Bundesliga | FC Bayern mit erstem Schritt aus dem Tief, Dortmunds fehlende Klarheit, Schalker Befreiungsschlag: Die Brennpunkte des 30. Spieltags
1. Mai 2023 | Trending | BY Victor Catalina
Spotlight | Vier Spieltage vor Schluss steht der FC Bayern, nach einem Arbeitssieg gegen Hertha BSC, wieder an der Tabellenspitze der Bundesliga. Borussia Dortmund hingegen kommt, wieder einmal, bei einem Abstiegskandidaten nicht über ein Remis hinaus. Die Brennpunkte.
1. FC Bayern mit wichtigem Schritt an die Tabellenspitze – aber noch viel Luft nach oben
Gutgegangen, gerade noch. Mit einem 2:0 über Hertha BSC nutzte der FC Bayern den Patzer des BVB, der am Freitagabend nicht über ein 1:1 in Bochum hinauskam. Serge Gnabry (69′) und Kingsley Coman (79′) sorgten letztlich für den Arbeitssieg und den Sprung zurück an die Tabellenspitze.
Nach der Partie erfreute man sich aufseiten des Rekordmeisters der kleinen Dinge, die funktionierten. Joshua Kimmich fand den Auftritt „spielerisch gar nicht so schlecht“. „Wir haben keine Konter kassiert, keine blöden Standards zugelassen. In den vergangenen Wochen wäre es eher so gewesen, dass wir den Kopf verlieren. Heute nicht.“
Thomas Tuchel freute sich, „wie wir gejubelt haben – über das Lachen von Coman“. Konkret meinte Bayerns Trainer damit, „es nicht als selbstverständlich zu nehmen, dass wir ein Tor geschossen haben.“ Man habe gemeinsam gejubelt und nicht, dass „nur zwei jubeln und drei noch dazu kommen“. Dieser Teamgeist sei der Mannschaft in den vergangenen Wochen abgegangen.
Tatsächlich gab es an diesem Samstagnachmittag erstmals seit dem 4:2 über Borussia Dortmund, Thomas Tuchels Debüt beim FC Bayern, wieder mehr als ein Tor zu bejubeln. Nach einer Phase, in der mit Dayot Upamecano, Matthijs de Ligt sowie Benjamin Pavard ausschließlich Innenverteidiger trafen, war Tuchels Lob sicherlich als psychologische Maßnahme gedacht, um die sichtlich verunsicherte Offensive weiter zu stärken.
Der Auftritt an sich war größtenteils Dienst nach Vorschrift, nicht mehr, nicht weniger. Je nachdem, wie man es mit der Mannschaft hält, kann man es entweder als abgeklärt oder emotionslos bezeichnen. Nur selten wurde das Risiko gesucht, stattdessen lieber der sicherheitsbringende Querpass, wodurch sich Hertha BSC um den eigenen Strafraum formieren konnte. Offensiv legten es die Berliner, obwohl sie mit Dodi Lukébakio und Jessic Ngankam und später Chidera Ejuke sowie Wilfried Kanga durchaus Konterpotential auf dem Platz hatten, nicht zwingend darauf an, den Rekordmeister in Gefahr zu bringen. Daher gilt es, diese Performance, bei aller Erleichterung, die Meisterschaft wieder in der eigenen Hand zu haben, ein Stück weit zu relativieren.
Für das Mannschaftsgefüge war der Sieg ein Schritt nach vorne. Dazu kommt, dass man bis Saisonende nicht mehr vom BVB unter Druck gesetzt werden kann. An den kommenden drei Spieltagen tritt der FC Bayern jeweils zuerst an. Nächstes Wochenende geht es zum Topspiel ins Weserstadion. Die Münchener können dann das tun, was Borussia Dortmund am Freitag misslang und vorerst auf vier Punkte davonziehen. Der BVB empfängt am Sonntag den VfL Wolfsburg.
