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Wie Brighton zu einem der spannendsten Vereine Europas wurde

2. Januar 2022 | Trending | BY Lukas Heigl

Analyse | Sieht man sich die obere Hälfte der aktuellen Premier-League-Tabelle an, sticht vor allem ein Name ins Auge: Brighton & Hove Albion. Wir haben die Entwicklung der Seagulls aus den letzten Jahren analysiert:

Der achte Platz, auf dem Brighton aktuell steht, ist für eine Mannschaft, die in den letzten Jahren immer im unteren Tabellendrittel zu finden war eine erstaunliche Leistung. Doch dieser Tabellenstand kommt nicht über Nacht, sondern ist der logische nächste Schritt in einer Entwicklung, die nun bereits seit einigen Jahren kontinuierlich vonstatten geht.



  • Graham Potter verändert den Spielstil radikal
  • Dan Ashworth ist einer der besten Kaderplaner und Tony Bloom als Besitzer gleichzeitig Fan
  • Entwicklung zu einem Top-Ziel für Talente vor allem aus Osteuropa und Südamerika

Tony Bloom holt Brighton aus der Versenkung

Brighton-Besitzer Tony Bloom

(Photo by Mike Hewitt/Getty Images)

Anthony Grant Bloom (51) übernahm 2009 den damaligen Drittligisten als Besitzer und Präsident. Der ehemalige Profi-Pokerspieler ist in Brighton geboren und war von klein an Fan des Vereins. Ein Verein, der nach dem Abstieg aus der Championship 2004/05 bereits seit vier Jahren in der League One unterwegs war, und das zumeist in der unteren Tabellenhälfte. Unter Bloom wurde alles besser. Er investierte clever und führte den Verein 2010/11 als Meister zurück in die Championship.

Doch auch hier wollte sich der ehrgeizige Besitzer nicht lange aufhalten. Er steckte viel Geld in den Kader sowie die Infrastruktur, baute unter anderem 2011 das aktuell genutzte Amex-Stadium, das 31.800 Zuschauern Platz bietet und dessen Errichtung 121 Millionen Euro kostete. Folgerichtig spielten die Seagulls auch in der Championship schnell oben mit. In den ersten fünf Jahren erreichte man dreimal die Playoffs, scheiterte jedoch jedesmal.

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Im sechsten Jahr schließlich schaffte der Verein den Aufstieg, 2016/17 wurde man mit 93 Punkten mit nur einem Punkt hinter Meister Newcastle United Zweiter und stieg direkt aus. Ein ganz großer Anteil an der Premier-League-Zugehörigkeit geht also auf das Konto des Besitzers, der auch heute noch regelmäßig bei Auswärtsspielen in voller Fan-Montur mit Schal und Cap im Fanblock steht.

Kick and rush unter Chris Hughton

Aufstiegstrainer war Chris Hughton (63). Der Ire, der sein Trainerhandwerk im Nachwuchs der Tottenham Hotspur gelernt hatte und vor seiner Station in Brighton unter anderem für Newcastle United und Norwich City tätig war, leitete die Geschicke in der Seebad-Stadt ab Silvester 2014. In seiner dritten Saison bei den Seagulls stieg man auf, danach blieb Hughton noch zwei Saisons.

In diesen beiden Premier-League-Jahren wurde in Brighton kein ansehnlicher Fußball gespielt. Trotz großer Investitionen – in den beiden Jahren machte der Verein ein Minus von 140 Millionen Euro, nur vier Vereine in England hatten ein größeres Transferdefizit in diesem Zeitraum – verlegte sich Hughton auf die klassischen Tugenden eines Aufsteigers, Kampf, eine stabile Defensive und offensiv Gefahr nach Standards. Man hielt zwar jeweils die Klasse, doch Bloom wollte mehr. Und so musste Hughton im Sommer 2019 nach dem Erreichen des 17. Platzes gehen.

