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Bundesliga | Nagelsmanns Aus beim FC Bayern: Fragwürdig konsequent

24. März 2023 | Trending | BY Victor Catalina

Spotlight | Am Donnerstagabend vermeldete Fabrizio Romano exklusiv, dass sich der FC Bayern von Julian Nagelsmann trennen wird. Eine Entscheidung, die, vor allem zu diesem Zeitpunkt überrascht und und nur schwer nachzuvollziehen ist.

Nicht nur Nagelsmanns Bayern fehlte es an Konstanz

„Ich wusste das nicht. Sie haben mich jetzt erwischt“, gab João Cancelo nach Portugals 4:0-Sieg über Liechtenstein unumwunden zu. Bayerns Leihgabe hatte den ersten Treffer unter der Ägide seines neuen Nationaltrainers Roberto Martínez erzielt. 82 Minuten später wurde er damit konfrontiert, dass sein Klubtrainer ab dem morgigen Freitag nicht mehr sein Klubtrainer sein wird. Dennoch wolle er „Mister Nagelsmann danken, da er derjenige war, der mich beim FC Bayern haben wollte.“

 

 

Die Entlassung von Julian Nagelsmann kam plötzlich und unerwartet. Natürlich wurde in den vergangenen Wochen wiederholt Kritik an ihn herangetragen. Fragte man jedoch die Bosse, betonten sowohl Präsident Herbert Hainer, als auch Vorstandsvorsitzender Oliver Kahn und Sportvorstand Hasan Salihamidžić unisono, man wolle mit Nagelsmann eine Ära prägen und dass sein Job keineswegs in Gefahr sei. Weg vom anderthalbjährlichen Trainerwechsel der jüngeren Vergangenheit, hin zu mehr Konstanz. Schließlich ist Ottmar Hitzfeld der bis heute letzte Bayern-Trainer, der seinen Vertrag verlängert hat – am 31. März 2003.

 

 

Die offizielle Begründung für den Trainerwechsel, so berichtet die Bild, seien die zehn verspielten Punkte auf Borussia Dortmund gewesen. Auch die acht Siege in acht Partien mit lediglich zwei Gegentoren in der Champions League hätten Nagelsmann nicht mehr retten können. Man habe das Triple in Gefahr gesehen und hätte handeln müssen.

Spätestens hier gilt es jedoch, die Sinnfrage zu stellen. Ja, der FC Bayern mag zehn Punkte auf Borussia Dortmund verspielt haben, steht allerdings lediglich einen Zähler hinter Schwarzgelb und kann mit einem Sieg kommenden Samstag wieder vorbeiziehen. Schaut man sich die Meister der letzten Saison an, lassen es alle an Konstanz vermissen: Real Madrid fiel durch die 1:2-Niederlage in Camp Nou zwölf Punkte (!) hinter Barcelona zurück, die AC Milan steht lediglich auf Rang 4 der Serie A, Paris Saint-Germain unterlag vergangenes Wochenende Stade Rennais 0:2 im eigenen Stadion und auch Bayerns Viertelfinalgegner Manchester City hat acht Zähler Rückstand auf Arsenal, bei einer Partie in der Hinterhand.

Die Spiele, in denen der FC Bayern Punkte liegen ließ, sind an und für sich kein Kündigungsgrund. In Leipzig und gegen Eintracht Frankfurt unentschieden zu spielen, kann passieren. Mit zehn Mann bei Angstgegner Borussia Mönchengladbach zu verlieren, kann passieren, erst Recht nach einem anstrengenden Königsklassenabend in Paris. Auch, wenn beides nicht passieren sollte, genauso wenig wie die 1:2-Niederlage in Leverkusen. Dass Borussia Dortmund zeitgleich seit Jahresbeginn einen Lauf hat, ist Julian Nagelsmann schwer vorzuhalten.