Abseits des Spielerischen machte Leon Goretzka nach der Partie mit einer Aussage auf sich aufmerksam, als er meinte, Spieler würden „komplett kaputtgemacht medial. Helfen tut das mit Sicherheit nicht. Wir sind schon lange genug dabei und wissen, dass das dazu gehört. Von daher haben wir unsere Antworten auf dem Platz zu geben.“ Sich selbst meinte Goretzka damit allerdings nicht. „Ich glaube, der eine oder andere hat da in den letzten Wochen mehr abbekommen.“
Erst vergangene Woche stellte Thomas Tuchel fest, seine Mannschaft wirke, als hätte sie „70 oder 80 Spiele in dieser Saison“ hinter sich. Zur ganzen Wahrheit gehört auch, dass bei der Bewertung dieser Spielzeit ein fußballerisches Großevent zwischen November und Dezember und vor allem dessen (mentale) Auswirkungen gerne vergessen werden, genauso wie die Tatsache, dass jenes Event erstmals mitten in der Saison stattfand, nicht danach. Auch rund um den Trainerwechsel wurde die Mannschaft von der Chefetage instrumentalisiert, als beispielsweise Sportvorstand Hasan Salihamidžić meinte, das Verhältnis zwischen den Spielern und Julian Nagelsmann habe nicht mehr gestimmt, was diese daraufhin öffentlich geraderücken mussten.
Wenngleich diese Aussage von Leon Goretzka gut gemeint ist, kommt sie, nach einer durchwachsenen Partie, eher ungünstig und wirkt, als wollte man sich ein Stück weit, vor berechtigter Kritik drücken. Für die Antwort haben sie noch vier Spiele Zeit. Die einfachste Möglichkeit, beim FC Bayern medial nicht ungewollt in den Fokus zu geraten, ist zu gewinnen.
Mehr News und Stories rund um die Bundesliga
2. BVB verliert in Bochum die Klarheit und die Tabellenführung – aber nicht aufgrund von Stegemann
Die größten Leidtragenden des vergangenen Spieltags kommen aus Dortmund. Mit einem Sieg in Bochum hätte man auf vier Punkte davonziehen können. Stattdessen ist man so schlau, als wie zuvor. Nach der Partie waren aufseiten von Schwarzgelb die Hauptschuldigen schnell gefunden: Schiedsrichter Sascha Stegemann, der in Minute 65 ein Einsteigen von Danilo Soares an Karim Adeyemi als nicht elfmeterwürdig befand sowie Videoassistent Robert Hartmann, der Stegemann nicht an den Monitor schickte.
Natürlich hätte Stegemann in jener Situation Dortmund den Strafstoß anerkennen müssen. Dennoch produzierte der BVB über die gesamte Spielzeit 2,73xG und ließ nur 0,64 zu. Chancen, die Partie frühzeitig zu entscheiden, waren genügend da. Auch der Spielverlauf selbst sprach für die Dortmunder.
Zwar kassierte man ein frühes Traumtor durch Anthony Losilla (5′). Karim Adeyemi (7′) gelang es allerdings, dieses postwendend zu kontern, noch bevor der VfL Bochum im eigenen Stadion eine Pokalatmosphäre herstellen konnte. Anstatt den Druck im Anschluss hochzuhalten und das Spiel komplett zu drehen, ließ sich der BVB auf die Nickligkeiten der Gastgeber ein und verlor zunehmend die Klarheit im eigenen Spiel. Dadurch stand es nach einer halben Stunde 1:1, zur Pause 1:1, nach einer Stunde noch immer 1:1 – und irgendwann lief, beim Stand von 1:1, die 89. Minute.
