen vorhanden. Der Spielaufbau ist weit davon entfernt, besonders kreativ oder zielführend zu sein. Das Mittelfeld ist oft überlastet mit dynamischen Spielern, aber strukturgebende Elemente fehlen. Sinnbildlich dafür steht eine Passmap aus dem Sampdoria-Spiel zu Saisonbeginn.

 

Juventus

Passmappe Juventus vs. Sampdoria | Quelle: Between the Posts

Das „U“ im Aufbau, das ein jeder Trainer verhindern will, entpuppte sich im Standbild nicht selten als ein „O“. Die Besetzung in vorderster Reihe mit hochschiebenden Spielern aus dem Mittelfeld wäre keine schlechte gewesen, hätte Juventus einen Ansatz gehabt, den Ball dorthin zu bringen. Deswegen häufen sich die Bilder eines Dusan Vlahovic (22), der sich immer weiter zurückfallen lassen muss, um Bindung zum Spiel zu bekommen. Ein Filip Kostic (29), der die Linie hoch und runter rennt und keine vernünftige Option hat? Ebenfalls keine Seltenheit. Lange Bälle gibt es viele, anschließend spielen Faktoren wie der Zufall oder die individuelle Klasse eine größere Rolle als eigentlich vorgesehen. Die Einschätzung Juventus‘ fällt dieser Tage kurz wie düster aus, die Bianconeri sind nicht mehr als eine durchschnittliche Fußballmannschaft.

Allegri bleibt Trainer der Vecchia Signora

Dadurch sollte die Luft für Trainer Allegri doch eigentlich dünner werden, oder nicht? Nein. Zumindest nach außen hin kommunizieren die Verantwortlichen von Juventus ihren vollen Rückhalt für den Trainer. „Juventus hat die Dinge immer am Ende des Jahres überprüft. Ich tue mich schwer damit, schon im Verlauf der Saison über einen Wechsel nachzudenken. Es kann auch nicht die Schuld des Trainers sein, wenn wir nicht in der Lage sind, einen Zweikampf zu gewinnen. Es kommt auf das Kollektiv an, und wir müssen wieder anfangen, wie ein Kollektiv zu denken“, teilte Präsident Andrea Agnelli (46) erst kürzlich mit.

Juventus

. (Photo by Octavio Passos/Getty Images)

Gerade Agnelli selbst ist es aber, der den maximalen Erfolg als Ziel ausgibt. Schon in der Juventus-Dokumentation von Amazon Prime Video bezeichnete dieser das Sarri-Jahr, in dem zumindest der Scudetto gewonnen wurde, als „Scheißjahr“. Die Bianconeri sollen eine Mannschaft sein, die zumindest zu den Top-4 bis Top-8 in Europa zählt. Aktuell ist das alleine in Italien schwer genug. Vereine wie Neapel, Inter, Milan und zuletzt auch die Roma und Lazio sind mindestens gleichwertig. Dass beide Mailänder Klubs in den letzten beiden Jahren den Scudetto quasi unter sich ausmachten und Neapel mit kluger Transferpolitik einen teils zauberhaften Fußball spielt, muss allen bei Juventus sauer aufstoßen.

Hier geht es zur aktuellen Tabelle der Serie A 

Die finanziellen Probleme und das Allegri-Dilemma

Warum kommt es also nicht zum Rundumschlag bei der Vecchia Signora? Ganz einfach: Es ist aktuell nicht möglich. Wäre der Klub konsequent, dann würde nicht nur der Trainer von seinen Aufgaben entbunden. Auch diejenigen Personen, die maßgeblich für die Zusammenstellung des Kaders zuständig waren, gehören eigentlich ersetzt. Ein Rechenbeispiel: Für Douglas Costa, Luca Pellegrini, Cristian Romero, Merih Demiral, Arthur Melo, Denis Zakaria, Rolando Mandragora gab der italienische Rekordmeister seit 2018 rund 220 Millionen Euro aus – und keiner dieser Spieler findet sich aktuell im Kader der Bianconeri. Auch wenn einige dieser Spieler wieder Ablösesummen einbrachten oder aktuell verliehen sind, zeigt das die fehlende Kontinuität sehr deutlich auf. 

