WM 2022 | Gareth Southgate, Didier Deschamps & co.: Strauchelnde Cheftrainer müssen sich beweisen

15. November 2022 | WM-Spotlight | BY Manuel Behlert

Die Weltmeisterschaft 2022 in Katar beginnt am Sonntag. Die Topnationen stehen dabei unter Erfolgsdruck, ein frühzeitiges Ausscheiden soll dringend verhindert werden. Auch dem ein oder anderen Trainer, darunter Gareth Southgate, droht bei einem schlechten Abschneiden Ungemach. 

Die Qualifikationsphase für die Europameisterschaft 2024 hat noch nicht begonnen, die am Sonntag startende Weltmeisterschaft findet am Jahresende statt. Sollte ein Verband also Zweifel an einem Trainer haben, wäre bei einem schwachen Resultat in Katar nach diesem Turnier der wohl ideale Zeitpunkt, eine Veränderung vorzunehmen. Gleich mehrere Übungsleiter stehen „auf der Kippe“, darunter auch Gareth Southgate und Didier Deschamps, die beide mit Teams antreten, die große Ambitionen haben.



Gareth Southgate: Gegen alle Kritiker

Ein jeder Nationaltrainer der Three Lions sieht sich mit großen Erwartungen konfrontiert, das ist auch bei Gareth Southgate (52) nicht anders. Der frühere Middlesbrough-Trainer kletterte bei der FA die Karriereleiter hoch, war erst als Koordinator für den Nachwuchs zuständig, später U21-Trainer, dann wurde er zum Nationaltrainer berufen. Seit dem Herbst 2016 ist er im Amt, nun betreut er die Mannschaft bei seinem dritten großen Turnier. Die bisherigen Resultate: Ein dritter Platz bei der Weltmeisterschaft 2018 und ein Endspieleinzug bei der EM im letzten Jahr. Das klingt soweit mehr als nur vernünftig, insbesondere, weil in den letzten Jahren viele Junge Spieler integriert wurden.

Trotz der guten Turnierplatzierungen gibt es aber Ansatzpunkte für die Kritiker. Zum einen war der Fußball wenig berauschend, das Zeil war die Spielkontrolle – eine Ausrichtung, die für viele der Grund für das verlorene EM-Finale war. Zum anderen konnte England in der Nations League in einer Gruppe mit Deutschland, Italien und Ungarn kein Spiel gewinnen, unterlag Ungarn sogar gleich zweimal. Das Länderspieljahr 2022 war bisher eher ein Desaster als eine gute Vorbereitung auf die Weltmeisterschaft. Mal spielte England mit einer Dreier-, mal mit einer Viererkette, aber wirklich stabil wirkte das Gebilde nicht. Zwei Spiele gab es ohne Gegentor im Kalenderjahr, acht Spiele wurden absolviert. 

Eine Entwicklung nach dem Turnier vor knapp eineinhalb Jahren hat stattgefunden, sie geht aber in eine negative Richtung. England will oder schafft es zu selten, die notwendige Dynamik und Wucht auf den Platz zu bringen. Selbst in der WM-Qualifikation gab es schwache Spiele, gegen Ungarn zuhause nur ein 1:1, gleiches in Polen. Die Offensive der Three Lions wirkt gezähmt. Dabei stehen u.a mit Harry Kane, Raheem Sterling, Phil Foden, Jack Grealish, Mason Mount und Bukayo Saka hochkarätige Spieler zur Verfügung. 

Das Personal ist auch gleich das nächste Thema. Viele Experten kritisieren Southgate auch für die Zusammenstellung seines Kaders. So ließ er zwar aus Formründen Tammy Abraham zu Hause. Ein seltsames Argument, wenn man bedenkt, dass Harry Maguire vor Fikayo Tomori den Vorzug erhielt. Vor dem Turnier in Katar scheint klar zu sein, dass es für Southgate um seine Zukunft als Nationaltrainer geht. Der 52-Jährige kämpft nicht nur gegen die Gegner in der Gruppe und darüber hinaus, sondern auch gegen alle Kritiker, die jeden Schritt des Trainers, jede Entscheidung ganz genau beobachten werden.

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Didier Deschamps: Kann er das Optimum herausholen?