So kam es, dass Borussia Dortmund, wieder einmal, auswärts bei einem Abstiegskandidaten, Punkte liegen ließ. Im Derby auf Schalke gab es ein 2:2. In Stuttgart verspielte man, in Überzahl, eine 2:0-Führung und kam nicht über ein 3:3 hinaus. Nun das 1:1 in Bochum. Angesichts dessen klingt es fast schon bedrohlich, dass der BVB am 33. Spieltag nach Augsburg reisen muss. All diese Partien wären für Dortmund mehr als machbar gewesen, um den FC Bayern zu distanzieren. Der Unterschied in diesem Fall ist, dass der Rekordmeister 2:0 auf Schalke gewann, 2:1 in Stuttgart, 7:0 in Bochum und jüngst 2:0 gegen Hertha BSC. Sollte Dortmund den Titel tatsächlich verspielen, muss genau diese Thematik auf den Tisch.
Qualitativ ist es ohnehin das schwächste Titelrennen seit Langem. Erstmals seit dem VfL Wolfsburg 2008/09 (69 Punkte) könnte ein Meister die Saison mit weniger als 70 Punkten beenden. Bereits die 77, die der FC Bayern im vergangenen Jahr holte, wurden intern als höchst kritisch gesehen. Nun sind maximal 74 möglich. Borussia Dortmund könnte noch auf 73 Zähler kommen, vier mehr als unter Marco Rose in der Vorsaison. Eine eher marginale Verbesserung. Hätten Rose oder Xabi Alonso ihre aktuellen Teams bereits zu Saisonbeginn übernommen, sähe es für die beiden Luxuskreuzer des deutschen Fußballs wesentlich düsterer aus. Egal, an wen der Titel letztlich geht, beide müssen sich für diese Spielzeit intern genauestens hinterfragen.
3. Polter als Schlüssel für Schalkes Sieg – und die Hoffnung auf den Klassenerhalt
Wesentlich positiver ist die Stimmung auf der gegenüberliegenden Seite des Reviers, beim FC Schalke 04. Im Duell mit Werder Bremen drohte, nach dem Treffer von Marvin Ducksch (18′), lange die vierte Niederlage aus den letzten fünf Bundesligaspielen. Sepp van den Berg (81′) sowie Dominick Drexler (90’+2) drehten jedoch die Partie und sorgten für drei eminent wichtige Punkte. Der VfL Bochum und der VfB Stuttgart sind nur noch einen Zähler entfernt, Hertha BSC auf dem letzten Platz dafür deren fünf.
In der ersten Hälfte zeigte sich Werder spielerisch überlegen und ging verdient in Führung. Mit etwas mehr Klarheit im letzten Pass, beziehungsweise Abschluss hätte man die Partie bereits zur Pause entscheiden können. Schalke gab sich aber nicht auf. Durch die Einwechslung von Sebastian Polter erzwang Thomas Reis sein Glück. Vor dem 1:1 verlängerte Schalkes Stürmer einen Einwurf von Marcin Kamiński für Sepp van den Berg. In Minute 92 machte Polter einen langen Ball des Polen fest, sodass Rodrigo Zalazar mit einem genialen Chip Drexler im Strafraum bedienen konnte.
Während Werder seine Krise mit nur einem Sieg aus den letzten acht Bundesligaspielen auf Platz 12 weiter fortsetzt, hat Schalke sein Erweckungserlebnis. Und das, zum genau richtigen Zeitpunkt. Von allen Abstiegskandidaten hat Königsblau das – mit Abstand – schwerste Restprogramm. An den letzten vier Spieltagen geht es nach Mainz, München, gegen Eintracht Frankfurt sowie nach Leipzig. Thomas Reis hat bislang herausragende Arbeit geleistet, Schalke, vier Spieltage vor Schluss, in diese Position zu bekommen. Jene Spieltage werden zeigen, ob seine Mannschaft und er den Endboss auch noch besiegen können.
(Photo by Alexander Hassenstein/Getty Images)
Victor Catalina
Mit Hitzfelds Bayern aufgewachsen, in Dortmund studiert und Sheffield das eigene Handwerk perfektioniert. Für 90PLUS immer bestens über die Vergangenheit und Gegenwart des europäischen Fußballs sowie seine Statistiken informiert.