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FC Bayern unter Julian Nagelsmann: Klare Defizite, aber auch klare Fortschritte

Wenn man sich für einen Trainer wie Nagelsmann entscheidet, ihn mit einem Fünfjahresvertrag ausstattet und expressis verbis betont, man wolle „etwas aufbauen“, muss man auch bereit sein, Rückschläge einzustecken. Rückschläge wie vergangene Saison gegen Villarreal, Rückschläge wie in dieser Rückrunde. Bislang haben Nagelsmann und die Mannschaft gezeigt, dass sie daraus gestärkt hervorgehen können. Das Triple zu gewinnen und es in einer Art zu tun, wie es 2013 und 2020 gelang, ist eine Seltenheit, kein Standard. Beide Male hatte man jeweils ein Team auf dem absoluten Höhepunkt des Schaffens. Den FC Bayern ausgenommen, wurden von den letzten zehn Champions-League-Siegern lediglich Barcelona 2015 sowie Real Madrid 2017 und 2022 gleichzeitig Meister. Das Triple gewannen einzig die Katalanen.

Bundesliga FC Bayern München Julian Nagelsmann

Photo by Alexander Hassenstein/Getty Images

Zudem sind, bei allen Defiziten, die Fortschritte unter Julian Nagelsmann ebenso klar erkennbar: Jamal Musiala hat den Schritt vom Talent zum Stammspieler in einem erstaunlich jungen Alter geschafft. Dayot Upamecano und Matthijs de Ligt bilden, zumindest in der Champions League, eine der solidesten Innenverteidigungen Europas. Alphonso Davies performt auf einem Level, das man von ihm zuletzt in der Saison 2019/20 erlebte. Kingsley Coman war im Begriff, seinem Spiel die so lange vermissten Scorer hinzuzufügen. Eric Maxim Choupo-Moting traf, wie noch nie zuvor in seiner Karriere. Auch das neue System mit Dreierkette stand dem Team gut. Julian Nagelsmann ist es dadurch gelungen, den Abgang von Robert Lewandowski zu kompensieren und trotzdem die wettbewerbsübergreifend beste Offensive Europas zu stellen sowie die beste Defensive der Champions League, obwohl der Mannschaft ein klarer Sechser abgeht. Dazu ist er ein Trainer, der sich seit jeher mit dem Verein identifiziert und mit dem sich auch die Fans identifizieren konnten. Eben, weil er noch im Lernprozess steckte. Eben, weil er manchmal offen das aussprach, was ihm gerade durch den Kopf ging.

Wie die Entlassung letztlich ablief, steht komplett konträr zum bisherigen Vorgehen des FC Bayern. Sie ist verfrüht und auch ein Stück weit aktionistisch. Zum einen, riskiert man fahrlässig, was eine sehr gute Saison werden könnte, indem man in der wichtigsten Phase für Unruhe sorgt und sich vom Trainer trennt. Zum anderen, lief das Ganze hinter dem Rücken von Nagelsmann und der Mannschaft ab. Beide sollen von der Entscheidung nichts gewusst haben. An dieser Stelle wäre zumindest ein Gespräch mit Nagelsmann angebracht gewesen, um ihm klarzumachen, dass ihm die Entlassung droht.

In der Gier, Thomas Tuchel zu bekommen, könnte die Vereinsführung des FC Bayern womöglich denselben Fehler wie Uli Hoeneß mit Jupp Heynckes im Jahr 1991 machen, den er im Nachhinein als den größten seiner Laufbahn bezeichnete. Nagelsmann ist nun auf dem Markt und kann eine Ära bei Bayerns (europäischer) Konkurrenz prägen, während der Rekordmeister selbst sein Projekt von vorne beginnen muss.

Trotzdem muss diese Entlassung nicht bedeuten, dass Nagelsmann und der FC Bayern in Zukunft nicht noch ein weiteres Mal zueinanderfinden. Udo Lattek und Ottmar Hitzfeld hatten je zwei Amtszeiten, Heynckes sogar deren vier. Fürs Erste aber bleiben viele Fragezeichen. Bei den Fans in Europa, den Fans des FC Bayern – und auch den Spielern, wie João Cancelo.

Photo by Dean Mouhtaropoulos/Getty Images

Victor Catalina

Victor Catalina

Mit Hitzfelds Bayern aufgewachsen, in Dortmund studiert und Sheffield das eigene Handwerk perfektioniert. Für 90PLUS immer bestens über die Vergangenheit und Gegenwart des europäischen Fußballs sowie seine Statistiken informiert.


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