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EM | The Scottish Way: Kieran Tierney kennt ihn bestens

14. Juni 2021 | Trending | BY Chris McCarthy

Spotlight | Erstmals seit 1998 ist Schottland bei einem großen Turnier vertreten. Insbesondere die linke Seite führte die Bravehearts zur EM: Andrew Robertson und Kieran Tierney. Letzterer könnte sich bei der Euro 2020 nun in den Vordergrund spielen. 

Wenn die schottische Nationalmannschaft am Montag erstmals seit der WM 1998 den Rasen bei einem großen internationalen Turnier betritt, dürfte eines außer Frage stehen: Kein Weg wird den Bravehearts zu weit sein, kein Zweikampf zu hart. Kein Grashalm bleibt verschont.

Das trifft insbesondere auf die linke Seite des Spielfelds zu. Hier treiben die wohl zwei besten Spieler der Mannschaft ihr Unwesen. Beide sind Linksverteidiger: Kapitän Andrew Robertson und Kieran Tierney. Während Ersterer dem allgemeinen Beobachter der Europameisterschaft aufgrund seiner Erfolge mit dem FC Liverpool ein Begriff sein dürfte, ist Tierney abseits der Insel ein noch relativ unbekannter Name. Das soll sich bei der Europameisterschaft nun ändern.

Beim FC Arsenal hat er bereits Kultstatus erlangt. Seine Fußballschuhe werden schon mal in einer Supermarkttüte und nicht in einer teuren Louis-Vuitton-Tasche zum Spiel gebracht. Doch es sind seine Leistungen, die ihn für Verein und Land zum Hoffnungsträger machen. Sein Weg dorthin war steinig.

 

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Tierney hat „die Mentalität eines Wahnsinnigen“

Um dort hin zu kommen, wo er heute ist, brauchte Kieran Tierney Talent und Resilienz. Letzteres erlernte der 24-Jährige mit der käseweißen Haut, die vermutlich Lichtschutzfaktor 50 benötigt, bei Celtic Glasgow. In der Jugend zählte er nicht zu den größten Talenten, erhielt nur einen Einjahresvertrag. Er setzte sich trotzdem durch. Am Tag, bevor er das erste Mal bei den Profis auf der Bank sitzen sollte, brach er sich das Bein. Er kämpfte sich zurück. Mit 17 Jahren gab er sein Debüt, mit 20 führte er den schottischen Rekordmeister erstmals als Kapitän auf das Feld.

„Er hat diese Mentalität eines Wahnsinnigen, aber das meine ich auf eine gute Art“, sagte sein ehemaliger Nationaltrainer Gordon Strachan bei der Daily Mail. Abgeschaut hat er sich das von stahlharten Mentalitätsmonstern wie Scott Brown, der in seinen Leben wohl auf und abseits des Platzes noch keiner Konfrontation aus dem Weg gegangen ist. „Es wird kalt in Glasgow, wissen Sie? Aber diese Beiden würden nur im T-Shirt rumlaufen“, erzählt Strachan.

Ab 2019 würde das Tierney auch in England demonstrieren. Nach fünf Meisterschaften mit Celtic wurde er für 27 Millionen Euro zum teuersten Export des schottischen Fußballs und wechselte zum FC Arsenal. Es war Zeit für den Sprung in eine Top-Liga.

VagelisxGeorgariou/Imago

Schottischer Roberto Carlos

Keine zwei Jahre nach seiner Ankunft, prägt Tierney bei den Gunners bereits die winterliche Aufwärmroutine. Ob Platzregen, Minusgrade oder Schneegestöber, während sich Pierre-Emerick Aubameyang dick eingemummelt die Sitzheizung seines Lambos im Hologrammstyle herbeisehnt, ist Tierneys Auftritt bei jeder Temperatur der gleiche: kurze Hose, kurzes Shirt und ein breites Grinsen im Gesicht.

 


Dabei hatte der Linksverteidiger auch zu Beginn seiner Arsenal-Karriere wenig zu lachen. „Er kam hier her und es dauert eine Weile. Er hatte eine schwere Verletzung und war erstmals fernab von der Heimat“, sagte Mikel Arteta kürzlich nach einem Spiel. Tierney überwand auch die nächsten Herausforderungen seiner jungen Karriere und spielte sich fest.