Graham Potter – Ungewöhnlicher Karriereweg

Potter als Trainer von Östersund

(Photo by Michael Regan/Getty Images)

Am 20. Mai 2019 wurde die Verpflichtung von Graham Potter (46) als neuem Trainer bekannt gegeben. Dieser hatte zuvor einen sehr ungewöhnlichen Weg hinter sich. Nach seiner aktiven Karriere wurde er während seines Studiums Trainer der Universitätsmannschaft, anschließend nahm er den Job des technischen Direktors der ghanaischen Frauennationalmannschaft an. 2010 ging Potter nach Schweden zum Östersunds FK, die er in siebeneinhalb Jahren aus der vierten Liga bis in die Europa League führte, wo man unter anderem Hertha BSC in der Gruppe hinter sich lassen und beim Arsenal FC gewinnen konnte.

Nach nur einer Saison bei Swansea City übernahm er Brighton. Potter ist auch neben dem Platz die Weiterbildung seiner Spieler sehr wichtig. So lässt er sie Theaterstücke aufführen, gibt ihnen die Lektüre von Klassikern an die Hand und vieles mehr. In seiner Zeit an der Universität schloss Potter ein Bachelor-Studium zum Erlernen von Führungsqualitäten (Sozialwissenschaften) sowie ein Master-Studium „Emotionale Intelligenz“ ab.

Ballbesitz als neue Waffe

Unter Potter veränderte sich der Spielstil radikal. Statt Kick and Rush sah man nun gepflegten Kurzpassfußball. Folglich musste auch der Kader an vielen Stellen verändert werden. Im ersten Transfersommer kamen unter anderem Neal Maupay (25), Leandro Trossard (27) und Adam Webster (26) für viel Geld in den Süden Englands. In dem Sommer wurde nochmals ein recht hohes Transferminus von knapp 65 Millionen Euro gemacht, doch dies war nötig, um den neuen Stil zu implementieren.

Auf dem Feld sah man den Unterschied sofort, dieser war so groß wie zwischen Tag und Nacht. Hatte man 2018/19 noch 44,1% Ballbesitz, eine Passquote von 74,8% sowie die drittmeisten langen Bälle der Liga, waren es im ersten Jahr unter Potter schon 51,7% Ballbesitz, die Passquote lag bei 81% und mal spielte nur noch die elfmeisten langen Bälle. In allen drei Kategorien verbesserte man sich im Ligavergleich ebenfalls vom letzten Drittel in die obere Tabellenhälfte.

Dazu stieg der eigene xP-Wert (expected points) von 36 auf 48. Der einzige Grund, warum man immer tabellarisch keinen Fortschritt erkennen konnte war, dass man vorne die Chancen nicht nutzte und hinten zu oft zu leichte Gegentore bekam. Im zweiten Jahr unter Potter entwickelte sich die Mannschaft nochmals weiter, vor allem defensiv machte man den nächsten Schritt.

Sanchez, White und Lamptey die ersten Erfolge

Sanchez, White, Webster und Dunk jubeln

(Photo by Mike Hewitt/Getty Images)

Der Wechsel von der Viererkette hin zu Potters bevorzugtem System mit Dreierkette half dem Team sichtlich, dazu wurde Mitte Dezember 2020 Robert Sanchez (24) zur neuen Nummer Eins im Tor. Der im eigenen Verein ausgebildete Sanchez machte in der Rückrunde 2020/21 eine unglaubliche Entwicklung durch, die ihn am Ende sogar mit der spanischen Nationalmannschaft zur Europameisterschaft fahren ließ.

Sanchez ist lange nicht der einzige Spieler, der sich in der letzten Saison unter Potter extrem gut entwickelt hat. Ben White (23) kam nach seiner Leihe zu Leeds United im Sommer 2020 zurück und wurde direkt zum Stammspieler. Der Innenverteidiger spielte so gut, dass er zunächst für die englische Nationalmannschaft zur Europameisterschaft mitfahren durfte und kurz darauf für die Brightoner Rekordsumme von 58,5 Millionen Euro zum Arsenal FC wechselte.

Lesen Sie auch unser Porträt zu Tariq Lamptey!