Dabei müssten die Neuzugänge eigentlich sitzen, denn gerade in den Corona-Jahren ohne Zuschauer erschwerte sich die finanzielle Lage. 2021/22 lag der Verlust bei rund 250 Millionen Euro, wie Swiss Ramble in einem sehr ausführlichen Twitter-Thread noch einmal genauer aufzeigte. Das war der höchste Verlust, den ein Team in der Serie A jemals zu verzeichnen hatte. Hinzu kommt, dass sich die Gehaltsstruktur verändert hat. Rund neun Prozent mehr Gehälter zahlte Juventus in der Vorsaison, bevor in diesem Sommer noch Spieler wie Paul Pogba, Angel di Maria oder Bremer verpflichtet wurden.

Die Situation bei Juventus ist nun nicht katastrophal und der Klub nicht kurz vor dem Untergang, aber es gibt zahlreiche Topteams in Europa, die finanziell bedeutend gesünder sind. Fünf Jahre in Folge verzeichneten die Bianconeri nun einen Verlust und es ergibt sich eine explosive Gemengelage, quasi ein Kreislauf, der nur schwer aufzuhalten ist. Transfers, die für viel Geld getätigt werden, schrauben die Erwartungen nach oben. Auf diese folgen hohe Ziele, an denen das Budget ausgerichtet wird. Die Saison verläuft schlechter als erwartet, Geld fehlt, die Ziele werden korrigiert, es fehlt für den nächsten Sommer das Budget, um alle Probleme zu beheben.

Und genau das ist das Dilemma, in dem Juventus momentan steckt. Die Verantwortlichen müssten eigentlich Allegri entlassen, denn der Kader hat zwar seine Schwachstellen und davon nicht wenige, aber das Team schafft es nicht mal, die wichtigsten Grundprinzipien auf den Platz zu bekommen. Das Budget, um den Trainer zu entlassen, seine Abfindung zu bezahlen und womöglich gar einen neuen Trainer von einem anderen Klub loszueisen, hat Juventus schlichtweg nicht. Das Ausscheiden aus der Champions League hilft da auch nicht weiter, denn mit der Europa League wird man sicher nicht geplant haben.

Juventus mit vielen Problemen: Was könnten Lösungen sein?

Der Teufelskreis setzt sich fort, wenn es um mögliche Lösungen geht. Bei einem Trainerwechsel hätte der neue Coach die Aufgabe, mit dem gleichen Kader weiterzuarbeiten. Im Winter Transfers zu tätigen, scheint aufgrund der aktuellen Situation bei einer Abfindung für Allegri weitgehend utopisch zu sein. Der Rundumschlag könnte – und muss vielleicht – erfolgen, aber tatsächlich erst in Richtung des kommenden Sommers. Die letzten Jahre zeigen, dass es nicht zielführend ist, wieder Personal auszutauschen, wieder finanzielles Risiko zu gehen und wieder einige Baustellen im Kader zu vergessen. Ein Trainer, der ein langfristiges Projekt angehen kann, wäre die Ideallösung für die Bianconeri.

Ist dieser gefunden, dann sollte der Kader verändert werden. Eine solche Veränderung kann nicht erfolgreich sein, wenn sie nicht auch einige Topverdiener betrifft. Juventus muss genau beobachten, welche Spieler noch ihren teilweise hohen Gehältern entsprechend Leistung zeigen. Mit einer verjüngten Mannschaft, Talenten, die über Jahre hinweg eine Basis bilden können, einer geringeren Gehaltsbelastung und vor allem einem klaren Plan kann Juventus wieder zu einem großen Klub werden. Es muss nicht einmal ein Vergleich mit einem Team aus einer anderen Liga her, Milan hat vorgemacht, wie mit klugen Investitionen und Vertrauen in einen Plan Erfolge erzielt werden können. Die große Frage, die sich nun stellt, bleibt aber: Haben alle Beteiligten bei Juventus Turin aus den letzten Jahren gelernt? 

(Photo by PATRICIA DE MELO MOREIRA/AFP via Getty Images)

Manuel Behlert

Vom Spitzenfußball bis zum 17-jährigen Nachwuchstalent aus Dänemark: Manu interessiert sich für alle Facetten im Weltfußball. Seit 2017 im 90PLUS-Team. Lässt sich vor allem von sehenswertem Offensivfußball begeistern.


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