Mittlerweile ist der Linksfuß aus der Mannschaft der Londoner nicht mehr wegzudenken. In der Defensive ist der Schotte ein schneller wie knüppelharter Zweikämpfer. „Er geht raus und sagt: wenn du flanken willst, musst du erst an mir vorbei“, sagt Strachan. Lautstark kommandiert er seine Mitspieler. Ob sie den harten schottischen Akzent verstehen, ist Nebensache. „Kieran hat diese erstklassige Herangehensweise. Er hört zu, saugt Informationen auf und hört sogar zu, was du anderen Spieler sagst, sodass er auch ihre Rollen versteht“, weiß der 64-Jährige.

Doch auch in der Offensive ist Tierney eine Waffe. Unermüdlich und dynamisch sind seine Sturmläufe über den linken Flügel, präzise und wuchtig seine Flanken. Sogar sein Abschluss kann überraschen. Auswärts gegen West Bromwich düpierte er mit einem Bauerntrick seinen Gegenspieler, zog in den Strafraum und zirkelte den Ball mit seinem schwachen rechten Fuß ins lange Eck. „Look at him go“, sagte Mittelfeldspieler Emile Smith Rowe bei einer Videoanalyse des Spiels und verglich ihn dabei mit einem der gefürchtetsten Linksverteidiger in der Geschichte des Fußballs: „Look at Roberto Carlos go!“

In einer Mannschaft, die verzweifelt nach Führungsspielern sucht, ist Tierney ein Hoffnungsträger. „Seit ich hier bin, habe ich einen Spieler mit enormem Talent, perfekter Einstellung und Hingabe gesehen“, betonte Arteta.

Schottland: Die linke Seite ist die Stärke

Von diesen Qualitäten profitiert auch die schottische Nationalmannschaft. Geboren auf der Isle of Man hatte Tierney die Wahl zwischen Schottland, England, Nordirland oder Wales. Er entscheid sich für das Land seiner Eltern. Und auch hier ist Tierney ein Schlüsselspieler, wenngleich auf einer ungewohnten Position.

Da Nationaltrainer Steve Clarke mit Liverpools Andrew Robertson über einen weiteren herausragenden Linksverteidiger verfügt, kommt Tierney in der Innenverteidigung zum Einsatz. Gewohnt souverän verteidigt er auf der linken Seite der Dreierkette. „Gute Spieler können überall spielen und er ist das mit Sicherheit“, begründete Clarke und schuf damit eine Stärke. „Es ist ein Genuss neben ihm zu spielen“, schwärmte Robertson bei PLZ Soccer und ergänzte: „Wir haben defensiv die richtige Balance und wir haben unter Beweis gestellt, dass wir im selben Team spielen können.“

Dabei wird Tierneys offensiver Output keinesfalls limitiert. Immer wieder stürmt er in den passenden Momenten nach vorne, überlappt auf den Außen und sorgt dadurch für Chaos in den gegnerischen Hintermannschaften. Beim 4:0-Sieg über die Färöer Inseln in der WM-Qualifikation im Mai steuerte er als Innenverteidiger sogar drei Vorlagen bei.

„Die Schnelligkeit, der Drive, die Qualität die er hat, ist unglaublich“, lobte Ex-Schottland-Verteidiger Willie Miller Tierney bei Sportsound nach dieser Partie und ergänzte: „Unsere linke Seite ist herausragend, es ist fantastisch, Tierney und Robertson zu sehen.“

 

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The Scottish Way

Zusammen personifiziert diese linke Seite den Aufschwung der Schotten unter Clarke. Der 57-jährige Trainer übernahm die Mannschaft 2019 kurz nach einer 0:3-Niederlage gegen Kasachstan, haucht ihr neues Leben ein und schuf ein System, in dem seine zwei besten Spieler gleichermaßen zur Geltung kommen.

Erstmals seit der WM 1998 hat sich die Tartan Army so für ein großes Turnier qualifiziert. Nach 23 langen Jahren und 180 Minuten samt zwei Mal Elfmeterschießen in den Playoffs, die mindestens genau so lang schienen, beendeten die Schotten ihre Leidenszeit und sicherten sich das Ticket für die EM.

„Es ist der schottische Weg“, lachte Tierney nach dem letzten nervenaufreibenden Elfmeterkrimi gegen Serbien. Es ist ein Weg, den der 24-Jährige bestens kennt.

 

Von Chris McCarthy

Photo: xAndrewxMilliganx/Imago

Chris McCarthy

Gründer und der Mann für die Insel. Bei Chris dreht sich alles um die Premier League. Wengerball im Herzen, Kick and Rush in den Genen.


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