Ein dritter zu nennender Spieler ist Tariq Lamptey (21). Der Rechtsverteidiger kam im Januar 2020 vom Chelsea FC und entwickelte sich zu einem der aufregendsten Spieler auf seiner Position. Das System mit Dreierkette kommt auch ihm zugute, denn der 1,63 Meter kleine Lamptey hat seine Stärken ganz klar in der Offensive. Auch Spieler wie Maupay, Webster, Alexis Mac Allister (23) oder Yves Bissouma (25) haben sich unter Potter nochmals deutlich gesteigert.

Talentschmiede mit starkem Scouting-Netzwerk

Und so entwickelt sich Brighton in den letzten beiden Jahren mehr und mehr zu einem Top-Ziel für nationale und auch internationale Talente, die in Südengland den nächsten Schritt gehen wollen. Im Sommer 2020 kamen Talente wie Jakub Moder (22), Moises Caicedo (20) oder Jan Paul van Hecke (21), in diesem Jahr waren es Abdallah Sima (20) und Kjell Scherpen (21).

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Das nächste Toptalent steht bereits in der Pipeline, im Januar soll Mittelfeldspieler Kacper Kozlowski (18) für acht Millionen aus Stettin verpflichtet werden. Der Pole ging im vergangenen Sommer in die Geschichtsbücher ein, als er mit 17 Jahren und 246 Tagen zum jüngsten Spieler wurde, der je bei einer Europameisterschaft eingesetzt worden war.

Grund für diese positive Entwicklung ist neben Potter auch die Tatsache, dass der Verein mit Dan Ashworth (50) einen herausragenden Kaderplaner mit einem sehr guten Netzwerk an Kontakten und Scouts hat. Ashworth war zuvor fünf Jahre für die Strukturierung des englischen Nachwuchses in den Jugendnationalmannschaften zuständig. Vor allem in Osteuropa (Moder, Sima, Kozlowski) und Südamerika (Mac Allister, Caicedo) scheint das Netzwerk hervorragend zu sein.

(Photo by Dan Mullan/Getty Images)

Dazu kommt die Installation von David Weir (51) als Betreuer der Leihspieler. Denn viele der Talente sind aktuell verliehen, um Spielzeit zu sammeln, darunter etwa Sima, Caicedo oder van Hecke, und für diese Spieler ist es wichtig, einen Ansprechpartner im Verein zu haben sowie jemanden, der durch seine Kontakte die für ihre Entwicklung perfekten Leihstationen für sie sucht.

Und so hat sich Brighton in den letzten Jahren von einem uninteressanten zu einem der spannendsten Vereine in ganz Europa mit einer Vielzahl an Talenten entwickelt. Neben der Talententwicklung ist in diesem Jahr nun auch endlich der zur Leistung passende sportliche Erfolg eingetreten. Der Kader ist trotz der aufgrund Corona finanziell notwendigen Ausdünnung im letzten Sommer breit genug aufgestellt, jeder hat die Spielweise verinnerlicht und auch Systemumstellungen sind kein Problem mehr.

Die Entwicklung der nächsten Jahre wird sehr spannend. Vor allem auch, wenn früher oder später die Säulen des aktuellen Erfolgs den Verein verlassen. An Ashworth ist bereits Newcastle interessiert, Potter wurde in der Vergangenheit vor allem mit den Tottenham Hotspur in Verbindung gebracht. Doch Bloom ist definitiv zuzutrauen, für beide die richtigen Nachfolge-Lösungen parat zu haben. Und so kann man, auch aufgrund der Fülle an Talenten, hoffenungsvoll in die Zukunft sehen.

(Photo by Shaun Botterill/Getty Images)

Lukas Heigl

Liebhaber des britischen Fußballs: Von Brighton über Reading und Wimbledon bis nach Inverness. Ist mehr für Spiele der dritten englischen Liga als für den Classico zu begeistern. Durch das Kommentatoren-Duo Galler/Menuge auch am französischen Fußball interessiert


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