WM 2022: 3 Gründe warum England nicht Weltmeister wird

4. Dezember 2022 | WM-Spotlight | BY Chris McCarthy

England gehört nach der Vizeeuropameisterschaft 2021 zu den Favoriten bei der WM 2022. Drei Gründe, wieso der Fußball dieses Jahr trotzdem nicht „nach Hause“ kommen wird. 

Nachdem wir am Samstag drei Gründe nannten, warum England nach 56 Jahren wieder ein Turnier gewinnen könnte, folgen nun drei Gegenargumente.



Grund 1: Vielleicht ist England gar nicht so gut

So gut die englische Nationalmannschaft auch besetzt ist, so weit sie bei der Europameisterschaft vergangenes Jahr auch kam: es gibt berechtigte Zweifel daran, wie gut England wirklich ist. Immerhin stand Gareth Southgate vor dem Turnier bereits mächtig unter Druck.

Denn die Leistungen der Three Lions waren in diesem Kalenderjahr alles andere als berauschend. England stieg sieglos aus der Nations League A ab. Immer noch nicht mit dem UEFA-Wettbewerb vertraut? Macht nichts. Alleine die Bilanz ist wichtig, und die war nach jeweils zwei Spielen gegen Italien, Deutschland und Ungarn mit drei Remis, sechs Niederlagen und 4:10 Toren ernüchternd. Die Offensiv wirkte lethargisch, die Defensive wirkte – bei gleichem Personal – im Vergleich zur EM 2020 wie ausgewechselt. So sehr, dass selbst der Finaleinzug hinterfragt wurde. Bis auf das Viertelfinalspiel gegen die Ukraine (4:0), war England bei der EM 2020 nämlich in keinem Spiel so richtig dominant. Das könnte am Spielstil liegen, aber womöglich auch am vergleichsweise machbaren Pfad ins Finale. Deutschland (2:0) im Achtelfinale und Dänemark (2:1 n.V.) im Halbfinale waren keine Selbstläufer, aber auch nicht gerade die Creme de la Creme des Turniers.

Auch bei diesem Turnier hatte es England bislang mit keinem Schwergewicht zu tun: Siege gegen Iran (6:2) und Wales (3:0) genügen beileibe nicht, um die Zweifel an dieser Mannschaft in Luft aufzulösen. Erst recht, da die Three Lions mit den USA (0:0), ein besseres Kaliber aber keinesfalls ein Halbfinalanwärter, große Mühe hatte. Das führt uns zu Grund 2.

Grund 2: Die Spielweise

Aufmerksame Leser werden festgestellt haben, dass die Spielweise auch ein Grund dafür war, dass England die Weltmeisterschaft gewinnen könnte. Zur Erinnerung: Southgate will den Ball nicht, um viele Tore zu schießen, sondern um Spiel und Gegner zu kontrollieren. Defensiv hat das, wie gesagt, große Vorzüge. Offensiv und im Gesamtkontext dagegen birgt das Risiken, wie zwei Beispiele zeigen.

Beispiel 1: Im zweiten Gruppenspiel zogen die Amerikaner den Three Lions auf recht simple Art und Weise den Zahn. Offensiv genügte die individuelle Klasse zwar nicht, um die nun sichtbaren Defizite im defensiven Umschaltspiel zu bestrafen. Kollektive Aggressivität, Dynamik und Pressing reichten aber, um den ohnehin recht eindimensionalen Aufbau zu unterbinden. Maguire wurde isoliert und somit seine Limitierungen unter Druck entblößt, Bellingham und die Offensive wurden aus dem Spiel gehalten und somit die essentiellen Einzelaktionen im letzten Drittel verhindert.

Beispiel 2: Auch im EM-Finale 2021 bot England einen lethargischen Auftritt in der Offensive. Das lag nicht nur an den kompakten Italienern: Damals kamen die Three Lions sehr gut in die Partie und gingen nach drei Minuten in Führung. Doch anstatt die wankende Squadra Azzurra weiter zu attackieren, schalteten die Engländer direkt in den Verwaltungsmodus und kam nicht mehr raus. Das 1:0 durch Luke Shaw blieb für die nächsten 117 Minuten der letzte Schuss aufs gegnerische Tor. Auch der Ausgleich von Leonardo Bonucci konnte die Offensive nicht aufwecken. Der Anfang vom Ende.

Sind die Three Lions einmal gezähmt – entweder durch eigene Zurückhaltung oder durch individuelle wie kollektive Klasse des Gegners – gibt es keinen Plan B, womöglich weil es Southgate an Kreativität und/oder Risikobereitschaft mangelt. Das könnte sich als zu großes Handicap erweisen.

Ein Bild mit Symbolcharakter: Der Amerikaner Yunus Musah bremst Harry Kane beim 0:0 gegen England.

(Photo by Tim Nwachukwu/Getty Images)

Grund 3: Turnierbaum und…natürlich…die Elfmeter

Es war nicht einfach, einen klaren dritten Grund dafür zu finden, warum England nicht Weltmeister wird. Nicht weil die Three Lions so eine fußballerische Übermacht sind. Viel mehr scheinen Gründe 1 und 2 beim Schicksal der Engländer eine zu große Rolle zu spielen. Erst recht beim Anblick des Turnierbaums.

Bereits nach dem Achtelfinale – und Senegal muss erstmal geschlagen werden – würde im Viertelfinale vermutlich der amtierende Weltmeister Frankreich warten, der gegen Polen natürlich schwer favorisiert ist. Spanien, als überraschender Gruppenzweiter hinter Japan, oder Portugal (gegen Marokko) haben guten Karten, in einem Halbfinale zu warten. Auf der anderen Seite des Turnierbaums stehen Argentinien und Brasilien als potentielle Finalgegner. Eines scheint schon jetzt klar: Um die WM 2022 zu gewinnen, wird England es mit jener kollektiven und individuellen Klasse aufnehmen müssen, die ihr vermeintlich stabiles Konstrukt gewaltig bröckeln lassen kann: Die Schnelligkeit eines Kylian Mbappé, die selbst athletischere Verteidigungsreihen wie eine AH-Truppe aussehen lässt, dürfte Maguire Albträume beschweren; das wieselflinke und hoch talentierte spanische Mittelfeld, das den physischen Bellingham und Rice wohl gar nicht liegen dürfte oder die fußballerische Finesse und Spielfreude in allen Mannschaftsteilen der Selecao.

Selbst wenn England 90 oder gar 120 Minuten mit diesen Kalibern mithalten sollte, könnte weiteres, leidiges Thema wieder aufkommen: das Elfmeterschießen. Zugegeben, die notorische Schwäche vom Punkt ist medial etwas aufgebauscht. Trotzdem, aufgrund der sechs, teilweise traumatische Pleiten in neun Turnierversuchen, wird die Angst sicherlich eine Rolle in den Köpfen der (jungen) Akteure spielen.

 

 

(Photo by PAUL ELLIS/AFP via Getty Images)

Chris McCarthy

Gründer und der Mann für die Insel. Bei Chris dreht sich alles um die Premier League. Wengerball im Herzen, Kick and Rush in den Genen.


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