Didier Deschamps (54) und die Equipe Tricolore kämpfen bei der WM 2022 gegen einen Fluch. Dreimal nacheinander schied der Weltmeister des vorherigen Turniers in der Gruppenphase aus. Und wenn man sich im Umfeld der französischen Nationalmannschaft dieser Tage umhört, dann ist das diesmal nicht komplett ausgeschlossen, auch wenn die Qualität hoch und die Gruppe absolut machbar ist. Schon ein Patzer gegen Australien zum Auftakt könnte dafür sorgen, dass die Situation schwierig wird. Einige Stützen sind vor der Weltmeisterschaft weggebrochen, so fehlen im Mittelfeldzentrum Paul Pogba und N’Golo Kante. Zwar verfügen die Franzosen über einen nahezu unverschämten Pool an herausragenden Spielern, aber diese Ausfälle treffen das Team.

Gerade Kante als ordnende Hand, als Spieler, der Lücken zuläuft und für Stabilität sorgt, wäre sehr wichtig gewesen. Frankreich ist nämlich keineswegs permanent defensiv stabil, im Gegenteil. Eine solche Entwicklung bahnte sich nach der Weltmeisterschaft 2018 definitiv an. Die zurückliegende Europameisterschaft verlief nicht nach Plan, im Achtelfinale war gegen die Schweiz Schluss. Gelang die Qualifikation trotz kleinerer Ausrutscher noch souverän, musste auch Frankreich in der Nations League anderen den Vortritt lassen.

WM 2022

(Photo by FRANCK FIFE/AFP via Getty Images)

Gespielt wurde in einer Gruppe mit Dänemark, Österreich und Kroatien, gewonnen wurde nur ein Spiel. Gegen Dänemark, das jetzt wieder in der Gruppe wartet, verlor die Deschamps-Elf gar zweimal (0:2, 1:2). Die gegnerischen Mannschaften mussten dabei nicht einmal absolute Glanzleistungen zeigen, eher simpel kam das Gegenmittel gegen Frankreich daher. Eine kompakte und gut geordnete Defensive, schnelle Spieler, die das Tempo von Dembele, Mbappe & co. einigermaßen mitgehen können, Nadelstiche nach vorne und die Fähigkeit, den Ball auch in den eigenen Reihen halten zu können: Das zog den Franzosen häufig den Zahn. 

Nun ist natürlich der Trainer dafür zu kritisieren, wenn eine Mannschaft, die mit Offensivstars wie Kingsley Coman, Kylian Mbappe, Antoine Griezmann, Ousmane Dembele oder Christopher Nkunku zu einem großen Turnier fährt, spielerisch nur wenige Lösungen gegen gut gestaffelte Gegner findet. Deschamps muss jetzt den Beweis antreten, dass er immer noch derjenige sein kann, der einen Kader bei Laune halten und ihm die richtigen Impulse mit auf den Weg geben kann, um Siege zu feiern und im Turnier weit zu kommen. Nach der WM könnte ohnehin Schluss sein, der Vertrag endet bald. Und Zinedine Zidane (50) wäre frei…

Auch diese Trainer benötigen Erfolge

Grundsätzlich benötigt jeder Trainer Erfolge, um im Amt zu bleiben. Die Ansprüche verschiedener Trainer und Nationalmannschaften bei diesem Turnier sind aber extrem unterschiedlich. Es gibt Teams, die sich ordentlich präsentieren und eine Entwicklung zeigen wollen. Wiederum andere werden daran gemessen, in der K.O.-Runde möglichst weit zu kommen.

Für Luis Enrique (52), Trainer der Spanier, gilt das zum Beispiel. Auch bei seiner Kadernominierung hoben sich die Augenbrauen einiger Experten, das Turnier wird zeigen, ob der Coach damit richtig lag. Tite (61) coacht indes eine herausragende brasilianische Auswahl und ein frühzeitiges Aus wäre auch für ihn alles andere als ideal. Roberto Martínez (49), Trainer der Belgier, fährt mit einigen erfahrenen Spielern nach Katar, die wohl ihr letztes großes Turnier spielen. Einen gewissen Erfolgsdruck verspürt natürlich auch er. Eines vereint auf jeden Fall alle Trainer: Eine enttäuschende Weltmeisterschaft kann Auswirkungen auf die eigene Zukunft haben. Und das will natürlich jeder verhindern.

(Photo by DARREN STAPLES/AFP via Getty Images)

Manuel Behlert

Vom Spitzenfußball bis zum 17-jährigen Nachwuchstalent aus Dänemark: Manu interessiert sich für alle Facetten im Weltfußball. Seit 2017 im 90PLUS-Team. Lässt sich vor allem von sehenswertem Offensivfußball begeistern.


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